Das ist „Salto Natale“ in
Bestform. Bewundernswert durchgängig und konsequent wurde die
Grundidee dieser Show in die Tat umgesetzt. Im vergangenen Jahr
präsentierte Rolf Knie mehr oder minder ein reines
Nummernprogramm, während gleichzeitig die aufwendigen
Vorbereitungen für sein Projekt „Knie – das Circus-Musical“
liefen. Heuer konnte der Fokus wieder stärker auf dem
Wintercircus liegen. Und das spürt man.
Duo Full House
Ein weiterer Pluspunkt ist, dass
es richtig viel zu lachen gibt. Das Duo Full House alias Gaby
Schmutz-Camus und Henry Camus zelebriert den Kontrast zwischen
der vermeintlich braven Schweizerin aus Effretikon und ihrem
Gatten aus dem mondänen New York. Sie möchte ihre Jonglierkünste
mit Keulen beweisen, er sich dabei liebend gerne in den
Vordergrund drängeln. Das führt zum Ehestreit auf offener Bühne.
Und so wirft man sich bei der Passing-Jonglage wutentbrannt
außer den Keulen auch einen gefüllten Wäscheständer, eine
Schneeschaufel oder einen geschmückten Weihnachtsbaum zu. Ein herrlicher Spaß. Später wird
der „dressierte Gatte“ mit der Peitsche dirigiert. Ein wahres
Kabinettstückchen gelingt am Klavier. Henry liegt auf dem Rücken
und spielt mit überkreuzten Händen. Auf den in die Luft
gestreckten Füßen liegt Gaby und klimpert mit. Eine grandiose
Variante von „vierhändig“.
Aylona Pavlova, Selnikhins,
Zhenyu Li
Für einen starken artistischen
Auftakt des Programms sorgt Aylona Pavlova. In großer Höhe
arbeitet sie ungesichert am Luftring, überzeugt mit
kraftvoll-dynamischen Tricks und blitzschnellen Wirbeln. Zu so
viel Frauenpower singt Mimi Barber mit ihrer starken Stimme „Woman“.
Im zweiten Teil wird ihr mit „This is my Life“ ein grandioses
Solo gegönnt. Sie löst Patric Scott ab, der in den vergangenen
vier Saisons für den Gesang bei Salto Natale zuständig war.
Geblieben ist die formidable Band unter der Leitung von Edgar
Schmid. Zusammen mit dem fantastischen Licht von Diego Diáz sind
optimale Rahmenbedingungen geschaffen. Nach zwei Jahren zurück
bei „Salto Natale“ ist Zhenyu Li. Diesmal zeigt er seine
Equilibristik-Nummer nicht auf langen Stäben, sondern in einer
Variante auf einem Mast und einer nebendran stehenden Bank. Die
Originalnummer gefällt uns etwas besser. Zwei starke Untermänner
und zwei elegante Fliegerinnen, in dieser Konstellation
begeistern die Selnikhins am russischen Barren. Ohne
Hilfestellung werden verschiedenste Salti sicher geflogen.
Mariana Blanco, Wolf Brothers,
Sifeng Gu und Lishang Chen
Nun begeben wir uns in die Welt
von Aladin und der Märchen aus 1001 Nacht. Das Ballett bringt
eine riesige Wunderlampe auf die Bühne. Der Deckel wird
abgenommen, und Mariana Blanco entschwebt dem Gefäß im Zopfhang.
Unter anderem dreht sie an ihren Haaren hängend einen Wirbel.
Dazu zieht ein großer Luftballon-Vogel sanft seine Kreise über dem
Publikum. Von Arabien geht es nach „Bella Italia“. Pinocchio
erscheint auf der Tribüne und kündigt auf Italienisch den
Auftritt einer wunderschönen Trapezartistin an. Bei einer solch
frechen Lüge wird seine Nase riesengroß. Denn tatsächlich
erscheint David Wolf im weißen Umhang und möchte das Trapez
erklimmen. Das ist dank des trotteligen Requisiteurs, Davids
Bruders Richard, keine leichte Aufgabe. Nach Pleiten, Pech und
Pannen befinden sich scheinbar unbeabsichtigt beide in luftiger
Höhe. Das Publikum geht bei dem Spaß enthusiastisch mit.
Riesigen Jubel gibt es dann völlig zu Recht für die
Pausennummer. Die Truppe „Extreme Light“ tanzt in der
Dunkelheit. Dank der LED-Lichter an ihren schwarzen Kostümen
können die Männer und Frauen aus der Ukraine nach Belieben aus
dem Nichts erscheinen, Bilder aus Licht kreieren und wieder
verschwinden. Das moderne Spektakel bietet eine grandiose
Mischung aus ausgeklügelter, sorgfältiger Programmierung und
professionellem Tanz. Nach der Pause gelangen wir zur
„Unendlichen Geschichte“. Die kleine Sofia fliegt auf Fuchur,
dem Glücksdrachen. Unter dem eigens angefertigten Kostüm
verbergen sich die Artisten Sifeng Gu und Lishang Chen.
Normalerweise arbeiten sie in der traditionellen Gestalt eines
chinesischen Neujahrsdrachens. Wagemutig springen sie zu zweit
die Stufen hinauf und hinunter, die sich aus unterschiedlich
hohen Säulen ergeben – und dies auch über eine weite Distanz.
Duo Fusion, Truppe Selnikhin, Duo
Romance
Riesigen Jubel lösen Virginia
Tuells und Giovani Perez alias Duo Fusion mit viel Ausstrahlung
und Partner-Akrobatik vom Feinsten aus. Eingebunden in einen
leidenschaftlich zelebrierten Tango, wechseln sie sich in der
tragenden Rolle ab. Aus dem Bühnenboden erscheint der
Froschkönig, der sich mit einem Knall in den Prinzen verwandelt
– alias Alex Bogdi vom Duo Romance. Mit seiner Partnerin Maria
zeigt er die zum Beispiel aus dem Zirkus Charles Knie bestens
bekannte, leistungsstarke Pole-Nummer. Mit rhythmischem Applaus,
gar Bravo-Rufen werden sie gefeiert. Damit ist für uns der
Höhepunkt der Vorstellung erreicht. Die Märchen-Reise führt
jedoch weiter zu Alice ins Wunderland. Alice, das ist die junge
Sofia Selnikhina. Das zarte Mädchen wird hier zur Fliegerin bei
ikarischen Spielen. Der verrückte Hutmacher alias Maxim Selnikhin – 42-jährig und von kräftiger Statur – hat die Rolle
des Untermanns. Die Trickfolge ist so extrem wie der Unterschied
im Körperbau der beiden Akteure. Was uns nicht behagt, reißt das
Publikum zu Beifallsstürmen hin. Die Schlussnummer übernimmt die
Truppe Dobrovitzky am Doppelten Fangstuhl. Sie war bereits vor
fünf Jahren im Programm. Zunächst entern die Russen die Bühne
als Seeräuber, begleitet von der passenden Filmmusik aus „Pirates
of the Carribean“. Das Requisit mit seinen Masten schafft
Segelschiff-Assoziationen. Schade, dass die Musik mit dem Beginn
der Trickfolge zu Swing wechselt und dabei bleibt – da passt die
Akustik nicht mehr zur Optik. Die stehenden Fänger werfen sich
die beiden Fliegerinnen und den Flieger gegenseitig zu. Ähnlich
wie bei einer Flugtrapeznummer gehören Sprünge, Salti,
Pirouetten und zum Abschluss die Passage zum Repertoire. |