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Metz, 30. Juni 2008:
Er nennt
sich selbst „Le geant des Cirques Europeen“. Ein Gigant der
europäischen Circusszene ist Pinder in vielerlei Hinsicht. Von
Außen beeindruckt der umfangreiche und top gepflegte Wagenpark
in den Hausfarben gelb-rot. Die Tierschau ist umfangreich,
insbesondere der außergewöhnlich große Raubtierbestand
beeindruckt. Alle Vierbeiner sind mustergültig untergebracht.
Den hohen Ansprüchen an einen europäischen Großcircus werden
auch die Darbietungen des Programms gerecht. |
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Wobei besonders positiv
auffällt, dass Pinder nicht nur bekannte Namen unter Vertrag
nimmt, sondern auch einige bislang unbekannte circensische
Perlen im Programm hat, die den Etablierten in nichts
nachstehen. Solch mutige Personalpolitik würde manchem
Unternehmen hierzulande auch gut zu Gesicht stehen. Abstriche
müssen hingegen bei der Präsentation der Show und beim Ambiente
im Chapiteau gemacht werden. Eine Rundleinwand, die an vielen
Stellen Tageslicht durchlässt etwa ist der Atmosphäre im Zelt
wenig förderlich. In Sachen Präsentation fällt vor allem die
Licht- und Tonanlage negativ auf. Sie erreicht nicht das Niveau,
das man von einem Circus dieser Größenordnung erwartet. Hinzu
kommt, dass bei der musikalischen Begleitung aus der Konserve
(zusätzlich gibt es einen Schlagzeuger) in diesem Jahr Techno
der vorherrschende Sound ist. Zu einem klassischen
Nummernprogramm, wie Pinder es auch in diesem Jahr zeigt, mag
dieser Musikstil nicht so recht passen. Insgesamt wird deutlich,
dass Pinder, der gerade im Sommer eine Vielzahl von
Eintagesplätzen besucht, eher auf schnelles Reisen als ein
gehobenes Ambiente a la Arlette Gruss ausgerichtet ist.
Frederic Edelstein
Die
Vorstellung startet mit einem absoluten Höhepunkt.
Frederic
Edelstein vereint neun Löwinnen, drei Löwen und vier Tiger im
Zentralkäfig. Wer glaubt, dass hier nur auf Masse gesetzt wird,
erlebt eine positive Überraschung. Das Trickrepertoire ist
ebenfalls außergewöhnlich. Der Juniorchef zeigt unter anderem
einen Fächer mit acht Tieren, lässt eine Löwin über sich
springen während er auf dem Boden kniet und präsentiert je einen
rückwärts beziehungsweise vorwärts steigenden Tiger.
Bemerkenswert ist, dass Edelstein einen engen Körperkontakt zu
seinen Schützlingen pflegt. So springt er beispielsweise auf
einen Teppich aus am Boden liegenden Löwen.
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Gina Giovannis
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Nach dem Abbau
des Käfigs geht es mit dem Duo Jungle in den Urwald. Zu Phil
Collins’ „You’ll be in my heart“ zeigen Tarzan und Jane, dahinter
verbergen sich zwei Artisten aus der Flugtrapez-Truppe, ihre Kür an
Tüchern. Leider lässt die Lichtregie das sympathische Paar etwas im
Dunkeln. Schon des öfteren bei Pinder zu erleben war die
Equilibristin Gina Giovannis. Bei ihr beeindrucken Leistung
(Klötzchentrick, mehrere Einarmer, Reifenjonglage im Kopfstand),
Ausstrahlung und die Kreativität, mit der sie ihre Arbeit immer
wieder neu gestaltet. Diesmal ließ sie sich offenbar von der
Darbietung ihres Kollegen Encho Keryazov inspirieren. Diese
Vermutung lässt zumindest ihr wirkungsvoller Schlusstrick, der
einarmige Handstand auf einem ausfahrbaren Stab, zu. |
Rudy Latta Clowns, Formen
Die Formen entledigen sich zunächst ihrer
weißen Oberhemden. Sodann begeistern die vier Flic
Flac-erfahrenen Russen mit einer temporeichen
Hand-auf-Hand-Darbietung. Von der Trickfolge ähnlich Gruppen wie
Seaworld oder Crazy Flight, ist ihre Präsentation aber deutlich
extrovertierter. Zu Joe Cocker’s „You can leave your hat on“
legen sie eine mitreißende Show hin. Gab es bis dahin
ausschließlich starke Nummern, folgt mit dem Clowntrio Rudy
Latta ein Einschnitt im Programm. Die Idee zu ihrem Entree mag
noch originell sein, die Umsetzung ihrer „Fütter-Maschine“ lässt
hingegen zu wünschen übrig. Zu grob, zu albern ist ihr Spiel, zu
unsympathisch wirkte ihr Auftreten auf uns. Auch das
französische Publikum hält sich an diesem Abend mit Reaktionen
deutlich zurück. Ihr finales Musizieren leidet indes unter den
bereits erwähnten Defiziten der Tonanlage. Als Pausennummer
arbeiten die Flying Mendoza aus Portugal unter der Circuskuppel.
Die fünf attraktiven jungen Menschen (zwei Frauen, drei Männer)
zeigen zur Technoversion des Soundtracks von „Fluch der Karibik“
alle gängigen Tricks am Flugtrapez inklusive Passage und
Dreifachem.
Sacha Houcke
Die zweite
Hälfte eröffnet Sacha Houcke mit seinem Exotenzug bestehend aus
jeweils drei Fjordpferden, Kamelen und Lamas. Mit leichter Hand
dirigiert der französische Tierlehrer seine Tiere zu
anspruchsvollen Lauffiguren. Faszinierend anzusehen ist eine
interessante Variante des Karussells: Während auf der Außenbahn
die Lamas über die am Boden liegenden Kamele springen, drehen
innen die Pferde in entgegengesetzter Richtung ihre Runden.
Großen Respekt verdient ebenfalls seine Arbeit mit zwei
Elefanten des Hauses Pinder. Nachdem die beiden Damen längere
Zeit nicht in der Manege aufgetreten sind, zeigen sie nun das
(nahezu) volle Repertoire einer Elefantennummer. Sacha Houcke
steht bei einigen Tricks im Hintergrund und dirigiert die Tiere
via Mikrofon nur mit seiner Stimme.
Truppe Zhuk
Artistisch
hat dieser zweite Teil eine Bodenjonglage, eine Truppe am
Quadratreck und die Bola-Bola-Performance von Norma und Daniel
zu bieten. Erstere wird von einem Künstler namens Zeenek
gezeigt. Der junge Tscheche hat sichtlich Spaß bei seiner
anspruchsvollen Arbeit mit einer Vielzahl von Bällen und bringt
diese auch rüber. Kurzum, dieser Artist legt einen richtig
sympathischen Auftritt hin. Die Sympathien des Publikums erobern
im Nu ebenfalls die vier muskulösen Jungs der Truppe Zhuk. Oben
ohne fliegen sie zwischen den vier Stangen des Recks hin und
her, um anschließend sicher auf der Matte zu landen. Ihre Nummer
besteht aus sehenswerten Einzeltricks und gemeinsamen Aktionen
der gesamten Truppe. Verzichten müssen wir an diesem Abend
leider verletzungsbedingt auf die Hundekomödie von Old Regnas.
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Zum Finale erscheinen alle Mitwirkenden in der Manege und
Sprechstallmeister Frederic Colnot, der charmant durch den Abend
geführt hat, verabschiedet das Publikum wortreich. Auffällig
ist, dass es zum Schluss nur zurückhaltenden Applaus gibt,
während die einzelnen Nummern vorher kräftig beklatscht und
bejubelt wurden. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass das
französische Publikum diese Vorstellung ähnlich erlebt hat wie
die Rezensenten: Die Leistungen der einzelnen Darbietungen wird
durchaus hoch eingeschätzt, die Wirkung des Gesamterlebnis,
Stichwort Präsentation, hingegen ist noch deutlich steigerbar. |
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Text: Stefan Gierisch, Sven Rindfleisch; Fotos:
Stefan Gierisch, Friedrich Klawiter
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