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Cirque d'Hiver Bouglione 2022/23
www.cirquedhiver.com ; 144 Showfotos

Paris, 10. Dezember 2022: Die Show startet mit einem fulminanten Opening. Das große Orchester unter der Leitung von Pierre Nouveau spielt bereits die Ouvertüre, wenn Michel Palmer und die Salto Dancers in der Manegenmitte vom Untergeschoss in den Saal hinaufgefahren werden. Der Monsieur Loyal im roten Frack spricht seine Begrüßungsworte und dann strömen nahezu alle Mitwirkenden in den Zuschauerraum. Die meisten zeigen erste Kostproben ihres Könnens. Ein Charivari im besten Sinne. Alle tragen weiße Kostüme. Da werden Hula-Hoop-Reifen gedreht, da wird Einrad gefahren und Akrobatik an einer Luftspirale gezeigt.

Eindrucksvolle Lichteffekte begleiten das Spektakel, der historische Circusbau zeigt sich in vollem Glanz. Wer erstmalig im Cirque d'Hiver der Familie Bouglione zu Gast ist, wird „geflasht“ sein. 


Cirque d'Hiver

Der regelmäßige Besucher bekommt genau das, was er hier erwartet: Hochglanzcircus im einmaligen Ambiente. Doch auch die letztgenannte Gruppe wird mit Neuem verwöhnt. In der Produktion 2022/23 namens „Fantaisie“ gibt es viele Genres der Artistik, die hier lange nicht mehr oder noch gar nicht zu erleben waren. Die Novität aus dem vergangenen Jahr, die bislang rein weiblichen Salto Dancers um zwei männliche Tänzer zu ergänzen, wurde beibehalten. Ebenso der Verzicht auf Wildtiere. 


Jump'n'Roll, Regina Bouglione, Lucia Martdaz

Auf federnden Stelzen entern die Jungs von Jump'n'Roll die Manege. Dank ihrer Requisiten sind gigantische Sprünge möglich. In den verschiedensten Kombinationen hüpft das rein männliche Quartett übereinander und über ein Seil. Damit sorgen die coolen Typen in Schwarz-Weiß gleich für ordentlich Bewegung. Sechs Ponys aus dem Marstall des Circus Carl Busch führt äußerst charmant Regina Bouglione vor. Die Vierbeiner haben sich schnell an ihre neue Vorführerin gewöhnt und zeigen flott ihr Repertoire. Dann machen wir die erste Bekanntschaft mit drei Herren, die uns an diesem Abend noch des Öfteren begegnen. Dem Namen nach verspeisen „Les Mangeurs de Lapin“ Hasen. Die äußerst skurrilen Figuren sorgen für den Humor in der Show. Zunächst als mexikanische Musiker mit Sombreros, Sakkos, Rüschenhemden und Cowboystiefel. Dazu tragen sie wahlweise eine kurze oder lange Hose oder einen Schottenrock. Eine schöne Choreographie der Salto Dancers leitet die Kür am Luftring von Lucia Martdaz ein. Für die junge Kubanerin geht es dann Richtung Kuppel. Hoch über der Manege verwöhnt sie uns mit traumhaften Figuren, die von hohem artistischen Können zeugen.


Les Mangeurs de Lapin, Pavel Valla Bertini

Und dann kommen doch noch zwei „wilde“ Tiere. Wobei genau genommen die Reiter der beiden Elefanten aus Stoff für Wildheit sorgen. Sie beginnen brav und halten ihre „grauen Riesen“ auf der Rola Rola im Gleichgewicht. Doch dann prügeln sich die Tiere mit den Rüsseln und spritzen mit Wasser. Der Dompteur hat seine liebe Not mit den Schützlingen. Natürlich handelt es sich hier um den nächsten Auftritt der „Mangeurs de Lapin“. Perfekt in den Cirque d'Hiver mit seinen hohen Rängen passt das Einrad, mit dem Pavel Valla Bertini seine Darbietung beschließt. Es hat eine schier unglaubliche Höhe. Kaum möglich darauf zu fahren. Doch Bertini hält sich souverän im Gleichgewicht. Die Zuschauer in den oberen Ränge dürften dem Artisten „auf Augenhöhe“ begegnen. Zuvor erleben wir den Briten auf zwei niedrigeren Einrädern. Damit fährt er eine Treppe hinauf und herab oder wagt Sprünge mit dem Trampolin. Vor der Pause inszenieren sich die Comedians als Bola-Jongleure. An den Schnüren hängen allerdings weiche weiße Kugeln. Unmengen davon schmeißen sie sodann ins Publikum. Die Gäste werfen sie zurück. So entsteht eine ausgelassene „Schlacht“. Teil eins der Show endet wie der zweite beginnt – mit den Salto Dancers auf dem reich ausgestatteten Artisteneingang. 


Julot Cousins, Jimmy Saylon und Magic Girls

Ein älterer Herr in Anzug und Hut will mit seinen Hula Hoop-Künsten begeistern. Doch dann werden seine Ringe in die Höhe gezogen. Was macht der Mann? Er erklimmt einen extrem hohen schwankenden Masten und holt sich die Reifen zurück. Bei dem Herrn handelt es sich um Julot Cousins. Hierzulande konnten wir ihn etwa schon im Europa-Park und beim Dresdner Weihnachtscircus erleben. Was er in luftiger Höhe wagt, ist schon einzigartig. Am oberen Ende der Stange lässt er dann die Hula Hoops kreisen. Dies sogar um einen Fuß, während er einen Handstand zeigt. Als einer der drei „Mangeurs de Lapin“ Dudelsack spielt, fahren die anderen beiden mit Motorrad und Anhänger ein paar Runden. Doch das ist nur die Ouvertüre zu den Jonglagen mit Tennisschlägern des Dudelsackspielers. Dominic Baird-Smith beherrscht die Rackets wirklich exzellent. Seine Touren mit bis zu fünf Tennisschlägern sind grandios. Dabei wird er von Juliano Bouglione in der Manege am Schlagzug begleitet. Großillusionen in Steampunk-Optik, dafür steht Jimmy Saylon. Zusammen mit seinen Magic Girls sorgt er für magische Momente. Da verschwinden die Damen auf wundersame Weise und tauchen genauso überraschend wieder auf. Auch der Zauberer selbst wandert auf geheimnisvollen Pfaden durch den Bau.


Antony Cesar, Duo Vitalys, Jump'n'Roll
 

Mit seinen blonden Locken und dem perfekt definierten Oberkörper ist Antony Cesar einfach ein blendend aussehender junger Mann. Der 20-jährige Sonnyboy hat sich den Strapaten verschrieben. Daran präsentiert er eine kraftvolle, traumhafte Darbietung. Die Technikcrew setzt diese ins perfekte Licht, eine Sängerin sowie Kunstnebel machen die Inszenierung komplett. Ein wahrer Genuss für Augen und Ohren. Mit einem Kopf-auf-Kopf endet die Partner-Equilibristik des Duo Vitalys. In dieser Konstellation laufen die Peruaner eine Treppe hinunter und drehen eine Runde in der Manege. Zuvor verwöhnen uns Pablo und Joel mit weiteren starken Tricks, bei denen sie ihre Muskeln geschickt spielen lassen. Zum Abschluss des artistischen Programms gibt es noch einmal jede Menge Action. Jump'n'Roll sind zurück. Diesmal an der koreanischen Wippe. Gegenseitig katapultieren sich die Mitglieder des Quartetts Richtung Kuppel, um am höchsten Punkt gewagte Sprünge zu riskieren. Dass sie dabei mit viel Spaß bei der Sache sind, merkt man ihnen an. Es geht Schlag auf Schlag bis hin zum dreifachen Salto. Das anschließende Finale wird mit dem gesamten Ensemble groß gefeiert. Das Orchester spielt noch einmal grandios auf, das Licht ist verschwenderisch und Michel Palmer spricht die Abschiedsworte. Der originelle Epilog gehört den „Mangeurs de Lapin“.

Mit „Fantaisie“ bleibt die Familie Bouglione ihrer bewährten Grundidee treu. Dank vieler neuer Gesichter und von ihnen vertretener Genres werden aber neue Impulse gesetzt. Damit ist für wohltuende Abwechslung gesorgt. Einzig hätte ich mir noch die ein oder andere etablierte Artistenpersönlichkeit gewünscht. Aber das ist nur eine Randbemerkung. In Summe war es eine Wohltat, nach mehreren Jahren Pause wieder eine Show im prächtigen Cirque d'Hiver erleben und gleichzeitig neue Artisten kennenlernen zu dürfen. 

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Text und Fotos: Stefan Gierisch