Auch die mit dem Krieg in der
Ukraine verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen scheinen das
Publikum nicht vom Ticketkauf abzuhalten. Für das Team um Produzent
Henk van der Meijden ergeben sich daraus allerdings erhebliche
Herausforderungen. Die bislang gerne engagierten großen Truppen
aus Russland können aktuell nicht präsentiert werden. Ebenso
stehen Artisten aus der Ukraine nicht im gewohnten Umfang zur
Verfügung. Trotzdem ist es gelungen, für die Saison 2022/23 ein
attraktives, abwechslungsreiches und hochkarätiges Programm
zusammenzustellen.

Florian Richter
Eine neue Situation hat sich zudem hinsichtlich der
musikalischen Begleitung ergeben. Vor Corona hat über der Bühne
das Orchester des Circus Knie musiziert. Inzwischen spielt der
Schweizer National-Circus rund um Weihnachten und den
Jahreswechsel selbst. Auch hierfür hat sich eine Lösung
gefunden. Knie-Kapellmeister Ruslan Fil hat für den
Wereldkerstcircus eine neue Formation unter der Leitung von
Vadym Kovalchuk zusammengestellt. Für das wunderbare Lichtdesign
im Prachtbau mit seinen steil ansteigenden Rängen ist wiederum
Wim Dresens verantwortlich. Die Regie für die Show hat Florian
Richter übernommen.

Kevin Richter
Florian Richter, Sohn Kevin und die Mitglieder ihrer Truppe
nehmen auch im Programm viel Raum ein. Nach dem Eröffnungsmarsch
und der Begrüßung durch den formvollendeten Ringmaster Fred
Butter erleben wir die Ungarische Post von Kevin Richter. Als
schneidiger Stehendreiter lässt er 18 Pferde unter sich
hindurch, um sie am Ende alle an langen Zügeln vor sich
herlaufen zu lassen. Temperamentvoll präsentiert Florian Richter
seine Freiheitsdressur mit bis zu 13 Pferden in den Farben
schwarz und weiß. Herrliche Steiger runden die Vorführung ab.
Vor der Pause gibt es Jockeyreiterei mit viel ungarischem
Temperament. Im Mittelpunkt der neunköpfigen Truppe, eine Dame
inklusive, steht Kevin Richter. Das Repertoire lässt nahezu
keine Wünsche offen. So ist etwa der von drei Personen synchron
gesprungene Salto von Pferd zu Pferd - beziehungsweise Pferd zu
Boden beim letzten Reiter - dabei. Oder kraftvolle Sätze auf den
Pferderücken. Mit jeweils einer großen ungarischen und
niederländischen Flagge macht ein Truppenmitglied auf einem
galoppierenden Pferd stehend den Abschluss. Nicht dabei sind
Menschentürme. Die gibt es dafür in der Schleuderbrettnummer,
mit der die nun elf Artisten starke Richter Truppe die
Spielfolge beschließt. Zusätzlich begleitet eine Sängerin diesen
Auftritt. Bis zum mit einer Perchestange stabilisierten
Fünf-Mann-Hoch katapultieren sich die Akteure gegenseitig in die
Luft. Zuvor sehen wir viele weitere elegante Salti, die auf den
Schultern der Partner oder in einem Sessel gelandet werden.
  
Gerlings, Ayalas, Henry Ayala
Sechs Akrobaten aus dem Team von Douglas Gerling wagen rasante
Touren auf zwei nebeneinander aufgehängten Todesrädern. Für
einige Runden sind sie sogar alle gleichzeitig in sowie auf den
beiden rotierenden Rädern unterwegs. Insbesondere die hohen
Sprünge auf der Außenseite sorgen für Nervenkitzel.
Interessantes Detail: Wenn die Räder nicht im Einsatz sind,
hängen sie unter dem Dach des Theaters. Das verdeutlicht die
Dimensionen des Gebäudes. Das Spiel mit den Nerven der Zuschauer
beherrschen auch die Ayalas perfekt. Fred Butter kündigt ein
Quartett an, doch Clown Henry bemerkt, dass nur drei Artisten zu
sehen sind. Also macht er sich umgehend selbst auf den Weg zu
einer der beiden Plattformen, zwischen denen das Hochseil
gespannt ist. Damit ist die Vierergruppe komplett und bereit,
für feuchte Hände bei den Gästen zu sorgen. Dank der steil
ansteigenden Ränge können einige der Zuschauer sogar aus der
Vogelperspektive zusehen. Wagemutig arbeiten die Ayalas ihre
starken Tricks. Dabei sind etwa das Überspringen von zwei
Personen, der Sprung von Schulter zu Schulter und eine Pyramide
zu viert. Der Obermann in der Mitte trägt einen weiteren Partner
auf der Schulter. Als Dirigent und Popcornverkäufer erleben wir
Henry Ayala ebenfalls in seiner Rolle als „Prince of Clowns“.
Urkomisch versteht er es, mit dem Publikum zu spielen, ohne
seine Gäste lächerlich zu machen. Natürlich fehlt auch der
herrlich verrückte Besuch in einem italienischen Restaurant
nicht, bei dem Kellner Henry für reichlich Chaos sorgt und die
Spaghetti fliegen lässt. Die Rolle des Gasts übernimmt in
Amsterdam Laura Miller.
  
Laura Miller, Luna Girls, Flash of Splash
Selbstverständlich sehen wir Laura Miller zudem als Artistin.
Ihre ohnehin schon starke Darbietung am Luftring hat seinen
zusätzlichen Reiz in der Einbeziehung eines mit Wasser gefüllten
durchsichtigen Bassins. Immer wieder taucht sie darin ein,
schwimmt ein paar Runden und lässt sich dann durchnässt wieder
Richtung Kuppel ziehen. So ergeben sich herrliche Effekte voller
Dynamik. Beim letzten Sprung in das Becken lodern Flammen auf
der Wasseroberfläche. Drei weitere Luftnummern sind Bestandteil
des Programms. Los geht es mit Svyat Rasshivkin. 2012 machte der
damals Elfjährige beim European Youth Circus in Wiesbaden auf
sich aufmerksam. Zehn Jahre später nun erleben wir ihn als
gestandenen jungen Mann. Noch immer sind die Strapaten sein
Requisit. Er zelebriert daran eine kraftvolle, trickreiche Kür
in beachtlicher Höhe. Die Luna Girls vereinen am Luftring
Akrobatik und Sinnlichkeit. Marina Luna und Madeline Mc Kay
haben sowohl synchron ausgeführte Kunststücke mit nach Amsterdam
gebracht als auch Figuren, bei denen sie sich gegenseitig in
anspruchsvollen Posen festhalten. Sie laden damit zum Träumen
ein. Rockiger geht es beim Flic Flac-erfahrenen Duo Flash of
Splash zu. In schwarzen Outfits begeistern Yevhen Abakumov und
Amaliia Avanesian an den Strapaten. Ein großes Maß an Vertrauen
ist bei beiden Akteuren notwendig, denn in der Rolle des
tragenden Parts wechseln sie sich ab. So hält Yevhen seine
Manegenpartnerin im Flug mit den Beinen fest. Kurz darauf hängt
Yevhen mit den Zähnen an einem Band, dessen anderes Ende als
Schlaufe um den Hals von Amaliia liegt.
  
Kolev Sisters, Lucky Hell, Konstantin Muraviev
Auf einem Tisch präsentieren die Kolev Sisters ihre
Equilibristik. Die weiblichen Shooting Stars der
Hand-auf-Hand-Akrobatik kommen direkt aus Las Vegas, wo sie
während der vergangenen Saison engagiert waren. Was Michelle und
Nicole leisten, ist schlichtweg phänomenal. Ihre vielfältigen
Tricks erfordern viel Kraft und einen ausgeprägten
Gleichgewichtssinn. Mögliche Anstrengungen lassen sich die
Schwestern aber in keinster Weise anmerken. Im Gegenteil, sie
haben immer ein charmantes Lächeln auf den Lippen. Familiär
verbunden sind auch die beiden Jongleure der Show. Kris ist der
Vater von Harrison Kremo. Gemeinsam jonglieren sie mit je einer
Melone, drei Bällen, drei Zylindern und drei Zigarrenkistchen.
Die Circus-Legende und sein Sohn faszinieren zumeist mit
synchron ausgeführten Touren. Aber sie werfen sich auch
gegenseitig präzise die Bälle zu. Herrlich zu sehen, wie hier
eine Generation die nächste an das Business heranführt. Lucky
Hell, der Künstlername ist so aufregend wie die Artistin und
ihre Darbietung. Der Körper der blonden Engländerin ist mit
vielfältigen Tattoos verziert. Mit einer bemerkenswerten
Ausstrahlung verblüfft sie als Schwertschluckerin. Ob gerades
oder gewelltes Schwert, ob eines oder zwei, alles verschwindet
in Lucky Hells Rachen. Sogar ein rot beleuchtetes Schwert
gelangt durch den Mund in ihren Körper. Dank Artistik am Rhönrad
verliert Konstantin Muraviev in beneidenswert kurzer Zeit enorm
an Leibesumfang. Bis am Ende ein von Fred Butter gereichtes Bier
alles wieder zunichte macht. Die rasant-witzige Akrobatik an
einem Sportgerät hat schon in vielen Manegen große
Heiterkeit bei den Zuschauern ausgelöst. Auch im Theater Carré
sorgt Muravies Auftritt sowohl für viel Spaß als auch
für Bewunderung für sein Können. |