Und so ist die bisher zehnjährige
Geschichte des Karlsruher Weihnachtscircus die Geschichte eines
direkten Durchmarschs in die Erste Liga. Mit Investitionen, die
anfänglich kühn erschienen, wurde unternehmerischer Weitblick
bewiesen. Vom ersten Tage an war die Vermarktung der
Veranstaltung äußerst professionell. Jederzeit stimmte das
Umfeld, beispielsweise im schönen Gastronomiezelt mit seinem
Weihnachtsmarkt-Charme. Schnell wurde mit Ballett, Orchester und
exzellentem Licht ein eigener Stil entwickelt: die Riesen-Show
mit einem Hauch von Las Vegas. Mehrmals wurden außergewöhnlich
große Tiernummern nach Karlsruhe geholt: die Spindlers (Berolina)
mit einem 14er-Zug Pferde sowie Giraffe und elf Kamelen, Artur
Kaiser mit seinem „größten Exotenzug Europas“, zuletzt die
Familien Richter und Casselly mit Elefanten, Exotenkarussell und
Jockeyreiten. „Karlsruhe“ ist schnell zum alljährlichen
zirzensischen Pflichttermin geworden.
Jambo Kids,
Opening
Im Jubiläumsjahr wurde der
Artisteneingang um einen imposanten Schriftzug mit dem Namen des
Unternehmens sowie einem großen „10 Jahre“-Logo ergänzt. Auf den
beleuchteten Showtreppen links und rechts begrüßen Juniorchefin
Monika Kaselowsky und Giovanni Biasini traditionell das Publikum
und führen mit ihrer Doppelmoderation weiter durchs Programm.
Nun ist die Manege frei fürs Opening mit dem Ballett in
Stars-and-Stripes-Kostümen und der Eisenbahn mit dem Ensemble an
Bord. Auf dem Dach des Zuges prangt wieder ein Rentierschlitten,
in dem Charlin Sperlich die Szene gesanglich begleitet. Richtig
los geht es mit einer Reminiszenz an das erste
Weihnachtsgastspiel: Wie im Winter 2009/10 entspringt auch
diesmal eine Afrikaner-Truppe einem XXL-Geschenkkarton in der
Manege. Diesmal sind es die sieben „Jambo Kids“, die als
Springer, Pyramidenbauer und Limbotänzer eine schwungvolle
Eröffnung garantieren. Selten hat man eine solch starke Nummer
dieses Genres gesehen.
René Sperlich, Renaldo Weisheit,
Mr. Gerald
Für das zehnte Programm wurden
zwei Dresseure mit vier durchweg hochwertigen Nummern
verpflichtet. Es sind heuer nicht die ganz großen Tiergruppen
mit unzähligen Vierbeinern zu sehen, aber doch große Könner am
Werk. So wie Renaldo Weisheit, der zunächst vier Zebras in einer
anspruchsvollen Freiheitsdressur zeigt. Für die Clownerie ist
Gerald Steingruber alias Mr. Gerald zuständig. Der schlanke, gut
aussehende junge Ungar hat mit einer ordentlichen Portion
Glitter in den Haaren und im Gesicht eine ganz eigene Maske
entwickelt. In seinen beiden großen, jeweils sehr ausführlich
gespielten Auftritten setzt er bekannte Szenen mit Akteuren aus
dem Publikum um: im ersten Programmteil die Glocken, im zweiten
die Rockband. Diese vermischt er mit Elementen aus anderen
Mitmach-Acts. So kommt beim „Orchester“ ohne tieferen Sinn die
Kamera aus der „Filmszene“ zum Einsatz. Ferner kombiniert er die
"Popcorn"-Reprise mit einem Auftritt als Jongleur. Wenn er sich
selbst mit den Keulen trifft, muss eine Zuschauerin die
"Wehwehchen" mit Küssen heilen. Die Nummern kommen
erwartungsgemäß gut an und lösen viele Lacher aus. Jedenfalls
ungewöhnlich ist, wie Mr. Gerald sich selbst eher kühl und fast
schon arrogant anstatt als großer Sympathieträger gibt.
Sympathisch sind auf jeden Fall die Direktionssöhne René und Maik
Sperlich, die für die Jubiläumsshow beide in der Manege vertreten
sind. Den Anfang macht der jüngere Bruder René Sperlich mit einer völlig
neu gestalteten Handstandnummer. Sein Podium enthält nicht zwei
Handstäbe, wie bei vielen Darbietungen des Genres üblich,
sondern ein ganzes Dutzend davon. Sie sind unterschiedlich hoch.
So können sie wie eine Art Treppe genutzt werden. Auf Händen
geht es diese hinab. Der erste Teil der Arbeit enthält bereits
eine Menge hoch schwieriger Tricks bis hin zum Klötzchen-Abfaller. Im zweiten Teil errichtet
René Sperlich zwei
flexible Türme aus Stangen. Am oberen Ende zeigt er,
longengesichert in großer Höhe, einen Seitspagat zwischen den
Stäben und einen Handstand.
Flying Rodriguez, Marcel
Krämer, Maik Sperlich
Kurz fällt die Luftring-Nummer
von Yuliya Stetsenko aus. Sie zeigt zu Beginn unter anderem
Abfaller in den Fershang und kreist dann raumfüllend über der
Manege. Marcel Krämer hat seine außergewöhnliche und imposante
Bison-Dressur auf fünf Tiere erweitert. Die Tiere absolvieren
sicher ihre Lauffiguren und steigen auf Podeste. Dort werden sie
von einem Pferd umrundet. Wieder im Manegensand verabschiedet
sich das Bison-Quintett mit einem gemeinsamen Knicks. Maik
Sperlich hat seinen großen Auftritt im Jubiläumsprogramm
gemeinsam mit Siegfried Sperlich. Wieder einmal präsentieren die
beiden Cousins ihr Todesrad in Karlsruhe. Neben dem typischen
Repertoire mit Seilspringen, Blindlauf und hohen Sprüngen ist
besonders Maik Sperlichs Handstand-Lauf auf der Außenseite des
Rades bemerkenswert. Ähnliches lässt sich über die Flying Rodriguez sagen. Gestreckter Doppelsalto, Dreifacher
und Passage gehören zum Wesen des Flugtrapez-Genres. Noch nicht gesehen
haben wir dagegen den originellen Abschluss. Zunächst sieht es
so aus, als bestünde er im typischen „Todessturz“ aus der Kuppel
ins Netz. Dem wird hier jedoch eine neue Seite abgewonnen, wenn
erst drei der Artisten kopfüber aneinander geklammert in der
Kuppel hängen und sich dann einer nach dem anderen fallen lässt.
Serge Massot, Renaldo Weisheit,
Duo La Vision
Mit seinem hochklassigen,
schwarz-weißen Achterzug Friesen und Araber begeistert Renaldo
Weisheit. Das umfangreiche Repertoire beinhaltet unter anderem
Farbwechsel, verschiedenste Gegenläufe, Fächer und Pirouetten
und einen vierfachen Steiger der Araber. Die Vorführung
im stilvollen schwarzen Frack geschieht äußerst charmant und mit leichter Hand. Ein
Ausrufezeichen setzt das ungarische Duo La Vision mit seiner
Adagio-Akrobatik. Im Zeitlupen-Tempo absolvieren die beiden
„Goldmenschen“ schwierigste Tricks. Besonders beeindruckend, wie
der Partner rücklings auf dem Boden liegt, die Partnerin auf dem
ausgestreckten Arm balancierend. Sie befindet sich dabei in
einer Waage; er richtet sich aus dem Liegen in den Stand auf.
Neben Mr. Gerald verursacht auch Bauchredner Serge Massot viel
Heiterkeit. Zunächst verleiht er seinem „besten Freund Charly“,
einer Handpuppe, dann drei Zuschauern eine (andere) Stimme. Das
Publikum hat mächtig Spaß.
Marcel Krämer, Rodriguez
Brothers, Truppe Yarov
Mehrere Darbietungen werden vom
Shad Performance Show-Ballett in stets passenden Kostümen eingeleitet: als „Leopardinnen“
vor den Zebras, als „Squaws“ vor den Bisons, rockig-modern vor
dem Todesrad, im Sambarhythmus vor dem Flugtrapez. Schließlich
bereiten sechs hübsche „Cowgirls“ den Boden für Marcel Krämers
Esel-Sextett einschließlich Lasso-Drehen auf dem Rücken eines
Pferdes. Die Esel beschließen den Reigen der Tiernummern. Was
folgt, sind quasi zwei Schlussnummern nacheinander. Noch einmal
erleben wir die Truppe Rodriguez, nunmehr auf dem Hochseil. Und
dies ohne jede Sicherung. Dreierpyramide mit Stuhl, der Sprung
über zwei kauernde Partner oder der Lauf im Zwei-Mann-Hoch mit
Sprung des Obermanns zurück aufs Seil sind nur einige der Elemente des
Repertoires. Witzig ist die Fahrt auf dem Mini-Fahrrad,
spektakulär die sicher präsentierte
Siebener-Pyramide. Diese könnte bereits ein würdiger Abschluss
der Show sein, doch es folgt noch ein weiteres
Highlight: die Truppe Yarov mit ihren „Fliegenden Perches“. Die
Artisten
präsentieren sich originell als Circus-Ensemble von anno dazumal
mit unter anderem Clown, Kraftmensch und Herrn Direktor. Auch
die außergewöhnlichen Tricks überzeugen. Da werden die Perchestangen – samt Artistin am oberen Ende – zur Schulter des
Partners geworfen. Oder die Artistin springt von einer Stange
zur anderen, natürlich alles longengesichert. |