Auf dem Ersatzgelände versank der Circus im
Matsch, so dass es zwei Tage länger als geplant dauerte, bis man
in Heidelberg aufbauen konnte. Trotz dieser Umstände zeigt sich
das Vorzelt wie gewohnt schön dekoriert, der Circus ist
insgesamt blitzsauber aufgebaut. Vereinfacht wurde im Vergleich
zu früheren Jahren der Artisteneingang. Er besteht nur noch aus
einer großen schwarzen Gardine, was jedoch durch das extrem
starke Lichtdesign nicht weiter auffällt. Eine enorme Anzahl an Moving Heads, Scannern und LED-Scheinwerfer beleuchtet
die Show und sorgt für eine schöne Stimmung im ansonsten eher
nüchternen Ambiente des Hauptzeltes. Begrüßt werden die Besucher
dort von Einlass- und Requisiteurschef Davide Huesca mitsamt
Team sowie dem vierköpfigen Ballett, den La Bouche Showgirls.
La Bouche
Showgirls mit Kevin Huesca
Die während einer Woche im
Quartier der Familie Renz einstudierten Choreographien
wirken professionell, durchdacht und tänzerisch gut ausgeführt.
Ähnlich lässt sich Bianca Renz‘ Regie bewerten, das Programm
läuft komplett ohne Umbaupausen oder Längen ab. Das Talent der
Juniorchefin in dieser Hinsicht wurde schon in der Vorsaison
deutlich. Der Publikumsliebling der Show ist auch wieder dabei:
Bauchredner und Komiker Kevin Huesca ist mit komplett neuen
Auftritten und seiner neuen Figur „Romeo“ zurück. Der ungeheuer
sympathische Italiener gestaltet auch die kleine Geschichte, die
die Vorstellung einrahmt. Die beiden alten Artisten „Gianni“ und
„Giuseppina“ träumen davon, noch einmal eine Circusvorstellung
zu erleben und sich in die Zeit ihrer Jugend zurückversetzen zu
können. Sie werden durch Puppen dargestellt, denen Huesca eine
Stimme verleiht. Dieser Traum beginnt mit einem zauberhaften,
verträumten Opening zu „Once upon in December“, in dem die
Artisten Kostproben ihres Könnens zeigen. Auffallend edel sind
hier, wie in allen weiteren Tanzszenen, die Kostüme des
Balletts, die unter anderem von Alexandra Saabel stammen. Die
traumhafte Stimmung wird von der Neuentdeckung des Programms
weiter aufgegriffen: Ekaterina Sheludiakova arbeitet eine extrem
trickstarke Netzdarbietung, welche sich durch Abfaller, einen
ungesicherten Einfersenhang und den freihändigen Spagat
auszeichnet.
Ekaterina Sheludiakova und La
Bouche Showgirls, Duo Victoria
Endgültig begeistern kann die
junge Russin durch ihre Hula-Hoop-Nummer, die sie im Dialog mit
den La Bouche Showgirls zeigt. Nach einer Idee von Bianca Renz
entstand hier ein mitreißendes Schaubild zu Klängen von Michael
Jackson. Doch nicht nur die Aufmachung überzeugt, auch die
Tricks haben wir teilweise so noch nie gesehen. Beispiele sind das
Drehen der Ringe an allen vier Gliedmaßen im Kopfstand oder
verschiedene Tricks kopfüber an einer Schlaufe in großer Höhe.
Die einzigen Tiernummern steuert das Duo Victoria zum Programm
bei. Die Aufmachung der Hundenummer im Zigeunermilieu sowie die
der Katzennummer im Stil des venezianischen Karnevals wirken
durchweg geschmackvoll und professionell. Sie wollen sich jedoch
nicht ganz in das moderne Gesamtkonzept der Show einfügen.
Zusätzlich erscheinen einige der Tricks, wie zum Beispiel der
Feuerreifensprung, etwas aus der Zeit gefallen.
Olessia und Kevin
Huseca,
Duo Ferrandino, Ludwig Navratil
Das italienische Duo Ferrandino
zeigt eine durch und durch klassische Rollschuhdarbietung, die
mit dem Genickhangwirbel endet. Immer spielen die Akteure
zwischen den Tricks mit zwei aus der Kuppel herabhängenden
Tüchern. Vom tschechischen Cirkus Humberto kommt Ludwig Navratil.
Seine trickreichen Antipodenspiele beginnen mit fünf Bällen,
steigern sich zum Empordopsen eines Balles über drei Stufen in
einen Korb und enden mit dem temporeichen Drehen einer
Feuerwalze. Navratils sympathisch-jugendliche Ausstrahlung sorgt
schlussendlich dafür, dass er einen riesigen Publikumserfolg
erzielt. Die drei Amazing Birds aus der Mongolei zeigen
unglaublich fließende und elegante Kontorsionistik. Begeistern
kann vor allem der dreifache Mundstand, bei dem sich die
Akteurinnen noch drehen. Den Cirque Nouveau repräsentiert der
Weißrusse Artem Gavrilik, der sich im Habitus eines Obdachlosen
am Cyr-Rad präsentiert. Komische Artistik, die man angesichts
ihrer Leistungsstärke auch seriös verkaufen könnte, bieten Kevin
Huesca und seine Ehefrau Olessia. Die Evolutionen an den
Stoffstrapaten gipfeln in Olessias Längsspagat, bei dem sich
Kevin an ihrem Fuß hält. Im ersten Programmteil bieten die
beiden zudem eine komische Stripteasenummer.
Duo Vladimir,
Kevin Huesca, The Trilogy
Umgestaltet hat Huesca seine
Bauchrednerdarbietung, die nun mit der Verheiratung zweier
Zuschauer endet. Gemeinsam mit dem Ballett leitet er die Pause
mit den „vier Stühlen“ ein. Riesigen Applaus gibt es auch für
die Szene, in der er die Figuren „Gianni“ und „Giuseppina“
feststellen lässt, dass der Circus die schönste Unterhaltung der
Welt sei. Eine starke Kombination aus Eleganz und Muskelkraft
zeigt das Hand-auf-Hand-Duo Vladimir. Riesiges Erstaunen löst
der Schlusstrick der beiden aus: Der Untermann hält den Obermann
nur durch ein Messer in seinem Mund, in dem ein weiteres Messer
steckt, welches der Obermann ebenfalls im Mund hält. Gemeinsam
mit einer Partnerin arbeiten die beiden Ukrainer vor der Pause
zudem als „The Trilogy“ Handvoltigen und Menschentürme zu doch
sehr dumpfen Technoklängen. Spitzentricks sind der Doppelsalto
sowie ein Drei-Personen-Hoch auf einer vom Untermann gebildeten
Brücke.
Skyfighters
Groß von Kevin Huesca angekündigt
wird dann die spektakuläre Schlussnummer: Die drei
Motorradflieger der Skyfighters sorgen einmal mehr für
frenetischen Applaus. Die Manöver in der Luft sind dabei nicht
ganz so spektakulär wie es zum Beispiel schon bei Flic Flac zu
sehen war. Die aufwendigen technischen Auf- und Abbauten, es
muss unter anderem der Artisteneingang in die Höhe gezogen
werden, gehen erfreulicherweise schnell voran. Die Showgirls
leiten das folgende Finale ein, das – eine Überraschung in dem
Circus, in dem früher eine Art „Sprechverbot“ galt – eine
namentliche Vorstellung der Artisten beinhaltet. |