CHPITEAU.DE

Weltweihnachtscircus Stuttgart 15/16
www.weltweihnachtscircus.de ; 137 Showfotos

Stuttgart, 22. Dezember 2015: Er ist wieder ein zirzensisches Großereignis, dieser 23. Weltweihnachtscircus Stuttgart. An Sensationen und preisgekrönten Darbietungen mangelt es wirklich nicht. Insgesamt sieben Gewinner des Goldenen Clowns beim Internationalen Circusfestival von Monte Carlo sind zu erleben. Doch dieses Programm ist weitaus mehr als eine Leistungsschau. Es lässt Raum für mitreißende Manegen-Persönlichkeiten und große Emotionen. Von Jahr zu Jahr besser gelingt es den Machern, eine nicht nur sensationelle, sondern auch jederzeit „schöne“ Show zu bieten.

Passend zum großen Rahmen ist das starke Licht mehr pompös denn verspielt, das Orchester von Markus Jaichner spielt – immer, wenn es spielen darf – exzellent. Großen Anteil an der gelungenen und flüssig ablaufenden Show hat in diesem Jahr Starclown Bello Nock, der sich vollkommen in den Dienst der Sache stellt. Mit seinen vielfältigen Reprisen können die stets zügig ablaufenden Umbauten mühelos überbrückt werden. Und dank seines breiten Repertoires zeigt er nur Szenen, die es bei seinem ersten Stuttgart-Auftritt vor drei Jahren noch nicht zu sehen gab. Bravo!


Willer Nicolodi, Bello Nock, Steve Eleky
 

Besonders in Erinnerung bleibt zum Beispiel sein wagemutiger Auftritt, bei dem er mittels Strickleiter ein verlorenes Seil aus der Zeltkuppel zurückholen muss. Dabei sorgt er mit einem Sturz von einer Plattform in schwindelnder Höhe für eine Schrecksekunde – bis ihn zwei Bungee-Seile sicher fangen. Unerschrocken zeigt sich Nock auch im Prolog der Show. Darin erklimmt er einen schwankenden Masten in Form einer beeindruckend hohen „Laterne“. Diese saust er schließlich kopfüber wieder hinunter. Zurück am Boden, führt er mit den Worten „Please Welcome your Ringmaster“ auf charmante Weise den neuen Moderator Willer Nicolodi ein. Freilich, den unvergessenen Peter Goesmann kann niemand ersetzen. Doch Nicolodi, bisher bekannt als Bauchredner, macht seine Sache gut und redet niemals zu lang. Bestimmt wird er mit zunehmender Routine auf seine Notizkarten verzichten können. Für noch mehr Humor neben den Reprisen von Bello Nock sorgt Steve Eleky. Seine beiden Auftritte als Jongleur und Illusionist hat er für Stuttgart zu einer einzigen Nummer, einer Art „Best of Eleky“, verbunden. Die Schlagzahl ist höher denn je, eine Lachsalve jagt die nächste. Bereits ab dem ersten Gag – „Hai!“ – hat er die Stuttgarter voll im Griff.


Merrylu Casselly und József Richter jun., Familie Casselly, Maycol Errani
 

Die Produzenten Henk van der Meijden und Monica Strotmann haben in den Programmen des Weltweihnachtscircus Stuttgart stets Wert auf ausgesuchte, hochklassige Tierdressuren – auch mit Wildtieren – gelegt. Das wurde noch nie so deutlich wie in diesem Jahr. Die drei Tierdarbietungen sind an den prominentesten Stellen des Programms platziert: als erste Nummer nach dem Opening, als Pausennummer und als Schlussnummer. Den Beginn machen Merrylu Casselly und ihr Verlobter József Richter jun. mit einem Pas de Deux zu Pferd. Es ist ein wunderbares Bild, für das die beiden hervorragend aussehenden jungen Menschen sorgen. Dabei werden alle Schwierigkeiten geboten, die in diesem Genre denkbar sind – der Stand auf dem Kopf des Partners ohne Longensicherung beispielsweise. Besonders beeindruckend sind auch die Passagen, bei denen József Richter seine Partnerin ähnlich wie bei einem Rock’n’Roll-Tanz auf seinen Schultern kreisen lässt. Merrylu Casselly ist später mit ihrem Vater Rene, Mutter Alexia und Bruder Rene jun. mit Akrobatik auf Elefantenrücken zu sehen. Auch in Stuttgart kommt die Darbietung der Cassellys – Gold-gekrönt in Monte Carlo – bestens an. Höhepunkt ist der Dreifache von Rene jun. auf einen Elefantenrücken. Leider wird von den Tricks am Elefanten-Schleuderbrett aus dem gesamten Repertoire nur dieser eine gezeigt. Der eigentliche Höhepunkt des aktuellen Weltweihnachtscircus-Programms ist für mich jedoch die Pferdedressur der Familie Knie. Géraldine Knie leitet die Darbietung zunächst mit zwei Freiheitspferden und einem Pony ein. Den Hauptteil übernimmt ihr Ehemann Maycol Errani – die große Freiheitsdressur mit zunächst zwölf, dann 18 wunderschönen Pferden. Schließlich kommen zehn weitere Hengste hinzu, und Maycol Errani formiert die 28 Tiere mit bewundernswerter Umsicht, Ruhe und leichter Hand zu einem formidablen Karussell auf drei Bahnen. Das Licht erlöscht, und die Leuchtgeschirre der Pferde sorgen für ein besonders stimmungsvolles Bild in der Manege. Das Publikum tobt. Ebenso federleicht, wie es entstanden ist, wird das Karussell wieder aufgelöst. Mit diversen Da Capi – präsentiert von Maycol Errani, Géraldine Knie und Töchterchen Chanel Marie – geht dieser equestrische Hochgenuss zu Ende.


Truppen aus China, Nordkorea und Moskau

Insgesamt fünf große Truppen hat dieses Programm zu bieten. Die erste kommt aus China und ist für eine der ganz großen Sensationen zuständig. Schließlich hätte man Ikariersprünge im Kopfstand über mehrere Stationen bzw. Untermänner hinweg bisher wohl für unmöglich gehalten. Die neun Herren aus Zhejiang beweisen, dass es geht. Zum Abschluss der Nummer springt ein Artist zwölf Stufen einer Art Treppe hinauf, ebenso im Kopfstand. Die Treppe wird von Untermännern im Zwei-Mann-Hoch getragen. Weitere Sensationen liefern neun Herren und eine Dame vom Nationalcircus von Pjöngyang. Sie kombinieren hier eine Russische Schaukel mit zwei verschiedenen Fangstühlen – einer ist mit einem Fänger, der andere mit zwei Fängern besetzt. Von diesen Stationen führt der Weg am Ende wieder zu einer Matte am Boden. Der große Apparat ermöglicht schlussendlich einen Sprung über eine Rekorddistanz von 20 Metern von der Schaukel zum oberen Fangstuhl. Die Kolyhalov aus Moskau zeigen nach der Pause sportliches Können an einer Kombination aus Reckstangen auf mehreren Ebenen. Dieses wird in eine Piraten-Inszenierung gekleidet.


Diabolo-Girls, "Über den Wolken"

Die zwei rein weiblichen Truppen im Programm schaffen besonders schöne Momente. Dem Dutzend „Diabolo-Girls“ gelingt dabei die richtige Balance aus enormem Können und bezaubernder Musik, perfekter Choreographie und herrlichen Federschmuck-Kostümen. Ähnliches gilt für die Darbietung „Über den Wolken“ – die wohl erste Darbietung im Genre „Russische Schaukel“, die nur von Frauen gezeigt wird. In ihren langen Kleidern sorgen sie bei ihren Sprüngen und Salti von einer Schaukel zur anderen für wunderbare Bilder.


Trio Stoian, Yves und Ambra Nicols, Shcherbak und Popov
 

Fünf Duos oder Trios komplettieren das artistische Programm. Dabei zeigt das Trio Stoian eine Nummer am Russischen Barren, wie sie sein sollte: Zwei Untermänner, eine Fliegerin und natürlich das Requisit sind alles, was hier benötigt wird. Auf Hilfestellung durch weitere Partner am Boden wird vollkommen verzichtet. Höhepunkt dieser riskanten Darbietung ist der sicher gesprungene „Dreifache“. Hoch hinaus geht es auch für die Fratelli Errani bei ihren Sprüngen und Salti auf der Koreanischen Wippe. Einmal mehr beweisen die Brüder Maycol, Guido und Wioris Errani hier in einem weiteren Genre ihre unerhörte Vielseitigkeit. Und schließlich erhält die bestens bekannte Tüchernummer von Yves und Ambra Nicols in der beeindruckenden Höhe und in dem gewaltigen Luftraum des riesigen Stuttgarter Chapiteaus eine ganz neue Dramatik. Ein Großerfolg beim Publikum an diesem Abend! Patrick Brumbach und seine Frau Sonja präsentieren ihr riskantes Messerwerfen in neuen Kostümen und mit neuem Requisit. Henry Gassmann wertet die Darbietung mit seinen Feuerspielen zusätzlich auf. Sie ist der beste Beweis, dass auch ganz traditioneller Circus stets seinen Platz in Stuttgart findet. Vertreter des modernen Circus sind dagegen Shcherbak und Popov. Zur Musik aus „Singin‘ in the Rain“ werden hier Höchstleistungen der Hand-auf-Hand, Handstand- und Wurfakrobatik nicht wie üblich kraftstrotzend-maskulin, sondern mit beschwingt-heiterer Note dargeboten. Der ebenso angekündigte Picasso jun. (Jonglage) ist aktuell nicht im Programm.

Die drei Stunden Weltweihnachtscircus vergehen wie im Flug – eine Flugreise zwischen Sensationen und Emotionen. Hier wischen sich erwachsene Männer verschämt Tränen aus den Augen. Sieht man, wie reihenweise Logengäste vor Lachen ihre Oberkörper ruckartig vor- und zurückwerfen. Bleibt das Publikum über die volle Länge des Programms mit höchster Aufmerksamkeit dabei. Applaudiert frenetisch und spendiert immer wieder tosenden Zwischenapplaus auf offener Szene. Natürlich gibt es Standing Ovations. Und als nach dem Finale das Saal-Licht aufflammt und ein Weihnachtssong erklingt, tanzt links von mir ein Zuschauerpaar auf der Tribüne und versinkt in einem Kuss.

________________________________________________________________________
Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber