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Cirque Educatif - Reims 2010
www.cirque-educatif.com

Reims, 31. Januar: Ein unterhaltsames, klassisches Circusprogramm bot der „Cirque Educatif“ bei seinem Gastspiel im historischen Circusbau von Reims. Das Gebäude erinnert von außen durchaus an den Pariser Bouglione-Bau in kleinerer Form, ist im Inneren jedoch wesentlich schlichter gestaltet. Die steilen Sitzreihen bieten immerhin beste Sicht von allen Plätzen, beheizt war der Saal jedoch kaum oder auch gar nicht. Mit Winterjacke ließ es sich auch so gut aushalten – schließlich wurde zu äußerst günstigen Preisen (13 Euro für erste Kategorie) ein vollwertiges Programm serviert, gespielt in eindreiviertel Stunden ohne Pause.

Der „Cirque Educatif“ („Bildungscircus“) ist kein gewöhnlicher Circus, er wird vielmehr von einer nicht gewinnorientierten Organisation veranstaltet. Gegründet wurde der Non-Profit-Circus 1975 im nordfranzösischen Douai. Ganz in der Nähe, in Sin-le-Noble, wird das Programm aktuell und noch bis 7. März gezeigt. Reims wird seit 1982 bespielt, hier fand auch am 17. Januar 1982 die Gründung der Vereinigung des Cirque Educatif statt. Zuvor hatte man auf informeller Basis gearbeitet. Gründer Hugues Hotier, zugleich Mr. Loyal in den Vorstellungen, beschreibt im Programmheft den Ansatz seines Circus.

Die Organisation begreift Circus als Nährboden von Kultur, Bildung und sozialer Integration und sieht sich selbst als Kultur- und Bildungseinrichtung. Die hohe Popularität der Circuskunst sei nicht Ausdruck ihrer Unterlegenheit gegenüber anderen Kulturformen, sondern der Zugänglichkeit für alle Schichten. Den Schulklassen, die den Circus besuchen, werden jährlich neue, auf das aktuelle Programm abgestimmte Unterrichtsmaterialien angeboten, auch finden in Reims zahlreiche weitere Veranstaltungen und Projekte zur Förderung des Circus statt. Im Übrigen bekennt die Organisation sich klar zum Circus mit Tieren – drei Seiten des Programmhefts widmen sich diesem Thema.


Bambolina und Dodo, Argentinian Devils, Bobylev-Clowns

Das Programm beginnt recht unvermittelt mit einer Reprise der Bobylev-Clowns: Olga Bobylev steckt als Schlange in einem überdimensionalen Apfel und liefert sich ein Jonglier-Duell mit Partner Alexey – bis sie die weiße Fahne hissen muss. Die Reprisen des Duos greifen durchweg nicht auf clowneske Klassiker zurück, sondern überzeugen durch Originalität und Eigenständigkeit, kombiniert mit eher schrill-überdrehtem Auftreten. Gezeigt werden noch die Verfolgungsjagd mit einem Schwan (der kostümierten Olga) und das komische Ping-Pong-Spiel mit anspruchsvoller Pingpongball-Mundjonglage. Auch die zweite Nummer im Programm ist eine heitere – Bambolina und Dodo zeigen die Pantomime von einer Spieluhr, die, vom Partner mit dem Ölkännchen geschmiert, zum Leben erwacht und mit den Herren im Publikum flirtet. Später finden die beiden, die „Spieluhr“ und ihr Besitzer, Bambolina und Dodo, am Trapez zueinander – in einer romantischen Kür mit vielen Haltetricks zu ruhiger Musik. Für die Tierdarbietungen ist Emiliano Jarz engagiert: Er präsentiert zunächst eine Einzelfreiheit, bei dem das Pferd durch Ringe läuft und springt, später einen herrlichen Achterzug mit anspruchsvollem Repertoire zu irischer Musik. In einer Exotendressur vereint er Rinder, Dromedare und Lamas.


Yang Rui, Victor Rossi, Duo Serjo

Nach dem heiteren Auftakt des Programms wird es laut und folkloristisch: Die vier Argentinian Devils, zwei Herren und zwei Damen, lassen die klackernden Bolas kreisen, zum Schluss sogar mit brennenden Seilen, unterstützt von lautem Getrommel. Von Lateinamerika geht es nach China: Die Artistin He Yuan katapultiert mit ihrem Fuß erst Schalen, dann eine Kanne und einen Löffel auf ihren Kopf – während sie, auf dem Einrad sitzend, auf einer großen Kugel balanciert! Ihr Partner Yang Rui ist später mit seinem „Quick Face Change“ zu sehen. In Bruchteilen von Sekunden wechseln die Masken vor seinem Gesicht – hier bedarf es der Erläuterung durch den Mr. Loyal, damit auch jeder versteht, auf was eigentlich zu achten ist. Erschwerend kommt hinzu, dass der Chinese solistisch arbeitet und somit stets mindestens einer Hälfte des Publikums den Rücken zudrehen muss. Am Beginn seiner Artistenkarriere steht der junge Victor Rossi, Sohn von Rossyann-Clown Hector. Nach seinen Auftritten beim Weihnachtsprogramm des Schweizer Circus Stey in einem Einkaufszentrum in Luzern-Kriens ist dies das zweite Engagement seiner Solo-Laufbahn als Jongleur. Zuvor sah man ihn nur als dritten Partner in den Clownsnummern seines Vaters und seines Onkels Yann. Als cooler Breakdancer jongliert er mit Bällen, Ringen und Keulen und kombiniert dies mit Salti und Flic Flacs. Das artistische Glanzlicht des Programms liefert freilich das Duo Serjo (Knie 2009, zuvor Flic Flac) mit seiner leistungsstarken, modern gestalteten Hand-auf-Hand-Kür.


Hugues Hotier und Christiane Madoux

Den wirbelnden Schlusspunkt setzen sechs Marokkaner der „Truppe Lixus“ als Springer und Pyramidenbauer. Bis dahin herrscht im ausverkauften Circus-Rund beste Stimmung, zu der sicher auch die bemerkenswert druckvoll aufspielende Fünf-Mann-Kapelle beiträgt. Diese Stimmung wird dagegen jäh ausgebremst durch ein sehr verhaltenes, ruhiges Finale: Die Artisten kommen in die Manege und formen mit bunten Bändern, die an einem Kranz unter der Kuppel hängen, eine Art Karussell und schreiten zu getragener Musik an der Piste entlang. Mit bunten Tüchern winken sie ins Publikum. Dazu singen Mr. Loyal Hugues Hotier und seine Partnerin Christiane Madoux.

Schade, diese etwas wilde, aber sehr unterhaltsame Circus-Mischung mit hochglänzenden und volkstümlichen, modernen und ganz traditionellen Elementen wäre sich – mit einem schwungvollen Finale – eines frenetischen Schluss-Jubels von den Rängen sicher gewesen.

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Text: Markus Moll; Fotos: Sven Rindfleisch