Seit Ende 2007 ist
Ralph Sun künstlerischer Leiter und Regisseur im Friedrichsbau-Varieté
Stuttgart, zum 5. Mal hat er nun eine Winterproduktion in Szene gesetzt.
Stets ist die „Weihnachtsshow“ in Stuttgart mit die aufwendigste des
Jahres. Ähnlich wie in den vergangenen Saisons werden zu Weihnachten in
einer besonders glamourösen Show verschiedenste Facetten des Varietés
kombiniert – nicht nur Artistik und Humor, sondern auch Gesang, Tanz,
Musik, erotische Momente. Die Show „Youkali“ ist Varieté, das viel mit
Theater und praktisch nichts mit einem „Kammercircus auf der Bühne“ zu
tun hat. So ist das komplette Ensemble in Spielszenen auf der Bühne
eingebunden, müssen die Künstler auch ihr darstellerisches Talent
beweisen. Das gilt natürlich für die beiden Protagonisten Evi Niessner
und Mr. Leu als Dauergast Gräfin Niessnerova bzw. Hoteldirektor, aber
auch für Diabolo-Jongleur Gilles Le Leuch (Butler Antoine),
Burlesque-Performerin Honey Lulu („vom Zimmermädchen zum Vamp“), das
Hand-auf-Hand-Duo Nik und Valentina (Ganove & Schöne), Footbag-Jongleur
Jorden Moir (Laufjunge), Musik-Performer Michael Clifton (Tourist) und
das übrige Ensemble. Das aufwendige Bühnenbild zeigt eine Hotellobby mit
Aufzug, Lounge und Bar. Während die erste Programmhälfte den
Spielszenen, dem Eintreffen der verschiedenen Akteure im Hotel und ihren
Vorbereitungen für die große Gala breiteren Raum gibt, ist der zweite
Programmteil wesentlich dichter gewebt. Nun präsentiert jeder sein
Können in der Gala, der Show in Show, folgen die unterschiedlichen
Nummern Schlag und Schlag. Somit ist für eine stete Steigerung bis zum
Finale, für einen gelungenen Spannungsbogen gesorgt.
  
Evi Niessner,
Aerialistas
Evi Niessner, die
„Niessnerova“, überzeugt in stets großer Robe einmal mehr mit ihrer
starken Stimme und dramatischen Ausdrucksfähigkeit, vom Operetten-Hit
(„Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist?“) über das
swingende „Sing, Sing, Sing“ bis zur großartigen Interpretation des
Jazz-Evergreens „Feeling Good“. Kongenial begleitet wird sie von ihrem
Pianisten Mr. Leu. Perfekt zum 20er-Jahre-Look passen die „Aerialistas“
aus den USA, sechs Damen mit wasserstoffblonden Perücken. Im ersten
Programmteil betören sie in Pagen-Outfits mit einem Tanz auf Stühlen,
als Finalnummer zeigen sie ebenso im Sextett eine synchrone Arbeit an
drei Luftringen. Dem gebürtigen
Amerikaner Michael Clifton, der seit über 30 Jahren in Berlin lebt,
gehören zwei skurrile Musikal-Auftritte mit seinen „Sexy-Body-Drums“. Im
ersten Programmteil trommelt er noch züchtig auf Holzinstrumenten, die
er um die Beine geschnallt hat. Später kehrt er in einem vollkommen
absurden Outfit wieder, mit einer Art musikalischem Umschnalldildo und
schwarzen Netzstrümpfen, den nackten Oberkörper bedecken
Drum-Büstenhalter und -Krawatte sowie ein Frack ohne Hemd.
  
Jorden Moir, Elena
Borodina, Michael Clifton
Die Burlesque,
der Striptease mit Augenzwinkern, hat sich in den
Friedrichsbau-Produktionen unter Ralph Sun einen festen Platz erobert.
Honey Lulu (alias Federica Ciancetta), die im Friedrichsbau vor drei
Jahren in einer riesigen Teetasse strippte, entsteigt nun einer
überdimensionalen Handtasche, um sich anschließend kunstvoll, aber
Burlesque-typisch nur fast vollständig zu entblättern – womit wieder
einmal bewiesen wäre, dass das Innenleben von Damenhandtaschen zu den
größten Mirakeln überhaupt gehört. Da Honey Lulu mit den
Schönheitsidealen der 20er Jahre spielt, fügt sie sich wunderbar ins
Gesamtbild der Show, ebenso wie Valentina mit ihrem Fächertanz, der sich
an den Ausdruckstanz dieser Zeit anlehnt und für den Friedrichsbau auf
Kurt Weills Tango „Youkali“ neu choreographiert wurde. Auch die
Hand-auf-Hand-Nummer, die Valentina später mit ihrem Partner Nik
präsentiert, wurde für „Youkali“ musikalisch und choreographisch neu
gestaltet; die beiden werden mit einem von Evi Niessner gesungenen Tango
begleitet. Eine ganz famose Jonglage mit „Footbags“, also
granulatgefüllten Stoffsäcken, zeigt Jorden Moir. Mit Armen, Beinen,
Händen und Füßen, schlicht dem ganzen Körper, jongliert er die Footbags
und dreht dabei Pirouetten oder springt Seil. Eine andere Spielart der
Jonglage präsentiert Gilles Le Leuch; federleicht und ohne jede
sichtbare Anstrengung lässt er zwei Diabolos tanzen. Bei ihrer eleganten
Handstandkür wird Elena Borodina von einem zarten, transparenten Tuch
umspielt, das ein Luftstrom von unten dauernd in Bewegung hält.
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