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Stuttgart, 7.
Februar 2007: Der Reiz der neuen
Show „Sonambul“ im Friedrichsbau-Varieté Stuttgart liegt in der
Conférence: Das Duo Sonambulo aus Berlin, Vivia Sommer und Olaf Kohrs,
überschreitet scheinbar die Grenzen des Möglichen, amüsiert und
verstört, lässt grübeln, gibt Rätsel auf. Olaf Kohrs mimt den
elegant-eloquenten Conférencier, seine Partnerin das rätselhafte
Medium. „Vergiftete Ameisen fallen immer nach links“, zischt sie
und orakelt: „Das Herz einer chinesischen Zwergspitzmaus schlägt
1350 Mal in der Minute – und wenn man sie zerdrückt, schlägt es
noch genau zwölf Mal nach!“. |
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Vivian Sommer |
Vivian Sommer errät mit verbundenen Augen Kreditkartennummern. Sie nennt
Sätze, die Zuschauer zufällig aus einem Buch gewählt haben. Ein Akteur
aus dem Publikum soll auf die Bühne kommen, sich eine Zahl zwischen 30
und 100 denken, diese auf einem Zettel notieren. Derweil füllen die
beiden Gedankenleser ein magisches Quadrat mit Zahlen. Waagrecht,
senkrecht, diagonal, kurz: auf insgesamt 32 Arten lässt sich hier später
die Zahl zusammenaddieren, die sich der Mann gedacht hat. Es scheint
wirklich, als ob Vivian Sommer den Zugang zu den Köpfen des Publikums
fände – wenn sie errät, an welche berühmte Persönlichkeit eine
Zuschauerin gerade gedacht hat oder wie der Vater eines anderen Gastes
mit Vornamen heißt. (Achtung: Ab
26. März übernimmt Kabarettist Stephan Bauer die Conférence). |
   
Sorellas, Marie Bitaroczky,
Semen Krachinov
Im Reigen der
artistischen Darbietungen bestechen natürlich in erster Linie die „Sorellas“
mit ihrer fulminanten Trapeznummer – mutig, kraftvoll, elegant fangen
sich Christophe Gobet und Rodrigue Funke häufig nur mit Beinen und
Füßen. Die zweite Luftnummer des Abends ist ebenfalls ein Höhepunkt:
Marie Bitaroczky, Absolventin 2006 der Berliner Artistenschule, lässt
sich zur intensiven Musikbegleitung von „I can fly“ von ihrem
Vertikalseil umschlingen, wechselt schließlich ans Schwungseil und
stürzt sich am Ende ihrer Darbietung kopfüber in den Fershang – knapp
über die Köpfe einiger überrascht-erschrockener Zuschauer hinweg. Diese
waren vor der Vorstellung bereits ermahnt worden: „während der
Luftnummer im ersten Programmteil bloß nicht aufstehen!“. So wunderbar
hautnah ist Varieté. Ein weiteres Highlight des Programms hätte der
junge Jongleur Semen Krachinov sein können. Leider wurde sein Auftritt
jedoch als kurze Eröffnungsnummer platziert, in der er nur einen Teil
seines vielfältigen Könnens zeigen kann. Er jonglierte in der besuchte
Vorstellung mit bis zu sieben Bällen, platzierte Bälle – mitten im
Publikum – in einer Stellage auf seinem Kopf und wirbelte mit Händen und
Füßen Keulen durch die Luft. Tricks auf dem Einrad zeigte er nicht –
wohl auch wegen der fehlenden Raumhöhe auf der Varietébühne. Eine
außergewöhnliche Kontorsionistin ist Andréane Leclerc aus Kanada –
außergewöhnlich deshalb, weil sie vergleichsweise kräftig gebaut ist und
mit hoher Geschwindigkeit zwischen den eindrucksvollen Posen wechselt,
in die sie ihren Körper verbiegt. Die rhythmische Musik mit
französischsprachigem Gesang verführt das Publikum zum Mitklatschen. |

Norbert Ferré |
Ein
gespanntes Drahtseil auf einer Varieté-Bühne ist ein merkwürdiger
Anblick – Ziska Riva zeigt bei ihrem Balanceakt einen Spagat, aus dem
sie scheinbar mühelos wieder in den Stand wechselt, und läuft auf
Spitzen über das Seil. Akrobatik mit Augenzwinkern präsentiert
schließlich das italienisch-spanische Duo Cirque Vague: Die beiden
Herren präsentieren sich als Kaskadeure, mit Flic Flacs und Salti zu
Swing-Musik. Überaus witzig auch der schrille Franzose Norbert Ferré mit
charmanten Zaubereien – wo sind nur plötzlich seine Schuhe hin? – und
Jonglagen en miniature: mit kleinen Bällen zwischen den Fingern. Die
Hula Hoop-Darbietung von Evgenia Svirova, im Programm noch genannt,
wurde nicht gezeigt. |
Trotz der Sorellas: Der „Varietéabend für Mondsüchtige“ kann artistisch
nicht ganz an das Vorgänger-Programm „La Metta“ anknüpfen und könnte
hier und da mehr Tempo vertragen. So oder so: Der Besuch lohnt sich
schon, um das Duo Sonambulo zu erleben: Während ich sonst immer fürchte,
in einer Nummer mitmachen zu müssen, fieberte ich diesmal förmlich
danach: Können diejenigen erahnen, was mit ihnen passiert, deren
Gedanken gerade „gelesen“ werden? Zu gern hätte ich’s gewusst... |
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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber
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