Die
Besten der Besten sind einmal mehr nach Bad Nauheim gekommen. Das
Publikum weiß natürlich, was es an den Shows im wunderschönen
Jugendstil-Theater hat. Von 32.000 Zuschauern sprechen die Veranstalter
im ausführlichen Programmheft. Die Gäste am zweiten Standort in
Wartenberg mitgerechnet. Die Bilanz kann hier immer schon im Voraus
gezogen werden. Denn lange bevor die rund einmonatige Spielzeit
beginnt, sind alle Karten restlos ausverkauft.
 
Paul Ponce, Alix Dudel
Wenn
Paul Ponce zu Beginn mit den verschiedensten Requisiten jongliert, sind
die Zuschauer gleich hörbar mit dabei. Der Argentinier ist ein
mitreißender Künstler. Er jongliert mit Fußball, Keulen und Hüten, die
ihm seine Assistentin auf Rollschuhen reicht. Mit dem Fußball sowie den
Sombreros dreht er sogar eine Runde durchs Parkett. Rund 15 Minuten
steht er auf der Bühne. Die Viertelstunde gerät zwar äußerst
kurzweilig, im Sinne der Gesamtspieldauer hätte aber eine Kürzung gut
getan. Noch vor Paul Ponce erleben wir die Formation Tron Dance. Die
schwarzen Kostüme der Ungarn sind mit LEDs bestückt, die die Farbe
wechseln. Ihre Tanzeinlage im Dunkeln wird somit zu einem reizvollen
Opening der Show. Die Licht-Crew um Klaus Nass kann sich somit
zumindest ein wenig ausruhen. Im weiteren Verlauf des Abends verwöhnt
sie uns dafür umso mehr. Die Beleuchtung ist grandios, unterstützt die
Gesamtwirkung enorm. Große Nummern erhalten ihren großen Auftritt,
kleinere einen intimen Rahmen. Alix Dudel ist in diesem Jahr unsere
Begleiterin. Sie ist auf eine sehr angenehme Art präsent, ohne
aufdringlich zu erscheinen. Sie wirkt fast schon zurückhaltend, ist
aber doch immer souverän. Ihr „Zuhause“ ist der Tigerpalast in
Frankfurt. Aber auch das deutlich größere Dolce Theater nimmt sie
spielend für sich ein. Dies mit Chansons von Georg Kreisler und
Friedhelm Kendler. Hildegard Knefs „Für mich soll's Rote Rosen regnen“
gibt sie mit ihrer wunderbaren Stimme ebenfalls zum Besten. Mit „Darf
ich mal durch?“ bahnt sie sich ihren Weg durch die Stuhlreihen und
lenkt so charmant von den Umbauten auf der Bühne ab. Die Begleitung
übernehmen drei Musiker aus dem Tigerpalast. Kurze von Dudel
vorgetragene Gedichte lassen uns schmunzeln. Die Ankündigung ihrer
Künstlerkollegen gelingt ganz famos. Sehr wertschätzend erzählt sie
uns, welche hervorragenden Artisten als nächstes zu erleben sind.
  
Duo Meleshin, Cristina Garcia, Ma Yan Yan
Auf
Paul Ponce folgt das Duo Meleshin. Vadim und Anton aus Russland sind
korrekt in Schwarz und Weiß gekleidet. Rola Rola-Artistik ist
eigentlich Solisten vorbehalten. Die Meleshins haben diesem Genre neue
Seiten abgewonnen. Sie arbeiten Balancen Hand-auf-Hand, während
Untermann Vadim auf dem auf einer Walze liegenden Brett steht. In
gleicher Grundkonstellation zeigt Anton einen Einarmer auf dem Kopf
seines Bruders. Gemeinsam bauen sie einen immer höher werdenden Turm
aus kleinen Tischchen. Für den gewissen Schuss Erotik sorgt Cristina
Garcia. Die 23-jährige Spanierin entführt uns mit ihrer Kontorsion in
einen exklusiven Nachtclub. Hut und Zigarette legt sie schnell ab, um
dann ihren Körper auf vielfältige Weise zu verbiegen. Zum Finale
zerschießt sie einen Ballon mit einem Pfeil. Den zugehörigen Bogen
bedient sie mit den Füßen. Mit gleich sechs Untermännern ist die Truppe
Tiufiaev besetzt. Sie sorgen dafür, dass die Flieger Elena Alekseeva
und Dmitry Bombyr mit dem Russischen Barren in die Luft katapultiert
werden und anschließend wieder sicher landen. Ihre Darbietung ist in
eine große Choreographie voller Dynamik gekleidet. Dabei sind zwei
Barren im Einsatz. Den Sprung überkreuz erleben wir allerdings nur in
Kombination von einem Russischem Barren und Handvoltigen. Höhepunkt ist
der vierfache Salto von Elena Alekseeva. Eine ungewöhnliche Melange hat
Ma Yan Yan mit nach Oberhessen gebracht. Sie kombiniert weltweit
einmalig (Spitzen-)Tanz mit Illusionen. Die Chinesin im Ballerina-Kleid
tanzt während ihres gesamten Auftritts. Dabei lässt sie unter anderem
Papierblumen, bunte Spielkarten und zwei große Fahnen erscheinen.
Wirklich einzigartig und einfach zauberhaft.
 
Desire of Flight, Duo Sonambul
Dank
des von den Lichtdesignern gezauberten Sternenhimmels dürfen Desire of
Flight zu einem traumhaften Nachtflug ansetzen. Die so sinnliche und
gleichzeitig so riskante Darbietung an den Strapaten ist immer wieder
ein Genuss, ein einziger Rausch. Seit dem Unfall von Malvina Abakarova
im vergangenen Jahr geht nun ihre Tochter Katerina mit Valeriy Sychev
in die Luft. Möglicherweise gibt es Dinge zwischen Himmel und Erde, die
eigentlich gar nicht sein können. Zu diesem Schluss kommt man, nachdem
man das Duo Sonambul erlebt hat. Den Mentalmagiern wurde besonders viel
Raum im Programm gegeben. Ihnen gehört nicht nur die Pausennummer, sie
erhalten zudem einen zweiten Auftritt. Im ersten „erkennt“ Vivian
Sommer mit verbundenen Augen unter anderem Gegenstände, die ihr
Bühnenpartner Roman Maria von Thurau bei Zuschauern findet. Im zweiten
Teil lesen auf die Bühne gebetene Zuschauer die Gedanken anderer Gäste.
Es folgen weitere schier unerklärbare Aktionen. Etwa wenn Roman Maria
von Thurau eine Zuschauerin bittet, einen Arm zu heben wenn er seine
Hand auf ihr Schulterblatt legt. Sie tut dies dann aber tatsächlich,
wenn er seine Hand auf den Rücken von Partnerin Vivian Sommer und nicht
auf den der Zuschauerin platziert. Perfekt wird der Gesamteindruck durch die
ungeheuer stimmige Gesamtinszenierung. Das Licht, insbesondere aber das
Auftreten des Duo Sonambul verstärkt den Eindruck, dass hier etwas
Übersinnliches passiert. Vivian Sommer streut in den Auftritt plötzlich
nicht in den Zusammenhang passende Sätze sein. Wie etwa „Wenn man
Ameisen vergiftet, fallen sie immer nach links.“. Zudem malt sie quasi
nebenbei ein Portrait Siegmund Freuds – auf einer um 90 Grad gedrehten
Leinwand. Einfach nur Zuschauen und sich von der ausgelassenen Stimmung
der Artisten anstecken lassen, heißt es bei den Catwall Acrobats. Die
jugendliche Crew mit Dame brilliert mit abgefahrenen
Sprungkombinationen auf zwei Trampolins, in deren Mitte ein „Haus“ aus
Plexiglas steht. Anspruchsvolle Tricks sehen hier spielerisch leicht
aus.
  
Duo Ice Pole, Zhang Fan, Duo A&A
Illya Strakhov konnten wir im Februar-Programm 2012 im
Kronebau erleben. Damals zeigte er mit einem Partner
Handstand-Akrobatik im Gangster-Stil. Nun ist er gemeinsam mit
Ehefrau Anastasia als Duo Ice Pole am Mast zu erleben. Wobei
der Mast in Gestalt einer Straßenlaterne daherkommt. In
nächtlicher Stimmung und zu Michael Jacksons „Dirty Diana“
umgarnen sich die beiden intensiv. Der bekannte Schuss
„Bühnen-Erotik“ wird voll ausgekostet. Gleich zu Beginn macht
Illya einen Kopfstand auf der Öffnung einer Flasche. Weiter
geht es mit Tanz und Akrobatik am Mast. Auf dem Schirm der
Laterne drückt Illya einen einarmigen Handstand. Den
beherrscht auch Zhang Fan. Allerdings auf dem Schlappseil. Der
immer fröhliche Chinese kommt vom Heilbronner Weihnachtscircus
nach Bad Nauheim. Natürlich fährt er auch hier kopfüber auf
einem Einrad über den Draht oder balanciert darauf auf einer
Leiter. Seine Fähigkeiten, immer das Gleichgewicht zu halten,
sind wirklich phänomenal. Die Collins Brothers zersägen sich
noch genauso gegenseitig, wie sie es schon 1991 im Circus
Barum getan haben, als ich sie das erste Mal sah. Natürlich
hat sich die Darbietung im Laufe der Jahre weiterentwickelt.
Kostüme, Gags und Requisiten haben sich geändert, die
Grundidee ist geblieben. Damit dieser Auftritt nicht der
einzige komische in der Show bleibt, darf die „zersägte
Jungfrau“ Helmut das ein oder andere Mal als Assistent von
Alix Dudel fungieren. Muskelkraft alleine reicht nicht, um die
starken Tricks des Duo A&A zu arbeiten. Aber sie ist die
Grundvoraussetzung für ihre immer wieder sehenswerte
Partner-Equilibristik. Der Ukrainer Anton Makukhin trägt
seinen Bühnenpartner Adam Vazquez aus den USA in den
verschiedensten Varianten auf den Händen. Am Ende sogar auf
den Füßen. Letzteres gelingt erst im wiederholten Versuch und
erzielt so eine besondere Wirkung beim Publikum. Zehn anmutige
junge Damen entsendet der Chinesische Nationalcircus aus
Peking. Die Diabolospiele der Gorgeous Girls folgen einer
minutiösen Choreographie. So entstehen immer neue Bilder
voller Schönheit. Souverän halten sie dabei die kleinen Spulen
in der Luft, lassen sie auf immer wieder neuen Bahnen fliegen.
Dieses eindrucksvolle Schauspiel setzt das furiose
Ausrufezeichen hinter das Programm. |