CHPITEAU.DE

OVAG - Neujahrs-Varieté 2018
www.ovag-gruppe.de - 160 Showfotos

Bad Nauheim, 26. Januar 2018: Erst wenn nach dreieinhalb Stunden „Jump“ durch das Dolce Theater fegt, ist der Abend wirklich zu Ende. Der Titel von van Halen bildet traditionell den umjubelten Schlusspunkt des Neujahrs-Varietés. Auf der Bühne machen die 45 Mitwirkenden aus 14 Nationen noch einmal eine mitreißende Show. Große Bälle werden durch den Saal geworfen, glitzernde Streifen fliegen von der Decke herab. Nicht nur bei den Artisten ist die Stimmung grandios, auch das Publikum geht begeistert mit. 2018 verwöhnt uns die OVAG als Veranstalter wieder mit einem Programm vom Feinsten.

Die Besten der Besten sind einmal mehr nach Bad Nauheim gekommen. Das Publikum weiß natürlich, was es an den Shows im wunderschönen Jugendstil-Theater hat. Von 32.000 Zuschauern sprechen die Veranstalter im ausführlichen Programmheft. Die Gäste am zweiten Standort in Wartenberg mitgerechnet. Die Bilanz kann hier immer schon im Voraus gezogen werden. Denn lange bevor die rund einmonatige Spielzeit beginnt, sind alle Karten restlos ausverkauft.


Paul Ponce, Alix Dudel

Wenn Paul Ponce zu Beginn mit den verschiedensten Requisiten jongliert, sind die Zuschauer gleich hörbar mit dabei. Der Argentinier ist ein mitreißender Künstler. Er jongliert mit Fußball, Keulen und Hüten, die ihm seine Assistentin auf Rollschuhen reicht. Mit dem Fußball sowie den Sombreros dreht er sogar eine Runde durchs Parkett. Rund 15 Minuten steht er auf der Bühne. Die Viertelstunde gerät zwar äußerst kurzweilig, im Sinne der Gesamtspieldauer hätte aber eine Kürzung gut getan. Noch vor Paul Ponce erleben wir die Formation Tron Dance. Die schwarzen Kostüme der Ungarn sind mit LEDs bestückt, die die Farbe wechseln. Ihre Tanzeinlage im Dunkeln wird somit zu einem reizvollen Opening der Show. Die Licht-Crew um Klaus Nass kann sich somit zumindest ein wenig ausruhen. Im weiteren Verlauf des Abends verwöhnt sie uns dafür umso mehr. Die Beleuchtung ist grandios, unterstützt die Gesamtwirkung enorm. Große Nummern erhalten ihren großen Auftritt, kleinere einen intimen Rahmen. Alix Dudel ist in diesem Jahr unsere Begleiterin. Sie ist auf eine sehr angenehme Art präsent, ohne aufdringlich zu erscheinen. Sie wirkt fast schon zurückhaltend, ist aber doch immer souverän. Ihr „Zuhause“ ist der Tigerpalast in Frankfurt. Aber auch das deutlich größere Dolce Theater nimmt sie spielend für sich ein. Dies mit Chansons von Georg Kreisler und Friedhelm Kendler. Hildegard Knefs „Für mich soll's Rote Rosen regnen“ gibt sie mit ihrer wunderbaren Stimme ebenfalls zum Besten. Mit „Darf ich mal durch?“ bahnt sie sich ihren Weg durch die Stuhlreihen und lenkt so charmant von den Umbauten auf der Bühne ab. Die Begleitung übernehmen drei Musiker aus dem Tigerpalast. Kurze von Dudel vorgetragene Gedichte lassen uns schmunzeln. Die Ankündigung ihrer Künstlerkollegen gelingt ganz famos. Sehr wertschätzend erzählt sie uns, welche hervorragenden Artisten als nächstes zu erleben sind.


Duo Meleshin, Cristina Garcia, Ma Yan Yan

Auf Paul Ponce folgt das Duo Meleshin. Vadim und Anton aus Russland sind korrekt in Schwarz und Weiß gekleidet. Rola Rola-Artistik ist eigentlich Solisten vorbehalten. Die Meleshins haben diesem Genre neue Seiten abgewonnen. Sie arbeiten Balancen Hand-auf-Hand, während Untermann Vadim auf dem auf einer Walze liegenden Brett steht. In gleicher Grundkonstellation zeigt Anton einen Einarmer auf dem Kopf seines Bruders. Gemeinsam bauen sie einen immer höher werdenden Turm aus kleinen Tischchen. Für den gewissen Schuss Erotik sorgt Cristina Garcia. Die 23-jährige Spanierin entführt uns mit ihrer Kontorsion in einen exklusiven Nachtclub. Hut und Zigarette legt sie schnell ab, um dann ihren Körper auf vielfältige Weise zu verbiegen. Zum Finale zerschießt sie einen Ballon mit einem Pfeil. Den zugehörigen Bogen bedient sie mit den Füßen. Mit gleich sechs Untermännern ist die Truppe Tiufiaev besetzt. Sie sorgen dafür, dass die Flieger Elena Alekseeva und Dmitry Bombyr mit dem Russischen Barren in die Luft katapultiert werden und anschließend wieder sicher landen. Ihre Darbietung ist in eine große Choreographie voller Dynamik gekleidet. Dabei sind zwei Barren im Einsatz. Den Sprung überkreuz erleben wir allerdings nur in Kombination von einem Russischem Barren und Handvoltigen. Höhepunkt ist der vierfache Salto von Elena Alekseeva. Eine ungewöhnliche Melange hat Ma Yan Yan mit nach Oberhessen gebracht. Sie kombiniert weltweit einmalig (Spitzen-)Tanz mit Illusionen. Die Chinesin im Ballerina-Kleid tanzt während ihres gesamten Auftritts. Dabei lässt sie unter anderem Papierblumen, bunte Spielkarten und zwei große Fahnen erscheinen. Wirklich einzigartig und einfach zauberhaft.


Desire of Flight, Duo Sonambul

Dank des von den Lichtdesignern gezauberten Sternenhimmels dürfen Desire of Flight zu einem traumhaften Nachtflug ansetzen. Die so sinnliche und gleichzeitig so riskante Darbietung an den Strapaten ist immer wieder ein Genuss, ein einziger Rausch. Seit dem Unfall von Malvina Abakarova im vergangenen Jahr geht nun ihre Tochter Katerina mit Valeriy Sychev in die Luft. Möglicherweise gibt es Dinge zwischen Himmel und Erde, die eigentlich gar nicht sein können. Zu diesem Schluss kommt man, nachdem man das Duo Sonambul erlebt hat. Den Mentalmagiern wurde besonders viel Raum im Programm gegeben. Ihnen gehört nicht nur die Pausennummer, sie erhalten zudem einen zweiten Auftritt. Im ersten „erkennt“ Vivian Sommer mit verbundenen Augen unter anderem Gegenstände, die ihr Bühnenpartner Roman Maria von Thurau bei Zuschauern findet. Im zweiten Teil lesen auf die Bühne gebetene Zuschauer die Gedanken anderer Gäste. Es folgen weitere schier unerklärbare Aktionen. Etwa wenn Roman Maria von Thurau eine Zuschauerin bittet, einen Arm zu heben wenn er seine Hand auf ihr Schulterblatt legt. Sie tut dies dann aber tatsächlich, wenn er seine Hand auf den Rücken von Partnerin Vivian Sommer und nicht auf den der Zuschauerin platziert. Perfekt wird der Gesamteindruck durch die ungeheuer stimmige Gesamtinszenierung. Das Licht, insbesondere aber das Auftreten des Duo Sonambul verstärkt den Eindruck, dass hier etwas Übersinnliches passiert. Vivian Sommer streut in den Auftritt plötzlich nicht in den Zusammenhang passende Sätze sein. Wie etwa „Wenn man Ameisen vergiftet, fallen sie immer nach links.“. Zudem malt sie quasi nebenbei ein Portrait Siegmund Freuds – auf einer um 90 Grad gedrehten Leinwand. Einfach nur Zuschauen und sich von der ausgelassenen Stimmung der Artisten anstecken lassen, heißt es bei den Catwall Acrobats. Die jugendliche Crew mit Dame brilliert mit abgefahrenen Sprungkombinationen auf zwei Trampolins, in deren Mitte ein „Haus“ aus Plexiglas steht. Anspruchsvolle Tricks sehen hier spielerisch leicht aus.


Duo Ice Pole, Zhang Fan, Duo A&A

Illya Strakhov konnten wir im Februar-Programm 2012 im Kronebau erleben. Damals zeigte er mit einem Partner Handstand-Akrobatik im Gangster-Stil. Nun ist er gemeinsam mit Ehefrau Anastasia als Duo Ice Pole am Mast zu erleben. Wobei der Mast in Gestalt einer Straßenlaterne daherkommt. In nächtlicher Stimmung und zu Michael Jacksons „Dirty Diana“ umgarnen sich die beiden intensiv. Der bekannte Schuss „Bühnen-Erotik“ wird voll ausgekostet. Gleich zu Beginn macht Illya einen Kopfstand auf der Öffnung einer Flasche. Weiter geht es mit Tanz und Akrobatik am Mast. Auf dem Schirm der Laterne drückt Illya einen einarmigen Handstand. Den beherrscht auch Zhang Fan. Allerdings auf dem Schlappseil. Der immer fröhliche Chinese kommt vom Heilbronner Weihnachtscircus nach Bad Nauheim. Natürlich fährt er auch hier kopfüber auf einem Einrad über den Draht oder balanciert darauf auf einer Leiter. Seine Fähigkeiten, immer das Gleichgewicht zu halten, sind wirklich phänomenal. Die Collins Brothers zersägen sich noch genauso gegenseitig, wie sie es schon 1991 im Circus Barum getan haben, als ich sie das erste Mal sah. Natürlich hat sich die Darbietung im Laufe der Jahre weiterentwickelt. Kostüme, Gags und Requisiten haben sich geändert, die Grundidee ist geblieben. Damit dieser Auftritt nicht der einzige komische in der Show bleibt, darf die „zersägte Jungfrau“ Helmut das ein oder andere Mal als Assistent von Alix Dudel fungieren. Muskelkraft alleine reicht nicht, um die starken Tricks des Duo A&A zu arbeiten. Aber sie ist die Grundvoraussetzung für ihre immer wieder sehenswerte Partner-Equilibristik. Der Ukrainer Anton Makukhin trägt seinen Bühnenpartner Adam Vazquez aus den USA in den verschiedensten Varianten auf den Händen. Am Ende sogar auf den Füßen. Letzteres gelingt erst im wiederholten Versuch und erzielt so eine besondere Wirkung beim Publikum. Zehn anmutige junge Damen entsendet der Chinesische Nationalcircus aus Peking. Die Diabolospiele der Gorgeous Girls folgen einer minutiösen Choreographie. So entstehen immer neue Bilder voller Schönheit. Souverän halten sie dabei die kleinen Spulen in der Luft, lassen sie auf immer wieder neuen Bahnen fliegen. Dieses eindrucksvolle Schauspiel setzt das furiose Ausrufezeichen hinter das Programm.

Ein Programm voller Höhepunkte. Es ist sicher nicht leicht, jedes Jahr eine solch anspruchsvolle Show zusammenzustellen und dabei immer wieder Abwechslung zu bieten. Den Verantwortlichen bei der OVAG ist dies auch 2018 wunderbar gelungen. Das Neujahrs-Varieté ist wiederum eine ganz hochklassige Produktion geworden. Zudem bringt sie Genres nach Bad Nauheim, die dort noch nie oder schon lange nicht mehr zu sehen waren. Chapeau!

_______________________________________________________________________
Text und Fotos: Stefan Gierisch