Oder
immerhin deren Gewinner. Wie das geht? Zum einen ist der Zeitpunkt
günstig gewählt. Start der diesjährigen Spielzeit war der 7. Januar.
Damit also kurz nach dem Ende der meisten Weihnachtscircusse. So konnte
man einige der Artisten wenige Tage zuvor noch beim
Weltweihnachtscircus in Stuttgart, bei Flic Flac in Dortmund oder bei Salto
Natale in Zürich erleben. Zum Anderen steht mit der ovag Energie AG ein Veranstalter parat, dem
es in erster Linie darum geht, sich bei seinen Kunden für die Treue zu
bedanken. Das Varieté muss sich also nicht zwingend selbst tragen, was
sich nicht zuletzt in moderaten Ticketpreisen ausdrückt. Und so kommen
auch in diesem Jahr über 27.000 Abnehmer des Energieversorgers in den
Genuss von hochkarätigster Artistik in wunderbarem Ambiente. Für
letzteres sorgt das Dolce Theater Bad Nauheim, ein Jugendstil-Bau mit
730 Sitzplätzen. Hinzu kommen zwei Shows in Wartenberg.
  
Felix Gaudo, Truppe Khagdaa
Bereits
in der zweiten Vorstellung läuft das Programm reibungslos ab. Es ist
davon auszugehen, dass es bei der Premiere nicht anders war. Großen
Anteil daran hat - neben der Regie, den Technikern für Licht und Ton sowie
der Bühnencrew - Felix Gaudo. Der Conferencier aus Berlin kündigt alle
Artisten so versiert an, als liefe die Show bereits seit Wochen. Zu
jedem Auftritt hat er eine witzige, treffende Einleitung. Nie stellt er
sich selbst in den Vordergrund. Außer wenn er eines seiner beiden Solos
hat. Dann spielt er als Puppe im eigenen Mini-Theater eine hinreißende
Playbackshow und schafft es, trotz beschädigter Violine ein kleines
Musikstück zum Besten zu geben. Immerhin nehmen die weiteren
Mitwirkenden Gaudo die erste Vorstellung ihrer Personen ab. Das tun sie
nämlich mittels Videobotschaft in ihrer Muttersprache auf einer großen
Leinwand selbst. Und dann wird aus dem filmischen Erlebnis ein reales,
greifbares. Liveunterhaltung im besten Sinne eben. Die Truppe Khagdaa
aus der Mongolei zeigt Seilspringen in den verschiedensten Varianten.
Dabei beweisen sie, dass es offenbar keine größeren Schwierigkeiten
bereitet, mit mehreren Personen übereinander zu springen. Ein
eindrucksvolles Bild also gleich zu Beginn. Noch imposanter gerät ihr
zweiter Auftritt in folkloristischen Kostümen. Geschickt wird hier mit dem
Kontrast zwischen den eleganten Damen und den kräftigen Männern
gespielt. Es gibt Handvoltigen und Kraftakrobatik zu sehen. Bei
letzterer fliegen die Eisenkugeln oder es werden Damen zusammen mit
Gewichten getragen. Gleich acht Personen sind im größten Bild vereint.
Getragen wird diese Pyramide letztendlich von zwei starken Artisten.
  
Duo Madira, Jérôme Murat, Thu Hien
Für
ordentlich Schwung sorgt Eddy Carello, der Rocker unter den Jongleuren.
Mit seinen Devilsticks hält der Schweizer eine E-Gitarre in der Luft.
Für „konventionelle“ Jonglagen wählt er neben Ball und Hut ein Becken
sowie einen Drumstick als Requisiten. Die Bälle bei seinen Bouncing-Jonglagen landen sicher auf einer Trommel. Am effektvollsten aber ist
das Spielen auf einem Schlagzeug mit Hilfe von Bällen. Neben all den
gestandenen Showprofis bekommt auch der Nachwuchs seine große Bühne.
Auf einem Podest mit kleinen Lämpchen und tollen Lichteffekten im
Hintergrund zeigt das Duo Madira Bodenakrobatik. Marie Fausel und
Diandra Lilienthal kommen von der Artisten AG der Freien Waldorfschule
in Bad Nauheim. Sie machen ihre Sache schon erstaunlich professionell
und haben natürlich den Heimvorteil in diesem internationalen Ensemble.
Immer wieder faszinierend sind die Künste von Jérôme Murat. Als Statue
mit zwei Köpfen – einer auf dem Hals, der andere in verschiedenen
Positionen am Körper – lässt er sein Publikum staunen. Denn beide
Gesichter erwachen zum Leben. Man ahnt zwar, welches das echte ist.
Absolut sicher kann man sich da aber bei den Künsten des Franzosen nie
sein. Vietnam ist die Heimat von Thu Hien. Gefördert von ihrem Vater
lernte die 23-Jährige an der Circusschule von Hanoi das Balancieren auf
dem Schlappseil. Heute ist sie eine große Könnerin auf dem locker
hängenden Draht. Der Kopfstand sowie der Spagat auf dem Seil sind nur
zwei ihrer Tricks.
  
Kaleen McKeeman, Shcherbak und Popov, Ernesto Planas
Den
vielzitierten „Traum vom Fliegen“ hat sich Kaleen McKeeman erfüllt. Ein
wenig zumindest. An zwei Strapaten erobert die Artisten den Raum über
der Bühne. Ihre wunderschönen, nichtsdestotrotz kraftraubenden Flüge
lassen die Zuschauer im Parkett und in den Logen darüber träumen. Ein
Pferd auf einer Varietébühne ist in unseren Tagen ein höchst
ungewöhnliches Bild. Die tiefe Bühne im Dolce Theater bietet den
notwendigen Platz. Rosi Hochegger hingegen hat in Scout das passende
Tier dazu. Denn Scout ist natürlich nicht irgendein Pferd. Der
Tigerschecke kann – oder will? - zwar nicht über ein Hindernis
springen. Dafür kann Scout sehr genau „sagen“, was er nicht will und
herrlich lachen. Zu guter Letzt legt er sich mitten auf der Bühne
schlafen. Gab es für Rosi Hochegger in Monte Carlo einen Silbernen
Clown, erhielten die beiden nächsten Artisten sogar einen Goldenen.
Nikolay Shcherbak und Sergey Popov sind beide Ende 20 und verdammt
coole Typen. Zu „Singing in the Rain“ zeigen die muskulösen Ukrainer
scheinbar ohne größere Anstrengungen phänomenale Figuren der
Handstandakrobatik. Das furiose Finale ihres Auftritts ist erreicht,
wenn Sergey Popov seinen Körper auf zwei Armen parallel zum Boden hält
und Nikolay Shcherbak auf seinem Nacken einen Einarmer drückt.
Illusionisten gibt es viele. Ernesto Planas aber hat sich eine ganz
spezielle Disziplin ausgesucht. Der Kubaner lässt nämlich Schirme in
den verschiedensten Größen und Farben erscheinen. Der Effekt ist ganz
enorm, zumal er seine Kunststücke mit pyrotechnischen Effekten sowie
Glitzerregen ergänzt. So verwandelt sich die Bühne vor der Pause in ein
Meer von Schirmen.
  
Kai Leclerc, Rajesh Mudki, Melanie Chy
Zu
Beginn des zweiten Teils steht ein weißer Flügel im Scheinwerferlicht.
Katrina Graholska zeigt darauf Figuren der Kontorsion. Doch das ist nur
der Auftakt ihrer eigentlichen Nummer. Denn während sie auf den Tasten
spielt und dazu singt, bewegt sich der Flügel samt Katrina Graholska
nach oben. Das ungewöhnliche Spektakel geht weiter. Dann dreht sich das
Instrument um die eigene Achse. Die Artistin spielt ununuterbrochen,
auch kopfüber. Hinter diesem musikalischen Spaß steckt Kai Leclerc.
Diesen sehen wir kurz darauf mit seinem von Roncalli bekannten
Deckenlauf. Auf einer unter dem oberen Bühnenende montierten Bahn
spielt er kopfüber Basketball oder schüttet sich ein Glas Wasser ein.
Wie der Trick funktioniert? Ganz einfach: Konrad Spezialkleber! So
jedenfalls die Vermutung von Felix Gaudo, die Leclerc zurück am Boden
augenzwinkernd bestätigt. Rajesh Mudki zeigt seine Kunst an einem
Palmenstamm. Mallakhamb nennt sich diese Darbietung, die in seiner
indischen Heimat ein traditioneller Sport ist. Mudki hat sie für die
Showbühne weiterentwickelt und fasziniert in Bad Nauheim mit
akrobatischen Leckerbissen an seinem hölzernen Masten. Ein schweres
Motorrad ist der Unterbau für die Handstände von Melanie Chy. Diese
präsentiert sie sehr cool im Stil von Lara Croft. Einarmer in den
verschiedensten Varianten sind für den perfekt trainierten Körper von
Melanie Chy scheinbar überhaupt kein Problem. Für den Hingucker des
Abends ist damit, zumindest für den männlichen Teil des Publikums,
ebenfalls gesorgt.
Sorellas, Skating Nistorovs, Dobrovitskiys
Die
Damen hingegen dürfen sich an den gestählten Oberkörpern von Christoph
Gobet und Jean-Rodrigue Funke erfreuen. Als Sorellas verwöhnen sie mit
ihrer bekannte Nummer der Extraklasse am Trapez. Tricks und Verkauf
sind vom Feinsten. Dabei darf natürlich nicht vergessen werden, dass
diese schwungvolle Kür nicht ungefährlich ist. Der Auftritt des Magiers
Gaetan Bloom besteht aus einem einzigen Trick, den er mit Unterstützung
von zwei Zuschauern und allerlei charmanten Plaudereien auf die
passende Länge bringt. Dadurch nimmt er ein wenig das Tempo aus der
Show. Mag sein, dass er in seiner französischen Muttersprache noch
unterhaltsamer ist. Sicher nicht ohne Grund war er acht Jahre im
Pariser Crazy Horse engagiert. Immer wieder schwungvoll ist die
Rollschuhartistik der Nistorovs. Sahen wir sie in Dortmund noch als
Trio, sind sie jetzt wieder zu viert auf ihrer runden Plattform
unterwegs. Auch hier passen Trickstärke, Verkauf und Ausstrahlung der
Artisten vortrefflich zusammen. Und ein guter Schuss Nervenkitzel ist
ebenfalls dabei, wenn Eugenio seine beiden Schwestern und Ehefrau Alina
durch die Luft schleudert. Elvis Presley hätte in diesem Jahr seinen
80. Geburtstag gefeiert. Bad Nauheim wurde während seines
Militärdiensts im benachbarten Friedberg sein „European Home“.
Passenderweise wurde als Schlussnummer eine Darbietung gewählt, die
sich ganz dem Rock'n'Roll verschrieben hat. Die Dobrovitskiys haben
nicht nur ihr Outfit der Hochzeit dieses Musikstils angepasst, sondern
arbeiten zu Stücken des Genres. Das tun die fünf Russen zwischen zwei
Fangstühlen. Für die beiden Fliegerinnen und den Flieger ergeben sich
somit spannende Varianten, um von einem Fänger zum anderen zu kommen.
Und die Dobrovitskiys lassen kaum eine aus. So kommen wir in den Genuss
einer rockigen Flugshow, die in Monte Carlo mit einem Silbernen Clown
ausgezeichnet wurde.
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