Beide
haben einen finanzstarken Veranstalter. Während das Fürstentum vom
Glücksspiel und anderen Einnahmequellen lebt, trägt sich die Ovag als
Energieversorger für die Region. Will heißen, das Variete muss sich
nicht alleine durch die Eintrittsgelder amortisieren, die in der Tat
vergleichsweise günstig sind. „Als regionales Unternehmen wollten wir
kein Geld für beispielsweise Radiowerbung investieren, sondern lieber
der Region und unseren Kunden etwas zurückgeben. So kam unser Leiter
der Öffentlichkeitsarbeit Andreas Matlé vor rund zwölf Jahren auf die
Idee eines Varietés. Es sollte etwas sein, was sehr viele Menschen
begeistert und nicht nur einen kleinen Interessentenkreis“, sagt Anne
Naumann, PR-Referentin bei der Ovag und gemeinsam mit Matlé für das
Varieté verantwortlich. Gespielt wird an den Standorten Bad Nauheim und
Wartenberg. Das Dolce Theater in Bad Nauheim ist eine perfekte
Location. Der wunderschöne Saal im Jugendstil bietet nicht nur Platz
für 720 Personen, sondern dank einer Bühne mit großer Tiefe genügend
Raum für aufwendigere Requisiten. Zudem sind Umbauten ohne Pause
möglich: Während vorne der Conférencier das Publikum unterhält, wird
hinter dem Vorhang beispielsweise eine Reckkonstruktion aufgebaut.
  
Willer Nicolodi, Steve Eleky, Christian Farla
Als
Conférencier fungiert in der aktuellen Spielzeit Willer Nicolodi. In
seine Moderationen lässt er natürlich seine Fähigkeiten als Bauchredner
einfließen. So sehen wir ihn in seinen Überleitungen zwischen den
Nummern etwa mit einem Strumpf, den er zum Leben erweckt.
Selbstverständlich hat Nicolodi zusätzlich einen eigenständigen
Auftritt. Diesen beginnt er im Dialog mit einer frechen Maus. Gleich
darauf leiht er vier Zuschauern seine Stimme, was auch in Bad Nauheim
für Lachsalven sorgt. Noch mehr Heiterkeit verbreitet nur Steve Eleky.
Als Schotte mit Hai versucht er sich als Jongleur und Magier. Beide
Auftritte sind so gekonnt dilettantisch, dass es eine wahre Freude ist.
Wenngleich sein Auftritt jeden Abend (weitgehend) gleich abläuft,
amüsiere ich mich nach wie vor immer wieder prächtigst. Ins Gespräch
mit dem Publikum geht auch Christian Farla. Der niederländische Magier
zeigt gemeinsam mit den „Showgirls of Magic“ spektakulär präsentierte
Großillusionen. Er lässt sich nicht einfach nur so zersägen, sondern
nutzt für diesen Trick einen riesigen Skorpion aus Metall. Das ist
natürlich äußerst effektvoll. Gleiches gilt für die groß aufgemachte
Entfesselung in einem Wasserbassin oder die Durchdringung einer
Metallplatte. Farla und seine Girls beherrschen die aufwendige Show
einfach perfekt.
  
Gina Althoff, Larissa Kastein, Lisa Rinne
Eröffnet
wird die Show von einer Artistin aus einer traditionsreichen Circusfamilie.
Gina Althoff debütierte mit ihren Antipodenspiele im Circus
Siemoneit-Barum. Damals noch im Kostüm eines Pagen, hat die
Enkelin des legendären Franz Althoff („Rennbahn-Circus“) die Form der
Präsentation natürlich weiterentwickelt: „Eine Frau macht Urlaub,
irgendwo im Süden, ein Cocktail, draußen tobt die Hitze und die
Urlauberin versprüht ausgelassene Freude“, so beschreibt Althoff
selbst die Idee ihres dynamischen Auftritts. Eine Lebensfreude, die
einfach ansteckt. Kopfüber auf ihrer Trinka liegend, jongliert sie so zu
Rumbamusik mit den Füßen Bälle, Ringe, Tücher und eine große Truhe.
Ebenfalls aus einer, wenngleich deutlich jüngeren, Circusfamilie kommt
Larissa Kastein. Die Flic Flac-Juniorin legt ihre Bluse auf einem Stuhl
ab, um sich dann sündig bekleidet an einer Stange artistisch zu
betätigen. Bei ihrer Akrobatik am Mast, oder wie es im Programmheft
heißt „Chinese Pole“, verbindet sie fließende Bewegungen mit
anspruchsvollen Tricks. Ganz klar ein echter Hingucker. Die Siegerin
des letzten European Youth Circus in Wiesbaden heißt Lisa Rinne. Im
Sommer konnten wir sie bei der Höhner Rockin' Roncalli Show erleben.
Jetzt sorgt die sympathische Blondine für die einzige Luftnummer in der
Show. Zunächst erklimmt sie auf höchst originelle Weise eine
Strickleiter. Ihr eigentliches Requisit aber ist das Schwungtrapez.
Hier zeigt sie longengesichert atemberaubende Sprünge. Die Riege der
Solistinnen komplettiert Ana Yang. Zu sagen, die Vietnamesin würde mit
Seifenblasen spielen, ist deutlich zu kurz gegriffen. Sie kreiert
filigrane Kunstwerke in den unterschiedlichen Größen. Mal spielt sie
mit einer riesigen Seifenblase, mal verwandelt sie die Bühne in einen
wahren Regenschauer aus unzähligen kleinen Bubbles. Faszinierend sind
zudem die Gebilde aus mehreren Seifenblasen, für die sie oftmals Rauch
als zusätzlichen Effekt verwendet.
  
Hugo Noel, Tyrone Laner & Andrea Kissova, Daniel Wurtzel
Einziger
männlicher Soloartist ist Hugo Noel. Mit seinem Cyr-Rad rollt der
Kanadier über die große Bühne. Die mit hohen Schwierigkeitsgraden
gespickte Kür lädt dank der eleganten, fließenden Präsentation zum
Träumen. Noel ist zudem Mitglied der Catwall Acrobats. Ihre Trampoline
inklusive „Haus“ haben sie in diesem Jahr gegen das Schleuderbrett
eingetauscht. Dabei werben die vier Herren um die Gunst der Dame, was
letztendlich in hohen Sprüngen mündet. Auf einer Bühne erscheinen diese
noch wirkungsvoller als unter einem Chapiteau mit vergleichsweise hoher
Kuppel. Spektakulär ist die Kunst des Messerwerfens in der
Variante von Tyrone Laner vor allen Dingen deswegen, weil seine
Partnerin Andrea Kissova viel in Bewegung ist. Während sie am
statischen Brett steht, bewegt sie ihren Körper hin und her. Zum
Schluss schnallt Laner die Lady auf eine runde Scheibe, die rotiert,
während die Messer fliegen. Obwohl sie aus Italien und Tschechien
kommen, gestalten sie ihren Auftritt im Tangostil. Zum Tanzen bringt
Daniel Wurtzel mithilfe von Ventilatoren verschiedene Tücher, ohne aber
selbst in Erscheinung zu treten. Dank entsprechender Beleuchtung
ergeben sich so interessante Bilder. Sehr effektvoll und gleichzeitig
leistungsstark sind die Figuren, die das Trio Laruss bildet. Ganz in
Gold lassen die drei Ungarn im Zeitlupentempo immer neue Bilder der
Equilibristik entstehen. In der kommenden Saison werden wir sie wieder
bei Roncalli erleben können.
  
Elena Drogaleva, D'Holmikers, Atlantis
Immer
wieder ein Genuss sind die rasanten Jonglagen von Elena Drogaleva und
ihren drei Gentlemen. Faszinierend, wie die vier ständig ihre
Positionen wechselnd die Keulen in der Luft halten. Es geht über
mehrere Ebenen. Mal stehen zwei der Partner auf hohen Gestellen, mal
liegen die drei Herren am Boden und werfen Elena Drogaleva die Keulen
zu. Drogaleva ziert zudem im aparten Marlene Dietrich-Stil das
Deckblatt des Programmhefts. Im Eingangsvideo, in dem alle Mitwirkenden
das Publikum begrüßen, sehen wir die D'Holmikers in Zivil und dürfen
feststellen, dass es sich hierbei um durch und durch sympathische junge
Menschen handelt. Wenn sie aber später in der Show ihre Kapriolen am
Barren zeigen, tun sie dies im Stil von Frankenstein-Monstern. Das mag
sicher originell und witzig sein, nimmt aber zumindest mir ein wenig
die Freude an dieser artistisch überzeugenden Darbietung. „Flying to
the Stars“ konnten wir nicht nur 2012 beim Circusfestival in Monte
Carlo (Bronzener Clown), sondern zudem beim letzten Heilbronner
Weihnachtscircus sehen. Zwischen zwei Reckstangen haben die fünf
Ukrainer ein Trampolin gestellt, was innovative Sprung- und
Flugkombinationen erlaubt. Gerade noch bei Flic Flac in Dortmund
engagiert waren Atlantis mit ihren Equilibristik-Figuren sowie
Handvoltigen. Das Ganze wird, wie der Name verrät, in maritimer
Aufmachung präsentiert und war so einige Jahre im Saisonprogramm des
Circus Krone zu erleben.
Vegas Showgirls
Ein
Novum für das Neujahrs-Varieté ist die Aufwertung der Show durch ein
Ballett. Wie bei der Auswahl der artistischen Nummern, haben die
Veranstalter auch hier Wert auf hohe Qualität gelegt. Mit den Vegas
Showgirls sind sechs junge Damen am Start, die nicht nur verdammt gut
aussehen, sondern zudem noch perfekt tanzen und eine tolle Ausstrahlung
haben. Ihre Auftritte sind vielfältig und reichen vom Rock'n Roll bis
zur klassischen Girlsreihe mit ordentlich Federn und Strass. Eine wahre
Augenweide. Wo also das Auge verwöhnt wird, muss das Ohr etwas
zurückstecken. Die Musik kommt aus der Konserve, wird aber sehr gut
eingespielt. Für das Lichtdesign ist die Firma Flashlight
verantwortlich. Abendregisseur Dominik Paysan und sein Team sorgen für
flotte Umbauten. Bei den Shows in Wartenberg werden noch
Modell-Kunstflieger Daniel Golla und Taschendieb Christian Lindemann
dabei sein. Auf Schleuderbrett, Barren und Reck muss dafür an diesem
Standort verzichtet werden.
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