Der Schock ist zwei
Jahre her: Der Hauptsponsor L-Bank teilte der Geschäftsleitung des
Friedrichsbau-Varietés mit, dass man aus der Förderung aussteigt. Nach
Medienberichten ging es um rund 750.000 Euro im Jahr. Damit war Ende
2013 Schluss. Weitere Hiobsbotschaften folgten: Die bisherige Mutter des
Friedrichsbaus, die Deutsche Entertainment AG (DEAG), zog sich aus dem
Theater zurück. Daraufhin kündigte die L-Bank die Miet- und
Pachtverträge für die Räume des Varietés. Es war seit 1994 in der L-Bank
zu Hause, mitten in der City. Sofort begann die Suche nach einem neuen
Standort. Schnell wurde ein städtisches Gelände auf dem Pragsattel,
direkt neben dem Theaterhaus, identifiziert. Die Lösung „Zirkuszelt“
stellte sich bald als nicht machbar heraus; der Lärmschutz machte einen
Strich durch die Rechnung. Die Wahl fiel somit auf ein neues Gebäude in
einem Fertighallen-System. Mit massiver finanzieller Unterstützung der
Stadt Stuttgart konnte dies nun für 1,9 Millionen Euro errichtet werden.
Insgesamt ein unglaublicher Kraftakt innerhalb von zwei Jahren, in denen
das Theater auch noch in eine gemeinnützige Gesellschaft mit mehreren
Gesellschaftern umfirmierte.

Stuttgarts neues
Friedrichsbau-Varieté - Blick in den Theatersaal
Stolz ist das
Friedrichsbau-Team um die beiden Geschäftsführer Gabriele Frenzel und
Timo Steinhauer auf die neue Spielstätte. Freilich ist die plüschige
Gemütlichkeit des bisherigen Rundbaus in der L-Bank jedoch einem recht
sachlichen Ambiente gewichen, das durch zusätzliche Dekorationen noch
verschönert werden soll. Im hellen Foyer befinden sich unter anderem
eine große Bar, Stehtische und ein Sitzbereich. Der Theatersaal bietet
nun 342 Plätze an langen Tischreihen, die rechtwinklig zur Bühne stehen.
Darüber spannt sich ein Sternenhimmel aus 150 Lichtern. Anders als am
bisherigen Standort ist auch eine voll ausgestattete Küche vorhanden, so
dass vom neuen Partner Goldrausch-Gastronomie warme Speisen und selbst
Menüs ohne Vorbestellung angeboten werden können. Die neue Bühne ist
deutlich höher, breiter und verfügt über ein höheres Bühnenportal. Damit
können auch „großformatigere“ Darbietungen gezeigt werden. Alles, was
verwendbar war, wurde aus dem bisherigen Theater entfernt und
mitgenommen: Tischbeine (mit neuen, rechteckigen Platten) und Stühle,
Licht- und Tontechnik, Dekorationen zum Beispiel.
  
Ray Martin, Dacia Bridges
In letzter Minute
wurde das Theater so weit fertig, dass es bespielt werden kann. Somit
wird in der aktuellen Show auch auf ein Bühnenbild komplett verzichtet.
Der bekannte Elvis-Interpret Ray Martin und die Stuttgarter Sängerin
Dacia Bridges mit rötlicher Lockenmähne führen mit ihrem Songs durch die
Show, zumeist im Wechsel solistisch, vor der Pause als Duo mit „Rollin’
on the River“. Neben Titeln des King of Rock’n’Roll selbst ist auch
Musik seiner Weggefährten und von Künstlern, die er inspirierte, zu
hören. Ray Martin zum Beispiel singt auch Titel von Johnny Cash, und die
ausstrahlungs- wie stimmstarke Dacia Bridges performt außer eigenen
Songs auch Titel von Tina Turner oder Cher. Das Publikum geht mit, singt
mit, klatscht mit. Auf Episoden oder Erläuterungen zum Leben von Elvis
Presley wird dagegen verzichtet. Regisseur Ralph Sun verlässt sich
allein auf die Kraft der Musik. Freilich ist schade, dass das Orchester
längst eingespart wurde, so dass Martin und Bridges zu
Instrumental-Playbacks singen und performen müssen.
  
Valerie Hormes, Tom Birringer, Beatrice Kessi
Die meisten
artistischen Darbietungen dieses Programms lassen sich eher dem
klassischen Zirkusstil als dem „Cirque Nouveau“ zuordnen. Den Auftakt
macht Valerie Hormes aus dem Abschlussjahrgang 2014 der Berliner
Artistenschule. Sie lässt bis zu vier Hula Hoop-Reifen im
Rock’n’Roll-Rhythmus um Körper, Arme und Beine kreisen. Ebenfalls in
Berlin, allerdings an der Artistenschule „Etage“, wurde Tom Birringer
ausgebildet, der seine Drehungen und Wendungen im Cyrrad in Gestalt
eines etwas biederen Typen mit Karohemd und Karopulunder zeigt. Von
einem romantischen Popsong begleitet wird die klassische Tuchakrobatik
von Beatrice Kessi. Die ausgebildete Tänzerin wechselte vor zwei Jahren
ins artistische Fach. Nach Genickhang und Abfaller kreiselt sie kopfüber
an den Tüchern.
  
Sebastian
Stamm, Valentino Bihorac, Beatrice Kessi
Valentino Bihorac
stammt eigentlich aus Bosnien, gibt auf der Bühne jedoch stets den
heißblütigen Latino. Zu entsprechender Musikbegleitung jongliert er
jeweils fünf Bälle und Fußbälle sowie vier Keulen – letzteres auch,
während er einen Ball auf seinem Kopf dopsen lässt. Zum Abschluss hält
er fünf Ringe in der Luft. Gleichzeitig balanciert er auf seinem Kopf
eine Stange, auf deren oberen Ende ein Ball ruht. Starker Applaus ist
der Lohn für einen starken Auftritt. Sebastian Stamm war 2011
Halbfinalist beim RTL-„Supertalent“ und wurde zum „Mister Pole Dance
Germany 2013“ gewählt. Bei seiner Akrobatik am Chinesischen Masten
erntete er nicht nur Jubel, als er die Jacke ablegt und den muskulösen
Oberkörper freimacht. Vor allem gibt es Beifall, wenn er den Salto am
Mast zeigt, Variationen der Flagge präsentiert oder das Requisit
kopfüber hinunterrutscht, um knapp über dem Boden zu bremsen. Für ihre
zweite Luftdarbietung neben dem Tuch hat sich Beatrice Kessi den Ring
ausgesucht. Hier kombiniert sie Akrobatik mit Gesang.
  
Melanie Chy, Trio To-Ri-Mi
Die drei Damen des
Trio To-Ri-Mi von der Circusschule Kiev präsentieren Kontorsion und
Akrobatik zu sphärischer Musik. Pyramide, einarmige Handstände und
Waagefiguren, ineinander verschlungene Figuren und Brücken, darunter
auch neue und überraschende Elemente, gehören zu dieser überzeugenden
Kür. Für die Schlussnummer konnte eine der ganz bekannten und
etablierten Varieté-Künstlerinnen gewonnen werden: Auf ihrer glänzenden,
sich drehenden Harley Davidson zelebriert Melanie Chy ihre eleganten
Handstände zu krachenden Sounds. |