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Stuttgart, 21.
Juli 2006:
Das
ist also 9xNEU: sieben Absolventen der
Berliner Schule
für Artistik plus zwei junge Künstler, die im nächsten
Jahr den Abschluss
machen werden. Sie sind gemeinsam auf Tournee, um sich in
der Welt des
Varieté bekannt zu machen. Unter anderem traten sie
im Stuttgarter Friedrichsbau auf. |
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Tanja
Bieri, Marie Bitaróczky, Christoph Haese, Paul Chen
Ich höre das Tuch knistern, den Stoff
über die Jeans der Artistin reiben; einmal trifft das
Tuch mich sogar an der Schulter: Inmitten des
Zuschauerraumes zeigen die Luftartisten ihre Kunst
mehr Nähe zum Publikum geht nicht. Die Dame am
Vertikaltuch ist Tanja Bieri, eine junge Schweizerin;
ihre Nummer ist ganz klassisch gehalten. Die
melancholische Musik mit Gesang einer Frauenstimme
I cant fly verleiht später der
Vertikalseil-Darbietung von Marie Bitaróczky eine ganz
besondere Intensität. Die junge Künstlerin wechselt im
Laufe ihrer Nummer ans Schwungseil und krönt ihren
Auftritt mit schwierigen Tricks, unter anderem einem
Abfaller, nach dem sie sich nur noch mit dem Seil um die
Fersen hält. Die originellste artistische Darbietung in
der Luft und des ganzen Abends ist aber die von Christoph
Haese: Er kombiniert zwei sonst von Frauen dominierten
Sparten der Artistik -Solotrapez und Kontorsion
und schafft daraus etwas Neues, besticht künstlerisch
und technisch. Den
größten Applaus erhielt in der besuchten Vorstellung
dagegen Paul Chen: Auf dem Einrad ist er nicht nur ein
Könner, sondern in den Disziplinen Einzelkür und
Weitsprung sogar Weltmeister des Jahres 2002. Er springt,
zu hartem E-Gitarren-Sound, mit dem Einrad zum Beispiel
über die Konstruktion Plattform Trampolin
Plattform hinweg. Oder liegt bäuchlings auf dem
Einradsattel und bewegt das Gefährt vorwärts, in dem er
das Gummirad mit bloßen Händen dreht. Die Bond-Girls
Nina und Nina verkaufen ihre
Hand-auf-Hand-Akrobatik vor dem Finale als turbulente
Verfolgungsjagd gegen James Bond mit Stimme
aus dem Off und der bekannten Musik der 007-Filme. Nur
müssten sie, bei dieser Choreographie, eigentlich eher
finster dreinschauen, statt ihre Tricks mit strahlendem
Lächeln vorzuführen. Wie wärs mit etwas böserer
Optik? |
   
Nina und Nina, Chantall, Florian
Zumkehr, Felix Koch
Zwei
Artisten werden also erst in einem Jahr zur Abschlussprüfung antreten;
ihre Darbietungen sind aber bereits jetzt sehenswert: Der 17-jährige
Felix Koch jongliert mit Ringen, Bällen und Keulen – und mit den Keulen
sogar äußerst geschickt unter seinen Beinen hindurch. Bei Florian Zumkehr ist es das einfache, aber
vielseitig genutzte Requisit, das die Nummer so originell
macht: ein einfacher Holzstuhl, den er in alle möglichen
Positionen wendet. Einmal steht der Stuhl sogar auf dem
Kopf, nur auf der Lehne, und Zumkehr macht darauf einen
Handstand. Die Leiter-Balance von Jette musste in der
besuchten Vorstellung verletzungsbedingt ausfallen;
dafür sprang Maik M. Paulsen mit einer humorvollen
Jonglage ein: Er hat im vergangenen Jahr an der
Artistenschule absolviert und nun, gemeinsam mit Paul
Chen, als Gesellschafter einer eigens gegründeten GbR
die Absolventen-Tournee organisiert. Die Teile zu einem
Ganzen verweben der gemeinsame Eröffnungstanz der jungen
Künstler, ein wunderbar choreographiertes Finale mit
vielen Zugaben und die überaus witzige,
anzüglich-selbstironische Conférence von Chantall, die
bereits vor längerer Zeit an der Artistenschule
absolviert hat und nun verstärkt als Moderatorin
arbeitet. Das Publikum zwar nicht besonders
zahlreich, aber dafür erfreulich jung ließ sich
den Abend über sommerleicht-unbeschwert unterhalten und
bedankte sich mit begeistertem Applaus. |
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Text: Markus Moll; Fotos: Markus Moll,
Veranstalter
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