Rot auf die
Wangen, Weiß um Augen und Mund, schwarze Linien für die Konturen:
Vor dem Badspiegel in ihrem großen Wohnwagen verwandelt sich die
27-jährige Sonja Probst in die Clownesse Lolli. Nur zehn Minuten
dauert die Prozedur. Wenig später wird sie mit ihrem feinen Humor
die Circusbesucher unterhalten. Sonja Probst mag die Rolle als
Spaßmacherin – doch ihr Lebenstraum war eine Karriere als
Luftartistin. Ein schlimmer Unfall setzte dem Traum ein jähes Ende.
Es war 1999, bei einer Vorstellung in Meerbusch bei Düsseldorf. Hoch
unter der Zirkuskuppel drehte sie sich am Vertikalseil. Und stürzte
ab. Mit dem Kopf voran. Aus neun Metern Höhe. Es war wie ein Wunder,
dass die damals 15-Jährige überlebte. Bis heute fällt es ihr schwer,
über den Unfall zu sprechen, die Stimme zittert. Was zu dem Absturz
geführt hat? Sie weiß es nicht. Jede Erinnerung an diesen Tag ist
ausgelöscht. Ihr Schädel war vielfach gebrochen, „ab dem Genick
alles kaputt“, sagt sie. Vier Wochen lang befand sich Soja Probst in
akuter Lebensgefahr. „Ich habe nur überlebt, weil mein Körper so
durchtrainiert war.“ Sie lag im Koma, wurde 13 Stunden lang
operiert, 15 weitere Eingriffe folgten. Schrauben und Eisenplatten
brachten ihre Schädelknochen wieder in die richtige Form. Heute hat
sie keinen Geruchsinn mehr, wird von Kopfschmerzen geplagt, muss
jeden Tag Medikamente nehmen. Doch Sonja Probst gab nicht auf. „Ich
habe gelernt, das Leben mit anderen Augen zu sehen, dankbar zu sein
und Prioritäten zu setzen.“ Der Glaube an Gott und der Zusammenhalt
in der Familie halfen ihr, neuen Mut zu finden, besonders ihre
Mutter Brigitte gab ihr Kraft. „Der Unfall hat uns wirklich
zusammengeschweißt. Wir haben viel darüber gesprochen, ich wollte
alles wissen. Das hat viel dazu beigetragen, alles zu verarbeiten.“
  
Sonja
Probst beim Circusfestival in Tournai (Belgien), am Vertikalseil und
als Clown-Debütantin mit Oliver Häberle
Sonja Probst
war ein hoffnungsvolles Nachwuchstalent als Luftartistin. 1992
gewann sie mit acht Jahren den "Silbernen Elefanten" beim
"Europäischen Circus Nachwuchs Festival" in Wiesbaden (heute
European Youth Circus), zwei Jahre später den "Prix du Cirque Royal
de Bruxelles" beim Festival "La Piste aux Espoirs" ("Manege der
Hoffnung") im belgischen Tournai. Der Absturz in Meerbusch machte
zunächst alle Hoffnung zunichte. Doch 2004 kehrte sie in die Manege
zurück. Clown Olli (alias Oliver Häberle) suchte eine Partnerin und
fragte Sonja, ob sie mitmachen würde. „Fass’ dir mal an den Kopf“,
entgegnete sie ihm. Doch ihre Mutter überzeugte sie. „Dann bist du
wieder dabei in der Show, das kannst du doch“, sagte die Mutter.
Sonja ließ sich auf einen Versuch ein. Und es machte Freude.
Clown-Profi Olli half Sonja, das Gespür für Gags und Mimik zu
entwickeln, kreierte mit ihr die markante Lockenwickler-Frisur, gab
Tipps und Rat. Und so nannte Sonja Probst ihre Clownsfigur Lolli
nach ihrem Lehrmeister Olli. „Ich bin ihm wirklich dankbar, dass er
mich auf diesen Weg geführt hat, auch wenn ich mich als Clownesse am
Anfang geschämt habe.“ Nachdem Oliver Häberle Ende 2004 den Circus
Probst verließ, arbeitete Sonja Probst zunächst für zwei Jahren mit
Norbert Nowak alias Clown Nobby zusammen. „Er hat mir sehr geholfen,
weiter an meiner Clownsfigur zu arbeiten“, sagt Sonja. Nobby habe
sie als seine Nachfolgerin betrachtet, überließ ihr später seine
Requisiten und Reprisen, die Sonja zum Teil weiterentwickelte. Heute
ist sie alleine verantwortlich für den Humor bei Probst, genießt das
Lachen im Publikum und die positiven Zuschauerstimmen nach der
Vorstellung. „Ich versuche wirklich, das Beste aus der Situation zu
machen und kann meine neue Aufgabe erfüllen.“ Erst kürzlich kreierte
sie eine ganz neue Schleuderbrett-Reprise mit ihrem Hund. „Natürlich
gab es solche Schleuderbrett-Parodien schon öfter, aber noch nicht
mit einem Hund und nicht in dieser Form“, meint Sonja. Ohnehin sei
es sehr schwierig, etwas zu machen, das wirklich noch nie da war.
Bei ihren Auftritten setzt sie stets auf eine Komik der leisen Töne
und verzichtet darauf, Zuschauer in die Manege zu holen und
bloßzustellen. „Lolli will stets ganz ladylike sein, aber das
gelingt ihr nicht“, beschreibt sie ihre Rolle. Nachdem sie ganz zu
Anfang noch eine „Hosenrolle“ als männlicher Clown spielte, wurde
sie bald zur Clownesse mit der Lockenwickler-Frisur, die bis heute
blieb. Kostüm und Make-up änderten sich dagegen mit der Zeit. „Seit
ich auf die aufgeklebte rote Nase verzichte, haben weniger Kinder
Angst“, sagt sie. Dafür trägt sie heute Glitter im Gesicht. „Das
mögen die kleinen Mädchen.“
  
Vielseitige
Clownesse Lolli
Als Sonja
Probst selbst ein kleines Mädchen war, wechselte sie zunächst von
Gastspielstadt zu Gastspielstadt die Schule. Nach der Grundschulzeit
ging sie dann zunächst auf das Gymnasium in Neustadt an der
Weinstraße und lebte dort unter der Woche bei den Großeltern, war
nur am Wochenende beim Circus. Nach der 6. Klasse wollte sie aber
wieder „nach Hause“ zum Circus. „Es war eine schöne Zeit in
Neustadt, die ich nicht missen wollte, aber mir hat einfach etwas
gefehlt.“ Sie wurde nun
durch die Schule
für reisende Circuskinder in Nordrhein-Westfalen unterrichtet und
legte dort den Realschulabschluss mit Qualifikation und einer
hervorragenden Gesamtnote von 1,5 ab.
Für die
Zukunft plant Sonja, das Lebenswerk ihrer Eltern gemeinsam mit den
Geschwistern Sonja und Andreas fortzuführen. „Wir stehen alle drei
wirklich mit Herzblut hinter diesem Unternehmen und haben früh
versucht, uns mit eigenen Ideen einzubringen.“ Täglich von 10 bis 13
Uhr sitzt Sonja Probst an der Circuskasse, anschließend unterstützt
sie ihre Mutter bei der Büroarbeit, insbesondere bei Buchhaltung und
Einkauf.
 
Sonja
Probst mit Freund Tony und Schwester Sonja auf Kuba
Die große
Liebe hat Sonja Probst in dem kubanischen Artisten Antonio Fernandez
Rosales (31) gefunden, mit dem sie seit mehr als eineinhalb Jahren
zusammen ist. Es war im Winter 2009/2010, als die Truppe CirKaribe
zum Circus Probst kam. „Es hieß ja, die können alle kein Englisch,
deshalb habe ich mir einen CD-Kurs für Spanisch besorgt, um den
Artisten das Notwendigste verklickern zu können.“ Heute spreche
Antonio, genannt Tony, schon ganz gut Deutsch – und Anfang des
Jahres besuchte Sonja, gemeinsam mit ihrer Schwester Stephanie, auch
seine kubanische Heimat. „Wir waren ein paar Tage im Hotel, haben
aber auch einige Zeit bei seiner Familie gelebt. Dabei hat man Kuba
gesehen, wie man es sonst nicht mitkriegt. Wenn du nur im Hotel
bist, dann hast du Kuba nicht gesehen.“ Und auch wenn beim Circus
Probst die Truppe CirKaribe einmal durch andere Artisten ersetzt
wird, werde ihr Tony bleiben, sagt Sonja Probst: „Er hat einen
Vertrag auf Lebenszeit bei mir.“ Privat geht sie außerdem
leidenschaftlich gerne zum Shoppen, kümmert sich um ihren Hund oder
geht ins Kino. Generell genießt sie die Freiheiten, die das
Artistenleben bietet. „Man kann in der Manege wirklich aus sich
herausgehen.“ Nach ihrem Unfall schien die Rückkehr ins
Scheinwerferlicht lange Zeit ausgeschlossen. Doch wie heißt es beim
Zirkus? „Willenskraft Wege schafft.“ |