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Patrick Philadelphia
Betriebsleiter, Tagesregisseur und Sprechstallmeister

Karlsruhe, 9. Juli: „Nein, Artist werden wollte ich nie“, sagt Patrick Philadelphia. Schon als kleiner Junge habe es ihn vielmehr interessiert, wie ein Circus von A nach B kommt. Und so verwundert es nicht, dass der heute 37-Jährige bereits in der 16. Saison beim Circus Roncalli als Betriebsleiter fungiert – dort also die logistischen Fäden in der Hand hält. Ein bisschen Artist ist Philadelphia bei Roncalli dann aber doch: Mit sonorer Stimme und leicht überheblicher Körperhaltung gibt er in der Show perfekt den blasierten Sprechstallmeister im roten Reitfrack. Außerhalb der Manege ist von dieser gespielten Arroganz zum Glück nichts mehr zu spüren. Stattdessen präsentiert sich Patrick Philadelphia im Gespräch mit Chapiteau.de als sympathischer und auskunftsfreudiger Zeitgenosse.


Sonore Stimme und leicht überhebliche Körperhaltung: Patrick Philadelphia als Sprechstallmeister.

Und so mag man kaum glauben, dass Philadelphia als Tagesregisseur – der dritte Aufgabenbereich, den er bei Roncalli inne hat – auch mal die Peitsche schwingen muss – als Abwechslung zum sprichwörtlichen Zuckerbrot versteht sich. Während ihm als Betriebsleiter die Techniker und Requisiteure unterstellt sind, ist er als Tagesregisseur auch Chef der Artisten. Oberste Maxime dabei: „Die Show steht über allem.“ So dürfe man in der Manege zum Beispiel auf keinen Fall sehen, wenn sich zwei im normalen Leben nicht leiden könnten. Philadelphia überwacht als Tagesregisseur aber auch das Verhalten der Artisten beim berühmten Roncalli-Einlass. „Der ist Teil der Show“, betont Philadelphia. Es könne also nicht sein, dass die Beteiligten dem Publikum gegenüber unfreundlich sind oder beim Schminken der roten Nasen dauerhaft lustlos wirken. Einen schlechten Tag lässt Philadelphia den Artisten dabei durchaus durchgehen, aber schon beim zweiten gibt es eine Rüge im persönlichen Gespräch. Zeigt der Artist dann immer noch keine Einsicht, folgt ein öffentlich ausgehängtes Avis. Die Rolle des harten Hunds liegt Philadelphia dabei eigentlich gar nicht und so setzt er in erster Linie auf das persönliche Gespräch, in dem er versucht, den Übeltäter zur Einsicht zu bringen. Da es aber seine Aufgabe sei, „durchzusetzen, was mein Chef Bernhard Paul will“, könne er nicht alles auf freundschaftlicher Basis regeln. Und weiter: „Ein Artist, der sich in das ‚System Roncalli‘ nicht einfügt, wird hier nicht alt.“ Entscheidend für das „System Roncalli“ sei, dass der Circus meistens sehr lange auf einem Platz stehe und man daher auch relativ viel Freizeit habe. Für das Betriebsklima sei es daher immens wichtig, dass sich die Artisten und Angestellten auch privat verstünden. Zumindest soweit, dass eigene „Befindlichkeiten“ – zum Beispiel bei der Platzierung des Campings - nicht über Hand nehmen. „Schließlich sei auch klar, dass man nicht jeden auf dem Platz leiden kann“, räumt Philadelphia ein. Eigenbrötler sind bei Roncalli aber dennoch nicht gerne gesehen.

Geboren wurde Patrick Philadelphia 1974 beim Circus Krone. Sein Vater Karlheinz arbeitete dort mit Pferden, Elefanten und Exoten. Wie überhaupt die Familie Philadelphia eng mit Krone verbunden ist: Friederike Philadelphia war die Ehefrau von Carl Krone senior und die Mutter von Circusgründer Carl Krone junior. Stammvater der Philadelphias ist im übrigen der US-Amerikanische Zauberkünstler Jacob Meyer, der als Künstlernamen den Namen seiner Geburtsstadt Philadelphia annahm und 1757 nach Europa auswanderte. Doch zurück zu Patrick Philadelphia: Einen großen Teil seiner Kindheit verbrachte er – wie auch seine Schwester Nataly – sesshaft, nachdem sein Vater in der Nähe von München eine Reitschule eröffnet hatte.


Geraldine Philadelphia


Als Betriebsleiter hält Philadelphia die logistischen Fäden in der Hand.

Erst 1985 zog es die Familie wieder auf die Reise. Beim neu gegründeten Circus Carelli war Vater Philadelphia für Restauration und Presse verantwortlich. Als sich Namensgeber Carl Busch schon nach ein paar Monaten aus dem Geschäft zurück zog, erlebte Philadelphia die Geburtsstunde des Circus Barelli. Die Familie von Eschi Spindler, die die Zeltanlagen und den Fuhrpark des Circus gestellt hatte, übermalte einfach das „C“ auf den Circuswagen mit einem „B“. Patrick Philadelphia und seine Familie blieben dem Circus Barelli bis 1989 treu. „Ich habe dort viel für meine Arbeit als Betriebsleiter gelernt“, erinnert sich Philadelphia heute: „Zelt aufbauen, Wagen stellen, Pferde vorführen.“ Ab 1990 reiste Patrick dann allein. Bevor er 1996 bei Roncalli anheuerte, war er zunächst zwei Jahre beim Circus Hellas der Familie Meise, dann erneut zwei Jahre bei Barelli und ab 1994 beim Circus „Flic Flac“. Der Circus der Kastein-Brüder ritt damals zwar noch auf der Nostalgiewelle, war aber schon ein ziemlich „technischer Circus“. Für Philadelphia als Zeltmeister und Abendregisseur gab es also viel zu tun. Darüber hinaus lernte Philadelphia bei „Flic Flac“ seine rumänische Frau, die ehemalige Schleuderbrett-Artistin Eliza kennen. Zusammen haben sie zwei Kinder: den fünfjährigen Justin und die 15-jährige Geraldine. Die Tochter will unbedingt Artistin werden, möchte gleichzeitig aber auch ihr Abitur machen, wie ihr Vater beruhigt feststellt. Beruhigt deshalb, weil Philadelphia die Zukunft des Circus nicht gerade rosig einschätzt.


Philadelphia mit Weißclown Gensi

„Ich rate jedem davon ab, heute einen Circus anzufangen.“ Das Problem, so Philadelphia, sind zum einen die Bürokraten, die dem Circus mit immer neuen Vorschriften und Gebühren, das Überleben fast unmöglich machen. Und zum anderen sei es heute ungemein schwer, dem Event-verwöhnten Publikum den Circusbesuch – selbst den bei Roncalli - schmackhaft zu machen. Die Crux sei dabei nicht, dass den Zuschauern die Roncalli-Show nicht gefalle, sondern, dass für sie „Circus gleich Circus ist“. Wenn ein Circus in die Stadt komme, entschieden sich viele gegen einen Besuch, weil sie vermuteten wieder nur 0815-Kinderbelustigung zu sehen zu bekommen. Circusse, wie Flic Flac, Krone, Charles Knie oder Roncalli, die wirklich ein spezielles, auch für Erwachsene attraktives Programm bieten, hätten es dementsprechend enorm schwer gegen diesen ramponierten Ruf des Circus anzukämpfen. Besonders hart am eigenen Leib erfahren hat das Roncalli im vergangenen Jahr in Amsterdam. Die wenigen Besucher, die dort die Shows besuchten, waren zwar restlos begeistert, gaben aber nach der Show zu Protokoll: „Wir hätten nie erwartet, im Circus etwas so Tolles zu sehen.“ Dem Publikum klar zu machen, dass Circus eben nicht gleich Circus ist, gehört damit zu den entscheidenden Aufgaben der Circus-Öffentlichkeitsarbeit. Einen differenzierten Blick hat Philadelphia auch auf das Thema „Tiere im Circus“. Als Sprössling einer Familie von Tierlehrern – Wilhelm Philadelphia, einer seiner Vorfahren, hat unter anderem den Tiger zu Pferd dressiert – sagt er natürlich: „Ein Circus ohne Tiere ist kein Circus.“


Als Praktiker sieht er aber auch die Schwierigkeiten, die das Mitführen von exotischen Tieren – Stichwort „Tierschützer-Proteste“ – mit sich bringt. Was den Circus Roncalli angeht, ist er sogar der Meinung: „So leid mir das persönlich tut, exotische Tiere sind bei uns in der heutigen Zeit nicht mehr zu machen.“ Ein Problem seien vor allem die Innenstadtplätze, die Roncalli mit Vorliebe bespielt. Dort sei schlicht nicht genug Platz, um die in den Leitlinien geforderten Anforderungen für Freigehege zu erfüllen. Bei Roncalli wird es daher weiterhin vermutlich nur Pferde zu sehen geben. Doch bei aller Skepsis über die Zukunft des Circus und gelegentlichen Zeiten, in denen „man einfach keine Lust mehr hat“, will Philadelphia eines nicht missen: das Leben auf der Reise. Zwar hat Philadelphia für sich und seine Familie mittlerweile ein Haus in der Nähe von Köln gebaut, aber wenn er ehrlich ist, hält er es dort meist nicht lange aus: „Nach zwei Monaten will man wieder raus!“ Philadelphia sehnt sich nach der Abwechslung, die die wechselnden Gastspielstädte mit sich bringen, und vermisst es, neue Leute kennenzulernen. Und letztlich hat Philadelphia auch noch ein Fünkchen Hoffnung für die Zukunft des Circus. Dafür müssten die Macher allerdings umdenken: „Wer in Zukunft als Circus Erfolg haben will, muss weg von den reizlosen Nummernprogrammen. Stattdessen braucht er ein Konzept, das ihn zu etwas Besonderem macht.“

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Text: Sven Rindfleisch; Fotos: Tobias Erber, Sabine Pieper, Sven Rindfleisch