
Sonore Stimme und
leicht überhebliche Körperhaltung: Patrick Philadelphia als
Sprechstallmeister.
Und so mag man kaum
glauben, dass Philadelphia als Tagesregisseur – der dritte
Aufgabenbereich, den er bei Roncalli inne hat – auch mal die
Peitsche schwingen muss – als Abwechslung zum sprichwörtlichen
Zuckerbrot versteht sich. Während ihm als Betriebsleiter die
Techniker und Requisiteure unterstellt sind, ist er als
Tagesregisseur auch Chef der Artisten. Oberste Maxime dabei: „Die
Show steht über allem.“ So dürfe man in der Manege zum Beispiel auf
keinen Fall sehen, wenn sich zwei im normalen Leben nicht leiden
könnten. Philadelphia überwacht als Tagesregisseur aber auch das
Verhalten der Artisten beim berühmten Roncalli-Einlass. „Der ist
Teil der Show“, betont Philadelphia. Es könne also nicht sein, dass
die Beteiligten dem Publikum gegenüber unfreundlich sind oder beim
Schminken der roten Nasen dauerhaft lustlos wirken. Einen schlechten
Tag lässt Philadelphia den Artisten dabei durchaus durchgehen, aber
schon beim zweiten gibt es eine Rüge im persönlichen Gespräch. Zeigt
der Artist dann immer noch keine Einsicht, folgt ein öffentlich
ausgehängtes Avis. Die Rolle des harten Hunds liegt Philadelphia
dabei eigentlich gar nicht und so setzt er in erster Linie auf das
persönliche Gespräch, in dem er versucht, den Übeltäter zur Einsicht
zu bringen. Da es aber seine Aufgabe sei, „durchzusetzen, was mein
Chef Bernhard Paul will“, könne er nicht alles auf
freundschaftlicher Basis regeln. Und weiter: „Ein Artist, der sich
in das ‚System Roncalli‘ nicht einfügt, wird hier nicht alt.“
Entscheidend für das „System Roncalli“ sei, dass der Circus meistens
sehr lange auf einem Platz stehe und man daher auch relativ viel
Freizeit habe. Für das Betriebsklima sei es daher immens wichtig,
dass sich die Artisten und Angestellten auch privat verstünden.
Zumindest soweit, dass eigene „Befindlichkeiten“ – zum Beispiel bei
der Platzierung des Campings - nicht über Hand nehmen. „Schließlich
sei auch klar, dass man nicht jeden auf dem Platz leiden kann“,
räumt Philadelphia ein. Eigenbrötler sind bei Roncalli aber dennoch
nicht gerne gesehen.
Geboren wurde Patrick
Philadelphia 1974 beim Circus Krone. Sein Vater Karlheinz arbeitete
dort mit Pferden, Elefanten und Exoten. Wie überhaupt die Familie
Philadelphia eng mit Krone verbunden ist: Friederike Philadelphia
war die Ehefrau von Carl Krone senior und die Mutter von
Circusgründer Carl Krone junior. Stammvater der Philadelphias ist im
übrigen der US-Amerikanische Zauberkünstler
Jacob Meyer,
der als Künstlernamen den Namen seiner Geburtsstadt Philadelphia
annahm und 1757 nach Europa auswanderte. Doch zurück zu Patrick
Philadelphia: Einen großen Teil seiner Kindheit verbrachte er – wie
auch seine Schwester Nataly – sesshaft, nachdem sein Vater in der
Nähe von München eine Reitschule eröffnet hatte. |

Geraldine Philadelphia |
  
Als Betriebsleiter
hält Philadelphia die logistischen Fäden in der Hand.
Erst 1985 zog es die
Familie wieder auf die Reise. Beim neu gegründeten Circus Carelli war Vater Philadelphia für Restauration und Presse
verantwortlich. Als sich Namensgeber Carl Busch schon nach ein paar
Monaten aus dem Geschäft zurück zog, erlebte Philadelphia die
Geburtsstunde des Circus Barelli. Die Familie von Eschi Spindler,
die die Zeltanlagen und den Fuhrpark des Circus gestellt hatte,
übermalte einfach das „C“ auf den Circuswagen mit einem „B“. Patrick
Philadelphia und seine Familie blieben dem Circus Barelli bis 1989
treu. „Ich habe dort viel für meine Arbeit als Betriebsleiter
gelernt“, erinnert sich Philadelphia heute: „Zelt aufbauen, Wagen
stellen, Pferde vorführen.“ Ab 1990 reiste Patrick dann allein.
Bevor er 1996 bei Roncalli anheuerte, war er zunächst zwei Jahre
beim Circus Hellas der Familie Meise, dann erneut zwei Jahre bei
Barelli und ab 1994 beim Circus „Flic Flac“. Der Circus der
Kastein-Brüder ritt damals zwar noch auf der Nostalgiewelle, war
aber schon ein ziemlich „technischer Circus“. Für Philadelphia als
Zeltmeister und Abendregisseur gab es also viel zu tun. Darüber
hinaus lernte Philadelphia bei „Flic Flac“ seine rumänische Frau,
die ehemalige Schleuderbrett-Artistin Eliza kennen. Zusammen haben
sie zwei Kinder: den fünfjährigen Justin und die 15-jährige
Geraldine. Die Tochter will unbedingt Artistin werden, möchte
gleichzeitig aber auch ihr Abitur machen, wie ihr Vater beruhigt
feststellt. Beruhigt deshalb, weil
Philadelphia die Zukunft des Circus nicht gerade rosig einschätzt.

Philadelphia mit
Weißclown Gensi |
„Ich rate jedem davon ab, heute einen Circus anzufangen.“ Das
Problem, so Philadelphia, sind zum einen die Bürokraten, die dem
Circus mit immer neuen Vorschriften und Gebühren, das Überleben fast
unmöglich machen. Und zum anderen sei es heute ungemein schwer, dem
Event-verwöhnten Publikum den Circusbesuch – selbst den bei Roncalli
- schmackhaft zu machen. Die Crux sei dabei nicht, dass den
Zuschauern die Roncalli-Show nicht gefalle, sondern, dass für sie
„Circus gleich Circus ist“. Wenn ein Circus in die Stadt komme,
entschieden sich viele gegen einen Besuch, weil sie vermuteten
wieder nur 0815-Kinderbelustigung zu sehen zu bekommen. Circusse,
wie Flic Flac, Krone, Charles Knie oder Roncalli, die wirklich ein
spezielles, auch für Erwachsene attraktives Programm bieten, hätten
es dementsprechend enorm schwer gegen diesen ramponierten Ruf des
Circus anzukämpfen. Besonders hart am eigenen Leib erfahren hat das
Roncalli im vergangenen Jahr in Amsterdam. Die wenigen Besucher, die
dort die Shows besuchten, waren zwar restlos begeistert, gaben aber
nach der Show zu Protokoll: „Wir hätten nie erwartet, im Circus
etwas so Tolles zu sehen.“ Dem Publikum klar zu machen, dass Circus
eben nicht gleich Circus ist, gehört damit zu den entscheidenden
Aufgaben der Circus-Öffentlichkeitsarbeit. Einen differenzierten
Blick hat Philadelphia auch auf das Thema „Tiere im Circus“.
Als Sprössling einer Familie von Tierlehrern – Wilhelm
Philadelphia, einer seiner Vorfahren, hat unter anderem den
Tiger zu Pferd dressiert – sagt er natürlich: „Ein Circus ohne
Tiere ist kein Circus.“ |
Als Praktiker sieht er aber auch die Schwierigkeiten, die
das Mitführen von exotischen Tieren – Stichwort
„Tierschützer-Proteste“ – mit sich bringt. Was den Circus Roncalli
angeht, ist er sogar der Meinung: „So leid mir das persönlich tut,
exotische Tiere sind bei uns in der heutigen Zeit nicht mehr zu
machen.“ Ein Problem seien vor allem die Innenstadtplätze, die
Roncalli mit Vorliebe bespielt. Dort sei schlicht nicht genug Platz,
um die in den Leitlinien geforderten Anforderungen für Freigehege zu
erfüllen. Bei Roncalli wird es daher weiterhin vermutlich nur Pferde
zu sehen geben. Doch bei aller Skepsis über die Zukunft des Circus
und gelegentlichen Zeiten, in denen „man einfach keine Lust mehr
hat“, will Philadelphia eines nicht missen: das Leben auf der Reise.
Zwar hat Philadelphia für sich und seine Familie mittlerweile ein
Haus in der Nähe von Köln gebaut, aber wenn er ehrlich ist, hält er
es dort meist nicht lange aus: „Nach zwei Monaten will man wieder
raus!“ Philadelphia sehnt sich nach der Abwechslung, die die
wechselnden Gastspielstädte mit sich bringen, und vermisst es, neue
Leute kennenzulernen. Und letztlich hat Philadelphia auch noch ein
Fünkchen Hoffnung für die Zukunft des Circus. Dafür müssten die
Macher allerdings umdenken: „Wer in Zukunft als Circus Erfolg haben
will, muss weg von den reizlosen Nummernprogrammen. Stattdessen
braucht er ein Konzept, das ihn zu etwas Besonderem macht.“
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