
Am Elefantenpaddock |
Frankfurt, 2.
August 2008: „Patra, allez!, „Buni,
allez!“ Die Stimme von Tierlehrer Marek Jama schallt laut durch das
Chapiteau des Zirkus Charles Knie, als er mit den beiden alten
Elefantendamen die tägliche Morgenarbeit in der Manege absolviert. Immer
wieder laufen die Elefanten im Kreis, später kommen sie auf ihrer
Trainer zu und sollen bei jedem Schritt ein Vorderbein heben. „Lift!“,
ruft Marek das Kommando. Die bunten Scheinwerfer leuchten nicht, nur
einige Strahler werfen ein wenig Licht aus der Kuppel. Der Tiertrainer
trägt ein gestreiftes, enges Muskelshirt und graue Shorts, Turnschuhe.
Vier Tierpfleger beobachten die Probe im Hintergrund, helfen bei Bedarf,
ansonsten ist das Zirkuszelt fast menschenleer – nur ein paar Arbeiter
sammeln Flaschen und sonstigen Müll zwischen den Sitzreihen der Tribüne. |
Die Auftritte in
den Vorstellungen, im Kostüm, mit Musik und Lichterglanz, Ballettgirls
und Applaus machen den kleinsten Teil des Arbeitstages von Marek Jama
(32) aus. Viele Stunden dagegen verbringt er mit Tierproben und bei der
Arbeit in den Stallungen. Seine Schützlinge: Acht Pferde und sechs
Ponys, zwei Elefanten, Emus, Känguru, sechs Lamas, fünf Kamele und zwei
Zebras, Rinder mit großen Hörnern und Papageien, Tauben,
Hängebauschweine, Ziegen… da ist immer etwas zu tun. Seit Saisonbeginn
trägt Marek die Verantwortung für den großen, hauseigenen Tierbestand
des Zirkus; 2007 hatte er nur mit den Pferden gearbeitet – damals war
noch sein Kollege Sandro Montez mit auf Tournee, der nun in Frankreich
bei „Arlette Gruss“ engagiert ist. Ab morgens um sieben Uhr ist Marek
jeden Tag in der Tierschau zu Gange. Zunächst gießt er die vielen
Kübelpflanzen, die er hier auf dem Frankfurter Festplatz an den Gehegen
aufgestellt hat, dann macht er bei den Papageien sauber und kontrolliert
später die Arbeit der vier Tierpfleger in den Ställen. Ihr Dienstbeginn
ist um acht. Kurz nach neun beginnt Marek an diesem Samstagmorgen mit
den Proben, die Elefanten sind zuerst an der Reihe – alte Damen von etwa
45 und 50 Jahren, die eigentlich Ex-Circusdirektor Corty Althoff
gehören. Für Marek ist die Arbeit mit den Elefanten etwas Neues, und
deshalb arbeitet er zurzeit auch am liebsten mit diesen Tieren. „Corty
hat mir gezeigt, wie es geht, außerdem war ich ja in der vergangen
Saison oft dabei im Stallzelt und in der Vorstellung und kannte daher
die Kommandos“. Und bereits 2007 hat Marek die Elefanten schon einmal
vertretungsweise vorgeführt: „Sandro war kurz im Krankenhaus, da bin ich
für drei Tage eingesprungen – ganz spontan zwischen der Mittags- und der
Abendvorstellung, ohne Zeit zu probieren.“ Über die Wintermonate hat
Marek die Elefantendressur ausgebaut und um ein paar Tricks erweitert.
„Aber man muss auch das Alter dieser Tiere respektieren und darf nicht
mehr zu viel fordern“, sagt er.
  
Es folgt die
Arbeit mit vier Kamelen: zwei stammen noch aus dem Bestand von Charles
Knie, der seinen Circus vor zwei Jahren an Sascha Melnjak verkauft hat,
zwei wurden vor einigen Monaten vom Schweizer Circus Medrano gekauft,
ebenso wie die exotischen Rinder. Auch zwei Pferde sind neu, so dass in
der Vorstellung aus dem Sechser- bald ein Achterzug werden könnte. Als
die Kamele sich in der Manege hinlegen sollen, ist Marek vor allem mit
seinen Dressurhelfern nicht ganz zufrieden, die die Tiere an Halftern
führen. „Nicht so ziehen! Die Tiere sollen auf die Kommandos hören!“
Marek ist als Tierlehrer vor allem Autodidakt, vieles hat er sich selbst
beigebracht und erarbeitet: „Ich probiere bei der Dressur vieles aus.
Manches klappt und manches nicht – aber mit viel Geduld kommt man
eigentlich immer ans Ziel“. Und tatsächlich: Die „alten“ und „neuen“
Kamele arbeiten gemeinsam schon recht sicher, und noch während des
Frankfurt-Gastspiels möchte Marek die Vierergruppe gemeinsam mit den
beiden Zebras vorführen. Nachdem die vier Kamele wieder in ihren großen
Paddock zurückgekehrt sind, wo das fünfte, ein Jungtier, schon wartet,
und auch die Rinder an der Reihe waren, wird Lama Jaffa ins Zelt geführt
– es soll steigen lernen und dann auf den Hinterbeinen durch die Manege
laufen, zwischen den Rindern hindurch. Marek führt das Lama beim Steigen
noch an der kurz gehaltenen Longe, stupst mit dem Ende des
Peitschenstils sachte an den Kopf des Tieres, ruft „Fest!“ – das Tier
soll die Position länger halten. Es klappt. „Good Boy, braaaav!“
Belohnung. Einige Runden durch die Manege laufen. Wiederholen.
 
Tierproben mit Rindern und
Araberhengst Nassi
Schließlich sind
die braunen Araber dran; nur das neue Pferd läuft – an dritter Position
im Viererzug – noch an der Longe. Laufen – versammeln. Laufen –
versammeln. „Brav!“. Später arbeitet Marek mit den Pferden einzeln,
wiederholt verschiedene Steiger, dann sind abschließend die Schimmel
dran. Nassi, der neue Hengst, läuft vorne, soll Führpferd werden. „Er
ist ganz ruhig und kann so auch die anderen Tiere beruhigen“, sagt
Marek. Auch mit den Schimmeln übt Marek noch einzeln. Nassi soll Steigen
lernen. Marek steht vor dem Tier und führt es an der Longe, streicht
sanft über ein Vorderbein des Tieres, greift den Fuß, hebt ihn
vorsichtig an, ruft ein Kommando – das Tier steigt. Gut zwei Stunden hat
Marek nun mit den verschiedenen Tieren gearbeitet. Am Ende sitzt er auf
einem Manegenkasten und schaut ins Rund – das letzte Pferd läuft zu ihm,
ganz ohne Kommando, und lässt sich tätscheln und streicheln. „Es ist
wirklich noch viel Arbeit“, sagt Marek mit Blick auf den vergrößerten
Tierbestand. Die Papageien-Nummer, die ursprünglich für die Saison 2008
geplant war, hat er erst einmal verschoben: „Die Nummer war zwar fertig,
mit Musik und Kostüm, aber ich will sie erst noch von sechs auf acht
Tiere erweitern – sonst sieht das nach zu wenig aus im großen Zelt.“ |


Artistenschule,
Auftritt in Polen |
Beim ersten
Treffen am Morgen, am Känguru-Gehege, zeigt Marek sich im
Zwiegespräch von Beginn an offen, freundlich, herzlich. In großer
Runde, wie später nach der Abendvorstellung, hält er sich aber eher
zurück – und auch beim Weg zum Mittagessen in einer Pizzeria ist ihm
der Trubel beim Wochenmarkt in der Bornheimer Fußgängerzone zu viel.
Großstädte mag er nicht besonders, sagt er. Bei Lambrusco und Spezi,
Suppe und Lasagne erzählt er, wie er zum Circus kam. Marek stammt
aus bürgerlichen Verhältnissen: Sein Vater sei zu Hause in Polen
Direktor in einer Fabrik, die Mutter Abteilungsleiterin bei einer
Stadtverwaltung gewesen. Dennoch entschied sich Marek nach dem
Abitur, eine Circusschule in seinem Heimatland zu besuchen. „Ich war
schon als Kind immer im Circus gewesen, habe im Garten Circus
gespielt, und mein größtes Interesse galt immer den Tieren.“
Zunächst ließ er sich drei Jahre lang zum Artisten ausbilden. In der
Circusschule entstand, neben der Grundausbildung in verschiedenen
Disziplinen von Jonglage über Einrad bis Seiltanz, eine Darbietung
am Luftperche, die Marek nach der Ausbildung gemeinsam mit einer
Partnerin zwei Jahre beim polnischen Circus Zalewski zeigte.
Schnell kam der
Wechsel vom Artisten zur Präsentation von Tiernummern: „Eine
Freundin vom Circus hat mir das Reiten beigebracht, und wir sind
dann mit einer Hohen Schule aufgetreten. Auch bei den
Freiheitspferden und den Kamelen habe ich immer bei den Proben
zugeschaut und durfte die Nummern später vorführen.“ Schließlich kam
die ursprünglich von Katharina Gasser gezeigte Tiger-Nummer zum
Circus Zalewski. Zu dieser Zeit führte Katharina Gasser, die nicht
mehr mit Raubkatzen auftreten wollte, eine Stachelschwein-Dressur
bei Zalewski vor. Sie brachte Marek den Umgang mit den Tigern bei,
und so stand er bald als Raubtier-Vorführer im Zentralkäfig.
Fünf Jahre
blieb Marek bei Zalewski, die letzten drei arbeitete er
ausschließlich mit Tieren und nicht mehr als Artist. Es folgte eine
Saison beim französischen Cirque Medrano, wo Marek Tiger von Yann
Gruss präsentierte und die Hohe Schule ritt. Auch in der folgenden
Saison war Marek bei einem „Medrano“, dem schweizerischen nämlich.
Dort zeigte er eine Dressur mit zwei Kamelen und zwei Lamas und
aushilfsweise auch die Pferde – zu der Zeit, als Klaus-Dieter
Schuhknecht dort als Dressur tätig war. |
„Von
Klaus-Dieter Schuknecht habe ich bei den Proben viel gelernt, das
ist ein ganz toller Tierlehrer“. Die Saison 2005 verbrachte Marek
beim Circus Reinhard Probst und führte die Exoten und Araberpferde
des Unternehmens anschließend beim Heilbronner Weihnachtscircus vor.
Im Jahr darauf gab es für Marek ein Wiedersehen mit den
Zalewski-Tigern, die er für eine Saison beim Circus Busch-Roland
vorführte, außerdem zeigte er die Tinker-Pferde vom schwedischen
Circus Olympia. Seit 2007 ist Marek nun mit dem „neuen“ Zirkus
Charles Knie unterwegs, präsentierte wie gesagt erst eine Saison
lang die Pferde und nun eben zusätzlich die Exoten und Elefanten.
  
Zurück in der
Tierschau, gibt es immer etwas zu tun. Marek eilt oft mit großen,
schnellen Schritten über den Platz. Eben noch hier – jetzt schon da.
Weist die Arbeiter an, wo sie noch kehren sollen – wenn später die
Besucher der Pausentierschau kommen, soll alles tipp-topp sein. Er
sieht nach der kleinen Verletzung, die eines der Pferde am Bein hat.
Duscht die beiden Elefanten im Außengehege und tränkt sie auf
direktem Weg Schlauch – Rüssel. Frisch geduscht, bewerfen sich die
Dickhäuter sofort wieder mit Sand. Marek schaut zu, auf einer weißen
Gartenbank, die gegenüber dem Elefantengehege steht. Hier macht er
gerne eine kleine Pause. Wenn mehr Zeit ist, geht er in den Zoo –
„in jeder Gastspielstadt, die einen hat“. Dort gefällt es ihm gut:
„Da kann man sich immer wieder hinsetzen, die Tiere beobachten,
weiterlaufen, einen Kaffee trinken, muss nichts reden – das ist
einfach Entspannung.“ Irgendwann in der Zeit nach dem Circusleben
könnte er sich auch vorstellen, einen kleinen Freizeitpark
einzurichten – mit vielen Pflanzen und Tiergehegen.
 
Die
Nachmittagsvorstellung beginnt mit den Exoten und Elefanten. Marek
trägt ein blaues Fantasie-Kostüm wie aus dem Orient und steht hinter
dem Vorhang im Chapiteau. Die Tierpfleger bringen nacheinander die
Tiere: die Kamele und Zebras, die Rinder mit ihren Glocken um den
Hals, Emu und Känguru in rollbaren Käfigen. Bevor die Elefanten ins
Zelt geführt werden, müssen erst die Kamele vom Freigehege in den
Tierwagen gebracht werden – ansonsten weigern sich die Dickhäuter,
daran vorbeizugehen. Die Vorstellung läuft gut, alles klappt. Marek
hat etwas Zeit und berichtet glücklich, dass er die Musik für die
Exoten- und Elefantendressur selbst ausgesucht hat. Und auch in den
Entwurf der neuen Kostüme für ihn und das Ballett hat er viele Ideen
eingebracht. Dann muss er sich wieder umziehen, für die
Pferdenummer. In der Pause wacht er bei den Elefanten, später tritt
er im Finale noch einmal auf. Und wenig später beginnt dann schon
die Abendvorstellung… |
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Text:
Markus Moll; Fotos: Markus Moll, Sven Rindfleisch, Stefan Gierisch, Tobias
Erber, Zirkus Charles Knie, privat
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