Butzbach,
30. September 2005:
Die älteren Circusfreunde werden sich
erinnern: Früher wäre eine Circusshow ohne
Jockeyreiterei undenkbar gewesen. Heute sieht man die
Kombination aus Kunstreiterei und Akrobatik zu Pferde
höchstens noch in dem ein oder anderen Familiencircus -
und seit 2003 mit der fünfköpfigen bulgarischen
Ignatov-Truppe folgerichtig auch bei Barum. Dem deutschen
Circus, der seit Jahren die Fahne des unverfälschten
klassischen Circus hoch hält. Der 36jährige Truppenchef
Ignat Ignatov sieht das Verschwinden dieser klassischen
Circusdisziplin vor allem in einem
Mentalitätswandel in der Circuswelt
begründet. Die Jockeyreiterei sei nun mal eines der
aufwändigsten und arbeitsreichsten Genres im Circus. Zum
einen gelte es täglich zu proben, um das Gefühl
nicht zu verlieren und zum anderen müssten die
Pferde versorgt werden. Die Truppe hat momentan sieben.
Dabei beschlagen die Ignatovs gar die Hufe selbst und
stellen Sattel- und Zaumzeug in Eigenregie her. Ein
13-Stunden-Tag ab acht Uhr morgens ist dabei keine
Seltenheit.
  
Den Silbernen
Clown beim Internationalen Circusfestival von
Monte Carlo 2005, sowie den Spezialpreis der GCD
gewonnen zu haben, betrachtet Ignatov als Lohn für
harte Arbeit. Aber: Wichtiger ist uns
der Eindruck, den wir beim Publikum hinterlassen.
Regelmäßige Jubelstürme, wenn die Ignatovs ihre
rasante Stehendreiterei mit dem von Ivan Todorov
ausgeführten Schlusstrick Rückwärtssalto vom
ersten zum dritten Pferd über einen Mann hinweg
beenden, sprechen in dieser Hinsicht eine mehr als
deutliche Sprache. Neben dem aus Sofia stammenden
Truppenchef und Todorov gehören Nicolai Pavlov, Nicolai
Kovachev und Plamen Hristov zur Ignatov-Stammbesetzung.
Letzterer muss momentan allerdings verletzungsbedingt
pausieren. Bei den Proben zu einem neuen Trick
doppelter Salto von erstem Pferd zu drittem Pferd
kam er unglücklich auf und brach sich ein Bein. Dass
die Nummer trotzdem nicht entscheidend an Qualität
einbüßt, ist der Umsicht Ignatovs zu verdanken. Er achtet genau darauf,
dass jeder „seiner Jungs“ maximal vier Tricks ausführt. |
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Das
habe zum einen den Vorteil, dass das Publikum nicht nur einen,
sondern fünf Artisten „in Action“ sieht und zum anderen „ist so
gewährleistet, dass im Verletzungsfalle die Nummer weiter zu 80
Prozent steht“. Wer schließlich welchen Trick erlernt und ausführt,
entscheidet sich im Training nach Veranlagung. Um beispielsweise
einen Rückwärtssalto von einem zum anderen Pferd zu schlagen,
trainiere ein Artist zwei bis drei Jahre intensiv. Dabei reiche es
für die Jockeyreiterei aber nicht aus, ein guter Akrobat zu sein.
Vielmehr brauche man auch eine gehörige Portion „horsemanship, denn wem das
Gespür für die Pferde fehle, dem gelinge es nie, auf
ihnen einen Salto zu schlagen, erzählt Ignatov. |
Darüber hinaus steht hinter der
spektakulären Darbietung der Ignatovs auch eine enorme
Dressurleistung. Es gilt zum einen die Pferde daran zu
gewöhnen, dass auf ihnen herumgeturnt wird
und zum anderen müssen die Pferde dazu angehalten
werden, möglichst gleichmäßig zu traben. Letzteres ist
besonders deshalb schwierig, weil die Ignatovs die meiste
Zeit auf dem Rücken der Pferde stehen und so bei
weitem nicht den Körperkontakt und die
Kontrollmöglichkeiten wie normale Reiter haben,
erklärt Ignatov. Nicht zuletzt aus diesem Grund arbeitet
der sympathische Truppenchef ausschließlich mit
massigen, bis zu 850 Kilogramm schweren Kaltblütern
allesamt Wallache -, die von Natur aus
ausgeglichener sind. Bis die Pferde akzeptieren, dass ein
74-Kilo-Artist auf ihnen einen Salto landet, dauert aber
trotzdem seine Zeit. Bei manchen klappt es gar nie. Das A
und O, so Ignatov, ist dabei der Aufbau von
Vertrauen zwischen Mensch und Tier. Das fängt bereits
damit an, erklärt Ignatov, wenn den Pferden an der Longe das so genannte
ABC beigebracht wird. Hat das Pferd akzeptiert, dass man auf ihm
„nicht nur im Sitzen, sondern auch im Stehen reitet“, gilt es das
Tier an die „Manegensituation“ zu gewöhnen. |
Dem
Pferd muss klar werden, dass vom pfeifenden und
klatschenden Publikum keinerlei Bedrohung ausgeht.
Da die Aufmerksamkeit des Pferdes anfangs zu 80 Prozent
auf das Publikum gerichtet ist, arbeiten die
Manegenneulinge in der Show zunächst nur
einfache Übungen beispielsweise Voltigetricks.
Ignat Igatov arbeitet dabei wie seine Tierlehrerkollegen
ausschließlich mit dem Mittel der positiven
Verstärkung. Gewalt kommt für ihn überhaupt nicht in
Frage: Wenn es sein muss lasse ich mir eben Zeit
und wiederhole eine Übung so lange bis es klappt!
Und weiter: Bestrafung macht doch gar keinen Sinn,
da die Pferde nicht verstehen, warum man sie
bestraft. Damit die Tiere noch ausgeglichener sind,
lässt er sie außerdem, wo immer es der Platz erlaubt,
in großzügigen Koppeln frei laufen. |

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Verändern möchte er sich
momentan nicht, auch wenn er einräumt, dass es auf der
Welt viele gute Shows gibt, die ihn reizen würden. Aber:
Er und seine Truppenmitglieder sind bei Barum rundum
zufrieden und glücklich. Ignatov schätzt vor
allem die Professionalität und perfekte Organisation des
Unternehmens. Und so werden die Ignatovs auch 2006 zu den
fetzigen Klängen bulgarischer Folklore bei Barum zu
erleben sein. Und irgendwann, so Ignat Ignatovs
ehrgeiziger Traum, wollen er und seine Jungs" ein Drei-Mann-Hoch zu Pferd zeigen.
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Text:
Sven Rindfleisch; Fotos: Sven Rindfleisch, Markus Moll
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