Im großzügigen Foyerzelt und den
angrenzenden Dinnerzelten wurde das hochwertige, edel-düstere
Nachtclub-Ambiente beibehalten. Allerdings ist der
Toilettenbereich nun direkt ans Foyer angeschlossen. Niemand
muss mehr zurück nach draußen. Im innen mastenfreien Chapiteau
erwarten uns die bekannte Atmosphäre und das bewährte
Grundkonzept. Zu den festen Zutaten gehören akrobatische
Nummern, gerne im lasziven Gewand, ein sexy aufgemachtes
Ballett, stets auch mit einer Bodypainting-Einlage, moderne
Live-Musik mit Sängerin sowie Comedy. Beim Licht würde man sich
etwas weniger sündige Düsterheit wünschen, schlicht um das
Geschehen besser zu sehen. Es dürfte keinen anderen Ort auf der
Welt geben, an dem nunmehr in der 9. Saison Jahr für Jahr ein
neues, erotisch aufgemachtes Circusprogramm geboten wird. Das
ist auch die große Herausforderung: dem Sinnlichen immer wieder
neue Seiten abzugewinnen, sich nicht zu wiederholen. Zum
Beispiel durch eine neue Geschichte oder ein spezielles Thema.
Reuben Kaye
Beides gibt es in der aktuellen
Show „Destiny“ („Schicksal“) nicht. Sie stellt vielmehr eine
schillernde Persönlichkeit in den Mittelpunkt. Den Briten Reuben
Kaye, der uns durch den Abend führt. Ihn förmlich dominiert.
Reuben Kaye ist riesengroß auf seinen Highheels. Er ist männlich
mit seinem dichten Brusthaar. Er ist weiblich mit Lippenstift
und endlos langen Wimpern. Er ist jederzeit so präsent, dass
seine Aura das Spielzelt vollkommen ausfüllt. Er kann großartig
singen, er kann tanzen, und er kann unaufgeregt die
schamlosesten, obzönsten Dinge sagen, die man sich vorstellen
kann. Durchweg auf Englisch übrigens. „And now go home and fuck
like rabbits“, gibt er dem Publikum am Ende mit auf den Weg. Er
zelebriert seine Homosexualität und geht gerne auf Tuchfühlung
mit ausgewählten Herren im Publikum. Gesicht an Gesicht singt
er, minutenlang. Reuben Kaye ist absolut grandios. Wir haben
Tränen gelacht. Er ist der Bestandteil, durch den diese Show gar
nicht scheitern kann.
Ballett
Nach der Begrüßung durch Gregory
Knie eröffnet Reuben Kaye die Show, verspricht Sex, Sinnlichkeit
und Alkohol. Das Ballett hat seinen ersten Auftritt. Die jeweils
vier attraktiven Damen und Herren zeigen sich in noch relativ
züchtigen Outfits mit roten Jacketts. Wenig später erleben wir
die vier Damen in einer weiteren Tanznummer, nunmehr in
aufreizender Wäsche „oben ohne“. Begleitet werden sie von der
israelischen Sängerin Michal Shapira mit ihrer starken Stimme.
Damit wertet sie ebenso die meisten artistischen Nummern auf. Im
zweiten Programmteil kommen auch die vier männlichen Tänzer zu
ihrem eigenen Auftritt. Cool, modern und natürlich betont
körperlich wird hier Hip Hop aufs Parkett gelegt wie in einem
Videoclip. Sämtliche Ballettnummern wurden vom spanischen
Starchoreographen Fidel Buika in Szene gesetzt.
Sven Böker, Nick Beyeler, Carlos
Zaspel
Der Schweizer Nick Beyeler ist
ehemaliger Weltmeister der Sport-Aerobic, stand als Akrobat mit
Helene Fischer auf der Bühne und war lange bei Soleil engagiert.
Nun zeigt er hier Luftakrobatik in einem transparenten
Plastik-Schlauch. Nur mit einer Badehose bekleidet, klettert er
mehrfach im Inneren der Röhre nach oben, lässt sich kopfüber
nach unten gleiten oder fallen. Schließlich verlässt er das
Requisit am oberen Ende und rutscht an der Außenseite zum Boden.
Eine interessante, so noch nicht gesehene Nummer. Wir besuchen eine
Vorstellung noch vor der offiziellen Premiere. In der sich
zeigt, dass live eben live ist, mit allen Möglichkeiten des Ge-
und Misslingens, ohne doppelten Boden. Denn nach der Luftnummer
streikt der Motor. Das Requisit lässt sich zunächst nicht
abbauen. Reuben Kaye lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen,
plaudert souverän, kündigt an, seinen Song aus dem zweiten
Programmteil vorzuziehen. Dann geht es doch weiter. Die beiden
anderen Luftnummern, die Strapaten-Akrobatik von Yammel
Rodriguez sowie der Zopfhang von Danila Bim, müssen aufgrund des
defekten Motors entfallen. Dafür zeigt Carlos Zaspel spontan
eine zusätzliche Nummer. Er springt mit einer flexiblen Stange
über die Bühne, dreht damit Pirouetten, schlägt Salti, nutzt das
Requisit als Absprungbasis. Für einen ruhigeren Moment sorgt
Sven Böker mit seinem Hand- und Sandstand. Seine
beeindruckenden, äußerst sorgfältig ausgeführten Handstände
lassen seine hohe Beweglichkeit erkennen. Zwischen den Passagen
lässt er sinnlich Sand durch seine Hände rieseln. Der Absolvent
der Berliner Artistenschule wurde als Teil des Duos „Vanessa und
Sven“ bekannt. Nachdem seine Partnerin ein Medizinstudium
begonnen hat, tritt er nun vorwiegend als Solist auf.
Yulia Rasshivkina, "Das letzte
Abendmahl", Mario Espanol
Allein auf der Bühne steht auch
Yulia Rasshivkina. Und erreicht damit alle, reißt jedes Publikum
mit. Die Ausstrahlung der Russin ist phänomenal. Ihre
Hula-Hoop-Nummer im Marilyn-Monroe-Look ist für Ohlala wie
gemacht. Der Schlusstrick mit brennenden Reifen entfällt, weil
der schützende Haargummi reißt. Die Requisiten werden wieder fortgetragen. Live ist
eben live. Ein Maximum an Provokation wird mit
der Tanznummer kurz vor der Pause erreicht. Hier spielt das
Ensemble das Bild
„Das letzte Abendmahl“ nach. Doch an dieser Tafel endet
die biblische Szene in einer sündigen Orgie, mit höchst
eindeutigen Bewegungen des Balletts, mit fluoreszierenden Body-Painting-Spielen in der Dunkelheit, mit Laserlicht und
Deko-Spanferkel. Die eigentliche Pausennummer gehört Mario
Espanol. In einer wassergefüllten Badewanne und auf ihrem Rand
zeigt er Handstände – kraftvoll, energiegeladen, dynamisch.
Duo Vitaliy,
Carlos Zaspel und Mario Espanol
Mit ihrer Partnerakrobatik
begeistern die Russin Ekaterina Zagorskaya und ihr französcher
Partner Julien Chaninet aus Lyon alias Duo Vitaliy. Sympathisch
und strahlend werden schwierige Tricks zelebriert. Oftmals
übernimmt sie dabei die tragende Rolle. Die leistungsstarke,
kraftvolle Duo-Nummer am Chinesischen Mast von Carlos Zaspel und
Mario Espanol bildet den Abschluss. Spektakulär sind vor allem
die Tricks, bei denen sie die Plätze am Requisit wechseln. |