Denn
auch ein Vierteljahrhundert später reist in Österreich ein Circus Louis
Knie. Die Direktion liegt bei Louis Knie junior, als Unternehmenssitz
nennt das Programmheft Bratislava. Bereits seit einigen Jahren reist
der Sohn von Louis Knie senior mit seinem eigenen Betrieb durch die
Alpenrepublik. Spezialität sind wie eh und je die hauseigenen
Dressurnummern. Wildtiere dürfen inzwischen in österreichischen
Circussen nicht mehr gezeigt werden. Und so brilliert der Junior mit
einer fantastischen Pferdefreiheit. Das restliche Programm ist
geschickt zusammengestellt und wird in der Manege von zehn Akteuren
bestritten. In den ersten Vorstellungen in Wien gibt es einen
Gastartisten.
Circus Louis Knie in Wien
Zur
Premiere in der Donaumetropole strahlt das weiße Chapiteau mit der
Sonne um die Wette. Lange Schlangen vor Kasse und Vorzelt zeugen von
großem Publikumsinteresse. Letztendlich heißt es „volles Haus“. Zu den
„Normalsterblichen“ gesellen sich Stars und Sternchen, die zumindest in
Wien eine gewissen Bekanntheit zu haben scheinen. Die Ouvertüre
bestreitet Manfred Huber, der mit seinem Schlagzeug über dem roten
Artisteneingang sitzt. Wirkungsvoll sorgt er im Zusammenspiel mit
Sounds aus der Konserve für die musikalische Begleitung des Programms.
Auch die Lichtregie darf bei der Eröffnung Kostproben ihres Könnens
geben. Die Beleuchtung trägt ebenfalls sehr positiv zur Gesamtwirkung
bei.
Mathieu, Los Ortiz, Kevin Probst
Clown
Mathieu kennen wir etwa aus dem Cirque Arlette Gruss. Ihm obliegt es in
seinem ersten Auftritt als Dirigent, das Publikum zu begrüßen und in
Schwung zu bringen. Dann gehen die Blicke nach oben. Die Los Ortiz
sorgen auf dem Hochseil für Nervenkitzel. Vom Aufgang über das
Schrägseil bis zur Pyramide arbeitet das Trio ein umfangreiches und
temperamentvoll präsentiertes Repertoire. Entspannung dann wieder mit
Mathieu. Mit einer Papiertüte fängt er einen imaginären Ball, und mit
Hilfe eines Zuschauers bringt er einen Löwen aus Stoff dazu, durch
einen Reifen zu springen. Aus Fleisch und Blut hingegen sind die acht
Esel, die unter Anleitung von Cowboy Kevin Probst eine Freiheit zeigen.
Die Lauffiguren klappen bestens, und das Kopf-auf-Schulter sieht zu
goldig aus.
Jessyka Jasters, Lena Smaha, Sara Biasini-Berousek
Der
Zusatz „Girl Power“ auf den Plakaten wird an diesem Abend erstmalig von
Jessyka Jasters mit Leben erfüllt. Die Tochter von Giacomo und Elena
Jasters (Messerwerfer und Armbrustschützen) zieht im knappen Kostüm die
Blicke Richtung Kuppel. Dort erfreut sie die Premierengäste mit einer
schönen Kür am Luftring. Nach dem Spiel mit einem Leuchtpunkt von
Mathieu geht es mit der Riege der hübschen jungen Damen weiter. Lena
Smaha lässt virtuos Hula Hoop-Reifen um verschiedene Körperteile
kreisen. Besonders mitreißend wird es, wenn die Tschechin unzählige
Ringe mit Hüfte und Oberkörper in Schwung hält. Das Verknoten von vier
Zuschauern auf Hockern wird gerne vor der Pause platziert. Doch nachdem
Mathieu dieses „Wunder“ vollbracht hat, erleben wir noch eine
Pausennummer, die diesem Namen absolut gerecht wird. Sara
Biasini-Berousek reitet die Ungarische Post auf zwei prächtigen
Friesen. Zunächst zeigt sie Volten mit einem weißen Araber. Im
Hauptteil ihres Auftritts lässt sie insgesamt zwölf weiße und braune
Araber unter sich hindurchlaufen, um die Vorauspferde dann am langen
Zügel zu halten. Ein herrliches Bild aus Tempo, Können und Schönheit
verwöhnt das Publikum. Louis Knie junior ist es, der die Tiere
dirigiert.
Carlo Josef, Sara Biasini-Berousek, Andrea Navratil
Der
zweite Teil beginnt mit einem Gastauftritt. Carlo Josef (Schöbel) zeigt
in den ersten Vorstellungen in Wien seine Equilibristik. Der Absolvent
der Staatlichen Schule für Artistik in Berlin hat es an diesem
Premierenabend schwer. Das Podest mit den Handstäben darauf steht nicht
eben stabil auf dem Manegenboden. Somit kostet ihn sein Auftritt
deutlich mehr Kraft als üblich. Dennoch arbeitet er elegant
verschiedene Handstand-Varianten. Noch recht neu dabei ist die von Sara Biasini-Berousek präsentierte Hunderevue. Sie trägt die Handschrift von
Wolfgang Lauenburger. Er hat die quicklebendigen Vierbeiner trainiert.
Biasini-Berousek führt sie bereits sehr gekonnt vor. Besonderen Spaß
haben die wuscheligen Haustiere beim Springen. Ganz egal ob durch
Reifen oder über Hürden. Noch einmal erleben wir Lena Smaha. Beim
Heilbronner Weihnachtscircus 2005/06 jonglierte sie gemeinsam mit ihren
Geschwistern, nun tut sie es im Solo. Zunächst mit fünf großen Kugeln,
dann mit zunächst drei, am Ende ebenfalls fünf Keulen. Dies sehr apart
im Stil der 1920er Jahre. Mit seinen Glöckchen läutet Mathieu quasi den
folgenden Auftritt ein. Dieser gehört Andrea Navratil. Am Vertikalseil
zieht sie mit ihrer (ausdrucks-)starken Kür die Blicke noch einmal
Richtung Kuppel. An dieser Stelle sei erneut das traumhafte Lichtdesign
erwähnt. Auch die Nummer von Andrea Navratil gewinnt dadurch spürbar an
Wirkung.
Jessyka Jasters, Louis Knie junior, Los
Ortiz
Von
der Luft auf die Erde wechselt Jessyka Jasters für ihren zweiten
Auftritt in der Show. Dort jongliert sie auf einer Trinka liegend mit
den Füßen. Ihre Tücher lässt sie auf Händen und Füßen rotieren. Ferner
wirft sie diese zwischen den verschiedenen Extremitäten hin und her.
Die größte Wirkung erzielt sie bei ihren Antipodenspielen mit der
Jonglage eines Metallkreuzes, dessen Enden brennen. Der Star des
Programms ist der Direktor höchstselbst. Louis Knie juniors Pferdeshow
ist einfach phänomenal. Sie beginnt mit Schulschritten eines Friesen,
die am langen Zügel vorgeführt werden. In der folgenden Freiheit
dirigiert er zunächst sechs weiße Araber. Zu Beginn gar ohne Stock und
Peitsche. Sechs braune Araber kommen hinzu. Gemeinsam mit den Friesen
genießen wir das Karussell auf drei Bahnen. Das furiose Finale dieser
Nummer bestreiten dann wieder die sechs Schimmel. In immer neuen
Varianten erleben wir Steiger. Besonders herauszuheben ist dabei das
gemeinsame Steigen des entlang der Piste verteilten Sextetts. Das
Vorwärtslaufen dieser Gruppe auf den Hinterbeinen dirigiert Louis Knie
junior dann wieder nur mit den Armen. Schöne Pferde, atemberaubende
Tricks und eine überaus elegante Präsentation. Was will man mehr.
Chapeau. Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusammenhang Robert Stipka junior, der bei den Dressuren unterstützt. Eine angenehme Länge
hat die Filmszene von Mathieu, die in einem Saloon spielt. Entsprechend
tragen seine Mitspieler aus dem Publikum Westernkostüme. Der
verschmitzte Franzose überzeugt auch hier und lässt seine Gäste immer
eine gute Figur machen. Den Nervenkitzel vor dem Finale erzeugen Los
Ortiz. Diesmal im Duo halten sie die Zuschauer auf dem Todesrad in
Atem. Ob mit verbundenen Augen oder als Seilspringer, die Hasardeure
sorgen für hörbare Begeisterung auf den Rängen unter ihnen. Im
anschließenden Finale wird das gesamte Ensemble frenetisch gefeiert.
Louis Knie junior spricht die Abschiedsworte.
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