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Zippos Circus - Tour 2018
www.zipposcircus.co.uk ; 125 Showfotos

London, 18. Mai 2018: Vor 250 Jahren gründete Philip Astley in London den Circus der Neuzeit. Viele Circusse nehmen auf ihrer aktuellen Tournee Bezug auf dieses Jubiläum. So auch Zippos Circus, der Astleys Erbe angetreten hat. „Legacy“ (Erbe) lautet somit der Titel der diesjährigen Produktion des 1986 von Martin „Zippo“ Burton gegründeten Unternehmens. Darin wird, so das groß aufgemachte Programmheft, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Circus gefeiert. Im Opening wird an die Entstehungsgeschichte dieser Kunstform erinnert. Totti und Charlotte Alexis begleiten Ringmaster Norman Barrett in die Manege.

Barrett erzählt von den Anfängen mit der Vorführung von Pferden. Hoch zu Ross reitet Tamerlan Khadikov über das Sägemehl. Im Gepäck hat er Keulen, mit denen Gattin Helena die später hinzukommenden Akrobaten darstellt. Hausartist Paulo dos Santos illustriert an den Strapaten ein weiteres Genre der Artistik. Danach wird klassischer Circus im Stil unserer Zeit gespielt. Die letzten beiden Darbietungen lassen uns dann einen Blick in die Zukunft werfen. Seine letzte Reprise spielt Totti Alexis gemeinsam mit seinem sechsjährigen Sohn Charlie. Die Schlussnummer gehört Antonio und Connor Garcia. Ganz sicher werden die elf und 15 Jahre jungen Artisten mit ihren Handständen die bereits begonnene Erfolgsserie fortsetzen. Somit folgt letztendlich sogar der Programmablauf dieser Zeitreise.


Eingangsbereich

Auch geographisch wandelt Zippos Circus auf den Spuren Astleys. Denn am Beginn der Tournee stehen mehrere Plätze in verschiedenen Teilen Londons. Ich besuche das Unternehmen in Gladstone Park. Vom Zentrum aus ist die Grünfläche gut mit der U-Bahn zu erreichen. Der weiße Viermaster bildet den Mittelpunkt der Circusstadt. Ein nostalgisch anmutender Kassenwagen sowie ein Zaun mit beleuchteten Rundbögen bilden die Front. Über dem Eingang zum Platz prangt in großen Lettern „Zippos“. Das Stallzelt für die Pferde ist im vorderen Bereich aufgebaut. Im Vorzelt befindet sich die Restauration. Im Chapiteau stehen den Besuchern ihre Plätze auf Klappsitzen oder in den Logen zur Verfügung. Über der roten Gardine strahlen fünf Sterne sowie der Name des Circus. Ein Orchester gibt es nicht. Die Musikeinspielungen sind aber von guter Qualität. Gleiches gilt für das sehr ansprechende Lichtdesign.


Norman Barrett, Totti Alexis, Charlotte Alexis

Bereits vor dem Opening macht Totti Alexis das warm up. Er muss ein Paket zustellen und wird dabei aufgefordert, den richtigen Code zu nennen. Den passenden Klatschrhythmus findet er gemeinsam mit dem Publikum. Zusammen mit Ehefrau Charlotte in der Rolle des Weißclowns spielt er eine Kunstschützen-Szene. Natürlich sind mehrere Anläufe notwendig, um den Apfel in Form eines roten Luftballons mit grünem Blatt per Armbrust zu zerschießen. Mit einer Trompete macht Totti Jagd auf eine Biene, um schließlich selbst als eine solche durch die Manege zu fliegen. Dass er auch ein hervorragender Sänger ist, beweist der Spaßmacher im Kampf mit einem Mikrofonständer. Zwei Trompeten sind wiederum dabei, wenn Totti den gestrengen Part im Zusammenspiel mit Sohn Charlie gibt. Und natürlich hat der Junior die Sympathien und Lacher auf seiner Seite. Es ist wohltuend zu sehen, wie Totti und seine Familie immer wieder neue Szenen entwickeln und liebevoll umsetzen. Die Familie Alexis ruht sich nicht aus, sondern ist äußerst kreativ. Hinzu kommen das sympathische Auftreten und ein hohes Maß an Professionalität. „Totti time“ antwortet das Publikum, wenn Norman Barrett fragt: „What's the time?“. Der grauhaarige Brite ist ein Sprechstallmeister wie aus dem Bilderbuch. Er ist der personifizierte Ringmaster. Im Programmheft wird er gar als „World's Greatest Ringmaster“ tituliert. Natürlich gehören Frack, Fliege und Zylinder zu seinem Aufzug. Mit markanter Stimme und ungeheuer charmant moderiert er die Show von Zippos Circus. Das übrigens durchgehend seit 2001. Zuvor war er in vielen anderen Manegen zu erleben. Auch im Frankfurter Tigerpalast ist er ein gern gesehener Gast. Dort führt er seine quirligen Wellensittiche vor. Natürlich sind die bestens dressierten Vögel auch hier im Programm zu sehen. Sie beherrschen vielfältige Kunststücke und können es kaum erwarten, diese zu zeigen. Natürlich lässt es sich Barrett nicht nehmen, den Auftritt seiner gefiederten Freunde selbst zu kommentieren.


Hermansito Truppe, Melissa Jimenez Perez, Alex Michael

Das erste Ausrufezeichen im artistischen Bereich setzen vier Mitglieder der Hermansito Truppe. Die beiden Porteure werfen die Fliegerin und den Flieger mit Hilfe eines Russischen Barren in die Luft, um sie nach gewagten Sprungkombinationen sicher wieder aufzufangen. Salti und Schrauben werden mit viel lateinamerikanischer Lebensfreude dargeboten. In voller Besetzung erleben wir das achtköpfige Ensemble vom kubanischen Nationalcircus gegen Ende des zweiten Teils am Schleuderbrett. Gegenseitig katapultieren sich die jungen Akrobaten in die Luft. Ein Fünf-Personen-Hoch mit Perchestange und ein dreifacher Salto in einen Sessel sind die Höhepunkte dieser Darbietung. Auch bei der wunderbar zu Melodien aus dem Film „The Greatest Showman“ in Szene gesetzten Produktionsnummer ist ein Quartett der Hermasitos dabei. Zunächst zelebriert Melissa Jimenez Perez auf einem Podest Handstände, einen freien Kopfstand und Elemente der Kontorsion. Die Hermansitos sowie Paulo dos Santos tanzen dazu. Dann nehmen Melissa und Paulo auf der Piste Platz, um die Künste der Kubaner zu bewundern. Diese erfreuen uns mit verschiedenen Menschentürmen. Die Riege der Künstler vom amerikanischen Kontinent wird durch Alex Michael komplettiert. Das ehemalige Mitglied der Flugtrapez-Formation Flying Michaels sorgt jetzt mit dem Deckenlauf sowie Sprüngen von Trapez zu Trapez für Nervenkitzel. Zunächst bewegt er sich mit den Händen von Schlaufe zu Schlaufe, dann mit den Füßen. Bei seinem zweiten Sprung von einem Trapez zum anderen fängt er sich nur mit den Füßen auf. Das alles ohne jegliche Sicherung.


Duo Garcia, Garcia Boys, Helena Khadikova

Mit einer spektakulären Luftnummer beginnt auch der zweite Programmteil. Vicky und Pablo Garcia zünden ihre Rakete, um damit unter der Kuppel des Chapiteaus zu rotieren. Kurz nachdem das silber glänzende Flugobjekt die Umlaufbahn erreicht hat, öffnet sich die obere Luke. Pablo kommt heraus und zeigt einen Handstand. Weitere spektakuläre Tricks folgen, wenn das Duo unter der Rakete arbeitet. Am Ende hängt Pablo kopfüber unter dem Raumschiff und wirbelt Vicky an einem Seil umher, an dem sie sich mit den Zähnen hält. Wie bei Alex Michael ist man als Zuschauer auch bei den Garcias erleichtert, wenn sie wieder festen Boden unter den Füßen haben. Vermutlich sind Vicky und Pablo Garcia froh, dass sich ihre Söhne – zumindest vorerst – der Parterre-Akrobatik verschrieben haben. Mit starken Handständen zu flotten Beats reißen die coolen Jungs die Zuschauer mit. Dabei verstehen sie es gekonnt, ihren jugendlichen Charme spielen zu lassen. Es ist schön zu sehen, wie sich Leistung und Verkauf kontinuierlich weiterentwickeln. Komplettiert wird das Programm durch die Khadikov-Truppe. Ihre Kosakenreiterei bildet die Pausennummer. Darin wagen Tamerlan Khadikov und Ehefrau Helena gemeinsam mit den Partnern Aman sowie Kanat tollkühne Kunststücke auf und auch unter ihren Pferden. Das Tempo ist dabei sehr hoch. Ganz so wie es bei einer schneidigen Reiterei gestandener Frauen und Männer sein muss. Folkloristische Kostüme und ein extrovertiertes Auftreten der Akteure runden das Bild perfekt ab. Tamerlan Khadikov ist zudem als „Kurier von St. Petersburg“ zu erleben. Auf zwei Pferden stehend, lässt er vier weitere unter sich hindurch laufen. Das allerdings ohne sie an langen Zügeln zu halten. Wenngleich die Darbietung an diesem Abend nicht ganz rund läuft, ist sie doch eine wunderbare Reminiszenz an die Tradition des Circus mit Pferden. Ganz in der Tradition von Philip Astley.

Astley hätte sicherlich seine helle Freude an diesem Programm 2018 von Zippos Circus. Schließlich ist es ganz dem klassischen Circus verpflichtet. Und das mit ausgesuchten Darbietungen auf durchgehend hohem Niveau. Ambiente, Licht und Musik stehen dem in nichts nach. Die Show hat ein flottes Tempo, Füller Fehlanzeige. Ringmaster Norman Barrett ist ein Gastgeber par excellence. Stimmungsvoller geht es kaum. „Legacy“ greift die Geschichte des Circus auf. Gleichzeitig versprüht diese Produktion den Glauben an seine Zukunft. Was will man mehr.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch