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Circus Harlekin - Tour 2014
www.circusharlekin.ch ; 67 Showfotos

Spiez, 19. April 2014: Das ist wohl eines der schönsten Fleckchen Erde überhaupt. Am Morgen des Ostersonntags fällt unser Blick aus dem Hotelzimmer auf die Bucht des Thuner Sees bei Spiez. Zahllose Boote liegen hier an den Stegen; der Sonnenschein lässt das Wasser tiefblau strahlen. An den See schmiegt sich ein sanft ansteigender Hügel – im unteren Bereich saftiges Grün, weiter oben zahlreiche Häuser im Schweizer Stil. Drumherum das herrliche Bergpanorama. Der schneebedeckte Niesen, 2363 Meter hoch und wie eine Pyramide geformt, beherrscht die Szenerie.

Und mitten in diesem perfekten Postkartenidyll, zwischen Seepromenade und Hügel, strahlt zwischen Bäumen, Palmen und Fahnenmasten das blaue Zelt des Circus Harlekin hindurch. Der schmucke Wagenpark gruppiert sich drum herum – es hat schon seine Berechtigung, dass der „Harlekin“ an der Bucht, dem Heiligtum der Gemeinde Spiez, gastieren darf.


Das perfekte Idyll 

Am Samstagabend haben wir hier die Vorstellung gesehen, bald geht die Reise weiter Richtung Norden, zum National-Circus nach Winterthur. So unterschiedlich der große „Knie“ und der kleine „Harlekin“ auch sein mögen: Beide sind sie unverzichtbarer Bestandteil einer Circustour durch die Schweiz. Ehe wir aufbrechen, lassen wir den Abend zuvor noch mal Revue passieren.


Selam und Tiblet, Nicole Pichler 

Gleich mit der ersten Nummer nach dem Charivari beweisen die Direktoren Monika Aegerter und Pedro Pichler einmal mehr ihr Gespür für artistische Neuentdeckungen: Heuer sind die Äthiopierinnen Selam und Tiblet mit auf Tournee. Es ist die erste richtige Sommersaison in Europa für die beiden jungen Frauen, die zuvor bereits im Wintercircus Martin Hanson in Holland zu erleben waren. Zum Auftakt zeigen Selam und Tiblet ihre Hula Hoop-Show. Im Zwei-Mädels-Hoch lassen sie schwungvoll die Reifen kreisen. Beide verfügen über eine enorme Ausstrahlung und suchen offensiv den Kontakt zum Publikum. An vorletzter Stelle in der Programmfolge kehren sie später noch einmal mit ihrer Antipodennummer wieder. Auf zwei Trinkas nebeneinander wirbeln sie zunächst blaue Teppiche mit Händen und Füßen und werfen sich diese gegenseitig zu. Später genügt eine Trinka: Eine Artistin liegt hier auf dem Rücken, die andere steht im Schulterstand auf dem ausgestreckten Bein der Partnerin. So jongliert die Oberfrau drei Teppiche mit Hand und Füßen, die Unterfrau vier Stück auf den Händen, dem freien Fuß und einem Mundstab – eine wirklich starke Leistung. Nicole Pichler, die hübsche Tochter des Direktors, ist dagegen mit ihren Tiernummern fester Bestandteil der Harlekin-Programme. Schon traditionell kommen die Tiere vom schwedischen Cirkus Olympia der Familie Bengtson. Heuer stellt Nicole Pichler vier Kamele, zwei Ochsen und zwei Lamas vor. Zu schöner orientalischer Musik dreht das exotisch-einheimische Oktett seine Runden, ein imposantes Bild im intimen Chapiteau. Das Besondere: Zwei der Kamele („Nikol“ und „Moni“) wurden vor drei Jahren im Circus Harlekin geboren. 


Duo Slobi, Les Nicas mit Lügg 

Der Humor liegt in den gleichen Händen wie im Vorjahr. Nach ihrem „Rücktritt vom Rücktritt“ vor Jahresfrist stehen Monika Aegerter und Pedro Pichler alias „Les Nicas“ glücklicherweise immer noch in der Manege, wenn auch in verringertem Umfang. Seit dem Vorjahr haben sie in dem jungen Lukas Böss alias „Lügg“, zugleich Platzchef des Unternehmens, einen neuen Mangenpartner gefunden. Und so zerbrechen in einem heiteren Entree zahlreiche Teller, gerät Monika beim Kehren unter den Manegenteppich, gehen Monika und Pedro gesanglich auf die Spuren der Schweizer DSDS-Gewinnerin Beatrice Egli oder versucht sich das Trio an der Zauberei. Prolongiert wurde das Duo Slobi alias Vladimir Slobodeniuk und Ehefrau Olga. In den fantasievollen Geschichten ohne Worte, aber mit großartigem Mienenspiel gibt Olga die lebende Spieluhr, die sich in einen Herrn aus dem Publikum verliebt, wird die aus dem Vorjahr bekannte Dressurnummer mit Katze und Ratte nun in eine Küche verlegt oder sammelt Slobi mit einem Sektkühler auf wundersame Weise im ganzen Zelt klimpernde Münzen ein.


Truppe Alexandros

Und auch im artistischen Bereich gibt es aus dem Vorjahr bekannte Gesichter zu sehen. Nachdem Pedro Pichler und Monika Aegerter mit der sechsköpfigen Truppe Alexandros vom rumänischen Circul Globus im letzten Jahr – artistisch, aber vor allem auch menschlich – so außerordentlich zufrieden waren, wurde erstmals eine ganze Truppe prolongiert. Deren Darbietungen präsentieren sich nun „neu inszeniert fürs Berner Oberland“. Die Gruppenjonglage mit Reifen und Keulen wurde in ein buntes Gewand im Stile der Commedia dell’ Arte gekleidet. Dabei wird – mit zwei Häusern im Hintergrund – die Geschichte von Romeo und Julia als Motiv genutzt. Das Schleuderbrett ist, nach der Motorradkugel im Vorjahr, zur Schlussnummer aufgerückt. Musikalisch wurde hier der Rock’n’Roll durch Charleston ersetzt – natürlich ebenso famos gespielt vom sechsköpfigen Harlekin-Orchester. Das artistische Repertoire reicht vom Rückwärtssalto in den Sessel bis hin zum Doppelsalto zum Partner, der auf einer Perchestange steht. Für die Luftnummer haben Maria und Marius aus der Truppe Alexandros das Requisit gewechselt: Anstelle des Trapezes im Vorjahr werden nun zwei Strapatengurte genutzt, die Marius quasi „am Gürtel“ befestigt. So hat er beide Hände frei, um seine Partnerin in verschiedenen interessanten Haltepositionen zu tragen.


Waldek und Pavel, Susanne Mani 

Neuzugänge im Programm sind dagegen Valdemar Solek und sein deutlich jüngerer Manegenpartner Pawel Dziki alias „Waldek und Pavel“. Mit ihren beiden heiteren Darbietungen umrahmen sie die Pause – zunächst sind sie mit Salti und Pirouetten auf dem Trampolin zu erleben, später als muntere Kaskadeure. Fester Bestandteil aller Harlekin-Programme ist dagegen Susanne Mani mit immer neuen Tierdarbietungen. In dieser Saison zeigt sie im stilvollen Reiteroutfit ein gekonntes Groß und Klein mit einem Freiberger-Wallach und einem Zwergmuli. Das Finale wird wiederum ausgiebig zelebriert, unter anderem mit einem Linedance zu „Higher and Higher“ und später mit dem Gassehauer „Joanna – geboren um Liebe zu geben…“. Ein wenig schade ist es dann schon, dass das Programm 2014 sich nicht stärker von der Vorjahresshow unterscheidet. Das ist aber Jammern auf hohem Niveau; in Deutschland wäre man über so viel Neues von Jahr zu Jahr mitunter froh.

 Und selbstredend bleibt der Harlekin sich auch in diesem Jahr treu – mit einem nahezu einmaligem Verhältnis von kleinem, feinen Circus und hoher Qualität, mit schwungvoller Musikalität, herzhaft-bodenständigem Humor sowie guten Artisten und ebensolchen Tierdressuren. Vor allem aber sind es die besondere Herzlichkeit und die Nähe zum Publikum, die diesen Circus-Schatz auszeichnen. Und so trifft das Programmmotto 2014 den Nagel auf den Kopf. Dieser Harlekin bleibt schlicht und einfach „immer üse Circus“.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber