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Varna,
21. Augsut 2009:
Balkanski. Der Name genießt in der
deutschen Circusszene noch immer einen ausgezeichneten, ja fast
schon legendären Ruf. Er weckt unweigerlich Erinnerungen an
artistische, mit dem silbernen Clown prämierte Großtaten auf
Schleuderbrett und Todesrad. Dabei, man mag es kaum glauben, ist
es mittlerweile bereits ein Jahrzehnt her, dass die bulgarische
Artistentruppe den Circus Krone, bei dem sie vierzehn Jahre, von
1985 bis 1999, engagiert war, verlassen hat. Kurz darauf, die
Premiere war am 2. Oktober 2000, hat die Familie ihren eigenen
Circus ins Leben gerufen, mit dem sie in den folgenden Jahren
nicht nur in Bulgarien, sondern auch in der Türkei (2002, 2005)
und Israel (2003, 2004) gastierte. Seit 2006 reist der Circus
nun ausschließlich im Heimatland der Balkanskis.
Wir besuchten
den Circus in Varna, der Hafenstadt und Touristenmetropole am
Schwarzen Meer. |
Werbung wird
interessanterweise hauptsächlich in öffentlichen Bussen gemacht,
fast jeder davon ist mit einem Plakat bestückt.
Aufgebaut ist der
Circus an einer vierspurigen Ausfallstraße etwa ein Kilometer
vom Zentrum entfernt. Nähert man sich dem Circus fällt sofort
das außergewöhnlich gepflegte und moderne Material ins Auge, mit
dem der Circus auch in Westeuropa positiv auffallen würde.
Außergewöhnlich zeitgemäß ist zum Beispiel das Ticketing-System:
Jede Kasse ist mit einem Flachbildschirm ausgestattet, auf dem
der Circusbesucher, wie im Kino, ganz genau auswählen kann, auf
welchem Platz er sitzen möchte.
Die Front besteht
dann im Wesentlichen aus dem Kassenwagen und einem weiteren Büroauflieger, auf beiden prangt in voller Breite als
Leuchtschrift das Wort „CIRCUS“ und als weitere Zierde das
wunderbar verschnörkelte Balkanski-Logo. Verbunden sind die zwei
Wagen durch ein blau, weißes Pagodenzeltdach, durch das die
Besucher das ebenfalls blau, weiß gestreifte Vorzelt betreten.
In diesem sind zwei Restaurationscontainer, ein Zuckerwatte- und
ein Donutstand sowie eine Ponyreitbahn untergebracht. Die Preise
sind im Vergleich zu Deutschland sehr zivil: Eine Cola kostet
beispielsweise umgerechnet einen Euro, die teuerste
Eintrittskarte zehn Euro. Eigentlicher Blickfang ist aber das
weiße Spielzelt mit seiner ungewöhnlichen Pagodenform und die
markante Balkanski-Leuchtschrift zwischen zwei der insgesamt
vier Masten.
„In diesem Jahr“, erklärt uns
Direktor Alexandar Balkanski senior, „reisen wir aufgrund der
Wirtschaftskrise nur mit einem 34-Meter-Chapiteau mit 1200
Sitzplätzen, das mit sechs Zugmaschinen von Stadt zu Stadt
transportiert wird“. Darüber hinaus besitzt das Unternehmen ein
baugleiches 56-Meter-Zelt, das 2500 Zuschauer fasst, und ein
weiteres 40-Meter-Zelt mit 1800 Plätzen dessen Interieur an
Roncalli angelehnt ist und äußerlich dem Taj Mahal ähnelt.
Zurzeit, erzählt Balkanski senior, sei man aber im
circuseigenen, in einem kleinen Dorf in der Nähe von Sofia
gelegenen Winterquartier dabei, ein extrem kleines 30-Meter-Zelt
für nur 650 Zuschauer zu konstruieren. Dessen Innenausstattung
soll besonders luxuriös werden und das Zelt selbst als
wichtigste Neuerung ohne Anker aufgebaut werden können.
Balkanski senior verspricht sich davon, zukünftig wieder auf
attraktiven Innenstadtplätzen aufbauen zu können. Ähnlich wie in
Deutschland gibt es nämlich auch in Bulgarien das Problem, dass
der Circus immer mehr an den Rand der Städte gedrängt wird. In
dieser Saison habe man deshalb bereits zwei eigentlich fest im
Tourneeplan verankerte Städte absagen müssen. So hält der Circus
2009 insgesamt 13 Plätze, wobei in der Hauptstadt Sofia an drei
verschiedenen Stellen über zwei Monate lang gastiert wird.
Ausführliche Stopps legt der Circus auch in den
Touristenhochburgen Nesebar, Burgas und Varna sowie der
Großstadt Plovdiv ein.
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Blick in die Kuppel |
Betritt man schließlich das
eigentliche Spielzelt ist man so beeindruckt von der umfangreichen
Licht- und Tonanlage, dass man zunächst gar keine Augen für die sehr
geschmackvolle Inneneinrichtung hat. Es gibt acht Reihen Gradin, die
allesamt aus mit rotem Samt bezogenen Einzelstühlen bestehen. Die
Logen sind dreireihig, mit roten und goldenen Schnörkeln sowie je
einer Kugellampe versehen. Lediglich der Artisteneingang fällt etwas
schlicht aus, was aber nicht weiter stört, da mit Hilfe der
angesprochenen Lichtanlage die Show so effektvoll in Szene gesetzt
wird, dass der Eingang sowieso kaum in Erscheinung tritt.
Bestandteile der Lichtanlage sind vier Verfolger, vier auffallend
umfangreiche Lichtkästen mit unter anderem jeweils vier Moving Heads
sowie ein Lichtring in der Zeltkuppel |
Letzterer ist ebenfalls noch
mal mit einem Dutzend Moving Heads und mindestens dreißig
einfachen Scheinwerfern besetzt ist. Zwölf weitere Moving Heads,
also voll bewegliche, mit einem Farbwechselsystem ausgestattete
Scheinwerfer, sind zudem rings um die Manege platziert. Die bei
Balkanski in diesem Jahr keine Manege im eigentlichen Sinn ist,
sondern eine erhöhte, mit Teppich belegte Bühne ohne
Manegenkästen. Wie uns Direktor Balkanski senior stolz erzählte,
besitzt der Circus neben einer traditionellen Manege auch eine
Wassermanege, eine Eisbühne sowie eine Bühne für Konzerte
inklusive eines Multimediabildschirms. Letzterer war auch
während unseres Besuchs montiert, wurde allerdings nur in der
Pause für Werbeclips genutzt.
Jedini,
Oleg Sheludyakov, Yuri Guidi
Die Entscheidung für eine
Bühnenmanege hat in diesem Jahr allerdings absolut Sinn. Gibt es
in der zweieinhalbstündigen Show, die zum Großteil von
internationalen, auch in Deutschland bekannten Artisten
bestritten wird, doch gleich zwei Darbietungen, die zwingend
einen Holzboden erfordern. Da wäre zum einen die groß
herausgestellte Reklamenummer aus Frankreich: Frédéric René
Schulz alias Jedini mit seinen extravagant präsentierten
Großillusionen, die fast dreißig Minuten des Programms
ausmachen. Und zum anderen die Brüder Sacha und Yuri Guidi aus
Italien. Sie zeigen bei Balkanski allerdings nicht ihre Flic
Flac erprobten Ikarischen Spiele, sondern sind mit einer
Rhönrad-Darbietung aktiv. Ihre Ikarier-Arbeit haben sie 2007
aufgrund einer Rückenverletzung von Sacha aufgegeben. Ebenfalls
von Flic Flac bekannt ist
Iana Suiarko mit ihrer
ausdrucksstarken, als Braut dargebotenen Kür am Vertikalseil.
Gleich drei Darbietungen steuern Vater und Tochter Sheludyakov
bei. Ekaterina eröffnet das Programm mit ihrer Hula-Hoop-Show,
die auch Handstand- und Kontorsionselemente einfließen lässt.
Ihr Vater Oleg arbeitet am Washington-Trapez und zeigt dort
relativ außergewöhnlich Tricks, zum Beispiel drückt er, während
das Trapez gen Kuppel gezogen wird, auf einer Rola Rola einen
Handstand. Gemeinsam sind Vater und Tochter dann mit einer
Perche-Nummer zu sehen. Während Oleg Sheludyakov diverse Stangen
im Gleichgewicht hält, zeigt Ekaterina an deren Ende unter
anderem Handstände und Spagat im Stehen, einmal sogar, während
Vater Oleg die Stange auf seinem Kopf rotieren lässt. Etwas
ungewöhnlich mutet allerdings an, dass Ekaterina die
Perchestange nicht empor klettert, sondern hoch unter der Kuppel
auf einem Trapez Platz nimmt, während ihr Vater, der jahrelang
Mitglied der bekannten Perche-Truppe von Alexey Sarychev war,
unten die Stangen wechselt.
Sascha Koychev, Valeri Tkach
Artistischer Höhepunkt des
Programms ist meiner Einschätzung nach die temporeiche Jonglage
von Valeri Tkach. Mit großer Ausstrahlung und zu mitreißender
Musik jongliert und balanciert er bis zu neun Ringe. Der
Teilnehmer des Wiesbadener European Youth Circus von 2004
beschließt seine Darbietung mit der originellen Jonglage von
verschiedenen großen Stäben, die er als zusätzliche
Schwierigkeit mit einem Mundstück auffängt. Weitere Höhepunkte
des Programms sind die beiden einzigen Tierdarbietungen,
wenngleich sie auch etwas aus dem Rahmen fallen, da sie im
Gegensatz zu den artistischen Darbietungen nicht auf modernen
Tecno-Sound setzen, sondern traditionell präsentiert werden. Das
gilt im Übrigen auch für die beiden bulgarischen Clowns. Während
Hristo „Kiki“ Kazandziev im Grunde nur als Tellerdreher in
Aktion tritt, ist Sascha Koychev gleich mehrfach zu sehen. Als
Pantomime, Kontrabassspieler und Putzmann präsentiert er sich
als eigenständiger Clown, mit neuen Ideen, verzichtet aber
leider auch nicht darauf, das Orchester-Entree in einer nicht
enden wollenden Version mit Opfern aus dem Publikum zu geben.
Steven
Pedersen, Familie Picard
Doch zurück zu den tierischen
Stars: Pausennummer ist die ungarische Familie Picard mit ihren
Pavianen, die sich in bunten Kleidchen als waschechte „Fliegende
Affen“ beweisen. Sie zeigen an einem Miniatur-Flugtrapez unter
anderem den Fußhang und fliegen sogar von Trapez zu Trapez,
bevor Sie letztlich immer sicher in die Arme von Andrea Picard
springen. Den Schlusspunkt vor dem beschwingten Finale inklusive
Konfettiregen und anschließendem Feuerwerk vor dem Zelt setzen
dann die Seelöwen und Pinguine von Steven, Angela und Perry
Pedersen. Tricks, die in Erinnerung bleiben sind, wenn sich
Perry von einem der Meeressäuger durch die Manegen tragen lässt
und ein anderer Seelöwe einen ihm zugeworfenen Fisch nicht
auffrisst, sondern als Kissen benutzt.
Die
Direktionsfamilie Balkanski selbst ist in der Show dieses Jahr
nicht vertreten – 2008 arbeiteten die Junioren noch im Todesrad
- und kümmert sich vorwiegend um administrative Aufgaben. So ist
Alexandar Balkanski junior Artistischer Direktor und ist für die
12 Arbeiter und vier Kraftfahrer – an Reisetage werden
zusätzlich vier weitere Fahrer angemietet - des Circus
verantwortlich. Dem jüngeren Sohn Nikolai wiederum unterstehen
als Technischem Direktor die sechs Elektriker, gleichzeitig ist
er Betriebsleiter und kümmert sich um das Winterquartier.
Letzteres besteht aus einer Materiallagerhalle und einer 800
Quadratmeter großen Werkstatthalle, wo die Zugmaschinen und
Auflieger des Circus instand gehalten werden. Dort gibt es auch
ein 24 Meter breites und 12,5 Meter hohes Zelt in Form eines
Ballons, in dem zu Beginn der Saison die neue Show einstudiert
wird. Außerdem plant Alexandar Balkanski mit Unterstützung des
bulgarischen Kultusministeriums die Einrichtung einer
Circusschule. |
Und so bleibt
festzuhalten: Würde der Circus Balkanski in Deutschland reisen,
würde er vom Start weg in Spitzengruppe der führenden
Circusunternehmen vorstoßen. Es ist ein durchweg professionell
geführtes Unternehmen, das nicht nur eine auf der Höhe der Zeit
befindliche Circusshow klassischer Prägung präsentiert, sondern
auch in den Bereichen Material und Besucherkomfort so manches
deutsche Unternehmen in den Schatten stellt. |
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Text und Fotos: Sven Rindfleisch
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