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Frankfurt, 2. August 2008: Er hat noch einmal einen Riesensprung nach
vorn gemacht, der neue Zirkus Charles Knie. In der Saison 2008,
der zweiten nach dem Eigentümerwechsel zu Sascha Melnjak,
präsentiert das Unternehmen sich nun als echter Großzirkus –
optisch beeindruckend und mit einer Show aus einem Guss, die
deutlich die Regie-Handschrift von Louis Knie jun. trägt. Den
kompletten August gastiert das Unternehmen auf dem Festplatz am
Ratsweg in Frankfurt am Main.
Die neuen,
wunderschönen rot-weißen Zeltanlagen sehen besonders einladend
aus. Im Frontbereich steht nun seit einiger Zeit ein neuer
Büro-Auflieger. |
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Das Fahrzeug,
das die bisherigen Büro-Holzschindelwagen ersetzt, war früher „rollendes Klassenzimmer“ für Zirkus-
und Schaustellerkinder in den Niederlanden und bietet nun innen maßangefertigt drei Büroarbeitsplätze und eine kleine Küche.
Links des Vorzelts wurde für das Frankfurt-Gastspiel ein
Biergarten aufgebaut, der vom Frontzaun des „alten“ Zirkus
Charles Knie eingerahmt ist. Im Vorzelt selbst ist das Ambiente
weniger heimelig als im Vorjahr, nachdem das Ehepaar Roth mit
seiner nostalgischen „Wurstbraterei“ im Holzschindelwagen seit
kurzem nicht mehr dabei ist und Bratwurst & Co. nun am
schlichten, weißen Restaurationswagen des Circus Romanza
angeboten werden. Das Ambiente im Hauptzelt dagegen stimmt: Mit
auf Tour ist nun der große Artisteneingang vom Heilbronner
Weihnachtscircus mit Orchesterpodium in der Mitte. Neue,
geschmackvolle Logenbrüstungen in rot mit goldenen Sternen
tragen zum positiven Gesamteindruck bei. Das gemietete Schalensitzgradin, mit dem der Circus reiste, wird von
Eigentümer Alfredo Nock derzeit für eine jährlich wiederkehrende
Veranstaltung benötigt, so dass nun für einige Wochen wieder die
Romanza-Tribüne mit Bankreihen genutzt wird. |
Ballett mit Marek Jama,
Monika Sperlich, Duo Mairen |
Das Programm
gewinnt im Vergleich zur Saison 2007 besonders durch die
optimierte Präsentation: Nun gibt es ein gutes, siebenköpfiges
Orchester (auch wenn es leider einige Male zugunsten von
Bandmusik pausiert); das Spektakel wird durch die neue
Lichtanlage vom Heilbronner Weihnachtscircus mit mehreren
Scannern gleichzeitig hell und akzentuiert beleuchtet. Zum
Eindruck einer komplett durchgestylten, professionell
und temporeich choreographierten Show trägt insbesondere das Ballett bei.
Angenehm kurze Auftritte, zeitgemäße und flott getanzte Choreographien, schöne
Kostüme… – sieben Mal treten die bis zu sechs Girls auf.
Besonders gut gelungen ist es Regisseur Louis Knie jun., die
beiden artistisch noch ausbaufähigen Darbietungen der Romanza-Junioren Monika, Maik und René Sperlich so zu verpacken,
dass sie ins Großcircus-Programm passen. Maik und René treten
mit ihren Handständen als Rocker in dunklen Leder-Outfits auf
einem Trike auf, umtanzt und umgarnt von den Ballettmädchen –
die beiden Jungs haben sichtlich Spaß daran. Besonders gelungen
auch Monikas Hula-Hoop-Auftritt: Während die junge Artistin die
Reifen kreisen lässt, tanzt hinter ihr das Ballett zu
sommerlich-südlicher Musik – das Orchester spielt, wird aber von
Bandmusik unterstützt, und eine der Ballettdamen „singt“ zum
Vollplayback. Insgesamt gerät der Auftritt zum fröhlichen Flirt
mit dem Publikum. |
Marek Jama, Alex Lacey mit
neuem Steiger-Trick, Susan Lacey |
Nachdem
Sandro Montez zum Cirque Arlette Gruss nach Frankreich
wechselte, präsentiert Marek Jama nun auch die Exoten und
nunmehr zwei Elefanten. Zum Auftritt der zwei Kamele und Zebras,
von Emu und Känguru sowie der sechs Lamas sind heuer noch vier
exotische Rinder hinzugekommen – präsentiert im orientalischen
Stil mit Ballett, ist der Dressurblock ein opulenter Auftakt des
Programms. Vor der Pause führt Marek Jama dann in neuer
Kostümierung, elegant und glamourös im roten Anzug, den
Sechserzug weißer und brauner Araber vor. Die Nummer wird
gekrönt von diversen Steigern. Der Höhepunkt des ersten
Programmteils, vom Publikum entsprechend mit Applaus gewürdigt,
ist das Pas de Deux auf zwei Friesen von Dany Stipka und seiner
Schwester Denisa, die am Ende ohne Longensicherung auf seinem
Kopf steht. Fast konkurrenzlos gut – mehr muss man eigentlich
kaum mehr sagen über die Gemische Raubtiergruppe von Alexander
Lacey mit seinen jeweils vier Tigern und Löwen. Nur zwei Dinge:
Lacey hat einen neuen Trick im Repertoire, der erst seit kurzem
zu sehen ist. Zwei Tiger steigen gleichzeitig, der eine läuft
dabei vorwärts, der andere rückwärts im Kreis durch die Manege.
Die effektvolle Rundfahrt des männlichen Löwen mit seinem
Trainer auf der Spiegelkugel ist nun, im neuen Zelt, wieder zu
sehen, was vorher aus technischen Gründen nicht möglich war. Den
Reigen der Tier-Darbietungen komplettiert der Auftritt der
beiden hauseigenen Seelöwen mit großem Repertoire, die nun von
Laceys Mutter Susan elegant vorgeführt werden.
Kenneth Huesca
Ein
besonderer Akzent des Programms liegt nach wie vor auf dem
Humor: Der mexikanische Clown Versace unterhält wieder mit
schönen Reprisen und leitet – mit Ballett-Unterstützung ähnlich
wie bei Carl Busch – mit den berühmt-berüchtigten „vier Stühlen“
in die Pause über. Anthony Wandruschka plaudert während seiner
Jonglagenummer in bewährter Manier mit dem Publikum, und
Bauchredner Kenneth Huesca ist ebenfalls wieder mit von der
Partie – allerdings hat er seine Darbietung umgestellt, so dass
er nun mehr eigenes Profil entwickelt und sich weniger an Willer
Nicolodi anlehnt. So oder so bleibt die Nummer ein Lachschlager,
der vor der Schlussnummer gut platziert ist.
Duo Stipka, Fratelli Rossi,
Anthony Wandruschka
Neu im
artistischen Teil des Programms sind – neben den
Sperlich-Junioren – die bekannte Tücherdarbietung des Duos Stipka
und die Ikarier Fratelli Rossi, die freilich nicht die
federleichten Flüge der großen Erranis erreichen, aber immerhin
einen Doppelsalto und eine Kaskade von neun Flicflacs im
Repertoire haben - eine der stärksten Darbietungen im Programm.
Prolongiert wurde Antipodistin Maria Eleky. Schwungseil-Artistin Elaine Courtney
musste in der besuchten Vorstellung verletzungsbedingt
leider pausieren, tritt aber inzwischen wieder auf. Was vor dem
Finale fehlt, ist eine Truppe wie das Jongleurs-Quartett
Gibadullin, das 2007 das Publikum so begeistert hat – anderseits
wäre dies angesichts der fast unglaublichen Investitionen in das
Unternehmen, die geleistet wurden, wohl auch zu viel verlangt.
So bleibt es Anthony Wandruschka vorbehalten, mit seiner starken
Arbeit am Schwungtrapez den Schlusspunkt zu setzen.
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Ein singender
Kenneth Huesca, das Ballett mit leuchtenden Engelsflügeln, ein
jonglierendes Ensemble – wunderschön ist das Finale eines
Programms, das den klassischen Traditionscircus mit Tieren,
Clowns und Akrobaten feiert und dabei die Schwächen im
artistischen Bereich geschickt kaschiert.
Ein
Circus, den man bedenkenlos auch seinem Arbeitskollegen, dem
Nachbarn oder der Patentante empfehlen würde… |
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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber,
Stefan Gierisch, Sven Rindfleisch
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