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Straßburg, 3. Mai:
„Mirages“ heißt das neue Programm des Cirque Arlette Gruss –
Fata Morgana zu Deutsch. Die Eröffnungs-Szenerie spielt –
passend zum Programmmotto – in einer Oase oder dem Trugbild
davon. Nachdem das Ensemble hinter dem halbtransparenten Vorhang
mit Fackeln getanzt hat, zeigen Sergey und Maryna Baryshinkov,
fester Teil des Gruss-Ensembles, kraftvolle Handstände im
Huckepack-Verfahren – vor einem geheimnisvollen Baum und in
einer Art Quelle, bekleidet übrigens nur mit Bikini und
Badehose. |
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Ensemble,
Linda Gruss und Marisa Biasini
Noch zwei weitere artistische Darbietungen sind Eigenkreationen
des Hauses:
Sergey Baryshnikov,
Marisa Biasini und Linda Gruss drehen und winden sich durch eine
große Gitterkugel unter der Zeltkuppel, und Kevin Gruss versucht
sich in diesem Jahr an den Strapaten – als geheimnisvolle,
langhaarige „Krähe“ („The Krow“ – mit K!) mit kalkweißem Gesicht
und Lederoutfit. |
Sandro Montez,
Linda Gruss, Sarah Houcke
Neuer
Hausdresseur, nach dem einjährigen Intermezzo beim Zirkus
Charles Knie, ist Sandro Montez. Er zeigt kurz den hauseigenen
Exotenzug, bei dem ein Lama zweimal jeweils zwei kniende Tiere
gleichzeitig überspringt, und im zweiten Programmteil vier
Elefanten von Flavio Togni in beeindruckenden Bildern. Sarah
Houcke, 2007 noch Pferde-Vorführerin bei Roncalli, präsentiert
nun hier fünf unterschiedlich gefärbte Tiger mit durchaus
interessanten Tricks, obwohl auch diese Togni-Tigerdressur fast
ohne Requisiten auskommt. Und noch einmal sehen wir Tiere aus
dem Hause Togni: Linda Gruss führt einen schönen
Sechserzug weißer Lusitanos vor. Der schönste tierische Moment des
Programms gehört aber der kleinen Laura-Maria Gruss, die bei
ihrem Manegendebut gekonnt und charmant fünf Ponys dirigiert.
Bravo! Und die Gruss’sche Tiervielfalt ist bemerkens- und lobenswert: Beinahe ausnahmslos sind anderen Versuchen,
Circus neu und modern zu präsentieren, schnell die Dressuren zum
Opfer gefallen – hier gibt es keine Anzeichen dafür, dass man
auf Tiere verzichten will, im Gegenteil. |
Jia und Mao, Truppe von Zun Yi, Xie Shan
Drei
Darbietungen mit chinesischen Artisten sind noch vor der Pause
zu sehen: zunächst zwei junge Mädchen in Ballett-Tütü, die mit
ihren älteren Partnern kurz Handvoltigen und ähnliches zeigen,
später die Artistin Xie Shan. Auf einer Hand steht sie in
elegant-kräftezehrenden Posen, mit der anderen lässt sie acht
Teller auf langen Stäben rotieren – eine starke Darbietung, die leider
von einer großen Schar kostümierter Figuren samt Sängerin
im Hintergrund in ihrer Wirkung beeinträchtigt wird: Die übermäßige Inszenierung
lenkt das Publikum von der gezeigten Leistung ab. Pausennummer ist
eine große Truppennummer aus Zun Yi, eine Kombination aus
Schleuderbrett und ikarischen Spielen: Die Flieger
werden per Schleuderbrett in die Luft katapultiert und dann nach
diversen Salti – sogar einem Salto im Zwei-Mann-Hoch – mit den
Füßen gefangen. Das Vergnügen wird leider erheblich dadurch
getrübt, dass wieder einmal Kinder die Flieger sind.
Claude Brunel, Barto, Mathieu
Für die
heitere Note im Programm sorgen Clown Mathieu mit Reprisen,
unter anderem dem Glockenspiel, der von Flic Flac bekannte
Verbiege-Künstler Barto, immer wieder für Lachsalven gut, und
Mrs. Kai mit ihrem Deckenlauf. Claude Brunel ist der neue
Monsieur Loyal im schrillen Outfit, der im Finale einen
Handy-Anruf von seinem Vorgänger Michel Palmer erhält. Palmer,
22 Jahre lang omnipräsent in den Gruss-Programmen, grüßt auf
diese Weise das treue Publikum – ein witziger Einfall und eine
schöne Reverenz an Palmer. Schlussnummer sind die Flying
Michaels am Flugtrapez. Der charismatische und elegante Flieger
Marlon Michael ist leider verletzt und muss sich derzeit
vertreten lassen. Das ist der Wirkung der Nummer ebenso
abträglich wie die Inszenierung der Darbietung, der für das „Mirages“-Programm
das südamerikanische Feuer leider ausgetrieben wurde.
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Überhaupt hat Gilbert Gruss 2008 offenbar bewusst ein Programm
der ruhigeren Töne, der sphärischen Klänge und diffusen
Lichtstimmungen geschaffen, in dem das Publikum aber nach den
spärlich gesäten Mitklatsch-Momenten dürstet. Nur das
farbenfrohe Finale sprüht vor Lebensfreude – endlich! Ein
Programm wie eine Abfolge von Gemälden, mit wundervollen
Foto-Motiven fürs Programmheft, das aber live nicht mitreißt,
weil ihm Tempo und Rasanz fehlen und gerade die besten
artistischen Nummern – Handstand-Chinesin, Flugtrapez – nicht
richtig zur Geltung kommen. Wir staunen über die optische
Schönheit, die Ästhetik der Bilder, aber begeistert sind wir
nicht: Circusmacher und Rezensent haben offenbar unterschiedliche
künstlerische Vorstellungen – bei allem Respekt vor allem, was
dieser an sich wundervolle Circus mit Jahr für Jahr komplett
neuen, aufwendig in Szene gesetzten Programmen leistet. |
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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber
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