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Cirque Arlette Gruss - "Mirages" 2008
www.cirque-gruss.com

Straßburg, 3. Mai: „Mirages“ heißt das neue Programm des Cirque Arlette Gruss – Fata Morgana zu Deutsch. Die Eröffnungs-Szenerie spielt – passend zum Programmmotto – in einer Oase oder dem Trugbild davon. Nachdem das Ensemble hinter dem halbtransparenten Vorhang mit Fackeln getanzt hat, zeigen Sergey und Maryna Baryshinkov, fester Teil des Gruss-Ensembles, kraftvolle Handstände im Huckepack-Verfahren – vor einem geheimnisvollen Baum und in einer Art Quelle, bekleidet übrigens nur mit Bikini und Badehose.


Ensemble
, Linda Gruss und Marisa Biasini

Noch zwei weitere artistische Darbietungen sind Eigenkreationen des Hauses: Sergey Baryshnikov, Marisa Biasini und Linda Gruss drehen und winden sich durch eine große Gitterkugel unter der Zeltkuppel, und Kevin Gruss versucht sich in diesem Jahr an den Strapaten – als geheimnisvolle, langhaarige „Krähe“ („The Krow“ – mit K!) mit kalkweißem Gesicht und Lederoutfit.


Sandro Montez, Linda Gruss, Sarah Houcke

Neuer Hausdresseur, nach dem einjährigen Intermezzo beim Zirkus Charles Knie, ist Sandro Montez. Er zeigt kurz den hauseigenen Exotenzug, bei dem ein Lama zweimal jeweils zwei kniende Tiere gleichzeitig überspringt, und im zweiten Programmteil vier Elefanten von Flavio Togni in beeindruckenden Bildern. Sarah Houcke, 2007 noch Pferde-Vorführerin bei Roncalli, präsentiert nun hier fünf unterschiedlich gefärbte Tiger mit durchaus interessanten Tricks, obwohl auch diese Togni-Tigerdressur fast ohne Requisiten auskommt. Und noch einmal sehen wir Tiere aus dem Hause Togni: Linda Gruss führt einen schönen Sechserzug weißer Lusitanos vor. Der schönste tierische Moment des Programms gehört aber der kleinen Laura-Maria Gruss, die bei ihrem Manegendebut gekonnt und charmant fünf Ponys dirigiert. Bravo! Und die Gruss’sche Tiervielfalt ist bemerkens- und lobenswert: Beinahe ausnahmslos sind anderen Versuchen, Circus neu und modern zu präsentieren, schnell die Dressuren zum Opfer gefallen – hier gibt es keine Anzeichen dafür, dass man auf Tiere verzichten will, im Gegenteil.


Jia und Mao, Truppe von Zun Yi, Xie Shan

Drei Darbietungen mit chinesischen Artisten sind noch vor der Pause zu sehen: zunächst zwei junge Mädchen in Ballett-Tütü, die mit ihren älteren Partnern kurz Handvoltigen und ähnliches zeigen, später die Artistin Xie Shan. Auf einer Hand steht sie in elegant-kräftezehrenden Posen, mit der anderen lässt sie acht Teller auf langen Stäben rotieren – eine starke Darbietung, die leider von einer großen Schar kostümierter Figuren samt Sängerin im Hintergrund in ihrer Wirkung beeinträchtigt wird: Die übermäßige Inszenierung lenkt das Publikum von der gezeigten Leistung ab. Pausennummer ist eine große Truppennummer aus Zun Yi, eine Kombination aus Schleuderbrett und ikarischen Spielen: Die Flieger werden per Schleuderbrett in die Luft katapultiert und dann nach diversen Salti – sogar einem Salto im Zwei-Mann-Hoch – mit den Füßen gefangen. Das Vergnügen wird leider erheblich dadurch getrübt, dass wieder einmal Kinder die Flieger sind.


Claude Brunel, Barto, Mathieu

Für die heitere Note im Programm sorgen Clown Mathieu mit Reprisen, unter anderem dem Glockenspiel, der von Flic Flac bekannte Verbiege-Künstler Barto, immer wieder für Lachsalven gut, und Mrs. Kai mit ihrem Deckenlauf. Claude Brunel ist der neue Monsieur Loyal im schrillen Outfit, der im Finale einen Handy-Anruf von seinem Vorgänger Michel Palmer erhält. Palmer, 22 Jahre lang omnipräsent in den Gruss-Programmen, grüßt auf diese Weise das treue Publikum – ein witziger Einfall und eine schöne Reverenz an Palmer. Schlussnummer sind die Flying Michaels am Flugtrapez. Der charismatische und elegante Flieger Marlon Michael ist leider verletzt und muss sich derzeit vertreten lassen. Das ist der Wirkung der Nummer ebenso abträglich wie die Inszenierung der Darbietung, der für das „Mirages“-Programm das südamerikanische Feuer leider ausgetrieben wurde.

Überhaupt hat Gilbert Gruss 2008 offenbar bewusst ein Programm der ruhigeren Töne, der sphärischen Klänge und diffusen Lichtstimmungen geschaffen, in dem das Publikum aber nach den spärlich gesäten Mitklatsch-Momenten dürstet. Nur das farbenfrohe Finale sprüht vor Lebensfreude – endlich! Ein Programm wie eine Abfolge von Gemälden, mit wundervollen Foto-Motiven fürs Programmheft, das aber live nicht mitreißt, weil ihm Tempo und Rasanz fehlen und gerade die besten artistischen Nummern – Handstand-Chinesin, Flugtrapez – nicht richtig zur Geltung kommen. Wir staunen über die optische Schönheit, die Ästhetik der Bilder, aber begeistert sind wir nicht: Circusmacher und Rezensent haben offenbar unterschiedliche künstlerische Vorstellungen – bei allem Respekt vor allem, was dieser an sich wundervolle Circus mit Jahr für Jahr komplett neuen, aufwendig in Szene gesetzten Programmen leistet.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber