Der
schwarz-gelb-gestreifte Viermaster mit den außenliegenden
Rundbögen und das Vorzelt stehen auf dem Friedrichsplatz mitten
in der Kasseler Innenstadt, quasi auf dem Präsentierteller. Vor
dem Entree verläuft die Shoppingmeile Königsstraße, an einer
Seite steht das Kunstmuseum Fridericianum. Bis Ende Dezember ist
zudem der Weihnachtsmarkt mit seinen Ausläufern unmittelbarer
Nachbar.
Flic Flac
auf dem Friedrichsplatz in Kassel
Alles neu dann
aber im Inneren. Einen Artisteneingang gibt es nicht, dafür geht
das Gradin rundherum. Die Rundbühne ist also komplett mit
Zuschauern umgeben, die auf Einzelstühlen mit Kopfstütze Platz
nehmen dürfen. Beim Einlass ist die Spielfläche von einem
schwarzen Vorhang verhüllt. Wenn dieser verschwunden ist, wird
klar, wo die großen Requisiten aufbewahrt werden: die beiden
Schaukeln und das Todesrad hängen unter der Kuppel. Bei der Höhe
des Raums und der geschickten Ausleuchtung der Show fällt das
nicht weiter auf und stört schon gar nicht.

Blick in
den Innenraum
Die Bühne selbst
ist in mehreren Segmenten drehbar. Das wird gleich zum Opening
genutzt, welches die Mitwirkenden in Straßenkleidung gemeinsam
mit einer Band bestreiten, die in der Mitte spielt. Von den
Treppen des Gradins kommen die Artisten herein und stellen sich
dem Publikum vor. Zuvor werden auf den Monitoren an den
Aufgängen sowie über Lautsprecher die wichtigsten Infos vorab
gegeben. Das im gewohnten Flic-Flac-Stil, also mit mehr als
einem Augenzwinkern.
 
René
Casselly und Kathrin Menzinger
René Casselly und
Kathrin Menzinger gehört sozusagen der erste Tanz. Mit einer
mitreißenden Choreografie in schwarzen Outfits machen sie den
Auftakt. Akrobatische Sprünge und ein Feuerwerk setzen
zusätzliche Highlights. Danach begrüßt René Casselly das
Publikum mit einer kurzen Moderation. Gegen Ende der Show gibt
es dann den nächsten Tanz, diesmal ganz klassisch: Kathrin
Menzinger in einem langen weißen Kleid, René Casselly im
schwarzen Anzug mit weißem Hemd und Fliege. Dabei ist über den
beiden schon ein Sicherheitsnetz gespannt. Denn für Casselly
geht es direkt weiter ans Todesrad. Dies mit einem kleinen Umweg
über eine Traverse mit Griffen daran und ein Trapez, die über
dem großen Rad hängen. Das hat nur einen Kessel, dessen
Außenseite der jugendliche Alleskönner nutzt. Für flotte Touren,
Seilspringen, hohe Sätze und den Salto. Dabei geht es äußerst
waghalsig zu und man ist froh, dass ein Netz darunter im Fall
der Fälle für eine sanfte Landung sorgt.
  
Mongolian
Angels, David Erikson, Duo Rock'n Rollers
Die beiden
TV-Stars laufen außerhalb der Wertung, womit der Wettbewerb
durch die Mongolian Angels eröffnet wird. Fünf Artistinnen in
schwarz-goldenen Kostümen beweisen die Biegsamkeit ihrer Körper.
In seiner Kontorsions-Kür zaubert das Quintett anmutige Bilder.
Eine Darbietung, die in jedes klassische Circusprogramm passt.
Anders sieht es da bei David Erikson aus. Der Schwede mit der
bestens rasierten Glatze trägt gerne pink und kommt auch mit
wenig Stoff gut aus. Bei seinem ersten Auftritt hat er pinke
Gummistiefel, Shorts und eine schwarze Weste an. Später läuft er
etwa in Highheels über die Bühne. Nicht nur seine Aufmachung ist
eigenständig, seine Ideen und sein Stil als Comedian sind es
ebenfalls. Wo hat man schonmal Bouncing-Jonglagen mit dem Mund
gesehen? David Erikson zeigt sie im Handstand mit einem
umgedrehten Eimer als Podest. Einen Ring lässt er mithilfe eines
auf dem Kopf angesaugten Pümpels rotieren. Wir erleben ihn über
den Nachmittag verteilt immer wieder in neuen Szenen. Einen von
einem Zuschauer zugeworfenen Apfel fängt er mit einer
Vorrichtung mit Stacheln dran, die an verschiedenen Körperteilen
montiert wird, eine Stoffkatze wird mal eben auseinandergenommen,
die Einzelteile ergeben Jonglierrequisiten. Herrlich auch, wenn
Erikson in die Rolle des weihnachtlichen Amor schlüpft. An einer
langen Angel hat er einen Mistelzweig befestigt, unter dem sich
auch fremde Menschen küssen dürfen. Damit beglückt er
verschiedene Gäste der Show. In dem auf den Displays im
Zuschauerraum gezeigten Video, mit dem sich jeder Act vorstellt,
berichtet das Duo Rock'n Rollers, wie es zu seiner
Rollschuhakrobatik gekommen ist – über YouTube-Filme. Die beide
Ukrainer sind also offensichtlich Autodidakten, die ganz
augenscheinlich Talent und die richtigen Vorbilder gewählt
haben. Denn wir erleben das vollständige Programm des Genres.
Das Ganze wild und erotisch präsentiert, was wunderbar zu den
rasanten Touren passt. Diese enden mit dem Genickhangwirbel.
  
Duo
Requiem, Marianna de Sanctis, BarTigerzZ
Das Duo Requiem
verpackt starke Akrobatik an den Strapaten in eine durchgehende
Geschichte. Leider geht durch das rote Licht und die wummernde
Musik zumindest für mich die eigentliche Arbeit etwas unter.
Insbesondere die mit den Zähnen gehaltenen Tricks sind
spektakulär. Inmitten des Publikums beginnt Marianna de Sanctis
ihre Performance mit Reifen. Das ist vermutlich die treffendste
Beschreibung ihrer Nummer, die mit einer herkömmlichen
Hula-Hoop-Darbietung wenig gemein hat. Zunächst „leiht“ sie
einzelnen Zuschauern ihre langen Haare. Diese nutzt sie wenig
später, um einen der Ringe daran rotieren zu lassen. Auch sonst
hat sie viele skurrile Kabinettstückchen in petto, die die
Italienerin auf ihre ganz eigene Art vorführt. Marianna de
Sanctis ist in vielerlei Hinsicht eine Inspiration. Dass diese
vier Herren regelmäßig Sport treiben, sieht man den BarTigerzZ
sofort an. Diese Körper kommen nicht von ungefähr. Für einige
Minuten dürfen wir dem Quartett bei seinem Street Workout
zusehen. Dabei steht ein Barren im Mittelpunkt, mithin ein
selten in einem Circus genutztes Requisit. Dass man daran
kraftvolle Akrobatik vollführen kann, beweisen die BarTigerzZ
vortrefflich. Wie sie sich daran in den verschiedensten
Varianten festhalten, statisch und in Bewegung, ist einfach
enorm stark.
 
Ukrain
Didyk Troupe, Sofia Rolao
Nach der Pause
hängen die beiden Schaukeln nicht mehr unter dem Zeltdach,
sondern stehen so auf der Bühne, dass von einer zur anderen
gesprungen werden kann. Und diese Sätze über eine respektable
Distanz beherrschen die Mitglieder der Ukrain Didyk Troupe mit
traumwandlerischer Sicherheit. Eine Dame und fünf Herren zeigen
beeindruckende Flüge, die nicht nur zur anderen Schaukel sowie
zu einer der Matten gehen, sondern auch zu einer kleinen
Reckstange, die mittig über den beiden Swings hängt. Ein Sprung
„über Kreuz“ beendet diese größte Darbietung der Show. Ganz
allein die Rundbühne füllen muss, oder besser darf, Sofia Rolao.
Die Portugiesin hat in ihre Kür viele Standards der
Equilibristik und Kontorsion vereint. Dank Kostüm, Präsentation
und Requisit wirken sie aber neuartig. Sie arbeitet auf einem
Gestell, das wie aus einem überdimensionalen Technikbaukasten
daherkommt. Dies in einem knappen, modern geschnittenen Outfit.
Auf zwei Händen hält sie sich genauso sicher im Gleichgewicht
wie auf einer. Derweil hält sie ihren Körper in Positionen, die
für unsereins unerreichbar sind. Der mit den Füßen ausgelöste
Bogenschuss bildet das Finale.
  
Joseph
Kerr, Trio Engel Acrobats, Rebekka Spiegel
Das Setting für
den Auftritt von Joseph Kerr wirkt eher unspektakulär. Ein Tisch
mit Tischtuch und Kerzen in Kerzenständern darauf. Wobei die
Kerzen genauer gesagt mit brennbarer Flüssigkeit gefüllte
Zylinder sind, in denen ein Docht hängt. Von dort nimmt er das
Feuer auf und spielt damit. Er schluckt und spuckt Feuer, wie
man es schon des Öfteren gesehen hat. Doch die Kunst von Joseph
Kerr geht weit über das Übliche hinaus. So transportiert er das
Feuer etwa mit geschlossenem Mund von einem Ort zu einem
anderen. Oder er lässt eine Flamme an seinem Mund lodern.
Absolut faszinierend. Präsentiert in der passenden
geheimnisvollen Aufmachung. Trio Engel Acrobats sind drei junge
Frauen, die in ihrer Darbietung akrobatische Türme und
Handvoltigen zeigen. Wir erleben etwa ein Hand-auf-Hand, das auf
den Schultern der dritten Artistin gestanden wird, welche einen
Spagat macht. Kraft, Gleichgewichtssinn und gegenseitiges
Vertrauen sind hier gefragt. Letzteres braucht insbesondere das
jüngste Mitglied der Formation, wenn es von seinen Partnerinnen
in die Luft katapultiert wird, um nach einem gewagten Flug
wieder sicher zu landen. Dann tritt die Frau ins
Scheinwerferlicht, die schon zuvor im Vorzelt sowie im Rundgang
um das Gradin unterwegs war. In ihrem Einkaufswagen sammelt sie
Pfandflaschen. Einige davon (aus Plastik) wirft sie nun ins
Publikum, um so die Zuschauer zu bestimmen, die Teil der Jury
für das Festival werden. Doch das ist nur das Intro zu Rebekka
Spiegels Luftnummer an einer Kette. Etliche der Tricks sind vom
Vertikalseil bekannt. Wie viel anstrengender muss es sein, diese
statt an einem vergleichsweise geschmeidigen Seil an einer Kette
aus Stahl zu arbeiten? Wir erleben eine starke Kür, die zudem
alles andere als Standard ist. Sogar Abfaller hat Rebekka
Spiegel im Repertoire. Beim auf das Todesrad von René Casselly
folgenden Finale ist dann neben dem gesamten Ensemble wieder die
Liveband dabei. |