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Alexis Gruss - Les Folies Gruss 2024/25
www.folies-gruss.com

Paris, 24. Januar 2025: Das vergangene Jahr war ein schicksalhaftes für die Familie Alexis Gruss. Im Januar war sie beim Internationalen Circusfestival von Monte Carlo zu Gast und kehrte mit einem weiteren Goldenen Clown nach Paris zurück – verliehen für die großartige Jonglage zu Pferd der Zwillingsbrüder Charles und Alexandre Gruss, aber auch als Hommage an die Familie insgesamt. Die pflegt den Circus mit Pferden in einem Facettenreichtum wie keine andere. Am 6. April 2024 folgte auf die Freude dann Trauer: Familienoberhaupt Alexis Gruss, Namensgeber des Unternehmens, verstarb im Alter von 79 Jahren.

But the show must go on. Und so ist die Compagnie Alexis Gruss auch im Winter 2024/25 wieder in der französischen Hauptstadt zu Gast, traditionsgemäß im Waldgebiet Bois de Boulogne. Noch einmal wird die in der Vorsaison kreierte Show gezeigt. Mit dieser werden die 50 Jahre gefeiert, seit denen die Familie stets zur kalten Jahreszeit in Paris gastiert. Viele Jahre lang präsentierte man sich als „Cirque National“.


Pre-Show mit Venecia Florees am Vertikalseil, Entree

Noch relativ neu ist dagegen das Konzept „Les Folies Gruss“, das erstmals Ende 2019 vorgestellt wurde. In diesem Rahmen erwartet uns ein dreiteiliger Abend. Zunächst besteht die Gelegenheit, die „Pre-Show“ in einem der langgestreckten Restaurationszelte zu besuchen. Wir nehmen an Tischen Platz, bestellen Essen à la carte, lassen uns vom freundlichen Personal bedienen und werden 90 Minuten lang trefflich unterhalten. Zum einen zeigen – vorwiegend die jüngeren – Mitglieder der Familie Gruss ihr Können. Die jüngste von ihnen ist Venecia Florees, Tochter von Maud (geb. Gruss) und Tony Florees. Sie hat das Vertikalseil als Disziplin gewählt und klettert dieses letztlich kopfüber hinunter. Ihre ältere Schwester Gloria zeigt auf dem Drahtseil, was sie bereits gelernt hat. Jeanne Gruss, Tochter von Generaldirektor Firmin Gruss, versucht sich ganz ernsthaft mit Akrobatik am Luftring. Dabei wird sie von ihrer Schwester Célestine gestört, die das Requisit kapert. So ergeben sich heitere Kapriolen. Ernsthafter geht es zu, wenn der artistische Direktor Stephan Gruss und seine erwachsenen Söhne Charles und Alexandre mit Keulen jonglieren, unter anderem vom Vater zum Zwei-Brüder-Hoch. Viel zu lachen gibt es bei der komischen Szene, in der Firmin Gruss als Zahnarzt erscheint, mit einem riesigen Bohrer, Hammer und Zange hantiert und schließlich einen monströsen Zahn präsentiert, den er vermeintlich bei einer jungen Dame gezogen hat. Zwischen den Auftritten spielen die sieben Musiker des hauseigenen Orchesters in stets wechselnden Formationen. Sängerin Mallorie Petibon beeindruckt mit ihren stimmlichen Fähigkeiten. Einmal wird das Ensemble musikalisch von Stephan Gruss unterstützt. Dieser führt moderierend durch diesen ersten Teil – und lädt am Ende ein, vom Dinnerzelt ins Grand Chapiteau zu wechseln.


Familie Gruss

Hier beginnt um 21 Uhr die große Show, die in 100 Minuten ohne Pause gespielt wird. Den Raum prägt der in Hufeisenform geschwungene Artisteneingang mit zwei Treppen links und rechts und dem Orchesterpodium in der Mitte. Geschaffen wurde er von Architekt Arthur Mamou-Mani. Als weitere externe Profis standen Grégor Garell (Autor, Inszenierung, Komposition), Gregory Antoine (Szenographie, Licht) sowie Bruno Fatalo (Kostüme) zur Verfügung. Im Prolog stellt Stephan Gruss die Familie vor, die auf Pferden rund um die Manege reitet, teils zu zweit auf einem Ross.


Gloria und Maud Florees, Célestine, Gipsy, Charles, Olivia, Firmin, Svetlana und Alexandre Gruss

Es folgt ein großes Potpourri an equestrischen Kunststücken: Gloria Florees und Célestine Gruss sitzen auf steigenden Schimmeln, die von Maud Florees dirigiert werden. Gipsy Gruss, Ehefrau des verstorbenen Alexis Gruss, zeigt verschiedene Facetten der Hohen Schule zu Pferd. Als Stehendreiterin erleben wir ihre Tochter Maud, die bei ihren Runden durch die Manege über Tücher und durch einen papierbespannten Reifen springt. Ein schönes Bild aus der reichen Familiengeschichte wird aufgegriffen, wenn Charles Gruss, sein Bruder Alexandre mit Ehefrau Olivia sowie der Onkel der Zwillinge, Firmin Gruss, mit Ehefrau Svetlana auf einer zweispännigen Kutsche verschiedene akrobatische Hebefiguren demonstrieren.


Venecia Florees, Jeanne und Charles Gruss

Die junge Venecia Florees entzückt mit einem Ponysteiger, und Jeanne Gruss springt im Damensitz auf einem Pferd über Hürden, während sie gleichzeitig einen Bogen wie ein Sprungseil nutzt. Alexandre Gruss gelingt das Gleiche als Stehendreiter, und schließlich springt Charles Gruss ebenso stehend durch einen Feuerreifen, den er bei einer der ersten Runden selbst entzündet hat. Was wir hier alles in rascher Abfolge zu sehen bekommen, ist wahrhaftig ein „Grand Tableau Equestre“!


Mallorie Petibon als Louise sowie Firmin, Charles, Alexandre, Stephan und Olivia Gruss

Im folgenden Bild werden die zwei Handlungsstränge dieser Show zusammengeführt. Neben der Feier des Jubiläums ist es die Geschichte von Sängerin Luise, die beim Circus arbeiten möchte. Anstelle von Candice Parise erleben wir an diesem Abend die Zweitbesetzung Mallorie Petibon. Für uns ist die Dame mit wunderbarer Ausstrahlung und hervorragender Stimme jedoch ebenso erste Wahl. Bei Mitarbeiter Piotr – gespielt von Sänger und Tänzer Xavier Ducrocq – fragt sie an, wo sie denn „Monsieur Stephan“ finden könne. Nachdem das Ensemble mit seinem Kehrbesen-Ballett die Manege saubergemacht hat, trifft sie ihn dort, wie er mit den Pferden trainiert. Dies unter anderem mit einem Viererzug brauner Vollblut-Araber, den er zu verschiedenen Lauffiguren anleitet. Die Sängerin und der Tierlehrer treten singend in einen Dialog. „Monsieur Stephan“ ist der Titel des Liedes, wie sämtliche Musik in dieser Produktion eine Originalkomposition für die Familie Gruss, live gespielt vom Orchester unter Sylvain Rolland. Louise bittet um eine Chance, im „Grand Spectacle“ mitmachen zu dürfen. Zum Beweis, dass sie der Sache würdig ist, zählt sie gut informiert die Jubiläen auf, die hier gefeiert werden. Dazu gehören nicht nur die 50 Jahre in Paris, sondern auch 250 Jahre moderner Circus, 170 Jahre Familie Gruss, der 80. Geburtstag von Alexis Gruss oder 30 Jahre, in denen man seinen Stammsitz im Schloss von Piolenc hat. Doch Stephan Gruss lässt sich nicht erweichen. Noch nicht. Stattdessen darf Louise miterleben, wie Firmin sowie Stephan, Charles und Alexandre Gruss ihre Geschicklichkeit bei Peitschenspielen und Lassodrehen unter Beweis stellen. Besonders fasziniert aber ist Louise, als sie auf Prinzipalin Gipsy Gruss trifft, die nochmals als Schulreiterin agiert, unter anderem beim Rückwärtslauf des Pferdes. Piotr erzählt, wie Gipsy und ihr verstorbener Mann Alexis die Manegenkunst an die nachfolgenden Generationen weitergegeben haben. Beispielsweise das Vermögen, ein Pas de Deux zu Pferd zu zelebrieren. Dies demonstrieren uns Alexandre und seine Frau Olivia Gruss. Diese steht auf einem Bein auf seiner Schulter, springt von den Schultern im Vorwärtssalto auf den Pferderücken oder liegt rücklings auf seinem nach oben gestreckten Arm.


Stephan Gruss, Maud Florees, Firmin, Charles und Alexandre Gruss

Im nächsten Bild erfahren wir noch mehr von den besonderen Fähigkeiten der Familie Gruss. Und so haben die drei Kinder von Gipsy und Alexis jeder eine besondere Spezialität, die sie nun in einer gemeinsamen Darbietung teils abwechselnd, teils parallel demonstrieren. Für uns einer der schönsten Momente dieser wunderbaren Produktion. Maud ist die elegante Seiltänzerin, die beispielsweise auf Spitzen über den gespannten Draht läuft. Firmin balanciert auf freistehenden Leitern, am Ende auch auf einem sehr hohen Modell mit zwölf Sprossen. Und Stephan beweist, dass er ganz hervorragend mit Keulen jonglieren kann und dreht dabei auch noch Pirouetten. Bei ihrer Kunst werden die drei Geschwister von Piotr und Louise gesanglich begleitet. „Equilibre“ – das Gleichgewicht – ist Titel und Thema des Songs. Dann finden wir uns erneut in einer Probe wieder, wo Firmin Gruss die Technik der Stehendreiterei an Tochter Célestine vermittelt. Louise staunt, wie diese begabte Familie in der Manege einfach alles selbst macht – und schon bewundern auch wir, wie Charles und Alexandre ihre Fertigkeiten als fertig ausgebildete Jockeyreiter unter Beweis stellen, unter anderem mit rasanten Sprüngen auf galoppierende Pferde. Auch Stephan, Firmin und Jeanne Gruss wirken in dieser temporeichen Nummer mit.


Firmin und Svetlana Gruss, Maud Florees

Noch einmal hofft Louise, mit einem Vorsingen zu einem Engagement zu kommen, auch wenn es zunächst nur vor Mitarbeiter Piotr ist. Doch angelockt von ihrer herrlichen Stimme kommt nacheinander ein Familienmitglied der Direktionsfamilie nach dem anderen dazu und lauscht ihr ergriffen. Bis sie von Stephan Gruss tatsächlich offiziell engagiert wird. Und wo wir beim Thema musikalische Qualität sind, stellt Stephan nun das Orchester vor und berichtet, welche Instrumente es für den perfekten Klang benötigt. Ihre Premiere als Sängerin bei „Les Folies Gruss“ feiert Louise nun, wenn sie Firmin und Svetlana Grusss bei deren Arbeit an den Strapaten begleitet. Mal umkreisen sich die beiden, mal kreiselt sie alleine, mal hält sie sich nur an den Enden eines Tuches, das um seinen Hals verläuft. Wenn sie gemeinsam durch die Kuppel fliegen, Svetlana sich an Firmins Bein haltend, dann wirkt dies elegant und temperamentvoll zugleich. Zur vielfältigen equestrischen Kunst gehört natürlich außer der Reiterei und Akrobatik zu Pferd auch die Freiheitsdressur. Dass man diese im Hause Gruss beherrscht, belegt Maud Florees. Zunächst sechs dunkle Pferde kommen zu ihr in die Manege, springen gleichzeitig über eine Hürde und laufen dann in verschiedenen Figuren durchs weite Rund. Bald wird die Gruppe zum Neunerzug erweitert, der unter anderem verschiedene Gegenläufe beherrscht. Wiederum über die Hürde geht es hinaus.


Svetlana, Charles und Alexandre Gruss

Auch die Luftakrobatik hat sich zu einer der Spezialitäten der Familie entwickelt. Und so arbeiten Svetlana und Olivia Gruss zunächst gemeinsam am Luftring, bis uns im zweiten Teil der Nummer eine besondere Überraschung erwartet. Denn nun wird auf einem fahrbaren Podium ein großer, wassergefüllter Zylinder in die Manege gebracht. Svetlana Gruss, nunmehr ohne Partnerin, taucht vom Luftring ins Wasser ein und zeigt unter der Oberfläche Figuren, wie wir sie aus dem Synchronschwimmen kennen, mit langen, ausdauernden Passagen unter der Oberfläche. Das Können kommt nicht von ungefähr, denn die gebürtige Russin gehörte lange vor ihrer Heirat mit Firmin Gruss dem Nationalteam ihres Heimatlandes in dieser Sportart an. Begleitet wird sie von einem ruhigen Chanson. Nun wird es Zeit für die beiden absoluten Höhepunkte des Programms. Charles am Schlagzeug, Alexandre an der Gitarre lassen zunächst ihr musikalisches Können aufblitzen, ehe sie zu ihrer Paradedisziplin wechseln, der Jonglage zu Pferd. Erst werfen sie sich die Keulen zu, während einer durch die Manege rennt und einer im Stehen reitet; später sehen wir Passings mit sechs Keulen von einem Pferd zum anderen. Auch im Solo wird jongliert, mal beide gemeinsam auf einem Ross stehend, mal jeder auf einem eigenen – und das natürlich immer im Galopp. Nicht fehlen darf, wie Alexandre mit drei Fackeln jongliert und Charles die französische Flagge wehen lässt.


Maud Florees

Das Glanzlicht vor dem Finale bildet die große Ungarische Post. Maud Gruss reitet, ihr Bruder Stephan ordnet in der Manegenmitte. Fünfzehn Vorauspferde in Dreiergruppen vereint die Reiterin, die alle Bänder von den Pferderücken fehlerfrei aufnimmt. Schon während der Darbietung setzt begeisterter Applaus ein, und Maud Gruss dreht abschließend mit ihrem imaginären Gespann noch einige rasante Runden – nun mit Pferd Nummer 18 zwischen den beiden Vorauspferden! Im Finale verabschiedet sich die Familie und es wird noch einmal deutlich, dass Louise – alias Sängerin Mallorie Petibon – nunmehr fest zum Ensemble gehört.

Dieser Abend zeigt: Der Goldene Clown vor einem Jahr war redlich verdient, und auch nach dem Tod von Namensgeber Alexis Gruss kann und wird die nach ihm benannte Compagnie – seine große Familie – die Tradition des Unternehmens mit Leidenschaft und Können fortsetzen. Das Publikum an diesem Abend nimmt das Gebotene voller Anerkennung auf, mit langen Standing Ovations. Und dann ist der Abend noch nicht zu Ende. Nach „Pre-Show“ und Grand Spectacle besteht im dritten Teil die Gelegenheit, im Vorzelt mit dem gesamten Ensemble zu plaudern und Autogramme im hochwertigen Programmheft zu sammeln. Eine Gelegenheit, die reichlich genutzt wird.

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Text und Außenfoto: Markus Moll; weitere Fotos: Les Folies Gruss