But the show must
go on. Und so ist die Compagnie Alexis Gruss auch im Winter
2024/25 wieder in der französischen Hauptstadt zu Gast,
traditionsgemäß im Waldgebiet Bois de Boulogne. Noch einmal wird
die in der Vorsaison kreierte Show gezeigt. Mit dieser werden
die 50 Jahre gefeiert, seit denen die Familie stets zur kalten
Jahreszeit in Paris gastiert. Viele Jahre lang präsentierte man
sich als „Cirque National“.
 
Pre-Show mit
Venecia Florees am Vertikalseil, Entree
Noch relativ neu
ist dagegen das Konzept „Les Folies Gruss“, das erstmals Ende
2019 vorgestellt wurde. In diesem Rahmen erwartet uns ein
dreiteiliger Abend. Zunächst besteht die Gelegenheit, die „Pre-Show“
in einem der langgestreckten Restaurationszelte zu besuchen. Wir
nehmen an Tischen Platz, bestellen Essen à la carte, lassen uns
vom freundlichen Personal bedienen und werden 90 Minuten lang
trefflich unterhalten. Zum einen zeigen – vorwiegend die
jüngeren – Mitglieder der Familie Gruss ihr Können. Die jüngste
von ihnen ist Venecia Florees, Tochter von Maud (geb. Gruss) und
Tony Florees. Sie hat das Vertikalseil als Disziplin gewählt und
klettert dieses letztlich kopfüber hinunter. Ihre ältere
Schwester Gloria zeigt auf dem Drahtseil, was sie bereits
gelernt hat. Jeanne Gruss, Tochter von Generaldirektor Firmin
Gruss, versucht sich ganz ernsthaft mit Akrobatik am Luftring.
Dabei wird sie von ihrer Schwester Célestine gestört, die das
Requisit kapert. So ergeben sich heitere
Kapriolen. Ernsthafter geht es zu, wenn der artistische Direktor
Stephan Gruss und seine erwachsenen Söhne Charles und Alexandre
mit Keulen jonglieren, unter anderem vom Vater zum
Zwei-Brüder-Hoch. Viel zu lachen gibt es bei der komischen
Szene, in der Firmin Gruss als Zahnarzt erscheint, mit einem
riesigen Bohrer, Hammer und Zange hantiert und schließlich einen
monströsen Zahn präsentiert, den er vermeintlich bei einer jungen
Dame gezogen hat. Zwischen den Auftritten spielen die sieben
Musiker des hauseigenen Orchesters in stets wechselnden
Formationen. Sängerin Mallorie Petibon beeindruckt mit ihren
stimmlichen Fähigkeiten. Einmal wird das Ensemble musikalisch
von Stephan Gruss unterstützt. Dieser führt moderierend durch
diesen ersten Teil – und lädt am Ende ein, vom Dinnerzelt ins
Grand Chapiteau zu wechseln.

Familie
Gruss
Hier beginnt um 21
Uhr die große Show, die in 100 Minuten ohne Pause gespielt wird.
Den Raum prägt der in Hufeisenform geschwungene Artisteneingang
mit zwei Treppen links und rechts und dem Orchesterpodium in der
Mitte. Geschaffen wurde er von Architekt Arthur Mamou-Mani. Als
weitere externe Profis standen Grégor Garell (Autor,
Inszenierung, Komposition), Gregory Antoine (Szenographie,
Licht) sowie Bruno Fatalo (Kostüme) zur Verfügung. Im Prolog
stellt Stephan Gruss die Familie vor, die auf Pferden rund um
die Manege reitet, teils zu zweit auf einem Ross.
  
Gloria und Maud
Florees, Célestine, Gipsy, Charles, Olivia, Firmin, Svetlana und
Alexandre Gruss
Es folgt ein großes Potpourri an equestrischen Kunststücken:
Gloria Florees und Célestine Gruss sitzen auf steigenden
Schimmeln, die von Maud Florees dirigiert werden. Gipsy Gruss,
Ehefrau des verstorbenen Alexis Gruss, zeigt verschiedene
Facetten der Hohen Schule zu Pferd. Als Stehendreiterin erleben
wir ihre Tochter Maud, die bei ihren Runden durch die Manege
über Tücher und durch einen papierbespannten Reifen springt. Ein
schönes Bild aus der reichen Familiengeschichte wird
aufgegriffen, wenn Charles Gruss, sein Bruder Alexandre mit
Ehefrau Olivia sowie der Onkel der Zwillinge, Firmin Gruss, mit
Ehefrau Svetlana auf einer zweispännigen Kutsche verschiedene
akrobatische Hebefiguren demonstrieren.
  
Venecia Florees,
Jeanne und Charles Gruss
Die junge Venecia Florees entzückt mit einem Ponysteiger, und
Jeanne Gruss springt im Damensitz auf einem Pferd über Hürden,
während sie gleichzeitig einen Bogen wie ein Sprungseil nutzt.
Alexandre Gruss gelingt das Gleiche als Stehendreiter, und
schließlich springt Charles Gruss ebenso stehend durch einen
Feuerreifen, den er bei einer der ersten Runden selbst entzündet
hat. Was wir hier alles in rascher Abfolge zu sehen bekommen, ist wahrhaftig ein
„Grand Tableau Equestre“!
  
Mallorie Petibon
als Louise sowie Firmin, Charles, Alexandre, Stephan und Olivia
Gruss
Im folgenden Bild werden die zwei Handlungsstränge dieser Show
zusammengeführt. Neben der Feier des Jubiläums ist es die
Geschichte von Sängerin Luise, die beim Circus arbeiten möchte.
Anstelle von Candice Parise erleben wir an diesem Abend die
Zweitbesetzung Mallorie Petibon. Für uns ist die Dame mit
wunderbarer Ausstrahlung und hervorragender Stimme jedoch ebenso
erste Wahl. Bei Mitarbeiter Piotr – gespielt von Sänger und
Tänzer Xavier Ducrocq – fragt sie an, wo sie denn „Monsieur
Stephan“ finden könne. Nachdem das Ensemble mit seinem
Kehrbesen-Ballett die Manege saubergemacht hat, trifft sie ihn
dort, wie er mit den Pferden trainiert. Dies unter anderem mit einem
Viererzug brauner Vollblut-Araber, den er zu verschiedenen
Lauffiguren anleitet. Die Sängerin und der Tierlehrer treten
singend in einen Dialog. „Monsieur Stephan“ ist der Titel des
Liedes, wie sämtliche Musik in dieser Produktion eine
Originalkomposition für die Familie Gruss, live gespielt vom
Orchester unter Sylvain Rolland. Louise bittet um eine Chance, im
„Grand Spectacle“ mitmachen zu dürfen. Zum Beweis, dass sie der
Sache würdig ist, zählt sie gut informiert die Jubiläen auf, die
hier gefeiert werden. Dazu gehören nicht nur die 50 Jahre in
Paris, sondern auch 250 Jahre moderner Circus, 170 Jahre Familie
Gruss, der 80. Geburtstag von Alexis Gruss oder 30 Jahre, in
denen man seinen Stammsitz im Schloss von Piolenc hat. Doch
Stephan Gruss lässt sich nicht erweichen. Noch nicht.
Stattdessen darf Louise miterleben, wie Firmin sowie Stephan,
Charles und Alexandre Gruss ihre Geschicklichkeit bei
Peitschenspielen und Lassodrehen unter Beweis stellen. Besonders
fasziniert aber ist Louise, als sie auf Prinzipalin Gipsy Gruss
trifft, die nochmals als Schulreiterin agiert, unter
anderem beim Rückwärtslauf des Pferdes. Piotr erzählt, wie Gipsy
und ihr verstorbener Mann Alexis die Manegenkunst an die
nachfolgenden Generationen weitergegeben haben. Beispielsweise
das Vermögen, ein Pas de Deux zu Pferd zu zelebrieren. Dies
demonstrieren uns Alexandre und seine Frau Olivia Gruss. Diese
steht auf einem Bein auf seiner Schulter, springt von den
Schultern im Vorwärtssalto auf den Pferderücken oder liegt
rücklings auf seinem nach oben gestreckten Arm.
 
Stephan Gruss,
Maud Florees, Firmin, Charles und Alexandre Gruss
Im nächsten Bild erfahren wir noch mehr von den besonderen
Fähigkeiten der Familie Gruss. Und so haben die drei Kinder von
Gipsy und Alexis jeder eine besondere Spezialität, die sie nun
in einer gemeinsamen Darbietung teils abwechselnd, teils parallel
demonstrieren. Für uns einer der schönsten Momente dieser
wunderbaren Produktion. Maud ist die elegante Seiltänzerin, die
beispielsweise auf Spitzen über den gespannten Draht läuft. Firmin balanciert auf freistehenden Leitern, am Ende auch auf
einem sehr hohen Modell mit zwölf Sprossen. Und Stephan beweist,
dass er ganz hervorragend mit Keulen jonglieren kann und dreht
dabei auch noch Pirouetten. Bei ihrer Kunst werden die drei
Geschwister von Piotr und Louise gesanglich begleitet. „Equilibre“
– das Gleichgewicht – ist Titel und Thema des Songs. Dann finden
wir uns erneut in einer Probe wieder, wo Firmin Gruss die
Technik der Stehendreiterei an Tochter Célestine vermittelt.
Louise staunt, wie diese begabte Familie in der Manege einfach
alles selbst macht – und schon bewundern auch wir, wie Charles und
Alexandre ihre Fertigkeiten als fertig ausgebildete Jockeyreiter
unter Beweis stellen, unter anderem mit rasanten Sprüngen auf
galoppierende Pferde. Auch Stephan, Firmin und Jeanne Gruss
wirken in dieser temporeichen Nummer mit.
 
Firmin und
Svetlana Gruss, Maud Florees
Noch einmal hofft Louise, mit einem Vorsingen zu einem
Engagement zu kommen, auch wenn es zunächst nur vor Mitarbeiter
Piotr ist. Doch angelockt von ihrer herrlichen Stimme kommt
nacheinander ein Familienmitglied der Direktionsfamilie nach dem
anderen dazu und lauscht ihr ergriffen. Bis sie von Stephan
Gruss tatsächlich offiziell engagiert wird. Und wo wir beim
Thema musikalische Qualität sind, stellt Stephan nun das
Orchester vor und berichtet, welche Instrumente es für den
perfekten Klang benötigt. Ihre Premiere als Sängerin bei „Les
Folies Gruss“ feiert Louise nun, wenn sie Firmin und Svetlana
Grusss bei deren Arbeit an den Strapaten begleitet. Mal
umkreisen sich die beiden, mal kreiselt sie alleine, mal
hält sie sich nur an den Enden eines Tuches, das um seinen Hals
verläuft. Wenn sie gemeinsam durch die Kuppel fliegen, Svetlana
sich an Firmins Bein haltend, dann wirkt dies elegant und
temperamentvoll zugleich. Zur vielfältigen equestrischen Kunst
gehört natürlich außer der Reiterei und Akrobatik zu Pferd auch
die Freiheitsdressur. Dass man diese im Hause Gruss
beherrscht, belegt Maud Florees. Zunächst sechs dunkle Pferde
kommen zu ihr in die Manege, springen gleichzeitig über eine
Hürde und laufen dann in verschiedenen Figuren durchs weite
Rund. Bald wird die Gruppe zum Neunerzug erweitert, der unter
anderem verschiedene Gegenläufe beherrscht. Wiederum über die
Hürde geht es hinaus.
 
Svetlana, Charles
und Alexandre Gruss
Auch die Luftakrobatik hat sich zu einer der Spezialitäten der
Familie entwickelt. Und so arbeiten Svetlana und Olivia Gruss
zunächst gemeinsam am Luftring, bis uns im zweiten Teil der
Nummer eine besondere Überraschung erwartet. Denn nun wird auf
einem fahrbaren Podium ein großer, wassergefüllter Zylinder in
die Manege gebracht. Svetlana Gruss, nunmehr ohne Partnerin,
taucht vom Luftring ins Wasser ein und zeigt unter der
Oberfläche Figuren, wie wir sie aus dem Synchronschwimmen
kennen, mit langen, ausdauernden Passagen unter der Oberfläche. Das
Können kommt nicht von ungefähr, denn die gebürtige Russin
gehörte lange vor ihrer Heirat mit Firmin Gruss dem Nationalteam
ihres Heimatlandes in dieser Sportart an. Begleitet wird sie von
einem ruhigen Chanson. Nun wird es Zeit für die beiden absoluten
Höhepunkte des Programms. Charles am Schlagzeug, Alexandre an
der Gitarre lassen zunächst ihr musikalisches Können aufblitzen,
ehe sie zu ihrer Paradedisziplin wechseln, der Jonglage zu
Pferd. Erst werfen sie sich die Keulen zu, während einer durch
die Manege rennt und einer im Stehen reitet; später sehen wir
Passings mit sechs Keulen von einem Pferd zum anderen. Auch im
Solo wird jongliert, mal beide gemeinsam auf einem Ross stehend,
mal jeder auf einem eigenen – und das natürlich immer im Galopp.
Nicht fehlen darf, wie Alexandre mit drei Fackeln jongliert und
Charles die französische Flagge wehen lässt.

Maud Florees
Das Glanzlicht vor dem Finale bildet die große Ungarische Post.
Maud Gruss reitet, ihr Bruder Stephan ordnet in der
Manegenmitte. Fünfzehn Vorauspferde in Dreiergruppen vereint die
Reiterin, die alle Bänder von den Pferderücken fehlerfrei
aufnimmt. Schon während der Darbietung setzt begeisterter
Applaus ein, und Maud Gruss dreht abschließend mit ihrem
imaginären Gespann noch einige rasante Runden – nun mit Pferd
Nummer 18 zwischen den beiden Vorauspferden!
Im Finale verabschiedet sich die Familie und es wird noch einmal
deutlich, dass Louise – alias Sängerin Mallorie Petibon – nunmehr
fest zum Ensemble gehört. |