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Internationales OVAG Varieté 2025
www.ovag-gruppe.de - 175 Showfotos

Bad Nauheim, 18. Januar 2025: Inzwischen schreiben wir die 21. Auflage des Internationalen OVAG Varietés. Kein Jubiläum, keine Wiederaufnahme des Spielbetriebs nach Pandemie-bedingter Pause. Einfach ein ganz gewöhnliches Jahr. Auch für uns, die wir seit 2014 über die Shows in Bad Nauheim berichten, gibt es keine Besonderheit, die man prominent an den Beginn dieses Beitrags stellen könnte. Das ändert aber nichts daran, dass auch diese Produktion wieder so besonders werden muss wie all die anderen davor.

Top-Niveau, neuartig und nicht unter dreieinhalb Stunden, das sind wichtigsten Kriterien, die die Macher auch im Januar 2025 erfüllen müssen. Das erwartet das verwöhnte Publikum – und das bekommt es natürlich. Andreas Mattlé und Anne Naumann, die die Öffentlichkeitsarbeit der Oberhessischen Versorgungsbetriebe AG verantworten, sind inzwischen Varietéprofis. Sie wissen, was bei den (mehrheitlich) Stammgästen ankommt und wie neue Impulse gesetzt werden können. Das wird in der diesjährigen Vorstellung wieder wunderbar umgesetzt.


Das eindrucksvolle Ensemble beim Finale

Drei Darbietungen sind dabei, die wir hier bereits gesehen haben, ansonsten ist alles neu. Die Mischung stimmt. Es gibt Sensationen, etwas zum Träumen und natürlich kommt der Humor nicht zu kurz. Das Dolce Jugendstil-Theater bildet den wunderschönen Rahmen und erlaubt aufgrund seiner Dimensionen auch größere Auftritte. Das alles honorieren die Zuschauer wieder mit weit im Voraus ausverkauften Vorstellungen und regelmäßigen Standing Ovations beim Finale.


Timothy Trust und Diamond Diaz

Der Abend beginnt magisch. Kein Wunder, denn zu den vielen Talenten unserer Gastgeber gehört die Zauberei. Ein großes Glasgefäß füllt sich mit Rauch und kurz darauf erscheinen darin Timothy Trust und Diamond Diaz. Mit viel Witz führt das Duo durch die Show, stellt die einzelnen Darbietungen vor und steuert selbst welche bei. Diamond Diaz fasziniert mit Mentalmagie. In Sekundenschnelle „erkennt“ sie mit verbundenen Augen Gegenstände, die sich ihr Partner von Zuschauern zeigen lässt. Auch längere Zahlenkolonnen sind kein Problem für sie. Timothy Trust hingegen führt freche Dialoge mit Frosch George. Dass das Gespräch wie am Schnürchen läuft, hat einen einfachen Grund: Timothy Trust ist Bauchredner und übernimmt somit auch den Part seines grünen Gegenüber. Flaschen und Weingläser lässt er in einer weiteren Nummer beliebig unter Röhren erscheinen, verschwinden und Plätze tauschen. Beim Verketten und Trennen von Metallringen werden zwei Herren aus dem Publikum eingebunden. Wenn sie die Ringe anfassen, werden diese auch mal so heiß, dass sie klirrend zu Boden fallen. Ebenso erhitzt sich die Sitzfläche des angebotenen Stuhls offenbar so stark, dass der Gast aufspringen muss.


Hassak Troupe Tikanov

Der Hassak Troupe Tikanov gehört sowohl der artistische Auftakt als auch die Finalnummer. Sie sind die ersten Artisten aus Kasachstan beim Internationalen OVAG Varieté und sie bringen zwei neue Genres auf die Bühne des Dolce Theaters. Zunächst balancieren sie im Quartett über zwei Leitern, die oben in einem spitzen Winkel verbunden sind. Zudem gibt es auf den höchstem Sprossen eine Plattform. Dies, damit sich die Menschentürme kreuzen können oder eine kurze Verschnaufpause möglich ist. Denn hier wird nicht einfach über Leitern geklettert, sondern zunächst laufen jeweils zwei Personen aufeinander hinauf und hinunter. Dies etwa im Kopf auf Kopf und mit den Zehenspitzen eines Fußes auf dem Kopf des Untermannes stehend. Zum Schluss geht es mit einer Stirnpreche über die Leitern. An deren Spitze stehen gleich zwei Artisten. Das in prachtvollen Kostümen. Diese zeichnen auch die Akrobatik am doppelten Mast aus. Eine Dame und sechs Herren verpacken die Tricks an den Poles in eine folkloristische Choreografie. Das Erklimmen der Stangen in den unterschiedlichsten Varianten sowie Formationen sieht locker und leicht aus. Nach allen Erinnerungen an den eigenen Sportunterricht ist es das mitnichten. Herunter geht es noch flotter. Wenn sich einer der Akteure im rechten Winkel mit den Armen von einem Mast abdrückt, stehen ein Partner und eine Partnerin übereinander auf seinem Oberkörper. Ein Artist erklimmt gar eine der Stangen, während die Dame der Truppe auf seinem Kopf steht.


Mustache Brothers, Mareike Koch, Duo Costache

Während dabei volle Konzentration angesagt ist, geht es bei den Mustache Brothers geradewegs spielerisch zu. Bruno Fratani und Nelson Cavalcante sind Kaskadeure und damit nahezu die letzten ihrer Zunft. Die Comedy-Akrobatik rund um einen Tisch ist heute nur noch sehr selten zu sehen. Die beiden Brasilianer beherrschen sie meisterlich. Sie wirbeln über die Bühne, schlagen Salti, schubsen sich gegenseitig von der Tischplatte und haben dabei jede Menge Spaß, der sich sofort in den Zuschauerraum überträgt. Dabei spielen natürlich, der Künstlername sagt es, die angeklebten Oberlippenbärte eine Rolle. Kompletter Stimmungswechsel mit Mareike Koch. Die in Bremen geborene und an der Staatlichen Artistenschule in Berlin ausgebildete Artistin lässt uns träumen. Sie nimmt uns mit in luftige Höhen. Am Trapez zeigt sie ganz in Rot eine hinreißende Kür. Das vor einem wunderschönen Bühnenbild aus Licht und dem dazu passenden Song. Für das famose Lichtdesign ist wiederum Klaus Nass mit seinem Team verantwortlich, um den hochwertigen Ton kümmern sich Christian Krauß und Harald Frimmel. Bevor sich Mareike Koch im Regen weißer Blütenblätter verabschiedet, verwöhnt sie uns unter anderem mit dem Zehenhang und zig Umschwüngen um die Trapezstange. Hinzu kommen weitere innovative Kunststücke. Äußerst vielseitige Artisten sind Leo und Vita Costache. Die Mitglieder des Rumänischen Nationalzirkus haben insbesondere die Gäste des dänischen Cirkus Arena in den letzten Jahren mit immer wieder neuen Acts begeistert. In Bad Nauheim erleben wir sie zunächst mit ihrer Paradedisziplin, der Perche. Dies in den Varianten Stirnperche und einzelne sowie doppelte Schulterperche. Als Rarität gibt es eine mit den Zähnen gehaltene Perchestange. Bei einem der Tricks erklimmt Leo sogar zwei freistehende Leitern, die nebeneinander stehen. Am oberen Ende erleben wir Vita etwa im einarmigen Handstand, mit Überschlägen auf einem Fahrrad oder im Zahnhang rotierend. Die Kraft der Gebisse spielt auch beim zweiten Auftritt des Duo Costache eine wichtige Rolle. Dabei geht es an das Trapez. Leo hält sich mit den Zähnen am Trapez fest, an seinen Füßen hängt ein weiteres Trapez, an dem wiederum Vita mit den Zähnen hängt. Er jongliert mit Keulen, sie lässt Reifen um Arme und ein Bein rotieren. Direkt danach Rollentausch. Jetzt hängt Vita mit den Zähnen an der Trapezstange. An einem ihrer Füße hat sie eine Schlaufe, an der sich nun Leo mit dem Gebiss hält. Und dabei handelt es sich nur um das Finale ihrer Nummer, in der wir zuvor schon viele mehr als sehenswerte Tricks bewundern durften.


Steve Eleky, Halves Project, Melody of Balance

Volle Bewunderung natürlich immer wieder für Steve Eleky. Vielleicht ist er nicht der begnadetste Jongleur und Zauberer, aber keiner verkauft diese beiden Genres witziger als der Mann mit Hai im Schottenrock. Seine Gags können wir inzwischen alle auswendig mitsprechen, aber nach wie vor erzeugen sie allergrößte „Haiterkeit“. Den anderen Gästen im Saal geht es offensichtlich genauso. Steve Eleky ist zum wiederholten Mal beim OVAG Varieté zu Gast und wird bei seinen beiden Auftritten einmal mehr frenetisch gefeiert. Natürlich geben die beiden Plüschhasen an diesem Abend wieder alles, man ist ja schließlich in Bad Nauheim. Der so produzierte Nachwuchs mit weißem Fell und schwarzen Punkten folgt prompt. Ebenfalls im Re-Engagement ist das Trio Halves Project. Anhelina Chaika, Dmytro Kotsiubynskyi und Denys Klimov stammen aus Kiew. Sie erzeugen in schwarz und weiß gehaltenen Outfits optische Effekte, die zunächst ein wenig verwirren, aber dann ganz schnell faszinieren. Im Schwarzlicht sehen wir immer nur den hellen Anteil des Kostüms. Was beispielsweise dazu führt, dass sich vermeintlich Ober- und Unterkörper plötzlich trennen, um kurz darauf miteinander zu interagieren. Der große Hype um die Balancen mit Palmästen ist schon längst abgeflacht. Mariana Vozovik und Viktor Nebrat haben ihre ganz eigene Variation davon entwickelt. Sie ist Opern-Bratschistin und spielt mit immer größer werdenden Bögen auf ihrem Instrument. Er übernimmt die nicht mehr benötigten Bögen und baut daraus ein höchst fragiles Mobile. Ganz nach dem von den Palmästen bekannten Prinzip. Aus am Ende zwölf Elementen besteht das Kunstwerk. Bevor es gewollt in sich zusammenfällt, balanciert Mariana es auf ihrer Bratsche. Dazu trägt das Duo Melody of Balance märchenhafte Kostüme.


David Burlet, Viviana Rossi, Laura Urunova

Weiße Teller lässt David Burlet auf dünnen Stäben tanzen. Der Sohn einer Tänzerin und eines Clowns sorgt für Action und Spaß. Alles wird mit ordentlich Tempo und einem Augenzwinkern serviert. Auch ein verrutschtes Haarteil nimmt der Franzose ganz locker. Neben dem Tellerdrehen hat er weitere Kabinettstückchen auf Lager. Er balanciert kleine gestapelte Kisten auf dem Kinn, lässt Löffel in Gläser fliegen und jongliert mit gelben Plastiktellern. Wenn ein Requisitentisch zusammenklappt, wird auch dieses Malheur mal eben gefixt. Die Kür an den Strapaten von Viviana Rossi bekommt durch die Einbeziehung einer mit Wasser gefüllten, gläsernen Badewanne zusätzliche Reize. Immer wieder taucht sie in das Nass ein, bevor sie Richtung Bühnendecke gezogen wird. Durch die Bewegungen spritzen die Tropfen von ihr weg und erzeugen traumhafte Bilder. Dazu die atemberaubende Artistik der Spanierin mit dem Traumbody. Umschwünge, Haltefiguren in akrobatische Posen und weitere Flugsequenzen sehen bei ihr beneidenswert einfach aus. Dabei müssen sie viel Kraft, Können und ein immenses Training erfordern. Das Fliegen überlässt Laura Urunova ihren gefiederten Partnern. Wunderschöne Papageien in verschiedenen Farbschattierungen dürfen zum Ende ihres Auftritts ausdauernde Runden durch den Theaterraum drehen. Zuvor zeigen sie unter Anleitung ihrer charmanten Trainerin, was sie noch alles beherrschen. Etwa das Überbringen einer Rose, die Rolle seitwärts auf dem Boden oder das Durchfliegen mehrerer Reifen. Erholung ist angesagt, wenn zwei der Vögel auf Liegestühlen Platz nehmen und in einer Illustrierten lesen, während unter einem Schirm nebenan die Getränkedose gekühlt wird. Schön, dass die Macher der Show weiter auf Tierdarbietungen setzen und sich wie in diesem Fall wiederum für eine herrliche Dressurnummer entschieden haben.


Michael Ferreri, Mongoljingoo Contortion, Tumar KR

Seine wahrlich rasante Karriere führt Michael Ferreri in diesem Winter endlich auf die OVAG-Bühne, die der jugendliche Jongleur natürlich spielend füllt. Was die Requisiten angeht, beschränkt er sich auf Bälle und zeigt so die ganze damit mögliche Bandbreite. Es sind atemberaubende Touren, mit denen er die Augen des Publikums fordert. Mal jongliert er vor dem Körper, mal über Kopf und dann wieder mit einer Hand vor sowie der anderen hinter dem Rumpf. Das in enormer Geschwindigkeit. Die Anzahl der Bälle wird immer weiter erhöht, am Ende sind es zehn Stück. Als Zugabe lässt Michael Ferreri bunt in der Dunkelheit leuchtende Bälle fliegen. Was bislang zumeist als Schlusstrick einer Solo-Kontorsion zu erleben war, wird inzwischen von größeren Formationen in verschiedenen Variationen gezeigt: der mit den Füßen ausgelöste Bogenschuss. Hier sehen wir fünf Artistinnen aus der Mongolei im Alter von 21 bis 23 Jahren. Mongoljingoo Contortion nennt sich das Quintett, das uns in wunderschönen Kostümen mit Treffsicherheit, vor allen Dingen aber der Biegsamkeit der Körper fasziniert. Die Damen formen herrliche lebende Kunstwerke. Eines oder auch mehrere der Schlangenmädchen schießen daraus ihre Pfeile ab, welche mitten in den runden Zielscheiben landen. Von der Mongolei geht es nach Kirgistan. Aus diesem Land kommen die vier jungen Herren, die unter dem Titel Tumar KR ihren Robot-Dance vollführen. Dazu entführen sie uns in das Labor von Dr. Frankenstein. An diesem geheimnisvollen Ort kümmern sich drei Gestalten, um eine vierte, die scheinbar leblos auf einem Tisch liegt. Doch bald beginnt sie, sich zu bewegen. Zusammen erleben wir das Quartett in einer Mischung aus „tänzerischer Bewegung, Verbiegekunst und Robotertanz“, wie es das umfangreiche Programmheft formuliert. Ein gruseliges und doch begeisterndes, innovatives Erlebnis.

Um kurz nach 23:30 Uhr startet das ausführlich zelebrierte Finale. Wir bekommen vor Augen geführt, welch großes und großartiges Ensemble uns in den vergangenen Stunden aufs Beste unterhalten hat. 35 Artisten aus 14 Nationen verabschieden sich. Das Publikum hält es nicht mehr auf den Sitzen, die Party überträgt sich von der Bühne in den Saal. Mithin ist das 21. Internationale OVAG Varieté ein riesiger Erfolg. In Bad Nauheim inzwischen nichts ungewöhnliches, denn Zufriedenheit ist hier einfach garantiert – in jedem Jahr.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch