Top-Niveau,
neuartig und nicht unter dreieinhalb Stunden, das sind wichtigsten
Kriterien, die die Macher auch im Januar 2025 erfüllen müssen. Das
erwartet das verwöhnte Publikum – und das bekommt es natürlich. Andreas Mattlé und Anne Naumann, die die Öffentlichkeitsarbeit der
Oberhessischen Versorgungsbetriebe AG verantworten, sind inzwischen
Varietéprofis. Sie wissen, was bei den (mehrheitlich) Stammgästen
ankommt und wie neue Impulse gesetzt werden können. Das wird in der
diesjährigen Vorstellung wieder wunderbar umgesetzt.

Das
eindrucksvolle Ensemble beim Finale
Drei Darbietungen
sind dabei, die wir hier bereits gesehen haben, ansonsten ist alles neu.
Die Mischung stimmt. Es gibt Sensationen, etwas zum Träumen und
natürlich kommt der Humor nicht zu kurz. Das Dolce Jugendstil-Theater
bildet den wunderschönen Rahmen und erlaubt aufgrund seiner Dimensionen
auch größere Auftritte. Das alles honorieren die Zuschauer wieder mit
weit im Voraus ausverkauften Vorstellungen und regelmäßigen Standing
Ovations beim Finale.
  
Timothy Trust
und Diamond Diaz
Der Abend beginnt
magisch. Kein Wunder, denn zu den vielen Talenten unserer Gastgeber
gehört die Zauberei. Ein großes Glasgefäß füllt sich mit Rauch und kurz
darauf erscheinen darin Timothy Trust und Diamond Diaz. Mit viel Witz
führt das Duo durch die Show, stellt die einzelnen Darbietungen vor und
steuert selbst welche bei. Diamond Diaz fasziniert mit Mentalmagie. In
Sekundenschnelle „erkennt“ sie mit verbundenen Augen Gegenstände, die
sich ihr Partner von Zuschauern zeigen lässt. Auch längere
Zahlenkolonnen sind kein Problem für sie. Timothy Trust hingegen führt
freche Dialoge mit Frosch George. Dass das Gespräch wie am Schnürchen
läuft, hat einen einfachen Grund: Timothy Trust ist Bauchredner und
übernimmt somit auch den Part seines grünen Gegenüber. Flaschen und
Weingläser lässt er in einer weiteren Nummer beliebig unter Röhren
erscheinen, verschwinden und Plätze tauschen. Beim Verketten und Trennen
von Metallringen werden zwei Herren aus dem Publikum eingebunden. Wenn
sie die Ringe anfassen, werden diese auch mal so heiß, dass sie
klirrend zu Boden fallen. Ebenso erhitzt sich die Sitzfläche des
angebotenen Stuhls offenbar so stark, dass der Gast aufspringen muss.
  
Hassak Troupe
Tikanov
Der Hassak Troupe
Tikanov gehört sowohl der artistische Auftakt als auch die Finalnummer.
Sie sind die ersten Artisten aus Kasachstan beim Internationalen OVAG
Varieté und sie bringen zwei neue Genres auf die Bühne des Dolce
Theaters. Zunächst balancieren sie im Quartett über zwei Leitern, die
oben in einem spitzen Winkel verbunden sind. Zudem gibt es auf den
höchstem Sprossen eine Plattform. Dies, damit sich die Menschentürme
kreuzen können oder eine kurze Verschnaufpause möglich ist. Denn hier
wird nicht einfach über Leitern geklettert, sondern zunächst laufen
jeweils zwei Personen aufeinander hinauf und hinunter. Dies etwa im Kopf
auf Kopf und mit den Zehenspitzen eines Fußes auf dem Kopf des
Untermannes stehend. Zum Schluss geht es mit einer Stirnpreche über die
Leitern. An deren Spitze stehen gleich zwei Artisten. Das in
prachtvollen Kostümen. Diese zeichnen auch die Akrobatik am doppelten
Mast aus. Eine Dame und sechs Herren verpacken die Tricks an den Poles
in eine folkloristische Choreografie. Das Erklimmen der Stangen in den
unterschiedlichsten Varianten sowie Formationen sieht locker und leicht
aus. Nach allen Erinnerungen an den eigenen Sportunterricht ist es das
mitnichten. Herunter geht es noch flotter. Wenn sich einer der Akteure
im rechten Winkel mit den Armen von einem Mast abdrückt, stehen ein
Partner und eine Partnerin übereinander auf seinem Oberkörper. Ein
Artist erklimmt gar eine der Stangen, während die Dame der Truppe auf
seinem Kopf steht.
  
Mustache
Brothers, Mareike Koch, Duo Costache
Während dabei
volle Konzentration angesagt ist, geht es bei den Mustache Brothers
geradewegs spielerisch zu. Bruno Fratani und Nelson Cavalcante sind
Kaskadeure und damit nahezu die letzten ihrer Zunft. Die
Comedy-Akrobatik rund um einen Tisch ist heute nur noch sehr selten zu
sehen. Die beiden Brasilianer beherrschen sie meisterlich. Sie wirbeln
über die Bühne, schlagen Salti, schubsen sich gegenseitig von der
Tischplatte und haben dabei jede Menge Spaß, der sich sofort in den
Zuschauerraum überträgt. Dabei spielen natürlich, der Künstlername sagt
es, die angeklebten Oberlippenbärte eine Rolle. Kompletter
Stimmungswechsel mit Mareike Koch. Die in Bremen geborene und an der
Staatlichen Artistenschule in Berlin ausgebildete Artistin lässt uns
träumen. Sie nimmt uns mit in luftige Höhen. Am Trapez zeigt sie ganz in
Rot eine hinreißende Kür. Das vor einem wunderschönen Bühnenbild aus
Licht und dem dazu passenden Song. Für das famose Lichtdesign ist
wiederum Klaus Nass mit seinem Team verantwortlich, um den hochwertigen
Ton kümmern sich Christian Krauß und Harald Frimmel. Bevor sich Mareike
Koch im Regen weißer Blütenblätter verabschiedet, verwöhnt sie uns unter
anderem mit dem Zehenhang und zig Umschwüngen um die Trapezstange. Hinzu
kommen weitere innovative Kunststücke. Äußerst vielseitige Artisten sind
Leo und Vita Costache. Die Mitglieder des Rumänischen Nationalzirkus
haben insbesondere die Gäste des dänischen Cirkus Arena in den letzten
Jahren mit immer wieder neuen Acts begeistert. In Bad Nauheim erleben wir
sie zunächst mit ihrer Paradedisziplin, der Perche. Dies in den
Varianten Stirnperche und einzelne sowie doppelte Schulterperche. Als
Rarität gibt es eine mit den Zähnen gehaltene Perchestange. Bei einem
der Tricks erklimmt Leo sogar zwei freistehende Leitern, die
nebeneinander stehen. Am oberen Ende erleben wir Vita etwa im einarmigen
Handstand, mit Überschlägen auf einem Fahrrad oder im Zahnhang
rotierend. Die Kraft der Gebisse spielt auch beim zweiten Auftritt des
Duo Costache eine wichtige Rolle. Dabei geht es an das Trapez. Leo hält
sich mit den Zähnen am Trapez fest, an seinen Füßen hängt ein weiteres
Trapez, an dem wiederum Vita mit den Zähnen hängt. Er jongliert mit
Keulen, sie lässt Reifen um Arme und ein Bein rotieren. Direkt danach
Rollentausch. Jetzt hängt Vita mit den Zähnen an der Trapezstange. An
einem ihrer Füße hat sie eine Schlaufe, an der sich nun Leo mit dem
Gebiss hält. Und dabei handelt es sich nur um das Finale ihrer Nummer,
in der wir zuvor schon viele mehr als sehenswerte Tricks bewundern
durften.
  
Steve Eleky,
Halves Project, Melody of Balance
Volle Bewunderung
natürlich immer wieder für Steve Eleky. Vielleicht ist er nicht der
begnadetste Jongleur und Zauberer, aber keiner verkauft diese beiden
Genres witziger als der Mann mit Hai im Schottenrock. Seine Gags können
wir inzwischen alle auswendig mitsprechen, aber nach wie vor erzeugen
sie allergrößte „Haiterkeit“. Den anderen Gästen im Saal geht es
offensichtlich genauso. Steve Eleky ist zum wiederholten Mal beim OVAG
Varieté zu Gast und wird bei seinen beiden Auftritten einmal mehr
frenetisch gefeiert. Natürlich geben die beiden Plüschhasen an diesem
Abend wieder alles, man ist ja schließlich in Bad Nauheim. Der so
produzierte Nachwuchs mit weißem Fell und schwarzen Punkten folgt
prompt. Ebenfalls im Re-Engagement ist das Trio Halves Project. Anhelina
Chaika, Dmytro Kotsiubynskyi und Denys Klimov stammen aus Kiew. Sie
erzeugen in schwarz und weiß gehaltenen Outfits optische Effekte, die
zunächst ein wenig verwirren, aber dann ganz schnell faszinieren. Im
Schwarzlicht sehen wir immer nur den hellen Anteil des Kostüms. Was
beispielsweise dazu führt, dass sich vermeintlich Ober- und Unterkörper
plötzlich trennen, um kurz darauf miteinander zu interagieren. Der große
Hype um die Balancen mit Palmästen ist schon längst abgeflacht. Mariana
Vozovik und Viktor Nebrat haben ihre ganz eigene Variation davon
entwickelt. Sie ist Opern-Bratschistin und spielt mit immer größer
werdenden Bögen auf ihrem Instrument. Er übernimmt die nicht mehr
benötigten Bögen und baut daraus ein höchst fragiles Mobile. Ganz nach
dem von den Palmästen bekannten Prinzip. Aus am Ende zwölf Elementen
besteht das Kunstwerk. Bevor es gewollt in sich zusammenfällt,
balanciert Mariana es auf ihrer Bratsche. Dazu trägt das Duo Melody of
Balance märchenhafte Kostüme.
  
David Burlet,
Viviana Rossi, Laura Urunova
Weiße Teller lässt
David Burlet auf dünnen Stäben tanzen. Der Sohn einer Tänzerin und eines
Clowns sorgt für Action und Spaß. Alles wird mit ordentlich Tempo und
einem Augenzwinkern serviert. Auch ein verrutschtes Haarteil nimmt der
Franzose ganz locker. Neben dem Tellerdrehen hat er weitere
Kabinettstückchen auf Lager. Er balanciert kleine gestapelte Kisten auf
dem Kinn, lässt Löffel in Gläser fliegen und jongliert mit gelben
Plastiktellern. Wenn ein Requisitentisch zusammenklappt, wird auch
dieses Malheur mal eben gefixt. Die Kür an den Strapaten von Viviana
Rossi bekommt durch die Einbeziehung einer mit Wasser gefüllten,
gläsernen Badewanne zusätzliche Reize. Immer wieder taucht sie in das
Nass ein, bevor sie Richtung Bühnendecke gezogen wird. Durch die
Bewegungen spritzen die Tropfen von ihr weg und erzeugen traumhafte
Bilder. Dazu die atemberaubende Artistik der Spanierin mit dem
Traumbody. Umschwünge, Haltefiguren in akrobatische Posen und weitere
Flugsequenzen sehen bei ihr beneidenswert einfach aus. Dabei müssen sie
viel Kraft, Können und ein immenses Training erfordern. Das Fliegen
überlässt Laura Urunova ihren gefiederten Partnern. Wunderschöne
Papageien in verschiedenen Farbschattierungen dürfen zum Ende ihres
Auftritts ausdauernde Runden durch den Theaterraum drehen. Zuvor zeigen
sie unter Anleitung ihrer charmanten Trainerin, was sie noch alles
beherrschen. Etwa das Überbringen einer Rose, die Rolle seitwärts auf
dem Boden oder das Durchfliegen mehrerer Reifen. Erholung ist angesagt,
wenn zwei der Vögel auf Liegestühlen Platz nehmen und in einer
Illustrierten lesen, während unter einem Schirm nebenan die Getränkedose
gekühlt wird. Schön, dass die Macher der Show weiter auf
Tierdarbietungen setzen und sich wie in diesem Fall wiederum für eine
herrliche Dressurnummer entschieden haben.
  
Michael Ferreri,
Mongoljingoo Contortion, Tumar KR
Seine wahrlich
rasante Karriere führt Michael Ferreri in diesem Winter endlich auf die
OVAG-Bühne, die der jugendliche Jongleur natürlich spielend füllt. Was
die Requisiten angeht, beschränkt er sich auf Bälle und zeigt so die
ganze damit mögliche Bandbreite. Es sind atemberaubende Touren, mit
denen er die Augen des Publikums fordert. Mal jongliert er vor dem
Körper, mal über Kopf und dann wieder mit einer Hand vor sowie der
anderen hinter dem Rumpf. Das in enormer Geschwindigkeit. Die Anzahl der
Bälle wird immer weiter erhöht, am Ende sind es zehn Stück. Als Zugabe
lässt Michael Ferreri bunt in der Dunkelheit leuchtende Bälle fliegen.
Was bislang zumeist als Schlusstrick einer Solo-Kontorsion zu erleben
war, wird inzwischen von größeren Formationen in verschiedenen
Variationen gezeigt: der mit den Füßen ausgelöste Bogenschuss. Hier
sehen wir fünf Artistinnen aus der Mongolei im Alter von 21 bis 23
Jahren. Mongoljingoo Contortion nennt sich das Quintett, das uns in
wunderschönen Kostümen mit Treffsicherheit, vor allen Dingen aber der
Biegsamkeit der Körper fasziniert. Die Damen formen herrliche lebende
Kunstwerke. Eines oder auch mehrere der Schlangenmädchen schießen daraus
ihre Pfeile ab, welche mitten in den runden Zielscheiben landen. Von der
Mongolei geht es nach Kirgistan. Aus diesem Land kommen die vier jungen
Herren, die unter dem Titel Tumar KR ihren Robot-Dance vollführen. Dazu
entführen sie uns in das Labor von Dr. Frankenstein. An diesem
geheimnisvollen Ort kümmern sich drei Gestalten, um eine vierte, die
scheinbar leblos auf einem Tisch liegt. Doch bald beginnt sie, sich zu
bewegen. Zusammen erleben wir das Quartett in einer Mischung aus
„tänzerischer Bewegung, Verbiegekunst und Robotertanz“, wie es das
umfangreiche Programmheft formuliert. Ein gruseliges und doch
begeisterndes, innovatives Erlebnis. |