Während
er seine Lippen bewegt, kommt die Stimme vom Band. Das Ganze ist
gewollt asynchron und wirkt somit herrlich dilettantisch. Die Artisten
erscheinen erneut und begrüßen im Opening das Publikum.

Eröffnungsszene
Schon
steht Ostergaard wieder im Scheinwerferlicht. Jetzt mit grauer
Lockenperücke, Kissen unter dem Hemd und quietschgelbem Frack. In einer
fahrbaren Badewanne befindet sich sein „Sketchpartner“: ein dressierter
Fisch namens Carl Gustaf. Mit Hingabe führt der ältere Herr das Tier
vor und kommentiert die Tricks wortreich. Zum Schluss springt der Fisch
in die Hose seines Dompteurs. Gags unter der Gürtellinie gehören beim
Zirkus Nemo einfach dazu.

Chapiteau
Die
Produktion 2018 dieses „Zirkus für Erwachsene“ ist wiederum
ausgezeichnet gelungen. Hochkarätig besetzt, perfekt in Szene gesetzt
und natürlich ungeheuer witzig. Das kompakte Chapiteau sorgt für eine
einzigartige Atmosphäre. Die hervorragende vierköpfige Band unter der
Leitung von Oyvind Ougaard ist vermutlich das einzige Circusorchester,
das in kurzen Hosen spielen darf. Anders als in den letzten Jahren hat
Soren Ostergaard aktuell keinen (menschlichen) Sketchpartner. Das
schadet dem Programm gar nicht. Vielmehr wirkt es klarer strukturiert,
aufgeräumter. Hinzu kommt, dass wir dadurch einigen bislang bei Nemo
nicht gezeigten Figuren begegnen dürfen. Und letztendlich verdanken wir
dieser Reduzierung im Bereich Comedy eine zusätzliche artistische
Nummer.
  
Konstantin Mouraviev, Duo Solys, Hector Yzquierdo
Und
auf die Artistik legt Soren Ostergaard immer wieder großen Wert. Man merkt,
dass er den Circus liebt, dass er auf Qualität setzt. Viele Nummern
werden wiederholt engagiert. So waren Rhönrad-Artist Konstantin
Mouraviev und das Equilibristik Duo Solys bereits zuvor bei Nemo zu
erleben. Doch natürlich ist es immer wieder ein großes Vergnügen zu
sehen, wie sich Mouraviev seine Pfunde am Rhönrad kunstvoll abtrainiert
und die geleistete Arbeit mit dem Genuss einer Flasche Bier wieder
zunichte macht. Die Partnerakrobatik des kubanisch-französischen Paars
lässt immer wieder staunen. Sei es aufgrund der erstaunlichen Kräfte
von Tatania Colaqu oder des effektvollen Schlusstricks unter
Einbeziehung einer Eiffelturm-Statue. Den männlichen Part des Duo
Solys, Hector Yzquierdo, erleben wir zudem im Solo mit einer äußerst
starken Handstandakrobatik. Im Kopfstand lässt er Ringe um Hände und
Füße rotieren. Den Klötzchentrick zeigt er über fünf Etagen. Hinzu
kommt, dass der Kubaner blendend aussieht und sich sehr sympathisch
verkauft.
  
Geraldine Philadelphia, Mario Berousek, Cabaret Décadanse
Zum
ersten Mal beim Zirkus Nemo engagiert sind Geraldine Philadelphia und
Mario Berousek. Philadelphia ist sozusagen ein Kind des Circus
Roncalli, das inzwischen erfolgreich auf eigenen Füßen steht.
Vergangene Saison war sie beim Circus Nock in der Schweiz. Im kommenden
Winter gehört sie zum Ensemble des Heilbronner Weihnachtscircus, um nur
zwei Stationen zu nennen. Auch das dänische Publikum nimmt sie mit
ihrer Melange aus Hula Hoop-Artistik und Reifenjonglagen im
Handumdrehen für sich ein. Mario Berousek ist einfach eine sichere
Bank. Der Tscheche jongliert seine silbernen Keulen in einem
atemberaubenden Tempo. Dazu ist er ein Showman durch und durch, der es
perfekt versteht, sein Können wirkungsvoll zu verkaufen. Immer wieder
ein Genuss. Eine außergewöhnliche Form der Circuskunst bringen Cabaret
Décadanse in das Nemo-Chapiteau. Das kanadische Duo lässt seine Puppen
bekannte Songs performen. Zur Musik bewegen sie die Körper ihrer
Schützlinge. Am besten gefallen hat mir ihre erste Nummer, bei der sie
eine überlebensgroße Figur steuern. Auch die Lippen werden synchron zum
Playback bewegt. André-Anne Leblanc und Colin Cyr Duhamel sind dabei
immer zu sehen. Im letzten von insgesamt drei Auftritten bildet Duhamel
selbst den Körper der weiblichen Figur.
  
Soren Ostergaard
Die
bei Nemo immer wieder zum Programm gehörenden Tierdressuren werden 2018
von Soren Ostergaard selbst vorgeführt. In der Figur der Marianne
„dirigiert“ er eine Gruppe Ratten von Gunter Sacckman. Da die ältere
Dame offensichtlich etwas Angst vor den Nagern hat, unterstützt Ingo
Stiebner bei der Präsentation. Diese lehnt sich stark an das Original
von Sacckman an. Fallschirmsprung aus dem Flugzeug inklusive. Dank
Mariannes Mitwirkung wird die Dressurnummer zu einem wunderbar witzigen
Vergnügen. Eine berittene Ratte kündigt direkt danach die Pause an.
Komplettiert wird das Tierprogramm durch zwei Gänse, die Ostergaard in
einer anderen Rolle in einer kleinen „Freiheit“ laufen lässt.
Wortgewaltige Auftritte haben wieder seine Paradefiguren Bager Jorgen
und Erik Bo Nielsen. In der Szene des Bäckers führt er einen intensiven
Dialog zwischen einem Franzbrot und einem deutschen Vollkornbrot auf.
Der ungehobelte Bauer, der gerne den ausgestreckten Mittelfinger zeigt,
redet sich in Rage, während er mit der Hand Schaumküsse zerstört. Selbst
wenn man wie ich kein Wort Dänisch beherrscht, sind diese Auftritte ein
Riesenspaß. Die Kostüme, die Mimik, die Gestik, die Art, wie Ostergaard
sich in Rage redet – das reicht schon, um Lachkrämpfe zu bekommen.
Zudem geht die Zuschauer enorm mit. Deren Reaktionen stecken einfach
an. In diesem Jahr neu dabei ist etwa eine Figur in Jogginganzug und
viel zu kurzer Krawatte. Vor dem Finale gibt es eine Prise Poesie mit
roter Nase, Koffer und Luftballon in Herzform. Kurz darauf ist wieder
Party angesagt. Nämlich dann, wenn sich alle Mitwirkenden im goldenen
Glitterregen vom Publikum verabschieden.
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