Sie
ähneln sich stärker. Das war beispielsweise bei Carnaval (2002) oder
FantAsie (2004) noch anders. In "Le Cirque" begegnen wir im Opening
liebevoll überzeichneten, aber durchaus vertrauten Clownsfiguren. Es
ist ein wunderbar abwechslungsreiches Eröffnungsbild, in dem die
Mitwirkenden "Kostproben ihres Könnens" zeigen. Im Finale tragen dann
alle Artisten Paradeuniformen.

Sicherheitshinweise mit (Gregory) Bellini und André (Broger)
Genial
wird das Leitmotiv "Circus" auch vor der eigentlichen Show
transportiert. Die Manege ist rundherum mit einer weißen Leinwand
umspannt. Dort erklären uns die Clowns in einem originellen
historischen Film, was es während der Vorstellung zu beachten gibt.
Dann aber erleben wir jene Szenen, die unbedingt zum Circus gehören, in
der Show aber nie zu erleben sind: den Aufbau der Zeltstadt und die
Vorbereitungen des neuen "Spectacles". Und natürlich wird das Thema "Le
Cirque" durch die Zusammenstellung des Programms realisiert. Gilbert
Gruss beweist einmal mehr, dass moderner Circus vortrefflich unter
Einbeziehung von Tierdarbietungen möglich ist. Und wir sprechen hier
nicht von der wildtierfreien Variante. Der Cirque Arlette Gruss
verwöhnt uns mit Raubtieren, Elefanten, Seelöwen, Exoten, Pferden und
sogar Ratten. Hinzu kommen ausgewählte Artisten und wunderbare Clowns.

Opening mit Kostümen von Roberto Rossello
Das
alles eben Arlette Gruss-like verpackt. Es gibt höchst kreative, sehr
stylishe Kostüme von Roberto Rossello. Die kreierten Figuren sind
oftmals abstrakte Fantasiewesen. Das große Orchester unter der Leitung
von Sergiu Iurco deckt viele Stile ab. Am besten gefallen mir die Sounds
der Instrumentalisten aber, wenn druckvolle circustypische Musik
gespielt wird. Etwa bei der Seelöwennummer. Um den Ablauf zu
optimieren, gibt es einen zweiten Artisteneingang im Miniaturformat.
Gegenüber der Gardine kann die erhöhte Manege über eine kleine Treppe betreten
sowie verlassen werden. Zudem wird dieser Ort für viele Moderationen
verwendet. Die Clowns spielen einige ihrer Reprisen auf dem Gradin.
Eine besondere Herausforderung hat Lichtdesigner Julien Lhomme zu
meistern. Der eindrucksvolle Zeltbau wird nicht ohne Grund als
„Cathédrale“ bezeichnet. In diesem weiten Raum eine kompakte Atmosphäre
sowie unterschiedliche Stimmungen zu schaffen, ist alles andere als
einfach. Lhomme macht mit seinen innovativen Kreationen das beste
daraus.
  
Ingo Stiebner, John Vernuccio-Togni, Helena Polach
Kommen
wir nun endlich zur eigentlichen Vorstellung, besuchen wir „Le Cirque“.
Die erste Nummer gehört Ingo Stiebner und seinen beiden Seelöwen. Am
liebsten zeigen die Tiere ihre Tricks dann, wenn der Trainer nicht
hinschaut. Sie haben ein beachtliches Repertoire und wissen dieses mit
jeder Menge Humor zu servieren. Stiebners Stil ist unnachahmlich. Die
Robben scheinen dabei genauso viel Spaß zu haben wie das Publikum. Nach
einem Auftritt der Clowns geht es mit den Exoten des Hauses weiter,
welche vom Ballett begleitet werden. John Vernuccio-Togni präsentiert
eine kurze Freiheit mit Kamelen und Dromedaren. Rinder und Zebras
drehen eine Runde. Ein kleines Känguru hüpft auf der Piste, bevor Lamas
über Hürden springen. Die Fußball-EM kommt in diesem Sommer nach
Frankreich. Dass es keiner elf Profis bedarf, um mit dem runden Leder
Begeisterungsstürme auszulösen, beweist Helena Polach. Die blonde
Tschechin jongliert virtuos mit ihren Fußbällen nach UEFA-Norm.
  
Gunter Sacckman, Kevin Gruss und Julia Friedrich, Laura-Maria Gruss
Eine
Premiere stellt für mich der Auftritt von Gunter Sacckman dar. Es ist
das erste Mal, dass ich eine Rattennummer erlebe. Während er seine
Nagetiere vorführt, redet Sacckman unentwegt im Stil eines
Circusdirektors, der seine einzigartige Darbietung präsentiert. Er
stellt seine Tiere stets namentlich vor. Natürlich heißt auch eine der
Ratten Ratatouille. Die Tiere laufen über einen Balken, um dann am
anderen Ende mittels Rutschbahn in eine Kiste zu gelangen. Danach
springen sie von einem überdimensionalen Podest zum nächsten. Deutlich
größer sind die Nutrias, die zwischen Stäben hindurch laufen, um dann
ebenfalls eine Rutschpartie zu genießen. Originell zudem der
Schlusstrick. Dabei entern zwei Ratten mithilfe eines dicken Seils ein
Flugzeug. Kevin Gruss und seine Partnerin Julia Friedrich überraschen
immer wieder mit neuen Auftritten. In diesem Jahr ist es ein
„akrobatischer Tanz“, so die Beschreibung im Programmheft. In
verruchter Atmosphäre zeigen sie
Figuren der Partnerakrobatik, die sie in intime Tanzszenen einbetten.
Die artistische Leistung ist dabei ebenso bemerkenswert wie die
Choreographie. Die Pferdedressuren sind beim Cirque Arlette Gruss auch
in diesem Jahr Frauensache. Zunächst dirigiert Linda
Biasini-Gruss weiße Portugieser. Elegant präsentiert sie diesen Viererzug
wunderschöner Pferde. Immer wieder wird dabei das enge
Vertrauensverhältnis zwischen Mensch und Tier herausgestellt.
Acht Friesen leitet sodann ihre Tochter Laura-Maria Gruss. Die Pferde
laufen recht langsam, dafür umso sicherer. Schön zu sehen, wie die
junge Dame es nicht bei ihrem offensichtlich ererbten Talent
belässt, sondern immer weiter mit ihren Tieren arbeitet. Die Steiger
als da capo präsentiert ebenfalls Laura-Maria, die letzten dirigieren
sie gemeinsam. Beide tragen bei dieser Darbietung knallrote Kleider. Am
Ende herzen sie sich in der Manege. Ein stimmiges Bild.
  
Kevin Gruss und Alexis Hurtado, Trio Stoian, Ramon Kathriner
Dann
ist schon wieder Kevin Gruss gefragt. Gemeinsam mit Alexis Hurtado
liefert er sich einen futuristischen Kampf. Als Waffen haben die beiden
Kontrahenten Laserschwerter gewählt. Ihr Fight wird von Feuersäulen,
vor allen Dingen aber riesigen Lasergebilden begleitet. Hier zahlen
sich die Dimensionen der „Cathédrale“ aus, denn die Bilder sind
wirklich gigantisch. Ohne großes Drumherum begeistert das Trio Stoian.
Cosmin und Bruder Alexandru sind die Porteure. Mittels eines Russischen
Barrens katapultieren sie Fliegerin Corina in die Luft, um sie sicher
wieder auf dem dünnen Balken landen zu lassen. Dazwischen dreht ihre
Partnerin Schrauben und Salti – präzise und elegant. Keine Helfer neben
der Stange, die im Notfall eingreifen können. Die drei sind ganz auf
sich gestellt. Gerade dadurch wirkt die Nummer so hervorragend.
Höhepunkt ist der Dreifache. Nach der Pause geht es spektakulär weiter.
Über dem Gitternetzkäfig hat Ramon Kathriner sein Hochseil gespannt.
Über das Schrägseil erreicht er eine der beiden Plattformen. Nachdem er
einige Tricks wie den Sprung von einem Stuhl auf das Seil gezeigt hat,
nehmen unter ihm die Raubtiere von Manuel Farina Platz. Kathriner hat
offensichtlich Spaß daran, mit den Nerven des Publikums zu spielen.
Denn als nächstes folgt ein Scheinsturz, bei dem er mit Riemen an den
Schuhen am Seil gehalten wird. Auch beim Stelzenlauf bedarf es eines
(gewollten) zweiten Versuchs. Drei prächtige Mähnenlöwen, darunter ein
weißer, sowie zwei Tiger gehören zur gemischten Raubtiergruppe, die den
Kommandos von Manuel Farina folgt. Diese Dressur umfasst unzählige
Tricks, die begeistern und das vertraute Miteinander aller Akteure
demonstrieren. Immer wieder ein Erlebnis.
  
Duo Olivares, Elefanten, FMX Riders
Vom
Film „Burlesque“ inspiriert ist die Luftakrobatik des Duo Olivares.
Helena Polach und Michael Olivares umwerben sich intensiv. Olivares
singt dazu Songs aus dem Kinoerfolg. An Tüchern geht es unter die
Kuppel, wobei der tragende Part zwischen den beiden Artisten wechselt.
Die Elefanten kommen wie schon seit vielen Jahren von Flavio Togni.
John Vernuccio-Togni zeigt eine schöne Kür, die viele effektvolle
Tricks enthält. Die Kopfputze der vier indischen Elefantendamen sind
dabei auf die Kostüme der Reiterinnen sowie des Vorführers abgestimmt.
Dann übernimmt Alexis Fly Chaix das Kommando. In einer showtauglichen
Pilotenuniform steuert der 18-Jährige souverän ein Modellflugzeug. Alexis Briot, so sein bürgerlicher Name, agiert noch etwas zurückhaltend, hat
aber dafür sein Fluggerät bestens im Griff. So erleben wir virtuose
Flugmanöver. Weniger grazil, dafür umso spektakulärer sind die
Luftsprünge der vier FMX Riders. Auf ihren Motorrädern springen sie von
einer Schanze gegenüber des Artisteneingangs über die Manege, um sicher
auf einer Plattform zu landen. Wenngleich ihre Jumps in diesem Jahr
nicht mehr über eine Stahlgitterkugel gehen, sind sie nicht weniger
riskant als noch 2015. Der Atem stockt, wenn sie für Bruchteile einer
Sekunde die Hände von ihren Maschinen loslassen. Der Aufbau der
Requisiten wird äußerst kreativ überbrückt. Auf der bereits vor Beginn
der Vorstellung eingesetzten Leinwand dürfen wir in einem Film sehen,
wie sich die Biker auf ihren Auftritt vorbereiten. 
Adrien, André (Broger), (Gregory) Bellini
Kreative,
witzige Manegenkomik zu bieten ist so schwierig und gleichzeitig wieder
so einfach. Schwierig deswegen, weil gerade in diesem Genre viel
abgekupfert wird. Und einfach, weil gute Reprisen zumeist dann
begeistern, wenn eine ganz unkomplizierte kleine Geschichte
erzählen. André (Broger) ist offenbar einer dieser kreativen Köpfe,
denen immer wieder etwas Neues einfällt. Von ihm stammen etwa der Kampf
mit dem Hai in der Badewanne oder das Duett mit dem als Haarteil
genutzten Wischmob. Für „Le Cirque“ hat er gemeinsam mit Clownspartner
(Gregory) Bellini neue Geschichten in die Manege gebracht. Beim
Bowlingspiel mit imaginären Kugeln und Pins beziehen sie einen
Zuschauer ein, der die beiden natürlich locker in die Tasche steckt. In
blauen Latzhosen bringen sie ein Klavier herein. Herausfordernd
gestaltet sich das Finden einer Stromquelle für die darauf stehende
Lampe. André macht sich mit dem Stecker in der Hand und das Kabel
hinter sich herziehend auf die Suche. Er verschwindet durch den
Artisteneingang und kommt über das Gradin zurück. Der Stecker kommt
dann einfach in die Kabeltrommel, aus der auch das Kabel stammt.
Der Kurzschluss bleibt aus, dafür fällt sogleich das Klavier
auseinander. Um die Pause einzuleiten, spielt Bellini auf einem
Leierkasten. André geht das alles zu langsam. Also übernimmt er die
Kurbel, und weiter geht es im Hochgeschwindigkeitstempo. Das Instrument
hält das nicht durch und gibt unter Rauchentwicklung seinen Geist auf.
Kein Problem: Das Instrument wird einfach aufgeklappt und zu einem
Esstisch umfunktioniert. Die Speisen sind schon da, und Adrien spendiert
den Schampus dazu. Adrien spielt den Weißclown. Zumeist erleben wir ihn
als leisen Counterpart zum großen „Spectacle“. Etwa als Solist mit
Violine oder Querflöte. Die Gitarre ist das bevorzugte Instrument von
Kevin Sagau. Mit dieser begleitet er seinen Gesang. Er spielt wiederum
den Monsieur Loyal, der uns souverän und charmant durch die Show
begleitet.
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