So rückte verletzungsbedingt
Sascha Bachmann anstatt Devin de Bianchi und Davide Carta mit
den gleichen Genres – Strapaten und Handstand – in die
Nummernfolge. Anstelle der ursprünglich vorgesehenen African
Dream Troupe mit Mastenakrobatik und Reifenspringen wurden
gleich zwei Truppen mit Seilspringen und Bola Bola verpflichtet.
Gespielt wird freilich ganz planmäßig in den bekannten
Zeltanlagen des Zirkus Charles Knie. Gegenüber dem
Saisonprogramm wurde die Wasserbühne wieder durch eine
klassische Manege mit Sägemehl ersetzt. Gradin und Artisteneingang
sind für Offenburg neu; auf letzterem sitzt anders als bei der
Tournee ein Orchester. Aufgrund des Krieges in
der Urkraine kommt diesmal die Formation von Kapellmeister
Krzysztof Majewski zum Einsatz.
  
Alona und Ruslan Urunov,
Duo Stauberti, Sergio Paolo
Nach der Ouvertüre, einem
Auftritt des vierköpfigen Balletts und der Begrüßung durch
Sprechstallmeister Sascha Thanner eröfffnet Alex Giona die
Spielfolge mit seiner ersten Pferdenummer. Nur mit einer kleinen
Gerte in der Hand, ansonsten mit Stimme und Gesten, dirigiert er
drei Schimmel. So zeigt eines der Tiere den spanischen Tritt, während die beiden anderen Pferde neben ihm her
laufen, und legt später seinen Kopf zwischen den
Vorderbeinen hindurch auf dem Boden ab. Während Alona und Ruslan Urunov
bei der
Charles-Knie-Tour 2022 „nur“ für die Technik der Wassershow
verantwortlich zeichneten, stehen sie nun selbst wieder im
Rampenlicht, dies mit ihren hervorragenden Kostümillusionen. In
rasantem Tempo wechselt Alona die Kleider. Dies gelingt auch in
der kurzen Zeitspanne, in der ihr Mann ein großes Tuch über sie
streicht oder während Flitterregen aus einem aufgespannten
Regenschirm über sie fällt. Auch Ruslan wechselt zwei Mal die
Anzugfarbe. Für ganz klassische Circuskunst steht das Duo
Stauberti bei seiner Percheakrobatik. Dabei balanciert Dimitri
Staubert die Perchestange auf seiner Stirn, wenn er eine
zweiteilige Leiter besteigt, während er sich auf den Boden
setzt, dort eine Pirouette in liegender Position dreht und
wieder aufsteht und beim Balancieren auf dem Einrad. Seiner
Partnerin Nancy zeigt am oberen Ende der Perchestange Hand- und
Kopfstände oder lässt in antipodistischer Weise einen Stab auf
ihren Füßen kreisen. Wie schon beim Heilbronner Weihnachtscircus
2019/20 begeistert auch in Offenburg Bouncing-Jongleur Sergio
Paolo. Sein Auftreten ist offensiv, sein Können grandios. Sieben
Bälle lässt er auf seinem Podest gegen den Boden springen, mit
fünf Bällen geht es Treppenstufen hinab. Dann lässt er Bälle
unter einer Tischplatte abprallen und in einem Basketballkorb
hinter sich landen. Der famose Höhepunkt: Sergio schlägt während
der Bouncingjonglage mit fünf Bällen einen Rückwärtssalto.
 
David Meraz, Sascha
Thanner
Eine echte Neuentdeckung für uns
ist dagegen David Meraz. Der 20-jährige Mexikaner mit zierlicher
Figur beeindruckt mit seinen leistungsstarken Kontorsionen,
darunter extremen Drehungen des Oberkörpers. Der mit den Füßen
ausgelöste Bogenschuss auf einen Luftballon ist sein
Schlusstrick. Noch besser als in den vergangenen Jahren gefallen
uns heuer die Moderationen von Sascha Thanner, die nicht mehr so
ausführlich sind, sondern prägnant auf den Punkt kommen.
Einzigartig sind weiter seine Kostümwechsel zu jeder
angekündigten Darbietung. Natürlich ist jedes gezeigte Outfit
elegant.
  
Laura Urunova, Alex Giona, Sascha
Bachmann
Laura Urunova präsentiert ihre
quirligen Windhunde und Pudel in einem fantasievollen und
farbenfrohen Kostüm, das an die Kreationen von Gia Eradze
erinnert. Sprünge über Artgenossen und durch Reifen wie auch die
abschließende Polonaise gehören zur Trickfolge. Im schlichten
Outfit, nur mit einer grauen Hose bekleidet, zelebriert Sascha
Bachmann auf kraftvoll-intensive Weise seine Darbietung an den
Strapaten. Er wickelt sich an den Bändern hinauf unter die
Circuskuppel, bewahrt die Balance in Posen, überschlägt sich bei
Umschwüngen, hält sich am Ende nur mit der Kraft seines
Gebisses. Der erste Programmteil endet wie er begonnen hat, mit
den Pferden von Alex Giona. Nun allerdings arbeitet der
Italiener mit fünf Friesen anstatt mit drei Schimmeln. Barfuß,
mit Melone auf dem Kopf und im schwarzen Frack, aber ohne Hemd,
dirigiert er auch diese Tiergruppe nur mit Stimme, Gesten und
Gerte, während er auf einem der Pferde sitzt, dies ohne Zaumzeug
und Sattel. So reitet er letztendlich mit seinen Pferden in
Fünferformation.
  
Sascha Bachmann, Ameli
Bilyk, Jidinis
In der Pause wird in der Manege
ein Holzboden verlegt, womit unter anderem die Voraussetzungen
für die Großillusionen von Jidinis geschaffen sind. Schon im
Saisonprogramm des Zirkus Charles Knie beeindruckte er gemeinsam
mit seinen fünf Showgirls mit glamouröser Aufmachung, wirklich
starken Tricks und einer wahren Materialschlacht –
beispielsweise wenn gleich zu Beginn ein Motorrad scheinbar aus
dem Nichts erscheint. In Offenburg setzt er noch eine Schippe
drauf und lässt eine der Assistentinnen dem Anschein nach
mittels eines gewaltigen, aufwendig gestalteten Katapults in
eine gegenüber stehende, große Trommel „fliegen“. Dieser – zuvor
leer präsentiert – entsteigt auch noch ein Dalmatiner. „I will
leave a light on“ von Tom Walker liefert die sinnfällige
musikalische Begleitung für die Handstände von Sascha Bachmann,
denn seine Handstäbe sind als besonderer Clou mit LED-Lichtern
illuminiert. Einer davon lässt sich für die Parts auf einem Arm
aus der Bodenplattform lösen. Natürlich stimmt auch hier nicht
nur die effektvolle Gestaltung, sondern auch das Können. Jubel
auf offener Szene und der bis dahin größte Applaus des Abends
brandet auf bei der Schlappseil-Kür von Ameli
Bilyk. Die 17-jährige Ukrainerin im zauberhaften, schwarz-weißen
Outfit jongliert beispielsweise mit drei Reifen, während sie
einen vierten auf dem Kopf balanciert und den fünften um den
linken Fuß kreisen lässt. Oder sie balanciert im einarmigen
Handstand auf dem Seil, während um die anderen drei Extremitäten
jeweils ein Reif rotiert. Dies alles gelingt ihr scheinbar mit
größter Leichtigkeit. Bravissimo! Gleich noch einmal gibt es
rings um die Manege faszinierte Gesichter und rhythmischen
Applaus, dies beim zweiten Auftritt von Laura Urunova. Ihre
farbenprächtigen Papageien – Aras, ein Kakadu und Sonnensittiche
– beherrschen entzückende Kabinettstückchen, wenn sie scheinbar
die Zeitung lesen oder aus einem Glas trinken. Und sie
verzaubern uns, wenn sie auf großen und kleinen Zuschauern
landen und stolz ihre Runden unterm Zeltdach drehen. Ein
riesiger, bunter, mit Pailletten besetzter Papagei ziert auch
das Kostüm der Tierlehrerin.
  
Fly Diggerz, I Baccala
Die Stimmung im Publikum ist nun
am Höhepunkt – der perfekte Ausgangspunkt für die fantastische
Nummer der Fly Diggerz, vier Jungs und ein Mädel aus Japan.
„Double Dutch“ nennt sich die von ihnen beherrschte
Seilspring-Technik, bei der zumeist zwei Seile gegenläufig
gedreht werden, während die übrigen Akteure hindurch springen,
tanzen und Salti schlagen. Im fliegenden Wechsel lösen die
Artisten sich beim Seildrehen und Springen ab. Ein
faszinierender Rausch aus cooler Musik, jugendlicher
Unbekümmertheit und atemberaubendem Tempo. Dazu sprühen im
Hintergrund Funkenregen. Doch auch jetzt sind wir noch nicht am
Ende dieses großartigen Jubiläumsprogramms angelangt. Noch
einmal erleben wir die wunderbaren Clowns „I Baccala“, Simone
Fassari und seine Partnerin Camilla Pessi. Leider haben wir die
beiden Schweizer nun einige Jahre nicht mehr in einem
Circusprogramm erlebt. Umso größer ist die Freude über das
Wiedersehen. Noch immer ist das übersteigerte Daumendrücken ihr
großes Markenzeichen. In der ersten Hälfte der Show jonglieren
sie mit Äpfeln und amüsieren uns mit ihrer heiteren
Partnerakrobatik bis hin zum „Kopf auf Kopf“, in Hälfte zwei
kämpfen sie sich mit ihrer großen Klappleiter mitten durch sie
Publikumsreihen und beziehen einen Zuschauer in ein
akrobatisches Kabinettstückchen ein. Die Leiter wird dann auch
für ihren letzten großen Auftritt benötigt und dient dazu,
gemeinsam ans Trapez zu gelangen. Natürlich laufen die Übungen
in luftiger Höhe scheinbar nicht so ganz planmäßig und gleichen
mehr einem Kampf gegeneinander. Das alles ist ein herrlicher
Spaß.
 
La Compania Feminas,
Ballett
Eine handfeste Überraschung hat
auch die Schlussnummer für uns parat, denn hier wird das von
Männern dominierte Genre der Bola-Spiele von sechs Frauen
interpretiert. „La Compania Feminas“ aus Argentinien entfachen
ein wahres Feuerwerk aus energiegeladenen Trommeltönen und
rasant klackernden Bolaseilen, aus Rhythmus und Tanz, aus
Temperament und Sinnlichkeit. In wundervollen, aufwendigen
Kleidern, die an rot-weiße Chapiteaus erinnern und Motive
vergangener Shows tragen, leitet das Ballett schließlich das
Finale ein. |