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Heilbronner Weihnachtscircus 2022/23
www.weihnachtscircus.com ; 178 Showfotos

Heilbronn, 16. Dezember 2022: „Mir war es in diesem Jahr besonders wichtig, ein Programm anzubieten, das gute Laune macht. (…) In diesen Zeiten brauchen wir keine traurigen Nummern mit getragener Musik – wir benötigen pfiffige, mitreißende und witzige Acts.“ Diesen Anspruch formulierte Direktor Sascha Melnjak vor der Premiere seines Heilbronner Weihnachtscircus im Gespräch mit den Fränkischen Nachrichten. Und, um es vorweg zu sagen, der Anspruch wird auch erreicht. So wurde nach zwei Jahren Pandemie-bedingter Pause eine glanzvolle Rückkehr auf die Theresienwiese gefeiert.

Wiederum wurden die bekannten, mächtigen Zeltanlagen aufgeschlagen, wiederum wurde an Details gefeilt. So wurde ein neuer, festlich beleuchteter Zuschauereingang angeschafft, der den Weg ins aufwendig dekorierte Vorzelt weist.


Marek Jama, Truppe Zola, Rebecca Siemoneit-Barum

Nach einem Warm-up durch Clown Chistirrin eröffnet Rebecca Siemoneit-Barum die Vorstellung mit dem wunderbar interpretierten, schwungvollen Weihnachtshit „Underneath the tree“ von Kelly Clarkson. Es ist eine Freude, dass es nach dem Ausscheiden von Fabian Egli nun wieder eine Moderation mit Gesang gibt. Auch mit ihren charmanten und kenntnisreichen Moderationen überzeugt die Schauspielerin mit Circus-Wurzeln vollauf. Gleiches gelingt Tierlehrer Marek Jama, der zwei neue Dressurschöpfungen mit nach Heilbronn gebracht hat. Zunächst eröffnet er die Spielfolge mit einem dreifachen Groß und Klein. In dieser fröhlichen Nummer steigen die Pferde mit den Vorderhufen auf Postamente, so dass die Ponys unter ihnen hindurchlaufen können. Wenig später sitzen die Ponys ab und die Pferde laufen um sie herum. Nach einem Gegenlauf flechten erst die kleinen, dann die großen Tiere. Passend zum schwarz-weißen Fellmuster der Tiere trägt der erfahrene Tierlehrer einen schwarzen Anzug mit weißer Weste. Eher überraschend erschien uns im Vorfeld das Engagement des mexikanischen Clowns Chistirrin – würde er auch solo überzeugen können und nicht nur als Teil von Roncallis Clown-Riege? Doch alle Bedenken sind schnell zerstreut. Mit seiner exzentrischen Mimik hat er das Publikum sofort auf seiner Seite. In seiner ersten Szene gibt er einen Jongleur, der Angst vor den fliegenden Keulen hat. Beim Ringe zuwerfen aus der Loge scheitert einer der ausgewählten Zuschauer grandios. Abschließend balanciert Chistirrin auf dem Einrad, lässt auf einem Mundgestell drei Teller kreisen, einen Ball auf dem rechten Zeigefinger drehen und jongliert mit der linken Hand zwei Keulen. Nachdem große Truppen aus Russland und China in diesem Winter nicht zur Verfügung stehen, ist Sascha Melnjak in der Monogolei fündig geworden. Die neun jungen Herren der Truppe Zola sorgen in ihren coolen Streetwear-Outfits mit Neon-Applikationen für Tempo und Stimmung beim Seilspringen. Unter anderem im Drei-Mann-Hoch und in Kombination mit Handvoltigen werden die sich munter drehenden Seile überquert.


Emily Faltyny, Skating Ernestos, Duo Garcia

Nachdem Paolo Ernesto verletzungsbedingt mehrere Monate pausieren musste, freuen seine Frau Veronika Faltyny und er sich umso mehr über die Rückkehr in die Manege. Auf Rollschuhen zeigen sie ihre – beispielsweise aus dem Zirkus Charles Knie – bestens bekannte, rasante Rollschuhnummer, die genre-typisch im Genickhangwirbel gipfelt. Für die Faltynys ist dieser Heilbronner Weihnachtscircus ein echtes Familientreffen, und so erleben wir gleich im Anschluss Veronikas Bruder Emil Faltyny mit seinen Balancen auf der freistehenden Leiter. Seinen Spitzentrick hat er weiter ausgebaut: Nicht nur, dass die beiden Stufenleitern, die er am Ende seiner Nummer besteigt, auf einer Art runder Wippe stehen, so dass sich das Konstrukt bei jedem Schritt bedrohlich von einer zur anderen Seite neigt. Nein, aus dieser Position kickt er auch noch einen Fußball in die Ecke des Metallkubus‘, den er mittels einer Stange über dem Kopf balanciert. Emil Faltyny ist ebenso Heilbronn-erfahren wie das Duo Garcia. Ihre hochriskante Darbietung an der kreisenden Rakete fasziniert immer wieder, unter anderem beim Zehenhang von Vicky Garcia an einem kleinen Trapez, das ihr Partner Pablo hält, oder beim Zahnhangwirbel zum Abschluss. Die zweite Tierdarbietung folgt noch im ersten Programmteil und ist dann auch schon die letzte – hier hätte man sich nach der Pause noch über weitere Vierbeiner gefreut, beispielsweise eine schöne Hundedressur. Für mich gehört Marek Jamas neuer Achterzug Araberschimmel zu den Höhepunkten des Programms. Auf vielfältige Lauffiguren, unter anderem dem Gegenlauf, folgt eine Reihe von Steigern, auch mit einer Gruppe von drei Pferden.


Holmikers, Familie Faltyny

Mit den Holmikers geht es Richtung Pause. Zu den Besonderheiten dieser großen Truppe gehört, dass es sich nicht um professionelle Artisten handelt, sondern um Mitglieder eines Schweizer Turnvereins, die hochkarätige Tricks am Barren zeigen – eingepackt in eine ideenreiche, gruselig-witzige Choreographie zwischen Geisterjägern und Frankenstein. Hälfte zwei eröffnen Emil und Vlasta Faltyny und ihre drei Kinder – zwei Töchter und ein Sohn – mit ihrer temporeichen Gruppenjonglage. Auch im Zwei-Personen-Hoch lassen die sympathischen und attraktiven Akteure die Keulen fliegen, im Dunkeln tun sie dies mit fluoreszierenden Ringen. Die Stimmung kocht, wenn Emily Faltyny nach gespieltem Scheitern letztendlich alle Ringe fängt, die ihm Frau und Kinder zuwerfen. Hier hat ein erfolgreicher Generationswechsel stattgefunden, so dass Emil und Veronika Faltynys Eltern sich nunmehr auf ihren Einsatz in der Circusgastronomie beschränken.


Garcia Brothers, Chistirrin, Vincent Vignaud

Eine neue Circusgeneration sind auch die beiden Garcia Brothers. Auf einem Podium begeistern sie mit Handständen und originellen Einfällen. Neu für uns waren die Balancen auf einem Segway, darüber hinaus erleben wir Mundstand, Kopfstand-Kreisel und Bogenschuss. Das Erzeugen von Tönen durch einarmige Handstand-Sprünge auf Stäben scheitert am Premierenabend an der Technik. Das ist eben live. Mit seinem zweiten großen Auftritt nimmt Clown Chistirrin das Publikum vollends für sich ein, er erntet letztlich Zugaberufe und La-Ola-Wellen. Zu Recht, denn seine anarchische Mischung aus Tanzeinlagen – unter anderem im Stil von Michael Jackson – und musikalischen Einlagen ist originell und wird mit umwerfender Mimik gespielt. Schlussendlich gibt Chistirrin eine ganze Kapelle, spielt gleichzeitig Trompete, Posaune, Trommel und Becken. Glamourös verkauft und perfekt dargeboten werden die Illusionen von Vincent Vignaud und seinen Showgirls. Natürlich geht es hier um das Verschwinden aus den scheinbar ausweglosesten Situationen und das überraschende Erscheinen an anderer Stelle. Zum spektakulären Höhepunkt lässt der Magier sich dem Anschein nach von einer gewaltigen Kreissäge malträtieren, die Teil eines außerordentlich aufwendig gestalteten Requisits in Form eines Skorpions mit beweglichen Scheren ist.


Sky Angels, Truppe Zola, Maverik Niemen

Hoch hinaus wagt sich Maverik Niemen auf der Rola Rola. Der gutaussehende junge Mann beeindruckt bei seinen Balancen auf Türmen aus sieben Bänken oder aus zwei Rollen und sechs Zwischenelementen, die er auf einem ungewöhnlich hohen und hervorragend gefertigten Piedestal darbietet. Fast drei Jahre nach ihrem schweren Unfall im Carré-Theater in Amsterdam kehren die Sky Angels alias Kristina Vorobeva und Rustem Osamanov aus Usbekistan ins Scheinwerferlicht zurück. Was lange undenkbar erschien, ist Realität geworden – das Paar kann wieder seine außergewöhnlich riskante, in Monte Carlo Gold-gekrönte Strapatenkür zeigen, die sich insbesondere durch die zahlreichen Zahnhänge auszeichnet. Die sinnfällige musikalische Begleitung liefert „The Show must go on“, live gespielt vom Orchester unter der Leitung von Krzysztof Majewski. Seine Formation konnte verpflichtet werden, nachdem der langjährige Kapellmeister Volodymyr Kozachuk und seine Musiker aufgrund des Ukraine-Krieges leider nicht anreisen konnten. Dafür, dass die gespielten Noten auch gut beim Publikum ankommen, sorgt in bewährter Weise Tonchef Detlef Zasche, und Enrico Zoppe zaubert wiederum eindrucksvolle Lichtkreationen ins große Chapiteau. Den Schlusspunkt unter das Programm setzt die Truppe Zola mit ihrer Schleuderbrett-Nummer, die mit landestypischer Folklore wunderbar gestaltet ist. Vor allem aber werden einige der höchsten Schwierigkeitsgrade des Genres geboten. So steht auf einer Art „russischem Barren“, von zwei Männern getragen, ein dritter Artist auf Stelzen und trägt einen Perchesessel. An die Spitze dieses fragilen Konstrukts führt einer der gewagten Sprünge. Ein anderer endet im Sechs-Personen-Hoch. Lediglich auf Stelzensprünge müssen wir verzichten.

Ausgiebig zelebriert wird das Finale. Magier Vincent Vignaud lässt auf der Tribünentreppe kleine Papierschnipsel als Schneeflocken rieseln, Veronika Faltyny schwebt am Kronleuchter unter der Kuppel, Jidinis Assistentinnen tanzen als elegante Ballettgirls in langen Kleidern am Boden, und Rebecca Siemoneit-Barum singt ein weiteres Mal. Endlich bietet das große weiße Chapiteau wieder wieder den langjährig vertrauten Anblick auf der Theresienwiese. Und auch im Zelt erleben wir wieder das vertraute Bild – das Bild eines geschlossen im Stehen applaudierenden Premierenpublikums.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll