Wiederum wurden die
bekannten, mächtigen Zeltanlagen aufgeschlagen, wiederum wurde
an Details gefeilt. So wurde ein neuer, festlich beleuchteter
Zuschauereingang angeschafft, der den Weg ins aufwendig
dekorierte Vorzelt weist.
  
Marek Jama, Truppe Zola,
Rebecca Siemoneit-Barum
Nach einem Warm-up durch Clown
Chistirrin eröffnet Rebecca Siemoneit-Barum die Vorstellung mit
dem wunderbar interpretierten, schwungvollen Weihnachtshit „Underneath
the tree“ von Kelly Clarkson. Es ist eine Freude, dass es nach
dem Ausscheiden von Fabian Egli nun wieder eine Moderation mit
Gesang gibt. Auch mit ihren charmanten und kenntnisreichen
Moderationen überzeugt die Schauspielerin mit Circus-Wurzeln
vollauf. Gleiches gelingt Tierlehrer Marek Jama, der zwei neue
Dressurschöpfungen mit nach Heilbronn gebracht hat. Zunächst
eröffnet er die Spielfolge mit einem dreifachen Groß und Klein.
In dieser fröhlichen Nummer steigen die Pferde mit den
Vorderhufen auf Postamente, so dass die Ponys unter ihnen
hindurchlaufen können. Wenig später sitzen die Ponys ab und die
Pferde laufen um sie herum. Nach einem Gegenlauf flechten erst
die kleinen, dann die großen Tiere. Passend zum schwarz-weißen
Fellmuster der Tiere trägt der erfahrene Tierlehrer einen
schwarzen Anzug mit weißer Weste. Eher überraschend erschien uns
im Vorfeld das Engagement des mexikanischen Clowns Chistirrin –
würde er auch solo überzeugen können und nicht nur als Teil von
Roncallis Clown-Riege? Doch alle Bedenken sind schnell
zerstreut. Mit seiner exzentrischen Mimik hat er das Publikum
sofort auf seiner Seite. In seiner ersten Szene gibt er einen
Jongleur, der Angst vor den fliegenden Keulen hat. Beim Ringe
zuwerfen aus der Loge scheitert einer der ausgewählten Zuschauer
grandios. Abschließend balanciert Chistirrin auf dem Einrad,
lässt auf einem Mundgestell drei Teller kreisen, einen Ball auf
dem rechten Zeigefinger drehen und jongliert mit der linken Hand
zwei Keulen. Nachdem große Truppen aus Russland und China in
diesem Winter nicht zur Verfügung stehen, ist Sascha Melnjak in
der Monogolei fündig geworden. Die neun jungen Herren der Truppe
Zola sorgen in ihren coolen Streetwear-Outfits mit
Neon-Applikationen für Tempo und Stimmung beim Seilspringen.
Unter anderem im Drei-Mann-Hoch und in Kombination mit
Handvoltigen werden die sich munter drehenden Seile überquert.
  
Emily Faltyny, Skating
Ernestos, Duo Garcia
Nachdem Paolo Ernesto
verletzungsbedingt mehrere Monate pausieren musste, freuen seine
Frau Veronika Faltyny und er sich umso mehr über die Rückkehr in
die Manege. Auf Rollschuhen zeigen sie ihre – beispielsweise aus
dem Zirkus Charles Knie – bestens bekannte, rasante
Rollschuhnummer, die genre-typisch im Genickhangwirbel gipfelt.
Für die Faltynys ist dieser Heilbronner Weihnachtscircus ein
echtes Familientreffen, und so erleben wir gleich im Anschluss
Veronikas Bruder Emil Faltyny mit seinen Balancen auf der
freistehenden Leiter. Seinen Spitzentrick hat er weiter
ausgebaut: Nicht nur, dass die beiden Stufenleitern, die er am
Ende seiner Nummer besteigt, auf einer Art runder Wippe stehen,
so dass sich das Konstrukt bei jedem Schritt bedrohlich von
einer zur anderen Seite neigt. Nein, aus dieser Position kickt
er auch noch einen Fußball in die Ecke des Metallkubus‘, den er
mittels einer Stange über dem Kopf balanciert. Emil Faltyny ist
ebenso Heilbronn-erfahren wie das Duo Garcia. Ihre hochriskante
Darbietung an der kreisenden Rakete fasziniert immer wieder,
unter anderem beim Zehenhang von Vicky Garcia an einem kleinen
Trapez, das ihr Partner Pablo hält, oder beim Zahnhangwirbel zum
Abschluss. Die zweite Tierdarbietung folgt noch im ersten
Programmteil und ist dann auch schon die letzte – hier hätte man
sich nach der Pause noch über weitere Vierbeiner gefreut,
beispielsweise eine schöne Hundedressur. Für mich gehört Marek
Jamas neuer Achterzug Araberschimmel zu den Höhepunkten des
Programms. Auf vielfältige Lauffiguren, unter anderem dem
Gegenlauf, folgt eine Reihe von Steigern, auch mit einer Gruppe
von drei Pferden.
 
Holmikers, Familie Faltyny
Mit den Holmikers geht es
Richtung Pause. Zu den Besonderheiten dieser großen Truppe
gehört, dass es sich nicht um professionelle Artisten handelt,
sondern um Mitglieder eines Schweizer Turnvereins, die
hochkarätige Tricks am Barren zeigen – eingepackt in eine
ideenreiche, gruselig-witzige Choreographie zwischen
Geisterjägern und Frankenstein.
Hälfte zwei eröffnen Emil und
Vlasta Faltyny und ihre drei Kinder – zwei Töchter und ein Sohn
– mit ihrer temporeichen Gruppenjonglage. Auch im
Zwei-Personen-Hoch lassen die sympathischen und attraktiven
Akteure die Keulen fliegen, im Dunkeln tun sie dies mit
fluoreszierenden Ringen. Die Stimmung kocht, wenn Emily Faltyny
nach gespieltem Scheitern letztendlich alle Ringe fängt, die ihm
Frau und Kinder zuwerfen. Hier hat ein erfolgreicher
Generationswechsel stattgefunden, so dass Emil und Veronika
Faltynys Eltern sich nunmehr auf ihren Einsatz in der
Circusgastronomie beschränken.
  
Garcia Brothers,
Chistirrin, Vincent Vignaud
Eine neue Circusgeneration
sind auch die beiden Garcia Brothers. Auf einem Podium
begeistern sie mit Handständen und originellen Einfällen. Neu
für uns waren die Balancen auf einem Segway, darüber hinaus
erleben wir Mundstand, Kopfstand-Kreisel und Bogenschuss. Das
Erzeugen von Tönen durch einarmige Handstand-Sprünge auf Stäben
scheitert am Premierenabend an der Technik. Das ist eben live.
Mit seinem zweiten großen Auftritt nimmt Clown Chistirrin das
Publikum vollends für sich ein, er erntet letztlich Zugaberufe
und La-Ola-Wellen. Zu Recht, denn seine anarchische Mischung aus
Tanzeinlagen – unter anderem im Stil von Michael Jackson – und
musikalischen Einlagen ist originell und wird mit umwerfender
Mimik gespielt. Schlussendlich gibt Chistirrin eine ganze
Kapelle, spielt gleichzeitig Trompete, Posaune, Trommel und
Becken. Glamourös verkauft und perfekt dargeboten werden die
Illusionen von Vincent Vignaud und seinen Showgirls. Natürlich
geht es hier um das Verschwinden aus den scheinbar
ausweglosesten Situationen und das überraschende Erscheinen an
anderer Stelle. Zum spektakulären Höhepunkt lässt der Magier
sich dem Anschein nach von einer gewaltigen Kreissäge
malträtieren, die Teil eines außerordentlich aufwendig
gestalteten Requisits in Form eines Skorpions mit beweglichen
Scheren ist.
  
Sky Angels, Truppe
Zola, Maverik Niemen
Hoch hinaus wagt sich Maverik
Niemen auf der Rola Rola. Der gutaussehende junge Mann
beeindruckt bei seinen Balancen auf Türmen aus sieben Bänken
oder aus zwei Rollen und sechs Zwischenelementen, die er auf
einem ungewöhnlich hohen und hervorragend gefertigten Piedestal
darbietet. Fast drei Jahre nach ihrem schweren Unfall im
Carré-Theater in Amsterdam kehren die Sky Angels alias Kristina
Vorobeva und Rustem Osamanov aus Usbekistan ins
Scheinwerferlicht zurück. Was lange undenkbar erschien, ist
Realität geworden – das Paar kann wieder seine außergewöhnlich
riskante, in Monte Carlo Gold-gekrönte Strapatenkür zeigen, die
sich insbesondere durch die zahlreichen Zahnhänge auszeichnet.
Die sinnfällige musikalische Begleitung liefert „The Show must
go on“, live gespielt vom Orchester unter der Leitung von
Krzysztof Majewski. Seine Formation konnte verpflichtet werden,
nachdem der langjährige Kapellmeister Volodymyr Kozachuk und
seine Musiker aufgrund des Ukraine-Krieges leider nicht anreisen
konnten. Dafür, dass die gespielten Noten auch gut beim Publikum
ankommen, sorgt in bewährter Weise Tonchef Detlef Zasche, und
Enrico Zoppe zaubert wiederum eindrucksvolle Lichtkreationen ins
große Chapiteau. Den Schlusspunkt unter das Programm setzt die
Truppe Zola mit ihrer Schleuderbrett-Nummer, die mit
landestypischer Folklore wunderbar gestaltet ist. Vor allem aber
werden einige der höchsten Schwierigkeitsgrade des Genres
geboten. So steht auf einer Art „russischem Barren“, von zwei
Männern getragen, ein dritter Artist auf Stelzen und trägt einen
Perchesessel. An die Spitze dieses fragilen Konstrukts führt
einer der gewagten Sprünge. Ein anderer endet im
Sechs-Personen-Hoch. Lediglich auf Stelzensprünge müssen wir
verzichten. |