Die
letztendlich gezeigte Show ist ein absoluter Glücksfall. Sie ist nicht
nur stark besetzt, sondern ebenfalls ausgewogen. Tierdressuren,
Artistik und Clownerie bilden eine ausbalancierte Mischung. Aber das
ist nur die halbe Wahrheit. Denn hinzu kommt eine perfekte
Ausgestaltung des Gesamtprodukts.
Entree des Reutlinger Weihnachtscircus 2021/22
Das
beginnt beim Blick auf die Zeltstadt und geht im Vorzelt weiter. Der
Gastrobereich ist noch größer als bisher. Zahlreiche Verkaufsstände
locken mit einem breiten Angebot, Tische und Bänke laden zum Verweilen
ein. Alles ist festlich geschmückt, eine Sängerin sorgt für die
musikalische Untermalung. Alle Beteiligten sind ausnahmslos freundlich,
man fühlt sich einfach willkommen. Diese Gastfreundschaft versprüht
insbesondere die Direktionsfamilie von Michael Sperlich. Sie weiß, was
sie auch in Zeiten der Pandemie an ihrem treuen Publikum hat. Am
Eingang des Chapiteaus nehmen uns die Damen des Balletts in Empfang und
zeigen uns unsere Plätze.
Weihnachtliches Opening
Mit
Beginn der Show wird die wunderbare Präsentation fortgesetzt. Der
prächtige Artisteneingang bietet Platz für die Big Band, welche über
der roten Gardine thront. Gleich neun Musiker verwöhnen die Ohren und
begleiten den Großteil der Darbietungen live. Bei einzelnen Szenen
kommt eine Sängerin hinzu. Für das Auge bestimmt sind die sechs Show
Dancer, die zum Teil bereits beim Circus Krone getanzt haben. Das starke Licht
rundet das Bild ab, Laser inklusive. Als besonderer Effekt rieselt
Schnee aus der Kuppel, zum Finale gibt es ein Feuerwerk. Regisseur Massimiliano Sblaterro fügt die einzelnen Bestandteile zu einem
harmonischen Ganzen zusammen. Sprich, zu einer äußerst kurzweiligen
Show, die rundum begeistert, nie langweilig wird und beim Finale mit
minutenlangem Taktapplaus gefeiert wird.
Vanessa Berousek, Rudy Althoff
Das
weihnachtliche Motiv wird gebührend aufgegriffen. Zur Ouvertüre
erscheint der Grinch. Kurz darauf kommen die Tänzerinnen in
Weihnachtsfrau-Kostümen über die beiden Treppe am Artisteneingang in
die Manege. Gemeinsam mit der Sängerin empfangen sie uns. Ein Teil der
Artisten gesellt sich hinzu, Der Weihnachtsmann kommt im Schlitten
mitsamt zwei plüschigen Rentieren herein. Die verbale Begrüßung
übernimmt Björn Gehrmann, der uns zudem souverän durch den Nachmittag
begleitet. Nach diesem groß angelegten Opening fokussieren sich die
Blicke auf eine einzelne Artistin. Vanessa Berousek jongliert mit
Bällen, die wir von der Rhythmischen Sportgymnastik kennen. Ihren
Auftritt hat die junge Tschechin in eine sinnlich-tänzerische
Choreographie verpackt. Auf die eher ruhigen Minuten folgen gleich
wieder extrem ausgelassene Szenen. Denn Rudy Althoff bringt eine
quicklebendige Gruppe Hunde vom Circus Louis Knie in die Manege. Die
Tiere springen durch Reifen, laufen geschickt auf den Hinterbeinen und
bilden eine Polonaise. Dabei sind sie genauso engagiert bei der Sache
wie ihr Vorführer, denn Rudy Althoff gibt alles.
RiCo als Eisverkäufer und Zauber-Hase
Eine
besondere Herausforderung bedeutet die Pandemie auch für Clown RiCo.
Während der Proben wurde entschieden, auf die Einbeziehung von Publikum
zu verzichten. Somit kann etwa das geplante Konzert mit Glöckchen nicht
stattfinden. RiCo meistert diese besondere Situation mit Bravour. Die
gezeigten Nummern sind wunderbar kreativ und werden vom sympathischen
Polen herrlich gespielt. In der ersten entsteigt er als
Zauber-Hase einem überdimensionalen Zylinder. Wenn beim Verketten von
Metallringen alles schiefläuft, muss eine Säge her. Doch das Werkzeug
wird kurzerhand ebenfalls Teil der ineinander verdrehten Requisiten.
Eine Zauber-Karotte wird gleich darauf von einem ferngesteuerten
Plüschhasen „entführt“. Tiere aus Fleisch und Blut sind die Partner in
RiCos zweitem großen Auftritt. An einem Eisstand machen ihm zwei Hunde
das Leben schwer. Daraus wird eine herrlich-rasante Komödie, bei der
die Vierbeiner nicht nur frech den Verkäufer foppen, sondern zudem
ihr artistisches Können beweisen. Die Szene um die kaputte Lampe,
die durch Handauflegen wieder funktioniert, spielt er mit Björn Gehrmann.
Ameli Bilyk, Vlad Olandar, X-Clan
Ameli
Bilyk gewann beim Europaen Youth Circus 2018 Bronze und den
Publikumspreis. Mit fünf Jahren nahm sie das Training an einer
ukrainischen Artistenschule auf. Offensichtlich mit großem Erfolg, denn
ihre wunderbar inszenierte Kür auf dem Schlappseil ist äußerst stark.
Reifen spielen darin eine wichtige Rolle. Sie jongliert mit ihnen,
während sie sich auf einem Bein oder im Spagat auf dem Seil im
Gleichgewicht hält. Noch anspruchsvoller wird es, wenn Ameli Bilyk im
Einarmer auf dem Draht balanciert und Reifen um die Beine sowie den
zweiten Arm kreisen lässt. Das Ballett leitet über zu Vlad Olandar und
seinen schneeweißen Katzen. Neben seinen Klassikern hat der Tierlehrer
meist auch neue Tricks dabei. Mir noch nicht bekannt war die von einer
Katze ausgelöste Armbrust, deren Pfeil einen Luftballon zerschießt.
Außerdem die von einem Stubentiger betriebene Seifenblasenmaschine in
Form eines Hamsterrads. Zu seiner Akrobatik auf BMX-Rädern bekommt der
X-Clan eine fetzige Einleitung von Ballett und Violinsitin. Danach
springen die drei Russen gewagt über die Elemente des großen
Spielplatzes, der für sie aufgebaut wurde. Wobei nur zwei der Artisten
mit dem Bike unterwegs sind. Der dritte steuert Salti bei und lässt
sich von einem seiner Partner überspringen. Die Pause wird originell
vom Ballett und RiCo eingeläutet.
Kris und Harrison Kremo, Desire of Flight, Truppe Didyk
Dem
Clown gehört mit seinen Hunden auch der Auftakt des zweiten Teils. Auf
ihn folgt noch einmal Rudy Althoff. Diesmal mit einem Quartett Ponys.
Dann erleben wir drei Darbietungen, die jede für sich als
Schlussnummer stehen könnten. Los geht es mit Weltstar Kris Kremo.
Seine Jonglagen mit drei Gegenständen sind legendär. Hat er selbst
zunächst mit Vater Bela gearbeitet, tritt er nun gemeinsam mit Sohn
Harrison auf. Meist zeigen sie die gleichen Routinen parallel, sie
werfen sich die Bälle aber auch gegenseitig zu und geben dem jeweils
anderen kurz Raum für ein Solo. Das Ganze charmant verkauft, gerne mal
mit einem Schuss Selbstironie. Echte Profis eben, die ihr Handwerk
verstehen. Eigentlich waren die Kremos diesen Winter beim
Pandemie-bedingt abgesagten Weltweihnachtscircus engagiert. Auf dem
Canstatter Wasen sollten auch Desire of Flight durch die Luft fliegen.
Sie haben ebenfalls kurzfristig bei der Familie Sperlich einen neuen
Kontrakt bekommen. Und so begeistert das Duo jetzt die Reutlinger mit
seiner fantastischen und riskanten Kür an den Strapaten. Valeriy Sychev
zeigt sie seit einiger Zeit mit der 26-jährigen Olga Lozbineva. Gattin
Malvina Abakarova sorgt im Hintergrund für den reibungslosen Ablauf. So
oder so, eine Nummer auf höchstem Niveau, die einen in der einen
Sekunde träumen, in der nächsten den Atem anhalten lässt. Eine Artistin
und sechs Artisten bilden die Truppe Didyk. Die Ukrainer sorgen mit
ihrer wagemutigen Akrobatik an der Doppelten Russischen Schaukel für
eine volle Manege und spektakuläre Höhenflüge. Den zusätzlichen Kick
gibt eine kleine Reckstange, die zwischen den Schaukeln in großer Höhe
hängt. Sie dient als zusätzliches Ziel für die Sprünge, die sonst auf
die Matte oder zur anderen Schaukel gehen. Höhepunkt ist die Passage
zweier Artisten von Schaukel zu Schaukel.
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