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Reutlinger Weihnachtscircus 2021/22
www.reutlinger-weihnachtscircus.de ; 122 Showfotos

Reutlingen, 29. Dezember 2021: Aufgrund von Corona war die Situation in der Weihnachtscircus-Saison 2021/22 extrem volatil. Wegen sich kurzfristig ändernder rechtlicher Regelungen wurden Produktionen oftmals kurz vor der Premiere abgesagt, die engagierten Nummern waren auf einmal wieder frei. Andererseits konnten Artisten aus bestimmten Ländern nicht einreisen. Zumindest nicht, ohne sich zunächst in Quarantäne begeben zu müssen. So änderte sich im Vorfeld auch das Programm des Reutlinger Weihnachtscircus immer wieder.

Die letztendlich gezeigte Show ist ein absoluter Glücksfall. Sie ist nicht nur stark besetzt, sondern ebenfalls ausgewogen. Tierdressuren, Artistik und Clownerie bilden eine ausbalancierte Mischung. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn hinzu kommt eine perfekte Ausgestaltung des Gesamtprodukts.


Entree des Reutlinger Weihnachtscircus 2021/22

Das beginnt beim Blick auf die Zeltstadt und geht im Vorzelt weiter. Der Gastrobereich ist noch größer als bisher. Zahlreiche Verkaufsstände locken mit einem breiten Angebot, Tische und Bänke laden zum Verweilen ein. Alles ist festlich geschmückt, eine Sängerin sorgt für die musikalische Untermalung. Alle Beteiligten sind ausnahmslos freundlich, man fühlt sich einfach willkommen. Diese Gastfreundschaft versprüht insbesondere die Direktionsfamilie von Michael Sperlich. Sie weiß, was sie auch in Zeiten der Pandemie an ihrem treuen Publikum hat. Am Eingang des Chapiteaus nehmen uns die Damen des Balletts in Empfang und zeigen uns unsere Plätze.


Weihnachtliches Opening

Mit Beginn der Show wird die wunderbare Präsentation fortgesetzt. Der prächtige Artisteneingang bietet Platz für die Big Band, welche über der roten Gardine thront. Gleich neun Musiker verwöhnen die Ohren und begleiten den Großteil der Darbietungen live. Bei einzelnen Szenen kommt eine Sängerin hinzu. Für das Auge bestimmt sind die sechs Show Dancer, die zum Teil bereits beim Circus Krone getanzt haben. Das starke Licht rundet das Bild ab, Laser inklusive. Als besonderer Effekt rieselt Schnee aus der Kuppel, zum Finale gibt es ein Feuerwerk. Regisseur Massimiliano Sblaterro fügt die einzelnen Bestandteile zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Sprich, zu einer äußerst kurzweiligen Show, die rundum begeistert, nie langweilig wird und beim Finale mit minutenlangem Taktapplaus gefeiert wird.


Vanessa Berousek, Rudy Althoff

Das weihnachtliche Motiv wird gebührend aufgegriffen. Zur Ouvertüre erscheint der Grinch. Kurz darauf kommen die Tänzerinnen in Weihnachtsfrau-Kostümen über die beiden Treppe am Artisteneingang in die Manege. Gemeinsam mit der Sängerin empfangen sie uns. Ein Teil der Artisten gesellt sich hinzu, Der Weihnachtsmann kommt im Schlitten mitsamt zwei plüschigen Rentieren herein. Die verbale Begrüßung übernimmt Björn Gehrmann, der uns zudem souverän durch den Nachmittag begleitet. Nach diesem groß angelegten Opening fokussieren sich die Blicke auf eine einzelne Artistin. Vanessa Berousek jongliert mit Bällen, die wir von der Rhythmischen Sportgymnastik kennen. Ihren Auftritt hat die junge Tschechin in eine sinnlich-tänzerische Choreographie verpackt. Auf die eher ruhigen Minuten folgen gleich wieder extrem ausgelassene Szenen. Denn Rudy Althoff bringt eine quicklebendige Gruppe Hunde vom Circus Louis Knie in die Manege. Die Tiere springen durch Reifen, laufen geschickt auf den Hinterbeinen und bilden eine Polonaise. Dabei sind sie genauso engagiert bei der Sache wie ihr Vorführer, denn Rudy Althoff gibt alles.


RiCo als Eisverkäufer und Zauber-Hase

Eine besondere Herausforderung bedeutet die Pandemie auch für Clown RiCo. Während der Proben wurde entschieden, auf die Einbeziehung von Publikum zu verzichten. Somit kann etwa das geplante Konzert mit Glöckchen nicht stattfinden. RiCo meistert diese besondere Situation mit Bravour. Die gezeigten Nummern sind wunderbar kreativ und werden vom sympathischen Polen herrlich gespielt. In der ersten entsteigt er als Zauber-Hase einem überdimensionalen Zylinder. Wenn beim Verketten von Metallringen alles schiefläuft, muss eine Säge her. Doch das Werkzeug wird kurzerhand ebenfalls Teil der ineinander verdrehten Requisiten. Eine Zauber-Karotte wird gleich darauf von einem ferngesteuerten Plüschhasen „entführt“. Tiere aus Fleisch und Blut sind die Partner in RiCos zweitem großen Auftritt. An einem Eisstand machen ihm zwei Hunde das Leben schwer. Daraus wird eine herrlich-rasante Komödie, bei der die Vierbeiner nicht nur frech den Verkäufer foppen, sondern zudem ihr artistisches Können beweisen. Die Szene um die kaputte Lampe, die durch Handauflegen wieder funktioniert, spielt er mit Björn Gehrmann.


Ameli Bilyk, Vlad Olandar, X-Clan

Ameli Bilyk gewann beim Europaen Youth Circus 2018 Bronze und den Publikumspreis. Mit fünf Jahren nahm sie das Training an einer ukrainischen Artistenschule auf. Offensichtlich mit großem Erfolg, denn ihre wunderbar inszenierte Kür auf dem Schlappseil ist äußerst stark. Reifen spielen darin eine wichtige Rolle. Sie jongliert mit ihnen, während sie sich auf einem Bein oder im Spagat auf dem Seil im Gleichgewicht hält. Noch anspruchsvoller wird es, wenn Ameli Bilyk im Einarmer auf dem Draht balanciert und Reifen um die Beine sowie den zweiten Arm kreisen lässt. Das Ballett leitet über zu Vlad Olandar und seinen schneeweißen Katzen. Neben seinen Klassikern hat der Tierlehrer meist auch neue Tricks dabei. Mir noch nicht bekannt war die von einer Katze ausgelöste Armbrust, deren Pfeil einen Luftballon zerschießt. Außerdem die von einem Stubentiger betriebene Seifenblasenmaschine in Form eines Hamsterrads. Zu seiner Akrobatik auf BMX-Rädern bekommt der X-Clan eine fetzige Einleitung von Ballett und Violinsitin. Danach springen die drei Russen gewagt über die Elemente des großen Spielplatzes, der für sie aufgebaut wurde. Wobei nur zwei der Artisten mit dem Bike unterwegs sind. Der dritte steuert Salti bei und lässt sich von einem seiner Partner überspringen. Die Pause wird originell vom Ballett und RiCo eingeläutet.


Kris und Harrison Kremo, Desire of Flight, Truppe Didyk

Dem Clown gehört mit seinen Hunden auch der Auftakt des zweiten Teils. Auf ihn folgt noch einmal Rudy Althoff. Diesmal mit einem Quartett Ponys. Dann erleben wir drei Darbietungen, die jede für sich als Schlussnummer stehen könnten. Los geht es mit Weltstar Kris Kremo. Seine Jonglagen mit drei Gegenständen sind legendär. Hat er selbst zunächst mit Vater Bela gearbeitet, tritt er nun gemeinsam mit Sohn Harrison auf. Meist zeigen sie die gleichen Routinen parallel, sie werfen sich die Bälle aber auch gegenseitig zu und geben dem jeweils anderen kurz Raum für ein Solo. Das Ganze charmant verkauft, gerne mal mit einem Schuss Selbstironie. Echte Profis eben, die ihr Handwerk verstehen. Eigentlich waren die Kremos diesen Winter beim Pandemie-bedingt abgesagten Weltweihnachtscircus engagiert. Auf dem Canstatter Wasen sollten auch Desire of Flight durch die Luft fliegen. Sie haben ebenfalls kurzfristig bei der Familie Sperlich einen neuen Kontrakt bekommen. Und so begeistert das Duo jetzt die Reutlinger mit seiner fantastischen und riskanten Kür an den Strapaten. Valeriy Sychev zeigt sie seit einiger Zeit mit der 26-jährigen Olga Lozbineva. Gattin Malvina Abakarova sorgt im Hintergrund für den reibungslosen Ablauf. So oder so, eine Nummer auf höchstem Niveau, die einen in der einen Sekunde träumen, in der nächsten den Atem anhalten lässt. Eine Artistin und sechs Artisten bilden die Truppe Didyk. Die Ukrainer sorgen mit ihrer wagemutigen Akrobatik an der Doppelten Russischen Schaukel für eine volle Manege und spektakuläre Höhenflüge. Den zusätzlichen Kick gibt eine kleine Reckstange, die zwischen den Schaukeln in großer Höhe hängt. Sie dient als zusätzliches Ziel für die Sprünge, die sonst auf die Matte oder zur anderen Schaukel gehen. Höhepunkt ist die Passage zweier Artisten von Schaukel zu Schaukel.

Im folgenden Finale werden in einer fulminanten Inszenierung nochmals alle Register gezogen. Natürlich verabschieden sich alle Mitwirkenden vom enthusiastischen Publikum. Was für eine Show! Und das unter den eingangs beschriebenen Rahmenbedingungen. Chapeau der Familie Sperlich, in unsicheren Zeiten eine solche Produktion in einem derart hochwertigen Rahmen auf die Beine zu stellen!

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Text und Fotos: Stefan Gierisch