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Weltweihnachtscircus 2019/20
www.weltweihnachtscircus.de ; 175 Showfotos

Stuttgart, 20. Dezember 2019: Es ist ein herrliches Bild der Circuskunst, wenn Kevin Richter auf zwei Pferden stehend 21 weitere Rösser an langen Bändern vor sich herlaufen lässt. Mit der rasanten Post des jungen Ungarn hat dieser 27. Weltweihnachtscircus einen fulminanten Auftakt. So macht Circus Spaß, voller Energie, voller Tradition und voller Vertrautheit von Mensch und Tier. Auch in diesem Winter haben sich die Produzenten Henk van der Meijden, Monica Strotman und ihre Tochter Elisa auf die Fahnen geschrieben, die „Crème de la Crème der internationalen Circuswelt“ nach Stuttgart zu holen.

Das ist ohne Frage wieder gelungen. Unter den vielen hiesigen Produktionen rund um den Jahreswechsel ist der Weltweihnachtscircus zweifellos die hochkarätigste. Dass Sensationen alleine ermüden, haben die Macher schon vor vielen Jahren erkannt. Daher kommen zur Hochleistungsartistik immer kleinere, charmante Darbietungen. Zumeist sind diese ebenfalls von erlesener Qualität, aber eben nicht so spektakulär. So erleben wir im Winter 2019/20 beispielsweise erstmals eine Schwertschluckerin in der Stardust-Manege am Neckar. Oder zwei Jongleure, die während ihrer Passings mit Keulen die Outfits tauschen. Die Mischung stimmt auch in dieser Ausgabe des Weltweihnachtscircus, so dass die rund drei Stunden dauernde Show ein reines Vergnügen ist.


Ensemble des Weltweihnachtscircus 2019/20

Ein eindrucksvolles Erlebnis ist sie ohnehin. Neu ist in dieser Spielzeit ebenfalls das Design des Artisteneingangs. „Weltweihnachtscircus Stuttgart“ steht nun in glitzernden Lettern zwischen Gardine und Orchester. Der große Vorhang ist jetzt mit goldenen Verzierungen versehen, die hohen Weihnachtsbäume an beiden Seiten haben einen neuen Look. Geblieben ist das Orchester unter der Leitung von Markus Jaichner. Es spielt wunderbar, kommt allerdings nicht durchgängig zum Einsatz. Auch dem Lichtdesign gebührt ein großes Lob. Für die Regie ist in diesem Winter erstmals Gia Eradze verantwortlich. Die Produktionsleitung liegt in den bewährten Händen der inzwischen schon legendären Hetty Vermeulen.


Kevin Richter, Truppe von Violetta Alexandra Serzh, Bello Nock

Stuttgart gehört zu den Städten, die sich für ein Wildtierverbot entschieden haben, wenngleich dieses juristisch nicht haltbar ist.  Aber zumindest für die Landeshauptstadt gilt: „Wo kein Kläger, da kein Richter.“ So bleibt es in diesem Winter bei Tiernummern mit Pferden. Zur Ungarischen Post von Kevin Richter kommt eine wunderbare Freiheitsdressur seines Vaters Florian. In der Hauptsache sind es Friesen und weiße Araber, die er zu anspruchsvollen Abläufen dirigiert. Das tut er auf mitreißende Weise, ein echter Showman eben. Herrliche Steiger runden diese Vorführung ab. Wagenmutige Frauen und Männer hat Violetta Alexandra Serzh um sich versammelt. In edlen folkloristischen Kostümen zeigen sie eine rasante Kosakenreiterei. In hohem Tempo arbeitet die Truppe riskante Tricks. Solche hat auch Bello Nock auf Lager. Denn der Amerikaner mit Schweizer Wurzeln ist nicht nur Clown, sondern ebenfalls Artist. So gerät er „ganz unvermittelt“ aufs Todesrad, um hoch oben flotte Moves zu wagen. Richtung Kuppel geht es ein anderes Mal, wenn er mittels Strickleiter ein Seil zurück in seine Aufhängung befördern will. Dabei spielt der Blondschopf mit der markanten Frisur mit den Nerven des Publikums. Eines seiner Haare kommt zum Einsatz, wenn er mittels Bogen in Form eines langen Ballons einen imaginären Pfeil abschießt, um in Wilhelm-Tell-Manier einen Luftballon über dem Kopf einer Zuschauerin zum Platzen zu bringen. Benötigt er einen Mit- oder besser Gegenspieler, steht Björn Gehrmann bereit. Im roten Frack führt der Oldenburger nun im dritten Jahr souverän durch die Show. Ein Sprechstallmeister aus dem Bilderbuch.


Duo Ballance, Truppe Efimov, Trio Dandys

Florian Richter und Bello Nock sind während der Laufzeit dieser Ausgabe des Weltweihnachtscircus die beiden einzigen Inhaber eines Goldenen Clowns. Diese Auszeichnung in Silber darf das Duo Ballance sein Eigen nennen. Die Hand-auf-Hand-Akrobaten wurden im Jubiläumsprogramm des Schweizer National-Circus Knie Abend für Abend gefeiert. In der Stardust-Manege sieht es nicht anders aus. Ihre kraftvolle Partnerakrobatik begeistert auch hier. „In Stuttgart wird geheiratet, in Monte Carlo werden dann die Flitterwochen verbracht.“ So kündigt Björn Gehrmann die Truppe um Vladimir Efimov an. Als Brautpaar mit ausgelassener - rein männlicher - Hochzeitsgesellschaft wirbeln die Artisten über Fast Track und Trampolin. Faszinierende Sprünge werden hier äußerst originell und voller Lebensfreude dargeboten. Mich haben sie im Handumdrehen für sich gewonnen. Im Januar 2020 werden sie beim Circusfestival an der Cote d'Azur mit einem Bronzenen Clown prämiert. "Silber" gibt es für das Trio Dandys und ihre Darbietung am Russischen Barren. Die beiden Porteure Johnny Gasser und Yury Kreer kennen wir aus der Formation White Crow. Statt der bezaubernden Carole Demers ist jetzt Kirill Ivanov als Flieger dabei und die Aufmachung ist nun im Stil von Dandys (Wikipedia: „junge Leute, die in auffälliger Bekleidung Kirche oder Jahrmarkt besuchen“) gestaltet. Artistische Höhepunkte sind der dreifache Rückwärts- und Vorwärtssalto. Die dritten Monte Carlo-Reisenden im Bunde sind die Martinez Brothers mit ihren Ikarischen Spiele auf sehr hoher Plattform. Als wir den Weltweihnachtscircus besuchen, sind sie allerdings noch nicht wie vorgesehen im Programm. Sie haben ihre Stuttgart-Premiere erst einige Tage danach. Im Fürstentum überzeugen sie die Jury vollends. Sie erhalten "Gold".


Werner Guerrero Truppe, Lira Girls, Secrets of my Soul

Dank der 20-köpfigen Truppe des Großen Chinesischen Staatscircus Jinan kommen wir an diesem Abend dennoch in den Genuss von Ikarischen Spielen. Sogar den „größten der Welt“, wie es im Programmheft heißt. In einer aufwendigen Choreographie jonglieren sich die Akrobaten gegenseitig mit den Füßen durch die Luft. Dies über mehrere Ebenen. Folgerichtig gehört ihnen die Schlussnummer. Bunte Figuren der Circuswelt verkörpern die Mitglieder der Truppe Yarov. Das Sextett aus der Ukraine überrascht mit einzigartigen Tricks an der Perche. So etwa mit dem Sprung von der Spitze einer auf den Schultern balancierten Perchestange zu einer anderen. Oder mit einem Turm, bei welchem der Untermann mit zwei Stelzen auf einem Russischen Barren steht, während die Partnerin am oberen Ende der Perche einen Handstand drückt. Noch spektakulärer sollte der Auftritt der zehn Personen zählenden Werner-Guerrero-Truppe geraten. Angekündigt wurde eine Sieben-Personen-Pyramide auf dem Hochseil – auf Fahrrädern. Was so unglaublich klingt, führte bei der Hauptprobe vor Publikum zu einem Unfall. Erfreulicherweise kam es nur zu leichten Verletzungen. In den weiteren Vorstellungen wird dann auf die obere Etage verzichtet. Ohnehin gerät die Fahrt aufgrund der begrenzten Länge des Seils recht kurz. Eine Rarität ist ebenfalls das Überspringen von fünf auf dem Seil kauernden Personen. Gleich doppelt vertreten ist Akrobatik am Luftring. Marina Luna und Madi McKay bilden die Lira Girls. Sie verwöhnen uns mit schön anzusehenden synchronen Haltefiguren, aber auch mit riskanten Tricks, bei denen sich eine auf die andere verlassen können muss. Großes Vertrauen ineinander haben ganz offensichtlich auch Oleksii Grigorov und seine Frau Marina. Denn auch Oleksii baut darauf, dass ihn seine Ehefrau sicher hält. Zumeist aber übernimmt er den tragenden Part. In verschiedenen Varianten setzt er dabei sogar auf die Kraft seiner Zähne. Secrets of my Soul ist diese wunderschöne Kür überschrieben.


Viktor Kee, Duo Our Story, Lucky Hell

Ebenfalls zweimal dabei ist das Genre Jonglage. Avantgardistisch gerät das ausgefeilte und höchst anspruchsvolle „Spiel“ mit weißen Bällen von Viktor Kee. Mit einem Augenzwinkern gehen Strahlemann & Söhne an ihre Passings mit Keulen. Denn die beiden Businessmen tauschen en passant ihre dreiteiligen Anzüge. Das Duo Our Story begeisterte mich 2018 beim Festival in Girona mit seiner ungeheuer intensiv gespielten Beziehungsgeschichte am Masten. Zu getragenen Geigenklängen zeigen Yulia Bezrukova und Igor Tychinskiy eine starke Trickfolge in einer sehr packenden Choreographie von Dmitry Chernov. Lucky Hell ist der Künstlername einer extravaganten, reichlich tätowierten jungen Blondine. Aufreizend flirtet sie mit dem Publikum und fasziniert mit der Kunst des Schwertschluckens. Man mag seinen Augen kaum trauen, wenn sie die scharfen Metallklingen durch den Mund in ihrem Körper verschwinden lässt. Mit einem groß zelebrierten Finale endet die Show des Weltweihnachtscircus 2019/20, mit welcher uns Stardust Circus International wiederum ein einzigartiges Erlebnis schenkt!

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Text und Fotos: Stefan Gierisch