Das
ist ohne Frage wieder gelungen. Unter den vielen hiesigen Produktionen
rund um den Jahreswechsel ist der Weltweihnachtscircus zweifellos die
hochkarätigste. Dass Sensationen alleine ermüden, haben die Macher
schon vor vielen Jahren erkannt. Daher kommen zur Hochleistungsartistik
immer kleinere, charmante Darbietungen. Zumeist sind diese ebenfalls
von erlesener Qualität, aber eben nicht so spektakulär. So erleben wir
im Winter 2019/20 beispielsweise erstmals eine Schwertschluckerin in
der Stardust-Manege am Neckar. Oder zwei Jongleure, die während ihrer
Passings mit Keulen die Outfits tauschen. Die Mischung stimmt auch in
dieser Ausgabe des Weltweihnachtscircus, so dass die rund drei Stunden
dauernde Show ein reines Vergnügen ist.
Ensemble des Weltweihnachtscircus 2019/20
Ein
eindrucksvolles Erlebnis ist sie ohnehin. Neu ist in dieser Spielzeit
ebenfalls das Design des Artisteneingangs. „Weltweihnachtscircus
Stuttgart“ steht nun in glitzernden Lettern zwischen Gardine und
Orchester. Der große Vorhang ist jetzt mit goldenen Verzierungen
versehen, die hohen Weihnachtsbäume an beiden Seiten haben einen neuen
Look. Geblieben ist das Orchester unter der Leitung von Markus
Jaichner. Es spielt wunderbar, kommt allerdings nicht durchgängig zum
Einsatz. Auch dem Lichtdesign gebührt ein großes Lob. Für die Regie ist
in diesem Winter erstmals Gia Eradze verantwortlich. Die
Produktionsleitung liegt in den bewährten Händen der inzwischen schon
legendären Hetty Vermeulen.
Kevin Richter, Truppe von Violetta Alexandra Serzh, Bello Nock
Stuttgart
gehört zu den Städten, die sich für ein Wildtierverbot entschieden
haben, wenngleich dieses juristisch nicht haltbar ist. Aber
zumindest für die Landeshauptstadt gilt: „Wo kein Kläger, da kein
Richter.“ So bleibt es in diesem Winter bei Tiernummern mit Pferden.
Zur Ungarischen Post von Kevin Richter kommt eine wunderbare
Freiheitsdressur seines Vaters Florian. In der Hauptsache sind es
Friesen und weiße Araber, die er zu anspruchsvollen Abläufen dirigiert.
Das tut er auf mitreißende Weise, ein echter Showman eben. Herrliche Steiger runden diese Vorführung ab. Wagenmutige Frauen und
Männer hat Violetta Alexandra Serzh um sich versammelt. In edlen
folkloristischen Kostümen zeigen sie eine rasante Kosakenreiterei. In
hohem Tempo arbeitet die Truppe riskante Tricks. Solche hat auch Bello
Nock auf Lager. Denn der Amerikaner mit Schweizer Wurzeln ist nicht nur
Clown, sondern ebenfalls Artist. So gerät er „ganz unvermittelt“ aufs
Todesrad, um hoch oben flotte Moves zu wagen. Richtung Kuppel geht es
ein anderes Mal, wenn er mittels Strickleiter ein Seil zurück in seine
Aufhängung befördern will. Dabei spielt der Blondschopf mit der
markanten Frisur mit den Nerven des Publikums. Eines seiner Haare kommt
zum Einsatz, wenn er mittels Bogen in Form eines langen Ballons einen
imaginären Pfeil abschießt, um in Wilhelm-Tell-Manier einen Luftballon
über dem Kopf einer Zuschauerin zum Platzen zu bringen. Benötigt er
einen Mit- oder besser Gegenspieler, steht Björn Gehrmann bereit. Im
roten Frack führt der Oldenburger nun im dritten Jahr souverän durch
die Show. Ein Sprechstallmeister aus dem Bilderbuch.
Duo Ballance, Truppe Efimov, Trio Dandys
Florian Richter und Bello
Nock sind während der Laufzeit dieser Ausgabe des
Weltweihnachtscircus die beiden einzigen Inhaber eines
Goldenen Clowns. Diese Auszeichnung in Silber darf das Duo
Ballance sein Eigen nennen. Die Hand-auf-Hand-Akrobaten wurden
im Jubiläumsprogramm des Schweizer National-Circus Knie Abend
für Abend gefeiert. In der Stardust-Manege sieht es nicht
anders aus. Ihre kraftvolle Partnerakrobatik begeistert auch
hier. „In Stuttgart wird geheiratet, in Monte Carlo werden
dann die Flitterwochen verbracht.“ So kündigt Björn Gehrmann
die Truppe um Vladimir Efimov an. Als Brautpaar mit
ausgelassener - rein männlicher - Hochzeitsgesellschaft
wirbeln die Artisten über Fast Track und Trampolin.
Faszinierende Sprünge werden hier äußerst originell und voller
Lebensfreude dargeboten. Mich haben sie im Handumdrehen für
sich gewonnen. Im Januar 2020 werden sie beim Circusfestival
an der Cote d'Azur mit einem Bronzenen Clown prämiert.
"Silber"
gibt es für das Trio Dandys und ihre Darbietung am
Russischen Barren. Die beiden Porteure Johnny Gasser und Yury
Kreer kennen wir aus der Formation White Crow. Statt der
bezaubernden Carole Demers ist jetzt Kirill Ivanov als Flieger
dabei und die Aufmachung ist nun im Stil von Dandys (Wikipedia:
„junge Leute, die in auffälliger Bekleidung Kirche oder
Jahrmarkt besuchen“) gestaltet. Artistische Höhepunkte sind
der dreifache Rückwärts- und Vorwärtssalto. Die dritten Monte
Carlo-Reisenden im Bunde sind die Martinez Brothers mit ihren
Ikarischen Spiele auf sehr hoher Plattform. Als wir den
Weltweihnachtscircus besuchen, sind sie allerdings noch nicht
wie vorgesehen im Programm. Sie haben ihre Stuttgart-Premiere
erst einige Tage danach. Im Fürstentum überzeugen sie die Jury
vollends. Sie erhalten "Gold".
Werner Guerrero Truppe, Lira Girls, Secrets of my Soul
Dank
der 20-köpfigen Truppe des Großen Chinesischen Staatscircus Jinan
kommen wir an diesem Abend dennoch in den Genuss von Ikarischen
Spielen. Sogar den „größten der Welt“, wie es im Programmheft heißt. In
einer aufwendigen Choreographie jonglieren sich die Akrobaten
gegenseitig mit den Füßen durch die Luft. Dies über mehrere Ebenen.
Folgerichtig gehört ihnen die Schlussnummer. Bunte Figuren der
Circuswelt verkörpern die Mitglieder der Truppe Yarov. Das Sextett aus
der Ukraine überrascht mit einzigartigen Tricks an der Perche. So etwa
mit dem Sprung von der Spitze einer auf den Schultern balancierten
Perchestange zu einer anderen. Oder mit einem Turm, bei welchem der
Untermann mit zwei Stelzen auf einem Russischen Barren steht, während
die Partnerin am oberen Ende der Perche einen Handstand drückt. Noch
spektakulärer sollte der Auftritt der zehn Personen zählenden Werner-Guerrero-Truppe geraten. Angekündigt wurde eine
Sieben-Personen-Pyramide auf dem Hochseil – auf Fahrrädern. Was so
unglaublich klingt, führte bei der Hauptprobe vor Publikum zu einem
Unfall. Erfreulicherweise kam es nur zu leichten Verletzungen. In den
weiteren Vorstellungen wird dann auf die obere Etage verzichtet.
Ohnehin gerät die Fahrt aufgrund der begrenzten Länge des Seils recht
kurz. Eine Rarität ist ebenfalls das Überspringen von fünf auf dem Seil
kauernden Personen. Gleich doppelt vertreten ist Akrobatik am Luftring.
Marina Luna und Madi McKay bilden die Lira Girls. Sie verwöhnen uns mit
schön anzusehenden synchronen Haltefiguren, aber auch mit riskanten
Tricks, bei denen sich eine auf die andere verlassen können muss.
Großes Vertrauen ineinander haben ganz offensichtlich auch Oleksii
Grigorov und seine Frau Marina. Denn auch Oleksii baut darauf, dass ihn
seine Ehefrau sicher hält. Zumeist aber übernimmt er den tragenden
Part. In verschiedenen Varianten setzt er dabei sogar auf die Kraft
seiner Zähne. Secrets of my Soul ist diese wunderschöne Kür überschrieben.
Viktor Kee, Duo Our Story, Lucky Hell
Ebenfalls
zweimal dabei ist das Genre Jonglage. Avantgardistisch gerät das
ausgefeilte und höchst anspruchsvolle „Spiel“ mit weißen Bällen von
Viktor Kee. Mit einem Augenzwinkern gehen Strahlemann & Söhne an
ihre Passings mit Keulen. Denn die beiden Businessmen tauschen en
passant ihre dreiteiligen Anzüge. Das Duo Our Story begeisterte mich
2018 beim Festival in Girona mit seiner ungeheuer intensiv gespielten
Beziehungsgeschichte am Masten. Zu getragenen Geigenklängen zeigen
Yulia Bezrukova und Igor Tychinskiy eine starke Trickfolge in einer
sehr packenden Choreographie von Dmitry Chernov. Lucky Hell ist der
Künstlername einer extravaganten, reichlich tätowierten jungen
Blondine. Aufreizend flirtet sie mit dem Publikum und fasziniert mit
der Kunst des Schwertschluckens. Man mag seinen Augen kaum trauen, wenn
sie die scharfen Metallklingen durch den Mund in ihrem Körper
verschwinden lässt. Mit einem groß zelebrierten Finale endet die Show
des Weltweihnachtscircus 2019/20, mit welcher uns Stardust Circus
International wiederum ein einzigartiges Erlebnis schenkt!
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