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Festival der Artisten Kassel 2019/20
www.flicflac.de ; 156 Showfotos

Kassel, 5. Januar 2020: Funktioniert Flic Flac auch ohne Motorräder, die wahlweise durch eine große Kugel jagen oder über die Bühne springen? Keine Frage, es funktioniert. Sogar bestens. Mit dem 11. Festival der Artisten beweist das Unternehmen der Familie Kastein dies einmal mehr. Natürlich ist es nicht die erste Produktion unter dem schwarz-gelben Chapiteau auf dem Kasseler Friedrichsplatz, die ohne die motorisierten Zweiräder auskommt. Wenn man jedes Jahr seine treue Fangemeinde begeistern will, ist Abwechslung einfach ein Muss. Und Zufriedenheit ist garantiert bei dieser Ausgabe. Der ganz große Nervenkitzel fehlt. Dafür gibt es sehr viele Momente, die in Erinnerung bleiben.

Weil sie neuartig sind, zum Träumen anregen, Staunen lassen, Spaß machen oder einfach nur schön sind. Wie gewohnt, dürfen nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Zuschauer nach jeder Vorstellung ihre Favoriten wählen. Am Ende der Spielzeit werden dann die drei Erstplatzierten ermittelt. Es winken Geldpreise in Höhe von 15.000, 10.000 und 5.000 Euro. Einen Moderator gibt es 2019/20 nicht. Die wenigen notwendigen Informationen kommen von einer Stimme aus dem Off. Die Mitwirkenden stellen sich vor ihrer Darbietung in Videobotschaften selbst vor. Diese laufen auf mehreren Monitoren über der Rundbühne. Wie wir das von Flic Flac gewohnt sind, gibt es ein ganz eigenständiges Lichtdesign. Auf Farben wird weitgehend verzichtet. Die Kreationen sind eindrucksvoll und überzeugen auf ganzer Linie.


Truppe Ruban, Jim Ketting Olivier von Magus Utopia, Truppe Tufyaev

Den überzeugendsten Eindruck beim Publikum hinterlässt die Truppe Ruban. Sie geht als Sieger aus dem Rennen. Die elf Artisten treten in weiß übertünchten Straßenkleidern auf. Ein von einem Mitglied bedientes Grammophon spielt in der Choreographie eine wichtige Rolle. In diese integriert sind sensationelle Sprungvariationen von zwei Schleuderbrettern. Höhepunkt ist ein Sprung in einen Sessel, der auf einer Perche steckt. Deren Porteur wiederum steht auf zwei Stelzen. Den zweiten Platz holen sich Magus Utopia. Kreiert wurde ihre Zaubershow von Illusionist Marcel Kalisvaart und Art-Director Aquila Junior. In Kassel gibt Jim Ketting Olivier den sympathischen „Normalo“, der unversehens in einen Albtraum mit mehreren Hexen gerät. Mit viel Aufwand wird dieser inszeniert. Im wahrsten Sinnen „eingebettet“ sind faszinierende Tricks. Denn die Darbietung beginnt und endet mit dem Verschwinden aus einem bzw. Erscheinen in einem Bett. Auf Rang drei landet die Truppe Tufyaev mit ihrer starken Kombination aus Russischem Barren und Handvoltigen. In den unterschiedlichsten Konstellationen verbinden die acht Artisten aus Russland diese beiden Disziplinen. Besonders spektakulär sind natürlich die Sprünge, bei denen zwei Akteure gleichzeitig in der Luft sind. Für ihren Auftritt in Kassel wurden sie Flic Flac-tauglich in Schwarz neu eingekleidet.


Duo Ice, To Be Free, Milena & Christopher

Bereits mit Flic Flac auf Tournee war die Formation Wild. Somit sind die Handvoltigen und Menschenpyramiden des Quartetts schon bestens auf den Rahmen des Festivals abgestimmt. Ebenfalls Flic Flac-erfahren ist das Duo Ice. Jenny Kastein und Partner Danil zeigen, „was man unter der Dusche alles machen kann“, wie sie im Vorstellungsvideo ankündigen. Bei ihrem Wet Adagio präsentieren sie starke Partner-Akrobatik im Dauerregen. Gemeinsam mit dem Licht ergeben sich fantastische Effekte. Dreimal geht es in die Luft. Zunächst mit „To Be Free“. Zum Song „Draw your Swords“ begeistert das Duo aus der Ukraine mit einer artistisch anspruchsvollen Beziehungsgeschichte an den Strapaten. Dem Genre Vertikalseil gewinnt Lisanna Paloma neue Seiten ab. Immer wieder geht es für die Artistin aus Las Vegas am Seil hinauf und in variantenreichen Abfallern wieder hinunter. Die flotte Kür muss Unmengen an Kraft erfordern. Lisanna Paloma lässt sich das in keinster Weise anmerken. Ungewöhnlich ist die Anordnung der Trapeze von Milena und Christopher. Die Stangen ihrer Requisiten hängen im rechten Winkel zueinander. Das erlaubt neuartige Tricks. Natürlich erleben wir diese neben Haltefiguren und Handvoltigen. So etwa, wenn Milena mit den Füßen auf dem einen und dem Rücken auf dem anderen Trapez liegt und Christopher auf ihrem Körper steht.


Vladik Miagkostoupov, Juma, Barto

Zumindest kurzzeitig geht auch Vladik Miagkostoupov in die Luft. Denn für einen Teil seiner Jonglagen mit Bällen und Keulen lässt er sich an zwei Seilen Richtung Kuppel ziehen. Egal ob am Boden oder darüber, Miagkostoupov überzeugt einmal mehr mit einzigartigen Touren und großer Ausstrahlung. Innovativ sind allein schon die Requisiten für die zweite Jongliernummer der Show. Darin werfen sich Viktor und Viktoriya lange Stangen mit Kugeln an den Enden zu, die ein wenig wie Ohrenstäbchen für Elefanten aussehen. Bei den variantenreichen Passings damit entstehen raumfüllende Bilder. Auf einem über die Rundbühne fahrenden Podest verbiegt Juma seinen Körper auf extreme Weise und hat offensichtlich eine Menge Spaß dabei. Auf jeden Fall strahlt der Kontorsionist bei seinen verblüffenden Übungen viel Lebensfreude aus. Die fröhliche Musikbegleitung unterstreicht dies. Für außergewöhnliche Verrenkungen seines Körpers ist ebenfalls Barto bekannt. Diese zeigt er in der bekannten Aufmachung auf komische Weise. Zunächst zwängt er sich durch einen Kleiderbügel aus Metall, in einem zweiten Auftritt ist eine Röhre sein „Spielzeug“. Alfonse Coconut alias Boris Nikishkin ist der andere Spaßmacher des Festivals. Auch er hat akrobatische Fähigkeiten. In klassischer Manier arbeitet er eine Handstand-Kür, bei der zwei Helfer an einem Seilzug nicht unerhebliche Unterstützung leisten. Als diese sich verabschieden, muss Nikishkin beweisen, was er wirklich kann. Und das ist durchaus beachtlich. Zudem erleben wir ihn beim Warm up vor dem eigentlichen Beginn mit einer Popcorntüte und gemeinsam mit zwei Gästen aus dem Publikum bei einem originellen Konzert.

Wie immer geht es bei Flic Flac Schlag auf Schlag, Nummer folgt auf Nummer. Nach den Auftritten bleibt nur wenig Zeit für ein kurzes Kompliment. Das gibt der Show natürlich eine hohe Dichte. Somit bietet das Team um Martin Krockauer dem Kasseler Publikum wieder ein stark besetztes Festival, das Artistik und Comedy mit ordentlich Power serviert.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch