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Weltweihnachtscircus 2018/19
www.weltweihnachtscircus.de ; 160 Showfotos

Stuttgart, 21. Dezember 2018: Wer regelmäßig den Stuttgarter Weltweihnachtscircus besucht, der weiß meist schon, was ihn ungefähr erwartet. Auf das „Hier in Stuttgart!“ folgt eine große artistische Sensation, und die Familie Knie stellt die Tierdressuren ihres vergangenen Saisonprogramms vor. Natürlich gibt es immer Neues zu sehen, das Grundkonzept ist jedoch stets dasselbe. In diesem Jahr ist es den Produzenten Henk van der Meijden und Monica Strotmann gelungen, aus dem gewohnten Rahmen auszubrechen.

Die Anzahl der Mitwirkenden ist genauso opulent wie in den Vorjahren. Völlig anders ist jedoch die Art der Darbietungen, die präsentiert werden. Und das liegt hauptsächlich am Team des „Royal Circus“ von Gia Eradze. Der 40-jährige Impresario präsentiert damit erstmals Darbietungen in Deutschland, die von seiner Handschrift geprägt sind. Diese werden direkt im Anschluss beim Circusfestival von Monte Carlo zu erleben sein. Prächtige Kostüme, zahlreiche Mitwirkende und beeindruckende Bilder sind die Standardelemente seiner Werke.


Eröffnung der Show durch das "Royal Circus"-Ballett, Björn Gehrmann

Dabei wissen die Eradze-Inszenierungen im zweiten Programmteil durchweg besser zu gefallen als im ersten. Die Eröffnung der Show durch das „Royal Circus“-Ballett in quietschbunten Kostümen weiß noch nicht wirklich zu begeistern, die Anlehnung an Circusparaden im amerikanischen Stil kommt nicht ganz authentisch herüber. Direkt im Anschluss hat Housch-ma-Housch seinen ersten Auftritt. Er ziert das Plakatmotiv des diesjährigen Weltweihnachtscircus. Der sympathische Komiker schafft es, selbst das Warm-Up mit dem Publikum kreativ umzusetzen und kommt per Stromkabel zu seiner berühmten Frisur. Erst im Anschluss beendet Moderator Björn Gehrmann diesen Eröffnungsblock. Er ist zum zweiten Mal beim Weltweihnachtscircus dabei. In seiner Begrüßung weist er auf das Jubiläum „250 Jahre Circus“ hin und führt im Anschluss weiter sicher, informativ und stilvoll durch das Programm. Somit ist zu hoffen, dass er auch in den nächsten Jahren den Weltweihnachtscircus „hier in Stuttgart“ präsentieren wird.


Jozsef Richter Truppe, Housch-ma-Housch, White Gothic

Philip Astley, der Begründer des modernen Circus, war bereits ein für seine Zeit brillanter Jockeyreiter. Zweifelsohne zu den Besten dieses Genres gehört heute die Truppe von Joszef Richter. Der Truppenchef persönlich zeigt einen gestreckten Salto vom vorderen auf ein dahinter laufendes Pferd. Gemeinsam mit Ehefrau Merrylu erleben wir zudem ein Kopf-auf-Kopf auf dem Rücken der Kaltblüter. Neben Housch-ma-Housch sind auch Tom und Pepe für den komischen Part zuständig. Die zwei Amerikaner haben jedoch nur drei kurze Auftritte im Gradin, bei denen sie mit Blumen zaubern oder dem Licht hinterherjagen. Schade, denn diesen wirklich lustigen Clowns hätte man durchaus mehr Aufmerksamkeit gegönnt. Reinen Schauwert hat die „Masleniza“-Inszenierung des Balletts. Angelehnt an die Woche vor Beginn der orthodoxen Fastenzeit, schweben sieben der Akteurinnen an langen Bändern durch die Kuppel, während die restlichen zwölf Mitwirkenden unten ebenfalls rund um lange Tücher tanzen. Mehr auf artistische Leistung konzentrieren sich die vier Ukrainer von „White Gothic“. Ihre Handstand-Equilibristik beeindruckt mit neuartigen Figuren, die man so meist noch nicht gesehen hat.


Yuri Volodchenkov, Anastasia Makeeva und Laura Miller, Kosakenreiterinnen von Rustam Gazzaev

Feurige Stimmung im Zigeuner-Stil schafft das Ballett im Anschluss zur Einleitung von Yuri Voldochenkov, dessen meist freihändige Reiterei unter anderem aus dem Circus Roncalli bekannt ist. Er hat sich inzwischen dem Ensemble von Gia Eradze angeschlossen. Höhepunkt seiner energiegeladenen Darbietung ist das Seilspringen, das wohl nur er mit seinem Pferd zeigt. In seinem zweiten Auftritt hat Housch-ma-Housch gewaltige Schwierigkeiten, ein plötzlich doch ganz lebendiges Plüschtier zu bändigen. Zu den besten Luftakrobatinnen unserer Zeit gehören Anastasia Makeeva und Laura Miller. Die eine an den Strapaten, die andere am Luftring. Sie zeigen zunächst die besten Tricks ihrer eigenen Nummern, ehe sie in Millers Wasserbecken springen und zum Abschluss gemeinsam gen Circuskuppel schweben. Diese Zusammenarbeit entstand im Rahmen des 40. Circusfestivals in Monte Carlo und kam nun eigens für den Weltweihnachtscircus erneut zustande. Housch-ma-Houschs letzter Auftritt vor der Pause dreht sich um seine bekannte Klebeband-Gitarre. Umrahmt vom Royal-Ballett, erleben wir als Pausennummer erneut eine Eradze-Darbietung im russischen Stil. „Russia“ lautet der Titel der Inszenierung rund um die Akrobatik der Kosakenreiterei von Rustam Gazzaev. Fünf Frauen und ein Mann beeindrucken mit rasant ausgeführten, spektakulären Tricks. Dabei übernehmen die Frauen schwierige Tricks, wie sie ansonsten eher von Männern gezeigt werden. Dabei nehmen sie in hohem Tempo Tücher vom Boden auf, schwenken deutsche sowie russische Fahnen und springen auf die Schultern ihres männlichen Kollegen.


Quick Change vom Royal Circus

Spektakulär gerät der Einstieg in den zweiten Programmteil. Neun Männer und eine Frau rasen durch die riesige Motorradkugel der Pinillo-Truppe. Ähnlich im „Flic-Flac-Stil“ arbeiten „Flash of Splash“ an den Strapaten. Es ist wahnsinnig beeindruckend, wenn die zierliche Amaliia Avanesian ihren kräftigen Partner Yevhen Abakumov im Zahnhang hält. Was folgt, ist zu mindestens meines Erachtens der Höhepunkt des Programms. Tänzerinnen mit wahnsinnig aufwendigen Kostümen, die die bekanntesten Sehenswürdigkeiten von Sankt Petersburg darstellen, leiten die Darbietung ein. Sechs überdimensionale Fabergé-Eier stehen dabei schon in der Manege. Diese Luxusgegenstände aus der Zarenzeit sind im Original sehr klein und selten. Die aufwendigen Nachbildungen bilden den Ausgangspunkt für die wohl größte Quick Change Nummer der Welt. Sechs Paare des Royal Circus zeigen eine Hommage an Sankt Petersburg. Stets synchron wechseln die Damen in allen erdenklichen Varianten ihre Kostüme, und in den aufwendig gearbeiteten Eiern verwandeln sich auch die Anzüge der Herren. Die prächtige historische Optik korrespondiert perfekt mit der modern angehauchten Begleitmusik. Chapeau!


Michael Ferreri, Szene aus dem "White Block"

Eine echte Persönlichkeit ist Starjongleur Michael Ferreri, der bis zu zehn Bälle sicher in der Luft hält. Er fügt mit dem Weltweihnachtscircus seiner Weltkarriere eine weitere Station hinzu. Die nunmehr dritte Ballettszene im russischen Stil leitet die russische Schaukel der Truppe Filinov ein, die ebenfalls vom „Royal Circus“ stammt. Diese ist bei unserem Besuch wegen eines Sturzes nach einer Pirouette schon nach wenigen Sprüngen beendet. Glücklicherweise erfahren die Zuschauer später, dass der Unfall einigermaßen glimpflich ausgegangen ist. Somit sehen wir direkt „The White Block“, der „Gia Eradzes weißen Weihnachtstraum“ darstellen soll. Die Pracht und Strahlkraft dieses Schaubilds sind überwältigend. Sechs männliche Engel bevölkern die Manege, ehe Dilyara Bikmaeva mit einem Pony als Einhorn einen Steiger zeigt. Frauen mit Schwanenköpfen ziehen vorbei, und Kristina Porotova zeigt (longengesichert) anspruchsvolle Tricks am Luftring. Unterdessen rollt Andrey Tsaplin mit einem glitzernden Flügel in die Stuttgarter Manege. Auf dessen Deckel zelebriert er anspruchsvolle Handstandakrobatik, während Fontänen ihn ansprühen. Drei Paare aus dem Ballett fliegen an Kronleuchtern unter der Kuppel. Abgeschlossen wird dieses überwältigende Bild von zahlreichen Tänzern sowie Dilyara und Marat Bikmaevs mit Luftakrobatik an seidenen Bändern. Aus einer Kiste wird ein riesiger Weihnachtsbaum bis zur Kuppel ausgezogen, und die anderen Mitwirkenden kommen zum großen Finale hinzu. Sofort erheben sich die begeisterten Zuschauer zu Standing Ovations.

Mit seinem diesjährigen Programm beweist der Weltweihnachtscircus, dass es nicht nur mit „höher, schneller, weiter“ gelingt, das Stuttgarter Publikum zu begeistern. Diese Ausgabe der Kultveranstaltung ist mal etwas ganz anderes - und reißt einen vielleicht gerade deshalb umso mehr vom Hocker. Man kann der Familie van der Meijden nur zu diesem gelungenen Experiment gratulieren.

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Text: Jonas Haaß; Fotos: Stefan Gierisch