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Gelsenkirchener
Weihnachtscircus 2018/19
www.gelsenkirchener-weihnachtscircus.de ; 105 Showfotos

Gelsenkirchen, 28. Dezember 2018: „Ich verspreche Ihnen: Wir lieben Circus!“, schreibt Brigitte Probst im Vorwort des Programmhefts. Dabei blickt sie auf die vergangenen 21 Shows des Gelsenkirchener Weihnachtscircus zurück. Wie aus einem Projekt eine Tradition wurde. Wie Menschen, die in den Anfangsjahren als Kind die Produktionen besucht haben, heute mit ihrem eigenen Nachwuchs unter dem rot-gelben Chapiteau zu Gast sind. Die von der Circuschefin zugesicherte Liebe wird auch an diesem Nachmittag immer wieder spürbar.

Die Restauration ist gewohnt aufwendig weihnachtlich dekoriert. Beim Einlass wird jeder Besucher bemerkenswert freundlich begrüßt. An vielen Stellen ist die Direktion präsent, kümmert sich persönlich um die Gäste.


Vorzelt und Chapiteau

Die Show im extra für Gelsenkirchen angeschafften Spielzelt ist wiederum äußerst liebevoll gemacht. Das Jubiläum „250 Jahre Circus“ wird in diesem Winter fast überall auf die eine oder andere Weise gefeiert. Was die Familie Probst gemeinsam mit Regisseurin Anett Simmen und weiteren Kreativen auf die Beine gestellt hat, stellt jedoch alles andere in den Schatten. Mit „Fantastico“, so der Titel, erleben wir quasi die „offizielle Geburtstagsrevue“ zum großen Anlass. Fast drei Stunden lang wird der Circus gefeiert. Die Geschichte und die Gegenwart dieser Kunstform bilden den roten Faden durch das Programm mit allem was dazugehört: Artisten, Tiere und Clowns. Dazu kommt ein zehnköpfiges Ballett, dem unter anderem die Girls aus der Magic Show, Stephanie Probst und die Töchter der Familie Leyseck angehören. Deren Mutter Carmen führt gemeinsam mit Pascal Maatz durch den Nachmittag.


Szene aus dem Opening

Die große Eröffnungsszene entführt uns in das beginnende 20. Jahrhundert. Die Artisten tragen Kleidung aus dieser Zeit, es gibt eine historische Straßenlaterne, eine Litfasssäule und nostalgische Sitzmöbel. Die Hauptperson ist Karl Probst. Pascal Maatz verkörpert den Gründer der Probst-Dynastie. Er tauscht seinen grauen Mantel gegen eine prächtige Direktorenuniform. Damit ist der Grundstein für den Circus Probst, wie wir ihn heute kennen, gelegt. Dazu gibt es eine herrliche anzusehende Choreographie des gesamten Ensembles. Einzig die musikalische Begleitung kommt altbacken daher. Hauptlied ist „Im Circus, im Circus“ nach der Melodie des von Katja Ebstein bekannt gemachten Songs „Theater, Theater“. Das wirkt nett, ist aber zu bieder. Es fehlt einfach der richtige Schwung. Gleiches gilt für die weiteren Moderationen. Etwa wenn Carmen Leyseck und Pascal Maatz Circus-Quartett spielen oder von den verschiedenen Circusbauten erzählen. Alles ist sehr aufwendig und eben liebevoll. Aber halt auch etwas behäbig. Wunderschön sind die Auftritte des Balletts. Zu allen gibt es schicke neue Kostüme. So erleben wir die hübschen Girls etwa vor der Pferdefreiheit im Matrosenoutfit, vor der Ungarischen Post in schmissigen Militäruniformen und zum Finale in schwarz-weißen Kleidern. Der Michael Jackson-Song „Black or White“ bildet dann auch den musikalischen Auftakt zum großen Abschiedsbild. Zu „Freude schöner Götterfunken“ ziehen die Artisten mit Fahnen ein. Diese befestigen sie an einer großen Weltkugel, welche Richtung Kuppel gezogen wird. „Let me entertain you“ schließt das Finale musikalisch ab.


Sergiu Mosanu

Tiernummern haben im Circus Probst schon seit jeher einen ganz besonderen Stellenwert. Dafür steht heute in erster Linie Stephanie Probst, die uns schon mit vielen hervorragenden Dressuren begeistert hat. In Gelsenkirchen lenkt sie von leichter Hand zunächst sechs Dartmoor-Ponys und dann ebenso viele weiße Araber. Die Ponys folgen auf das Matrosen-Ballett. Bei der Vorführung wird das maritime Motiv aufgegriffen. Die schwarzen Vierbeiner laufen ihre Figuren um drei Stangen mit Segeln, die die Masten eines Schiffs symbolisieren. Ein Traum ist die Araberfreiheit. Anspruchsvolle Abläufe sehen hier ganz einfach aus, Chapeau! Steiger schließen die Nummer ab. Aus dem Tourneeprogramm 2018 des Circus Probst übernommen wurde die gemischte Raubtiergruppe von Tom Dieck junior. Weiße Löwen, Liger und Tiger werden von ihrem jungen Tierlehrer sehr sympathisch präsentiert. Immer wieder ein schönes Bild sind etwa die große Pyramide sowie das Balancieren von zwei der Großkatzen auf beziehungsweise in einem Rad. Schade, dass wir diese Darbietung von Tom Dieck junior in Gelsenkirchen zum letzten Mal in Deutschland sehen konnten. Originell beginnt die Ungarische Post, welche als Hommage an Philip Astley gestaltet ist. Statt Pferden laufen zunächst die Damen des Balletts zwischen den beiden Friesen hindurch, auf denen Sergiu Mosanu steht. Dann aber folgen nach und nach sechs Araber, die der Reiter in historischer Uniform an langen Zügeln hält, nachdem sie ihn passiert haben.


John (Leyseck), Nicolas del Pozo mit Showgirl

Zudem ist Sergiu Mosanu als Jim Bim auf Trampolin und Sprungturm zu erleben. In bekannter Manier genehmigt er sich mehrere Schlucke aus der Pulle, um dann mit seinen Kapriolen für ordentlich Spaß zu sorgen. Gemeinsam mit Pascal Maatz und Clown John (Leyseck) sehen wir ihn in einer schön gespielten Version von „Bienchen, Bienchen gib mir Honig“. Natürlich eigens für Gelsenkirchen einstudiert. Mit seinen Reprisen begleitet uns John durch das Programm. So zaubert er beispielsweise auf witzige Weise oder liefert sich ein verbales Duell mit Pascal Maatz um Geld und Stroh. Immer kommt er sympathisch rüber. Er setzt seine Auftritte eigenständig um, wenngleich hier und da bekannte Gags aufgegriffen werden. Mit Großillusionen verblüfft Nicolas del Pozo das Publikum. „Las Vegas im Ruhrpott“, schreibt das aufwendige und sehr geschmackvolle Programmheft. Und tatsächlich versprühen der Magier und seine vier Showgirls den Charme der US-amerikanischen Showmetropole, zumindest ein wenig. Da erscheinen Damen aus vermeintlich leeren Kisten, da lässt sich eine Assistentin mit brennenden Metallelementen durchbohren, während eine andere den Platz mit dem in Ketten gelegten Illusionisten tauscht. Als besonderer Clou wird die schwebende Jungrau mit einer Dame aus dem Publikum gezeigt.


Roxana Leyseck

Je drei artistische Darbietungen komplettieren die beiden Programmteile. Vor der Pause finden diese ausnahmslos in der Luft statt. Den Auftakt machen Olga & Mykhailo am Fangstuhl. Olgas Salti und die anderen Sprungvarianten werden immer wieder sicher von den Händen ihres Partners aufgefangen. Eine blendende Figur macht Roxana (Leyseck) am Schwungseil. Insbesondere dann, wenn sie sich vermeintlich kopfüber in die Tiefe stürzt, stockt dem Publikum der Atem. Doch natürlich hängt die hübsche Artistin mit den Füßen am Seil. Alles so geplant und doch nicht ungefährlich. Für noch mehr Nervenkitzel sorgt das Duo Sifolinis. Akrobatik auf dem Todesrad ist die Paradedisziplin der beiden Herren. In zerrissenen Jeans und weißen Hemden laufen sie in sowie auf den beiden Kesseln. Dabei springen sie Seil. Auch der Blindlauf und der Lauf auf dem Außenrad im Handstand gehören zu ihrem Repertoire.


Svetlana Belova, Scott Bovelander, Air Flight

Für ruhige Momente sorgt Svetlana Belova. Mit ihr geht es ins Meer, wie das Ballett zuvor visuell darstellt. Die Kontorsionistin weiß ihren Körper gekonnt zu verbiegen und ihn auch auf nur einer Hand im Gleichgewicht zu halten. Nur schade, dass das Podest auf dem sie arbeitet, recht nah am noch vom Circus Williams-Althoff bekannten Artisteneingang steht. Richtig flott wird es bei den Bouncing-Jonglagen von Scott Bovelander. Er lässt seine Bälle gekonnt und mit ordentlich Schwung tanzen. Eine mitreißende Darbietung. Der sympathische Niederländer profitiert dabei vom wunderbar spielenden Orchester. Das sechsköpfige Ensemble unter der Leitung von Yuriy Rebenok ist ohnehin eine echte Bereicherung der Show. Ebenso das rundum gelungene Lichtdesign von Andreas Probst. Gleich zwei Beleuchtungsringe hängen dafür über der Manege. Zwei Damen und drei Herren bilden die Formation Air Flight. Zwei der Artisten werfen die jungen Frauen mittels Handvoltigen in die Luft. Dies geschieht auf einer Plattform über der Manege. Darunter hängt ein schwingender Fangstuhl. Der darin hängende Akteur fängt die fliegenden Frauen auf. Die variantenreichen und gewagten Sprünge werden mittels Longen gesichert. So erleben wir eine starke Schlussnummer. Zudem an einem nicht allzu oft gezeigten Requisit.

Genauso wie man dem Circus zum 250. Geburtstag gratuliert, muss man die Familie von Reinhard und Brigitte Probst zu diesem 22. Gelsenkirchener Weihnachtscircus beglückwünschen. Welch ein Aufwand, welch eine Pracht, welch eine Show! Das alles zur Feier der klassischen Circuskunst, in der auch die Tiere ihren festen Platz haben. Noch ein wenig mehr Schwung und meine Begeisterung wäre perfekt. Nichtsdestotrotz erleben wir einen hinreißenden Nachmittag. Der eben vor allen Dingen eins ist: mit sehr viel Liebe gemacht.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch