Die
Restauration ist gewohnt aufwendig weihnachtlich dekoriert. Beim
Einlass wird jeder Besucher bemerkenswert freundlich begrüßt. An vielen
Stellen ist die Direktion präsent, kümmert sich persönlich um die
Gäste.
Vorzelt und Chapiteau
Die
Show im extra für Gelsenkirchen angeschafften Spielzelt ist wiederum
äußerst liebevoll gemacht. Das Jubiläum „250 Jahre Circus“ wird in
diesem Winter fast überall auf die eine oder andere Weise gefeiert. Was
die Familie Probst gemeinsam mit Regisseurin Anett Simmen und weiteren
Kreativen auf die Beine gestellt hat, stellt jedoch alles andere in den
Schatten. Mit „Fantastico“, so der Titel, erleben wir quasi die
„offizielle Geburtstagsrevue“ zum großen Anlass. Fast drei Stunden lang
wird der Circus gefeiert. Die Geschichte und die Gegenwart dieser Kunstform
bilden den roten Faden durch das Programm mit allem was dazugehört:
Artisten, Tiere und Clowns. Dazu kommt ein zehnköpfiges Ballett, dem
unter anderem die Girls aus der Magic Show, Stephanie Probst und die
Töchter der Familie Leyseck angehören. Deren Mutter Carmen führt
gemeinsam mit Pascal Maatz durch den Nachmittag.
Szene aus dem Opening
Die
große Eröffnungsszene entführt uns in das beginnende 20. Jahrhundert.
Die Artisten tragen Kleidung aus dieser Zeit, es gibt eine historische
Straßenlaterne, eine Litfasssäule und nostalgische Sitzmöbel. Die
Hauptperson ist Karl Probst. Pascal Maatz verkörpert den Gründer der
Probst-Dynastie. Er tauscht seinen grauen Mantel gegen eine prächtige
Direktorenuniform. Damit ist der Grundstein für den Circus Probst, wie
wir ihn heute kennen, gelegt. Dazu gibt es eine herrliche anzusehende
Choreographie des gesamten Ensembles. Einzig die musikalische
Begleitung kommt altbacken daher. Hauptlied ist „Im Circus, im Circus“
nach der Melodie des von Katja Ebstein bekannt gemachten Songs
„Theater, Theater“. Das wirkt nett, ist aber zu bieder. Es fehlt
einfach der richtige Schwung. Gleiches gilt für die weiteren
Moderationen. Etwa wenn Carmen Leyseck und Pascal Maatz Circus-Quartett
spielen oder von den verschiedenen Circusbauten erzählen. Alles ist
sehr aufwendig und eben liebevoll. Aber halt auch etwas behäbig.
Wunderschön sind die Auftritte des Balletts. Zu allen gibt es schicke
neue Kostüme. So erleben wir die hübschen Girls etwa vor der
Pferdefreiheit im Matrosenoutfit, vor der Ungarischen Post in
schmissigen Militäruniformen und zum Finale in schwarz-weißen Kleidern.
Der Michael Jackson-Song „Black or White“ bildet dann auch den musikalischen
Auftakt zum großen Abschiedsbild.
Zu „Freude schöner Götterfunken“ ziehen die Artisten mit
Fahnen ein. Diese befestigen sie an einer großen Weltkugel,
welche Richtung Kuppel gezogen wird.
„Let me entertain you“ schließt das Finale musikalisch ab.
Sergiu Mosanu
Tiernummern
haben im Circus Probst schon seit jeher einen ganz besonderen
Stellenwert. Dafür steht heute in erster Linie Stephanie Probst, die
uns schon mit vielen hervorragenden Dressuren begeistert hat. In
Gelsenkirchen lenkt sie von leichter Hand zunächst sechs Dartmoor-Ponys
und dann ebenso viele weiße Araber. Die Ponys folgen auf das
Matrosen-Ballett. Bei der Vorführung wird das maritime Motiv
aufgegriffen. Die schwarzen Vierbeiner laufen ihre Figuren um drei
Stangen mit Segeln, die die Masten eines Schiffs symbolisieren. Ein
Traum ist die Araberfreiheit. Anspruchsvolle Abläufe sehen hier ganz
einfach aus, Chapeau! Steiger schließen die Nummer ab. Aus dem
Tourneeprogramm 2018 des Circus Probst übernommen wurde die gemischte
Raubtiergruppe von Tom Dieck junior. Weiße Löwen, Liger und Tiger
werden von ihrem jungen Tierlehrer sehr sympathisch präsentiert. Immer
wieder ein schönes Bild sind etwa die große Pyramide sowie das
Balancieren von zwei der Großkatzen auf beziehungsweise in einem Rad.
Schade, dass wir diese Darbietung von Tom Dieck junior in
Gelsenkirchen zum letzten Mal in Deutschland sehen konnten. Originell
beginnt die Ungarische Post, welche als Hommage an Philip Astley
gestaltet ist. Statt Pferden laufen zunächst die Damen des Balletts
zwischen den beiden Friesen hindurch, auf denen Sergiu Mosanu steht.
Dann aber folgen nach und nach sechs Araber, die der Reiter in
historischer Uniform an langen Zügeln hält, nachdem sie ihn passiert
haben.
John (Leyseck), Nicolas del Pozo mit Showgirl
Zudem
ist Sergiu Mosanu als Jim Bim auf Trampolin und Sprungturm zu erleben.
In bekannter Manier genehmigt er sich mehrere Schlucke aus der Pulle,
um dann mit seinen Kapriolen für ordentlich Spaß zu sorgen. Gemeinsam
mit Pascal Maatz und Clown John (Leyseck) sehen wir ihn in einer schön
gespielten Version von „Bienchen, Bienchen gib mir Honig“. Natürlich
eigens für Gelsenkirchen einstudiert. Mit seinen Reprisen begleitet uns
John durch das Programm. So zaubert er beispielsweise auf witzige Weise
oder liefert sich ein verbales Duell mit Pascal Maatz um Geld und
Stroh. Immer kommt er sympathisch rüber. Er setzt seine Auftritte
eigenständig um, wenngleich hier und da bekannte Gags aufgegriffen
werden. Mit Großillusionen verblüfft Nicolas del Pozo das Publikum.
„Las Vegas im Ruhrpott“, schreibt das aufwendige und sehr
geschmackvolle Programmheft. Und tatsächlich versprühen der Magier und
seine vier Showgirls den Charme der US-amerikanischen Showmetropole,
zumindest ein wenig. Da erscheinen Damen aus vermeintlich leeren
Kisten, da lässt sich eine Assistentin mit brennenden Metallelementen
durchbohren, während eine andere den Platz mit dem in Ketten
gelegten Illusionisten tauscht. Als besonderer Clou wird die schwebende
Jungrau mit einer Dame aus dem Publikum gezeigt.
Roxana Leyseck
Je
drei artistische Darbietungen komplettieren die beiden Programmteile.
Vor der Pause finden diese ausnahmslos in der Luft statt. Den Auftakt
machen Olga & Mykhailo am Fangstuhl. Olgas Salti und die anderen
Sprungvarianten werden immer wieder sicher von den Händen ihres
Partners aufgefangen. Eine blendende Figur macht Roxana (Leyseck) am
Schwungseil. Insbesondere dann, wenn sie sich vermeintlich kopfüber in
die Tiefe stürzt, stockt dem Publikum der Atem. Doch natürlich hängt
die hübsche Artistin mit den Füßen am Seil. Alles so geplant und doch
nicht ungefährlich. Für noch mehr Nervenkitzel sorgt das Duo Sifolinis.
Akrobatik auf dem Todesrad ist die Paradedisziplin der beiden Herren.
In zerrissenen Jeans und weißen Hemden laufen sie in sowie auf den
beiden Kesseln. Dabei springen sie Seil. Auch der Blindlauf und der
Lauf auf dem Außenrad im Handstand gehören zu ihrem Repertoire.
Svetlana Belova, Scott Bovelander, Air Flight
Für
ruhige Momente sorgt Svetlana Belova. Mit ihr geht es ins Meer, wie das
Ballett zuvor visuell darstellt. Die Kontorsionistin weiß ihren Körper
gekonnt zu verbiegen und ihn auch auf nur einer Hand im Gleichgewicht
zu halten. Nur schade, dass das Podest auf dem sie arbeitet, recht nah
am noch vom Circus Williams-Althoff bekannten Artisteneingang steht.
Richtig flott wird es bei den Bouncing-Jonglagen von Scott Bovelander.
Er lässt seine Bälle gekonnt und mit ordentlich Schwung tanzen. Eine
mitreißende Darbietung. Der sympathische Niederländer profitiert dabei
vom wunderbar spielenden Orchester. Das sechsköpfige Ensemble unter der
Leitung von Yuriy Rebenok ist ohnehin eine echte Bereicherung der Show.
Ebenso das rundum gelungene Lichtdesign von Andreas Probst. Gleich zwei
Beleuchtungsringe hängen dafür über der Manege. Zwei Damen und drei
Herren bilden die Formation Air Flight. Zwei der Artisten werfen die
jungen Frauen mittels Handvoltigen in die Luft. Dies geschieht auf
einer Plattform über der Manege. Darunter hängt ein schwingender
Fangstuhl. Der darin hängende Akteur fängt die fliegenden Frauen auf.
Die variantenreichen und gewagten Sprünge werden mittels Longen
gesichert. So erleben wir eine starke Schlussnummer. Zudem an einem
nicht allzu oft gezeigten Requisit.
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