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Wereldkerstcircus Carré 2018/19
www.carre.nl ; 135 Showfotos

Amsterdam, 2./3. Januar 2019: Mit einem „großen Jubiläumsprogramm“ feiert der Wereldkerstcircus 2018/19 „250 Jahre Circus“. So steht es in goldenen Lettern auf dem Cover des edlen Programmhefts. Eine Doppelseite darin ehrt den Gründervater Philip Astley. Untrennbar verbunden mit den Anfängen des Circus der Neuzeit ist das Pferd. Ein großes Bild von Oscar Carré hoch zu Ross findet sich an markanter Stelle im von ihm errichteten Theaterbau an der Amstel. Das Königliche Theater Carré gibt den einzigartigen Rahmen für ein klassisches Circusprogramm von höchster Qualität.

Auch darin erhalten die edlen Vierbeiner viel Raum. Drei der vier Tiernummern haben Pferde als Protagonisten. Eine kommt aus Russland, die anderen beiden vom Schweizer National-Circus Knie.


Ivan Frédéric Knie

Ivan Frédéric Knie eröffnet die Show mit einer Ungarischen Post, die er auf zwei stattlichen Friesen reitet. Zunächst läuft ein weiterer Friese immer wieder zwischen den beiden anderen hindurch. Dann preschen mehr und mehr weiße Araber unter Ivan Frédéric Knie hindurch. Am Ende hält er elf von ihnen an Zügeln vor seiner imaginären Kutsche in der Hand. In rasantem Tempo geht es so durch die Manege. In deren Mitte lenkt Maycol Errani das große Bild.


Maycol Errani

Im zweiten Teil sorgt Errani dann selbst für eine eindrucksvolle Szene. Zu Beginn seiner Freiheitsdressur sitzt er auf einem Friesen auf einer verspiegelten, drehbaren Plattform. Diese wird von unzähligen Scheinwerfern beleuchtet. Dem im wahrsten Sinne des Wortes strahlenden Auftakt folgt eine beeindruckende Vorführung von sechs Friesenhengsten. Wir erleben ein ungemein enges, vertrautes Miteinander von Mensch und Tier. So sind außergewöhnliche Tricks möglich. Wie etwa die Schlusssequenz, bei der sich Errani auf ein entspannt am Boden liegenden Pferd legt. Jeweils drei Frauen und Männer gehören zur Truppe von Violetta Aleksandrova-Serzh. Die Zusammensetzung dieser Formation von Kosakenreitern ist nicht ihre einzige Besonderheit. Die Kostüme sind zwar folkloristisch, aber modischer als wir das von diesem Genre kennen. Einige Tricks gehen über die ebenfalls gezeigten Standards hinaus. Etwa wenn zum Schluss ein Pferd mit einem unter seinem Leib hängenden Reiter über eine Bank springt, auf der ein weiterer Artist liegt. Eine großartige Darbietung, die vollkommen zu Recht den ersten Programmteil beendet. Komplettiert werden die Tiernummern durch die immer wieder begeisternde Hunderevue von Wolfgang Lauenburger. Ausgelassen freuen sich die Vierbeiner verschiedener Rassen darauf, ihr großes Können unter Beweis stellen zu dürfen. Insgesamt also ein, unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben in den Niederlanden, abwechslungsreiches, hochwertiges Tierprogramm.


Truppe Nomuna

Vom Feinsten ist auch die Sparte Artistik besetzt. Es gibt zwei Truppen, ein Trio, zwei Duos und zwei Solisten. Die beiden großen Formationen kommen aus Asien. Die Mongolei entsendet die Truppe Nomuna an die Amstel. Die dreizehn Akrobatinnen und Akrobaten sind in der 34-jährigen Geschichte die erste große Gruppe aus diesem Land in der Manege des Wereldkerstcircus, wie das Programmheft informiert. Ihre variantenreichen Sprünge vom Schleuderbrett entfalten von den oberen Rängen betrachtet eine besondere Wirkung. Da kann man sogar einen Vier-Personen-Hoch aus der Vogelperspektive bestaunen. Die Sprünge mit unzähligen Salti werden mal auf den Schultern der Untermänner, mal auf einer Matte gelandet. In folkloristischen Kostümen lassen die Nomuna-Mitglieder große Bilder entstehen. Noch ausgefeilter ist die Choreographie der „Modelling Group“. Die Artisten vom Großen Chinesischen Staatscircus Shanghai wurden 2018 in Monte Carlo mit einem Goldenen Clown ausgezeichnet. Ihre Gruppen-Equilibristik ist außergewöhnlich stark, einige Tricks schier unglaublich. Eine Dame und elf Herren präsentieren Hand- und Kopfstände in den unterschiedlichsten Konstellationen. Faszinierend ist es zu sehen, wenn zum Finale neun Akteure Handstände aufeinander drücken. Dies über fünf Etagen. Eine blendende Figur macht wie gewohnt das Trio Bellissimo. Die blonden Schönheiten zelebrieren ihre Partner-Akrobatik zur spanischen Version von „All by myself“. Auch wenn man diese Kür schon unzählige Male gesehen hat, ist sie immer wieder ein Genuss.


Secrets of my Soul, Duo Kvas, Alan Sulc

Der Luftring ist in der Regel ein Requisit für Solistinnen. Das Duo „Secrets of my Soul“ gewinnt ihm ganz neue Aspekte ab. Marina und Oleksii Grigorov zeigen daran eine sinnliche und doch so riskante Liebesgeschichte, für die sie 2017 beim Festival „Idol“ mit „Gold“ ausgezeichnet wurden. Ausdrucksstark fliegen die beiden über der Manege, Oleksii beweist dabei mehrfach die Kraft seiner Zähne. Mit diesen hält er zunächst seine Partnerin fest und später sich selbst am Ring, während Marina zwischen seinen Beinen hängt. Geballte Manpower ist der Auftritt des Duo Kvas. Die Ukrainer arbeiten eine starke Partner-Akrobatik. Besonders beeindruckend ist der Kopf-auf-Kopf-Stand, mit dem sie ihren umjubelten Auftritt beenden. Dabei geht es vom Stand in das Sitzen und wieder zurück. Alan Sulc ist der jugendlich-dynamische Jongleur, der zur Musik von Riverdance virtuos kleine weiße Bälle tanzen lässt. Dies tut er bevorzugt Richtung Boden. Mit seinen Bouncing-Jonglagen war er bereits als 14-Jähriger im Theater Carré zu erleben. Das war 2004. Deutlich ruhiger agiert Li Wei. Für seine Akrobatik auf dem Schlappseil hat er bereits 2008 einen Goldenen Clown in Monte Carlo erhalten. Als Besonderheit hängt der Draht an einem kunstvollen Metallgestell, mit welchem er nach oben und unten gefahren werden kann. Darauf beherrscht er die großen Tricks dieses Genres wie den einarmigen Handstand oder die Fahrt kopfüber auf einem Einrad.


Frères Taquin, Mitglied des Trio Equivokee, Mooky Cornish

Dreifach besetzt ist die Sparte Komik. Bestens bekannt sind die Frères Taquin. Olivier Taquin war mit wechselnden Partnern etwa schon bei Roncalli und Knie zu erleben. In Amsterdam steht er gemeinsam mit Olivier Dechaveau im Ring. Letzterer gibt den Professor, der einen Automatenmenschen erschaffen hat. Allerdings entwickelt die von Taquin filigran gespielte Puppe ein Eigenleben. Sie wagt gar einen Tanz mit einer Zuschauerin. Ausgelassene Heiterkeit zelebriert das Trio Equivokee. Die Ukrainer haben zwei Auftritte, bei denen sie jeweils einen Zuschauer einbeziehen. Zunächst wird mit Keulen jongliert, dann über ein Seil gesprungen. Die Gäste aus dem Publikum werden dabei nie vorgeführt, sondern kommen genauso cool weg wie die drei Clowns. Ebenfalls einen Mitspieler aus dem Publikum benötigt Mooky Cornish. Die Kanadierin verwirklicht mit seiner Hilfe ihren Traum, eine Schauspielerin zu sein. Aus dem großen Theater wird eine hinreißende Komödie. Mookys Partner erhält seine Texte nämlich auf verschiedenste Weise „dezent“ vorgehalten. Mal befinden sich die Worte auf dem Absatz eines ihrer Schuhe, mal auf einem Zettel an ihrer Schulter. Dafür muss die Blondine ihren Körper teilweise kompliziert verrenken. Zusammen mit ihrer urkomischen Mimik wird daraus ein herrlicher Spaß. Schon vor ihrer große Nummer ist Mooky präsent. Da liefert sie sich kleine Auseinandersetzungen mit dem Monsieur Loyal. Dieser wird seit dieser Saison von Fred Butter verkörpert. Der Musicaldarsteller und Schauspieler macht seine Sache gut. Er ist der formvollendete Sprechstallmeister, der uns in edlem Gewand mit rotem Frack und Zylinder souverän durch den Nachmittag begleitet. Für die musikalische Begleitung sorgt einmal mehr das Orchester des Circus Knie unter der Leitung von Ruslan Fil. Enrico Caroli führt Regie, und Wim Dresens verantwortet das Lichtdesign mit zumeist warmen Stimmungen.

Auch in seiner 34. Auflage bietet der Wereldkerstcircus klassischen Circus auf höchstem Niveau, welcher vom Publikum mit Standing Ovations honoriert wird. Insbesondere mit den drei Pferdenummern wird das Jubiläum „250 Jahre Circus“ gefeiert. Wirklich witzige Komik und hochkarätige Artistik runden das Programm ab. Gefehlt hat mir in diesem Winter eine Nummer, die mich voll und ganz „packt“, emotional mitnimmt. Doch das ist letztendlich zu verschmerzen. Die Reise nach Amsterdam hat sich wieder voll und ganz gelohnt. Daran hat auch das prächtige Ambiente des Theater Carré einen großen Anteil.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch