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Alexis Gruss 2018 - "Origines"
www.alexis-gruss.com

Paris, 7. Dezember 2018: Der Circus der Neuzeit begann mit dem Pferd. Vor 250 Jahren wurde er gegründet. Und so feiern 2018 viele Unternehmen dieses Jubiläum mit ihren Programmen. Dankenswerterweise tut dies auch der Cirque Alexis Gruss. Dieses französische Unternehmen ist der Pferdecircus schlechthin. Die Familie Gruss lebt die Anfänge des Circus auch heute noch so wie keine andere Circusdynastie. „Origines“ ist die 44. Création überschrieben. Es geht also um die Ursprünge des Circus, wie wir ihn heute kennen. Zumindest im ersten Teil. „Der Circus wurde um das Pferd herum geboren“ ist dessen Motto. In der zweiten Hälfte wird dann die „Dynastie Gruss“ gefeiert.

Mit diesem von Stephan Gruss kreierten Programm besinnt sich der Cirque Alexis Gruss wieder auf seine ureigenen Stärken. Die Zusammenarbeit mit der Artistenformation „Farfardais“ wurde beendet. Für mich harmonierten die beiden Ensembles ohnehin nicht. Nun wird das Programm nahezu komplett von der Familie bestritten. Hinzu kommen drei engagierte Artisten, die sich wunderbar in das Team einfügen. Es ist wieder alles aus einem Guss. Das tut der Show ungeheuer gut. Nichtsdestotrotz haben die Gruss wieder kompetente Partner hinzugezogen, um die Produktion zu realisieren. Sandrine Diard ist für die Choreographie verantwortlich, Bruno Fatalot für die Kostüme, Jean-Charles Pfaumwadel für das Licht und Sylvain Rolland zusammen mit anderen für die Musik. Rolland ist es auch, der das hervorragende zehnköpfige Orchester leitet. Es thront über der Gardine des neu gestalteten Artisteneingangs. Das Licht ist ungeheuer stimmungsvoll, warm, nostalgisch. In besonderer Erinnerung bleiben die beiden Ringe aus Glühbirnen über der Spielfläche.


Stephan und Firmin Gruss

Es gibt eine Erzählerin und Sängerin. Eva Poirieux hat diese Aufgabe übernommen. Hoch zu Ross begrüßt sie das Publikum. Immer wieder erscheint sie und spricht erklärende Texte oder begleitet das Geschehen in der Manege gesanglich. Ein Sprecher aus dem Off ergänzt. Erzählt wird eben die Geschichte vom Anfang des Circus. Und der Circus ist aus dem Militär heraus entstanden. Gründer Philip Astley war Sergeant Major in der Armee. So reitet die Kompagnie in Militäruniformen zum Rhythmus von Trommeln ein. Neun Personen zu Pferd und weitere am Boden geben ein imposantes Bild ab. Alexandre und Charles Gruss zeigen kurz Tricks der Koskenreiterei, während andere Artisten am Boden exerzieren. Überhaupt sind viele der Auftritte in der ersten Hälfte der Produktion recht kurz. Kaum hat am sich auf eine Nummer eingestellt, kommt die nächste. Ein wenig wie in einem schnell geschnittenen Videoclip. Die einzelnen Darbietungen werden zu vier Akten zusammengefasst. Diese werden insbesondere durch die gesprochenen Texte markiert.


Charles Gruss

Nach Reiterei von Stephan sorgt Charles Gruss mit seiner Version des komischen Pferds für Heiterkeit. Es gibt etwa das Bettpferd ohne Bett oder einen feuchten Kuss für den Reiter. Eine wunderschöne historische Gauklerszene mit den verschiedensten Akrobaten schließt sich an. Im Mittelpunkt des Geschehens steht der Seiltanz. Eva Poirieux singt dazu. Und noch einmal wird es lustig. Firmin Gruss gibt den „Schneider des Regiments“, der im Stehen reitend eine Weste nach der anderen auszieht und zu guter Letzt in einer Loge endet. Batoudesprünge über bis zu sechs Pferde sind eine heute selten aufgeführte Kunst. Hier begeistern uns damit Louis und Joseph Gruss sowie Romuald Bruneau. Nachdem Alexis Gruss ein Schulpferd vom Boden aus angeleitet hat, folgen seine Söhne Stephan und Firmin als Voltigeure mit Akrobatik zu Pferd. Mit „Quadrille zu Pferd der Enkelkinder“ ist passenderweise der nächste Auftritt überschrieben. Darin reiten Alexandre, Charles, Louis und Joseph Gruss Figuren der Hohen Schule. Die blendend aussehenden jungen Männer in ihren schmucken Uniformen geben ein wunderschönes Bild ab. Svetlana Lobova arbeitet eine überzeugende Kür am Luftring. Als Clou wird der Apparat mit dem Ring von einem Pferd im Kreis gedreht. Am Ende der schön anzusehenden Szene treffen sich Mensch und Tier in der Manege, um sich kurz darauf gemeinsam zu verabschieden.


Charles Gruss

Zu flotter Folkmusik gibt Charles Gruss in schottischer Aufmachung den Jongleur zu Pferd. Dabei lässt er Becher in Ringen kreisen. Bruder Alexandre produziert sich auf dem Pferderücken als Ritter mit Fahne. Ein „Römer“ lässt seinen Vierbeiner über einen vom Reiter gehaltenen Bogen springen. Ein Leckerbissen ist die von Gipsy Gruss im Damensattel gerittene Hohe Schule. Die Sängerin lässt dazu den Song „Tightrope“ aus dem Film „Greatest Showman“ erklingen. Auf diese schnell nacheinander präsentierten Appetithappen folgt eine kleine Militärparade. Vier Trommler auf dem Manegenboden bilden den Rahmen für die anspruchsvolle Hohe Schule von Alexis Gruss. Diese reitet er mit viel Noblesse. Dankenswerterweise wird diesem überaus stimmungsvollen Bild wieder mehr Raum gegeben. Vor der Pause gibt es dann eine wirklich „große Nummer“. Nachdem Charles und Alexandre Gruss zu zweit Stehendreiterei auf jeweils zwei Pferden gezeigt haben, gehört Charles Gruss die große Ungarische Post. Am Ende führt er 15 Pferde vor seiner imaginären Kutsche an Zügeln. Großvater Alexis behält in der Manegenmitte den Überblick und dirigiert den Ablauf. Nach rund 75 Minuten geht es in die Pause.


Geofrrey Berhault

In Teil zwei erleben wir zumeist Darbietungen in der gewohnten Länge. Die erste gehört Geoffrey Berhault, den wir schon beim Circus Herman Renz oder dem Great Christmas Circus der Familie Wille sehen konnten. Nach dem Auftakt mit Gesang und Lichtshow zeigt der Franzose seine Akrobatik auf zwei im Kreuz übereinander gespannten Drahtseilen. In einer modernen Inszenierung meistert er unter anderem den Rückwärts- und Vorwärtssalto. Auf einer Holzbahn arbeitet Louis Gruss am Rhönrad. Bei seinem schön anzusehenden Auftritt hängt der Himmel voller Glühbirnen. Funk und Soul bilden den musikalischen Rahmen für die Jonglagen von Joseph, Louis, Charles und Alexandre Gruss. Schlagzeug, E-Gitarre und E-Bass sind die zugehörigen Instrumente in der Manege. Jongliert wird mit Bällen. Dies sowohl in die Luft als auch zum Boden. Zudem dient ein Dreieck als Requisit, in welchem die Bälle auf Touren geschickt werden. Verschiedene Pferde und Ponys im Solo präsentiert Alexis Gruss nacheinander. Es sind intensive Dialoge des Meisters mit seinen Lieblingen, die durch verschiedene Steiger gekrönt werden. In den Genuss der Begleitung durch Livegesang kommt auch Desire Cardinali Chavez. Sie arbeitet ihre bekannte Melange aus Kontorsion und Handstand-Equilibristik. Mit den Füßen bedient sie Pfeil und Bogen, um damit treffsicher einen Luftballon zum Platzen zu bringen.


Svetlana Lobova und Firmin Gruss

Der Titel „More than word“ bildet den Auftakt zur Freiheitsdressur mit sechs Friesen. Alexandre Gruss spielt Gitarre, Eva Poirieux singt. Immer mehr Pferde kommen dazu. Wenn alle Tiere in der Manege sind, führt Alexandre Gruss die Freiheit vor, Eva Poirieux singt einen weiteren Popsong von einer Plattform an einem der Masten aus. Es ergibt sich ein schönes Gesamtbild in Schwarz. Die Dressur an sich ist allerdings nicht so stark, wie wir es von einem der führenden Pferdecircusse erwarten. Voll und ganz überzeugen kann der folgende Auftritt von Firmin Gruss und Partnerin Svetlana Lobova. Es beginnt mit gemeinsamer Artistik an den Strapaten. Nachdem ein Schimmel die Szene betreten hat, wechselt Firmin Gruss für Kunststücke auf das Pferd, während Svetlana Lobova weiterhin in der Luft agiert. Für ein Pas de deux begibt sich dann auch Lobova auf den Rücken zweier Pferde. Höhepunkt ist hier ihr einbeiniger Stand auf einer Schulter des Partners. Die traumhafte Kür endet dann wiederum an den Strapaten. Voller Tempo ist die Schlussnummer. Darin erleben wir Alexandre und Charles Gruss als Jongleure zu Pferd. Wie schon im Knie-Programm 2016 jonglieren sie zu rockigen Klängen in hohem Tempo, dass es eine wahre Freude ist. Insbesondere die Keulen lassen sie ungeheuer geschickt fliegen. Hinzu kommt die große Präsenz der beiden Brüder. Eine ungeheuer mitreißende Darbietung, die immer wieder begeistert. Nach einem Epilog der Erzählerin endet der Abend mit dem stilvoll inszenierten Finale. Alle Mitwirkenden verabschieden sich zunächst zu Pferd, dann zu Fuß. Wie gewohnt werden alle Mitglieder des Ensembles namentlich vorgestellt.

Mit „Origines“ kehrt der Cirque Alexis Gruss nicht nur zu den Anfängen des Circus der Neuzeit zurück, sondern ebenfalls zu seinem ureigenen Stil. Die 44. Création ist wieder ganz in der Machart gehalten, für den wir diesen Circus so lieben. Und somit durften wir Anfang Dezember 2018 einen wunderbaren Abend am Bois de Boulogne erleben. Es war ein wahrer Genuss.

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Text: Stefan Gierisch; Fotos: Cirque Alexis Gruss