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Wereldkerstcircus Carré 2017/18
www.carre.nl ; 184 Showfotos

Amsterdam, 4. Januar 2018: Klassisch, hochwertig und wunderschön. Diese Attribute passen auf das Theater Carré genauso wie auf den Wereldkerstcircus, der dort jeden Winter zu Gast ist. Der altehrwürdige Bau an der Amstel bildet einen eindrucksvollen Anblick. Innen wie außen ist er in einem bestens gepflegten Zustand. Das dezent weihnachtlich geschmückte Portal lädt an diesem Tag mit Nieselregen zu einem Besuch geradezu ein. Der Gast wird magisch angezogen. Der Innenraum ist prachtvoll, die steilen Ränge bieten unvergleichliche Perspektiven auf das Geschehen in der Manege.

Es gab Zeiten, da konnte man aus der Vogelperspektive in den Raubtierkäfig schauen. Diese sind leider vorbei. In den Niederlanden dürfen Wildtiere im Circus nicht mehr gezeigt werden. Und so erleben wir in der Ausgabe 2017/18 im Bereich Dressuren nur Pferde. Eine weitere (Haus-)Tierart hätte für Abwechslung gesorgt. Hätte dem Tiercircus mehr Gewicht gegeben. Aber das bleibt der einzige nennenswerte Kritikpunkt.


Königliches Theater Carré

Denn ansonsten haben Stardust Circus International und Interpresario ein wunderbares Programm zusammengestellt. Den Veranstaltern ist es wieder gelungen, eine Show auf höchsten Niveau zusammenzustellen. Bestens ausbalanciert. Große Nummern wechseln sich mit charmanten kleinen Darbietungen ab. Immer werden sie von wahren Könnern ihres Fachs präsentiert. Die intensive Atmosphäre im großen Theater wird durch das Lichtdesign von Wim Dresens ungemein unterstützt. Die Regie liegt bei Enrico Caroli. Es spielt das Orchester des Circus Knie unter der Leitung von Ruslan Fil.


Housch-Ma-Housch mit Tochter, Tony Wilson

Von der Tournee 2017 des Schweizer Nationalcircus bekannt ist auch das Plakatmotiv des aktuellen Wereldkerstcircus. In knalligen Farben ist dort das Konterfei von Housch-Ma-Housch zu sehen. In Amsterdam ist der russische Clown einer der beiden Begleiter durch das Programm. Anders als gewohnt, hat er seinen ersten Auftritt nicht gleich am Anfang. Erst nach vier anderen Nummern stellt er sich dem Publikum vor. Die Kordel mit Svarovski-Steinen ist natürlich irgendwann „kaputt“. Dank Starkstromanschluss kommt Housch-Ma-Housch zu seiner markanten Frisur mit den abstehenden Haaren. Zudem macht er Musik auf einer langen Bahn Klebeband, spielt mit einem Plüsch-Nagetier und rappt mit zwei Zuschauern. Der Profi beherrscht seinen Beruf perfekt. Beste Stimmung ist also garantiert. Begleiter Nummer 2 ist Tony Wilson. Er gibt einen formvollendeten Monsieur Loyal ab. Einen Sprechstallmeister aus dem Bilderbuch. Es ist ein Genuss, ihn im roten Frack und mit Zylinder zu bewundern. Mit wohl akzentuierten Moderationen kündigt er die folgende Darbietung an. Noblesse oblige.


Fredy Knie junior

Das gilt natürlich auch für Fredy Knie junior. Im vergangenen Jahr begeisterte der Circusdirektor hier mit dem großen Pferdekarussell. 2017/18 hat er zwei Darbietungen aus der Schweiz mitgebracht. In der ersten präsentiert er die Hohe Schule am langen Zügel. Wenngleich er somit nur ein Solopferd lenkt, ergibt sich eine wunderschöne Gesamtkomposition. Die vortreffliche Dressurkunst wird von der herrlichen Musik stimmig untermalt. Zu Knies Freiheitsdressur gehören jeweils fünf Friesen und goldfarbene Andalusier. Anspruchsvolle Figuren laufen ruhig und souverän ab. Einfach eine wahre Augenweide. Steiger mit verschiedenen Ponys und Pferden schließen diesen Auftritt ab. Im Bereich Artistik setzen die Produzenten ebenfalls auf Persönlichkeiten. Gleich zum Auftakt strapaziert Alex Michael die Nerven des Publikums. Beim Deckenlauf arbeitet er genauso ungesichert in großer Höhe wie beim Sprung von Trapez zu Trapez. Es ist sicherlich ein ganz besonderes Erlebnis, diesen Thriller von den oberen Rängen aus zu sehen. Also auf Augenhöhe mit dem Artisten. Zweimal erleben wir die vielköpfige Truppe vom Großen Chinesischen Staatscircus Xinjiang. Die rein männliche Formation gewinnt den Lassospielen ganz neue Facetten ab. Eine ausgefeilte Choreographie und die variantenreichen Sprünge sorgen für ein dynamisches großes Schaubild. Gar noch eindrucksvoller ist ihre andere Nummer, die am Schluss der Spielfolge steht. Ein wahres Fest für die Augen. Tschaikowskys Schwanensee stand Pate für ihre Handstandartistik. Sie bauen faszinierende Kunstwerke, die so fragil erscheinen und so flüchtig sind. Anspruchsvoller geht es kaum. Man kann nur zuschauen und genießen, staunen.


Shirley Larible, White Gothic, Guerreros

Shirley Larible zeigt ihre Luftakrobatik am Netz, die sie um Umschwünge an einer Schlaufe ergänzt. Es ist eine der kleineren, aber umso charmanteren Darbietungen. Sie fügt sich wunderbar in den Gesamtrahmen. Lässt die hübsche Larible den Traum vom Fliegen zumindest ein wenig wahr werden, holen vier gestandene Männer die Blicke zurück auf den Boden. Ihre Traumkörper setzen White Gothic für kraftvolle Handstände ein. Auch ihr Auftritt folgt einer minutiösen Choreographie. Lebende Statuen erfreuen die Augen. Vor allen Dingen natürlich die der Zuschauerinnen. Mit ihren starke Tricks begeistern sie aber das gesamte Publikum. Der erste Programmteil endet so wie er begonnen hat – mit einem Nervenkitzel in großer Höhe. Nun sind es die Guerreros, die für feuchte Hände sorgen. Werner und Aura Guerrero haben sich Unterstützung geholt. So erleben wir insgesamt fünf Artisten auf dem Schräg- und Hochseil. Natürlich brillieren die Guerreros mit ihren bekannten Kunststücken. So trägt Aura einen Partner auf den Schultern über das horizontale Seil. Beim Abgang über das Schrägseil steht Aura dann auf den Schultern von Werner. Ergänzend komme neue Tricks dazu. So etwa der Sprung über drei auf dem Seil sitzende Artisten oder die Pyramide mit drei Personen, wobei die unteren auf Fahrrädern fahren. Einzigartig dürfte der Gesang von Aura sein. Denn sie singt auch dann ganz wunderbar, wenn sie auf dem Seil balanciert.


Clio Togni, Juggling Tango, Truppe Yarov

Handstandakrobatik, Artistik am Luftring und an einer Schlaufe – das alles vereint Clio Togni bei ihrem Auftritt. Der Clou aber ist eine mit Wasser gefüllte gläserne Halbkugel. Dort hinein taucht die schöne Italienerin ab, um darin zu schwimmen und danach die Tropfen durch die Luft fliegen zu lassen. So ergeben sich einmal mehr in dieser Show traumhafte Bilder. Ein Traum erfüllt hat sich mit dem Engagement im Theater Carré für Menno van Dyke. Schon als Kind hat der Niederländer hier den Wereldkerstcircus erlebt, hat alle Winkel des Hauses kennengelernt. Nun steht er selbst im roten Ring. Gemeinsam mit seiner französischen Ehefrau Emily tanzt er seinen Juggling Tango. Die intensive Verschmelzung von Tanz und Jonglage nimmt einen immer wieder gefangen. Leidenschaft pur. Dank der mitreißenden Livemusik und des wunderbaren Lichts ist die Wirkung optimal. Typische Figuren aus dem Circus vergangener Tage bringt die Truppe Yarov in die Manege. Ein Clown ist genauso dabei wie ein Kraftmensch oder der Herr Direktor. Gemeinsam begeistern sie mit außergewöhnlichen Tricks an der Perche. So etwa dem Sprung vom oberen Ende der langen Stange zu einer anderen. Den Höhepunkt bildet ein imposanter Turm. Zwei Artisten tragen auf ihren Schultern einen Russischen Barren. Darauf steht ein weiterer Akteur auf zwei Stelzen. Dieser wiederum balanciert auf einer Schulterperche ein weibliches Truppenmitglied.


Duo 2-Zen-O, Leo und Ursula

„I don't wanna miss a thing“ von Aerosmith bildet den Soundtrack für die Liebesgeschichte in der Luft von Jonathan Morin und Marie-Eve Bisson. Und der Song gibt der starken Akrobatik am „Crossed Wheel in the Air“ den ganz besonderen Kick. Es ist ein ungeheuer sinnliches Erlebnis, wenn das Duo 2-Zen-O seine Kür an zwei ineinander gelegten Ringen zelebriert. Nach dem Auftritt in Amsterdam gab es für die Kanadier einen Bronzenen Clown beim 42. Internationalen Circusfestival von Monte Carlo. Von der Amstel an die Cote d'Azur ging es ebenfalls für Leo und Ursula, die zusammen das Duo Skating Flash bilden. Ihre trickreiche Rollschuhartistik bekommt seinen besonderen Reiz durch die hohe Plattform, auf der die beiden arbeiten. Auch sie setzen auf einen wohldosierten Schuss Erotik. Dieser ist aber nur Verkauf. Ihre riskanten Touren überzeugen nämlich auch so auf ganzer Linie. Nach dem Schwanensee-Auftritt der chinesischen Truppe folgt das Finale. Die Mitwirkenden füllen die Manege und erzeugen einen imposanten Eindruck. Das Publikum feiert sie frenetisch. Offensichtlich wissen die Amsterdamer, was sie an ihrem Wereldkerstcircus haben.

Das wissen natürlich auch wir. Bereits im 33. Jahr beeindruckt diese Produktion mit starken Programmen. Die Stars der internationalen Circuswelt sind jeden Winter in der niederländischen Metropole zu Gast. Hinzu kommt das einzigartige Ambiente des Theater Carré im Neorenaissance-Stil. Das so entstehende Gesamtkunstwerk fasziniert immer wieder.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch