Es
gab Zeiten, da konnte man aus der Vogelperspektive in den Raubtierkäfig
schauen. Diese sind leider vorbei. In den Niederlanden dürfen Wildtiere
im Circus nicht mehr gezeigt werden. Und so erleben wir in der Ausgabe
2017/18 im Bereich Dressuren nur Pferde. Eine weitere (Haus-)Tierart
hätte für Abwechslung gesorgt. Hätte dem Tiercircus mehr Gewicht
gegeben. Aber das bleibt der einzige nennenswerte Kritikpunkt.
Königliches Theater Carré
Denn
ansonsten haben Stardust Circus International und Interpresario ein
wunderbares Programm zusammengestellt. Den Veranstaltern ist es wieder
gelungen, eine Show auf höchsten Niveau zusammenzustellen. Bestens
ausbalanciert. Große Nummern wechseln sich mit charmanten kleinen
Darbietungen ab. Immer werden sie von wahren Könnern ihres Fachs
präsentiert. Die intensive Atmosphäre im großen Theater wird durch das
Lichtdesign von Wim Dresens ungemein unterstützt. Die Regie liegt bei
Enrico Caroli. Es spielt das Orchester des Circus Knie unter der
Leitung von Ruslan Fil.
Housch-Ma-Housch mit Tochter, Tony Wilson
Von
der Tournee 2017 des Schweizer Nationalcircus bekannt ist auch das
Plakatmotiv des aktuellen Wereldkerstcircus. In knalligen Farben ist
dort das Konterfei von Housch-Ma-Housch zu sehen. In Amsterdam ist der
russische Clown einer der beiden Begleiter durch das Programm. Anders
als gewohnt, hat er seinen ersten Auftritt nicht gleich am Anfang. Erst
nach vier anderen Nummern stellt er sich dem Publikum vor. Die Kordel
mit Svarovski-Steinen ist natürlich irgendwann „kaputt“. Dank
Starkstromanschluss kommt Housch-Ma-Housch zu seiner markanten Frisur
mit den abstehenden Haaren. Zudem macht er Musik auf einer langen Bahn
Klebeband, spielt mit einem Plüsch-Nagetier und rappt mit zwei
Zuschauern. Der Profi beherrscht seinen Beruf perfekt. Beste Stimmung
ist also garantiert. Begleiter Nummer 2 ist Tony Wilson. Er gibt einen
formvollendeten Monsieur Loyal ab. Einen Sprechstallmeister aus dem
Bilderbuch. Es ist ein Genuss, ihn im roten Frack und mit Zylinder zu
bewundern. Mit wohl akzentuierten Moderationen kündigt er die folgende
Darbietung an. Noblesse oblige.
Fredy Knie junior
Das
gilt natürlich auch für Fredy Knie junior. Im vergangenen Jahr
begeisterte der Circusdirektor hier mit dem großen Pferdekarussell.
2017/18 hat er zwei Darbietungen aus der Schweiz mitgebracht. In der
ersten präsentiert er die Hohe Schule am langen Zügel. Wenngleich er
somit nur ein Solopferd lenkt, ergibt sich eine wunderschöne
Gesamtkomposition. Die vortreffliche Dressurkunst wird von der
herrlichen Musik stimmig untermalt. Zu Knies Freiheitsdressur gehören
jeweils fünf Friesen und goldfarbene Andalusier. Anspruchsvolle Figuren
laufen ruhig und souverän ab. Einfach eine wahre Augenweide. Steiger
mit verschiedenen Ponys und Pferden schließen diesen Auftritt ab. Im
Bereich Artistik setzen die Produzenten ebenfalls auf Persönlichkeiten.
Gleich zum Auftakt strapaziert Alex Michael die Nerven des Publikums.
Beim Deckenlauf arbeitet er genauso ungesichert in großer Höhe wie beim
Sprung von Trapez zu Trapez. Es ist sicherlich ein ganz besonderes
Erlebnis, diesen Thriller von den oberen Rängen aus zu sehen. Also auf
Augenhöhe mit dem Artisten. Zweimal erleben wir die vielköpfige Truppe
vom Großen Chinesischen Staatscircus Xinjiang. Die rein männliche
Formation gewinnt den Lassospielen ganz neue Facetten ab. Eine
ausgefeilte Choreographie und die variantenreichen Sprünge sorgen für
ein dynamisches großes Schaubild. Gar noch eindrucksvoller ist ihre
andere Nummer, die am Schluss der Spielfolge steht. Ein wahres Fest für
die Augen. Tschaikowskys Schwanensee stand Pate für ihre
Handstandartistik. Sie bauen faszinierende Kunstwerke, die so fragil
erscheinen und so flüchtig sind. Anspruchsvoller geht es kaum. Man kann
nur zuschauen und genießen, staunen.
Shirley Larible, White Gothic, Guerreros
Shirley
Larible zeigt ihre Luftakrobatik am Netz, die sie um Umschwünge an
einer Schlaufe ergänzt. Es ist eine der kleineren, aber umso
charmanteren Darbietungen. Sie fügt sich wunderbar in den Gesamtrahmen.
Lässt die hübsche Larible den Traum vom Fliegen zumindest ein wenig
wahr werden, holen vier gestandene Männer die Blicke zurück auf den
Boden. Ihre Traumkörper setzen White Gothic für kraftvolle Handstände
ein. Auch ihr Auftritt folgt einer minutiösen Choreographie. Lebende
Statuen erfreuen die Augen. Vor allen Dingen natürlich die der
Zuschauerinnen. Mit ihren starke Tricks begeistern sie aber das gesamte
Publikum. Der erste Programmteil endet so wie er begonnen hat – mit
einem Nervenkitzel in großer Höhe. Nun sind es die Guerreros, die für
feuchte Hände sorgen. Werner und Aura Guerrero haben sich Unterstützung
geholt. So erleben wir insgesamt fünf Artisten auf dem Schräg- und
Hochseil. Natürlich brillieren die Guerreros mit ihren bekannten
Kunststücken. So trägt Aura einen Partner auf den Schultern über das
horizontale Seil. Beim Abgang über das Schrägseil steht Aura dann auf
den Schultern von Werner. Ergänzend komme neue Tricks dazu. So etwa der
Sprung über drei auf dem Seil sitzende Artisten oder die Pyramide mit
drei Personen, wobei die unteren auf Fahrrädern fahren. Einzigartig
dürfte der Gesang von Aura sein. Denn sie singt auch dann ganz
wunderbar, wenn sie auf dem Seil balanciert.
Clio Togni, Juggling Tango, Truppe Yarov
Handstandakrobatik,
Artistik am Luftring und an einer Schlaufe – das alles vereint Clio
Togni bei ihrem Auftritt. Der Clou aber ist eine mit Wasser gefüllte
gläserne Halbkugel. Dort hinein taucht die schöne Italienerin ab, um
darin zu schwimmen und danach die Tropfen durch die Luft fliegen zu
lassen. So ergeben sich einmal mehr in dieser Show traumhafte Bilder.
Ein Traum erfüllt hat sich mit dem Engagement im Theater Carré für
Menno van Dyke. Schon als Kind hat der Niederländer hier den
Wereldkerstcircus erlebt, hat alle Winkel des Hauses kennengelernt. Nun
steht er selbst im roten Ring. Gemeinsam mit seiner französischen
Ehefrau Emily tanzt er seinen Juggling Tango. Die intensive
Verschmelzung von Tanz und Jonglage nimmt einen immer wieder gefangen.
Leidenschaft pur. Dank der mitreißenden Livemusik und des wunderbaren
Lichts ist die Wirkung optimal. Typische Figuren aus dem Circus
vergangener Tage bringt die Truppe Yarov in die Manege. Ein Clown ist
genauso dabei wie ein Kraftmensch oder der Herr Direktor. Gemeinsam
begeistern sie mit außergewöhnlichen Tricks an der Perche. So etwa dem
Sprung vom oberen Ende der langen Stange zu einer anderen. Den
Höhepunkt bildet ein imposanter Turm. Zwei Artisten tragen auf ihren
Schultern einen Russischen Barren. Darauf steht ein weiterer Akteur auf
zwei Stelzen. Dieser wiederum balanciert auf einer Schulterperche ein
weibliches Truppenmitglied.
Duo 2-Zen-O, Leo und Ursula
„I don't wanna miss a
thing“ von Aerosmith bildet den Soundtrack für die
Liebesgeschichte in der Luft von Jonathan Morin und Marie-Eve
Bisson. Und der Song gibt der starken Akrobatik am „Crossed
Wheel in the Air“ den ganz besonderen Kick. Es ist ein
ungeheuer sinnliches Erlebnis, wenn das Duo 2-Zen-O seine Kür
an zwei ineinander gelegten Ringen zelebriert. Nach dem
Auftritt in Amsterdam gab es für die Kanadier einen Bronzenen
Clown beim 42. Internationalen Circusfestival von Monte Carlo.
Von der Amstel an die Cote d'Azur ging es ebenfalls für Leo
und Ursula, die zusammen das Duo Skating Flash bilden. Ihre
trickreiche Rollschuhartistik bekommt seinen besonderen Reiz
durch die hohe Plattform, auf der die beiden arbeiten. Auch
sie setzen auf einen wohldosierten Schuss Erotik. Dieser ist
aber nur Verkauf. Ihre riskanten Touren überzeugen nämlich
auch so auf ganzer Linie. Nach dem Schwanensee-Auftritt der
chinesischen Truppe folgt das Finale. Die Mitwirkenden füllen
die Manege und erzeugen einen imposanten Eindruck. Das
Publikum feiert sie frenetisch. Offensichtlich wissen die
Amsterdamer, was sie an ihrem Wereldkerstcircus haben.
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