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Roncalli Weihnachtscircus 2015/16
www.roncalli.de ; 49 Showfotos

Berlin, 2. Januar 2016: Das Tempodrom am Anhalter Bahnhof gehört seit 2001 zu den markantesten Gebäuden in Berlin. Schon von seiner Architektur bietet sich das Bau für Circus geradezu an: Die Silhouette und auch der kreisförmige Innenraum lassen Assoziationen an ein Chapiteau aufkommen. Es ist kein Wunder, dass der Original Roncalli Weihnachtscircus hier seit 2004 seine Heimat gefunden hat. Dabei gelingt es immer wieder, dem eigentlich recht nüchternen, funktionalen Betonbau kunstvoll Flair zu verleihen und eine weihnachtliche, vor allem aber eine typische Roncalli-Stimmung aufzubauen.

So werden die Besucher schon vor dem Gebäude von historischen Wagen, Holz-Zaun und Roncalli-Schriftzug empfangen. Im Inneren wartet dann das typische Begrüßungspersonal: Das Orchester spielt, ein Jongleur zeigt seine Kunst, es wird Konfetti gestreut und werden Bonbons verteilt. Im Foyer besteht die Chance, Souvenirs zu erwerben, während die Gastronomie vom Haus stammt. Im Veranstaltungsraum sind zwischen den steil ansteigenden Rängen – mit wunderbarer Sicht von allen Plätzen – und der Manege die verzierten Roncalli-Logen errichtet. Schließlich wird auch auf den bekannten Artisteneingang mit hydraulischer Orchesterbühne zurückgegriffen. Damit sind aber nur einige der vielen liebevollen Details aufgezählt.


Ensemble 

In allen Roncalli-Programmen haben die Clowns eine tragende Rolle. Auch im Tempodrom ist das nicht anders. Dazu kommt auch hier die bekannt hochkarätige Artistik. Es gibt jedoch auch Unterschiede zum Tourneeprogramm. So wird, um den großen Raum zu füllen, in der Regel eine Truppe – gerne mit zwei Auftritten – engagiert. Mal mehr, meist jedoch weniger ist sie in das Gesamtkonzept eingliedert. Auch dies ist einer der Faktoren, die dazu beitragen, dass der Weihnachtscircus im Tempodrom immer eine Wundertüte der ganz eigenen Art ist. Zumal auch der typische Roncalli-Zauber, die poetische Note, von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich gewichtet ausfällt. Nach einem beispielsweise überraschend artistischen Programm im Vorjahr mit nur wenig poetischen Einsprengseln, sind diese nun sehr stark ausgeprägt: Diese zwölfte Auflage ist wohl das Roncalli-typischste, was man bislang im Tempodrom zu sehen bekommen hat; ein Programm, bei dem man fast schon eine Roncalli-Nostalgie entwickeln kann. Wäre da noch eine starke Raubtiergruppe zu sehen, man würde sich gar direkt in die 80er Jahre zurückversetzt fühlen. Dass diese Zeiten allerdings vorbei sind, zeigt allein die Tatsache, dass man in diesem Winter wieder einmal komplett auf Tierdarbietungen im Tempodrom verzichtet.


Nicol Nicols und Dundu 

Einen wesentlichen Anteil an diesem Roncalli-Effekt haben heuer Clown Mikhail Usov und die leuchtenden Stabmarionetten Dundu. Beide haben mehrere Auftritte über das Programm verteilt und interagieren dabei gelegentlich auch miteinander. Mikhail Usov stimmt das Publikum schon vor dem eigentlichen Beginn ein, wenn er Gäste an ihre Plätze einweist und dabei durch die Manege führt. Dann eröffnet er das Programm als Garderobier mit einem lebendigen Stuhl, indem er Kostüme verteilt und sich dabei selbst zum Clown verwandelt. Bei diesem Auftritt taucht auch Dundu erstmals auf, erscheint aus dem Kleiderständer als kleine Marionette. Zugegeben ist erst einmal eine gehörige Portion Skepsis da. Schließlich sind die menschlichen „Eisbären“ als eher überflüssiges, zum Glück nicht allzu langes Zwischenspiel noch in Erinnerung. Nun soll eine Marionette gleich zahlreiche Auftritte haben und als roter Faden dienen? Doch Dundu überzeugt schnell davon, dass jegliche Skepsis fehl am Platze ist. Die wunderbaren Auftritte der in den meisten Fällen dann überdimensionalen Leuchtmarionette überzeugen voll. Fünf ganz in schwarz gekleidete Puppenspieler sorgen für fließende Bewegungen und imitieren dabei auch einzelne andere Darbietungen. Hinreißend ist auch das Zusammenspiel mit einem kleinen Mädchen, das an riesigen Luftballons um die Manege schwebt. All das sind zauberhafte, ja märchenhafte Momente, die diesem Programm einen unverkennbaren Stempel aufdrücken. Wie Dundu wohl im kleineren Rahmen des Roncalli-Chapiteaus wirken würde?


Aime Morales, Truppe Lift, Mikhail Usov 

Dort würde sicherlich auch Mikhail Usov für Jubelstürme sorgen. Er jongliert mit Tüten, tanzt mit einer Ballerina ohne Oberkörper, musiziert mit einem Ball auf Pfannen und Töpfen, lässt das Publikum mit Knallpapier einen Walzer musizieren und inszeniert eine TV-Lotto-Show, bei der die Lottokugel aus einem künstlichen Schaf kommt. Immer leicht schüchtern wirkend, bringt dieser großartige Clown unzählige originelle, urkomische und phantantasievolle Ideen in die Manege. Mikhail Usov begeistert und lässt gleichermaßen träumen, schmunzeln und lachen. Es sind aber nicht nur Dundu und Mikhail Usov, die diesem Programm seine ganz besondere Note geben. Auch die Auswahl der Artisten bietet einiges, das nach Roncalli geradezu schreit. Etwa die Fangstuhldarbietung „Lift“, die 2015 Silber beim Cirque de Demain in Paris gewann. Zwei Herren stehen auf Podesten links und rechts über einer Reihe Matten und schwingen und werfen dort zwei Damen zu vielfältigen Salti und Schrauben, mal gefangen, mal auf den Matten gelandet. Stimmungsvoll wird die Darbietung von „Birds Flying High“ untermalt. Eine ebenso leistungsstarke wie atmosphärisch inszenierte Darbietung, die das Publikum in ihren Bann zieht. Ein Jahr vorher gewann Aime Morales in Paris Gold. Auch wer sonst wenig mit dem teilweise inflationären Genre Cyr-Rad anfangen kann, wird von seiner herausragenden Interpretation positiv überrascht sein. Eine versponnene, perfekte Choreografie, die das Gerät, das Licht und den Raum mit einbezieht, mit eigenwilligem Kostüm und Maske zu zeitgenössischen Klängen, die eine Symbiose des Menschlichen mit dem Animalischen herstellt und dabei den Körper nicht ausstellt, aber doch Perfektion zeigt.


Nicol Nicols, Vic & Fabrini, Nathalie und Zdenek Supka 

Originell ist auch der Beginn der Jonglage von Zdenek Supka, wenn seine Partnerin Nathalie in einem Zylinder Bälle im UV-Licht rotieren lässt. Er selbst jongliert dann variantenreich mit bis zu sieben Bouncing-Bällen in einem Plexiglasdreieck. Die Comedy-Zauberei von Vic und Fabrini war 2009 schon einmal im Tourneeprogramm von Roncalli zu sehen. Es ist faszinierend, wie ihre feine Mimik und all die kleinen Details auch im großen Rund des Tempodroms ihre Wirkung erzielen. Bei dem mechanischen Assistenten, der dem Zauberer immer wieder in die Quere kommt, kann man durchaus ins Grübeln kommen, ob hier nicht neben Dundu noch eine weitere Puppe in der Manege zu sehen ist. Durch die letzten beiden Jahre bei Charles Knie ist die erstklassige Drahtseilartistik von Nicol Nicols gut bekannt. Der Sprung durch den brennenden, mit Messern bestückten Reifen, Rückwärts- und Vorwärtssalto: hier reiht sich ein Schwierigkeitsgrad an den nächsten. Diese Nummer ist dabei fast die klassischste im Programm.


Trio Anamirasia, Sol de Cuba, Dominic Lacasse und Karen Goudreault 

Die andere Ausnahme sind die beiden Auftritte der Truppe Sol de Cuba. Während der große Boom kubanischer Artisten in den hiesigen Circussen so allmählich abzuebben scheint, bringen die sechs Herren und zwei Damen nun auch kubanisches Temperament ins Tempodrom. Sowohl beim Seilspringen bis zum Drei-Mann-Hoch als auch auf Russischen Schaukel mit dreifachem Salto in einen Stuhl und einem hohen Sprung durch einen Reifen bieten sie schwungvoll die üblichen Tricks. Das Publikum ist von beiden Nummern begeistert, und das Programm ist insgesamt so stimmig, dass auch die etwas aus dem sonstigen stilvollen Rahmen fallenden Kostüme nicht weiter ins Gewicht fallen. Roncalli im Tempodrom braucht solche Truppen - und Roncalli im Tempodrom mit seiner sehr hohen Rundkuppel braucht Luftnummern. Die Luftringe des Trio Anamirasia - Miroslava, Anastasia und Nastiya sind drei Artistinnen des Kiewer Circustheater Bingo - wirken allerdings in diesem Raum insbesondere von den oberen Zuschauerrängen sehr niedrig. Ihre Darbietung, die sich aus abwechselnden Solotricks und parallel gezeigten Tricks zusammensetzt, hat es als erste artistische Darbietung nach der Pause nicht leicht. Perfekt platziert hingegen ist die Mast-Darbietung von Dominic Lacasse und Karen Goudreault am Ende des Programms: Hier findet diese fantastische Darbietung die Aufmerksamkeit, die ihr gebührt, und hier findet dieses Programm einen würdigen artistischen Schlusspunkt. Dominic Lacasse zelebriert langsam und elegant seine Figuren als menschliche Flagge, nun abwechselnd als Solotricks und in gemeinsamen Figuren mit seiner Partnerin. Dies ergibt wunderbare Bilder und wird vom Publikum nahezu frenetisch aufgenommen.

Ein letztes Mal noch muss das Wortkonstrukt „Roncalli-typisch“ verwendet werden. Schließlich ist das Finale genau das, was man von Roncalli erwartet, mit Walzer, mit Zugaben und poetischem Epilog mit Mikhail Usov und Dundu-Marionette. Ein traumhaftes Programm findet seinen Abschluss, und so ist bei allen Besuchern die Vorfreude auf den nächsten, den 13. Original Roncalli Weihnachtscircus schon jetzt präsent.

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Text: Andreas Heidenreich; Fotos: Benedikt Ricken