So werden die Besucher schon vor
dem Gebäude von historischen Wagen, Holz-Zaun und
Roncalli-Schriftzug empfangen. Im Inneren wartet dann das
typische Begrüßungspersonal: Das Orchester spielt, ein Jongleur
zeigt seine Kunst, es wird Konfetti gestreut und werden Bonbons
verteilt. Im Foyer besteht die Chance, Souvenirs zu erwerben,
während die Gastronomie vom Haus stammt. Im Veranstaltungsraum
sind zwischen den steil ansteigenden Rängen – mit wunderbarer
Sicht von allen Plätzen – und der Manege die verzierten
Roncalli-Logen errichtet. Schließlich wird auch auf den
bekannten Artisteneingang mit hydraulischer Orchesterbühne
zurückgegriffen. Damit sind aber nur einige der vielen
liebevollen Details aufgezählt.
Ensemble
In allen Roncalli-Programmen
haben die Clowns eine tragende Rolle. Auch im Tempodrom ist das
nicht anders. Dazu kommt auch hier die bekannt hochkarätige
Artistik. Es gibt jedoch auch Unterschiede zum Tourneeprogramm.
So wird, um den großen Raum zu füllen, in der Regel eine Truppe
– gerne mit zwei Auftritten – engagiert. Mal mehr, meist jedoch
weniger ist sie in das Gesamtkonzept eingliedert. Auch dies ist
einer der Faktoren, die dazu beitragen, dass der
Weihnachtscircus im Tempodrom immer eine Wundertüte der ganz
eigenen Art ist. Zumal auch der typische Roncalli-Zauber, die
poetische Note, von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich gewichtet
ausfällt. Nach einem beispielsweise überraschend artistischen
Programm im Vorjahr mit nur wenig poetischen Einsprengseln, sind
diese nun sehr stark ausgeprägt: Diese zwölfte Auflage ist wohl
das Roncalli-typischste, was man bislang im Tempodrom zu sehen
bekommen hat; ein Programm, bei dem man fast schon eine
Roncalli-Nostalgie entwickeln kann. Wäre da noch eine starke
Raubtiergruppe zu sehen, man würde sich gar direkt in die 80er
Jahre zurückversetzt fühlen. Dass diese Zeiten allerdings vorbei
sind, zeigt allein die Tatsache, dass man in diesem Winter
wieder einmal komplett auf Tierdarbietungen im Tempodrom
verzichtet.
Nicol Nicols und Dundu
Einen wesentlichen Anteil an
diesem Roncalli-Effekt haben heuer Clown Mikhail Usov und die
leuchtenden Stabmarionetten Dundu. Beide haben mehrere Auftritte
über das Programm verteilt und interagieren dabei gelegentlich
auch miteinander. Mikhail Usov stimmt das Publikum schon vor dem
eigentlichen Beginn ein, wenn er Gäste an ihre Plätze einweist
und dabei durch die Manege führt. Dann eröffnet er das Programm
als Garderobier mit einem lebendigen Stuhl, indem er Kostüme
verteilt und sich dabei selbst zum Clown verwandelt. Bei diesem
Auftritt taucht auch Dundu erstmals auf, erscheint aus dem
Kleiderständer als kleine Marionette. Zugegeben ist erst einmal
eine gehörige Portion Skepsis da. Schließlich sind die
menschlichen „Eisbären“ als eher überflüssiges, zum Glück nicht
allzu langes Zwischenspiel noch in Erinnerung. Nun soll eine
Marionette gleich zahlreiche Auftritte haben und als roter Faden
dienen? Doch Dundu überzeugt schnell davon, dass jegliche
Skepsis fehl am Platze ist. Die wunderbaren Auftritte der in den
meisten Fällen dann überdimensionalen Leuchtmarionette
überzeugen voll. Fünf ganz in schwarz gekleidete Puppenspieler
sorgen für fließende Bewegungen und imitieren dabei auch
einzelne andere Darbietungen. Hinreißend ist auch das
Zusammenspiel mit einem kleinen Mädchen, das an riesigen
Luftballons um die Manege schwebt. All das sind zauberhafte, ja
märchenhafte Momente, die diesem Programm einen unverkennbaren
Stempel aufdrücken. Wie Dundu wohl im kleineren Rahmen des
Roncalli-Chapiteaus wirken würde?
Aime Morales,
Truppe Lift, Mikhail Usov
Dort würde sicherlich auch
Mikhail Usov für Jubelstürme sorgen. Er jongliert mit Tüten,
tanzt mit einer Ballerina ohne Oberkörper, musiziert mit einem
Ball auf Pfannen und Töpfen, lässt das Publikum mit Knallpapier
einen Walzer musizieren und inszeniert eine TV-Lotto-Show, bei
der die Lottokugel aus einem künstlichen Schaf kommt. Immer
leicht schüchtern wirkend, bringt dieser großartige Clown
unzählige originelle, urkomische und phantantasievolle Ideen in
die Manege. Mikhail Usov begeistert und lässt gleichermaßen
träumen, schmunzeln und lachen. Es sind aber nicht nur Dundu und
Mikhail Usov, die diesem Programm seine ganz besondere Note
geben. Auch die Auswahl der Artisten bietet einiges, das nach
Roncalli geradezu schreit. Etwa die Fangstuhldarbietung „Lift“,
die 2015 Silber beim Cirque de Demain in Paris gewann. Zwei
Herren stehen auf Podesten links und rechts über einer Reihe
Matten und schwingen und werfen dort zwei Damen zu vielfältigen
Salti und Schrauben, mal gefangen, mal auf den Matten gelandet.
Stimmungsvoll wird die Darbietung von „Birds Flying High“
untermalt. Eine ebenso leistungsstarke wie atmosphärisch
inszenierte Darbietung, die das Publikum in ihren Bann zieht.
Ein Jahr vorher gewann Aime Morales in Paris Gold. Auch wer
sonst wenig mit dem teilweise inflationären Genre Cyr-Rad
anfangen kann, wird von seiner herausragenden Interpretation
positiv überrascht sein. Eine versponnene, perfekte
Choreografie, die das Gerät, das Licht und den Raum mit
einbezieht, mit eigenwilligem Kostüm und Maske zu
zeitgenössischen Klängen, die eine Symbiose des Menschlichen mit
dem Animalischen herstellt und dabei den Körper nicht ausstellt,
aber doch Perfektion zeigt.
Nicol Nicols, Vic & Fabrini,
Nathalie und Zdenek Supka
Originell ist auch der Beginn der
Jonglage von Zdenek Supka, wenn seine Partnerin Nathalie in
einem Zylinder Bälle im UV-Licht rotieren lässt. Er selbst
jongliert dann variantenreich mit bis zu sieben Bouncing-Bällen
in einem Plexiglasdreieck. Die Comedy-Zauberei von Vic und
Fabrini war 2009 schon einmal im Tourneeprogramm von Roncalli zu
sehen. Es ist faszinierend, wie ihre feine Mimik und all die
kleinen Details auch im großen Rund des Tempodroms ihre Wirkung
erzielen. Bei dem mechanischen Assistenten, der dem Zauberer
immer wieder in die Quere kommt, kann man durchaus ins Grübeln
kommen, ob hier nicht neben Dundu noch eine weitere Puppe in der
Manege zu sehen ist. Durch die letzten beiden Jahre bei Charles
Knie ist die erstklassige Drahtseilartistik von Nicol Nicols gut
bekannt. Der Sprung durch den brennenden, mit Messern bestückten
Reifen, Rückwärts- und Vorwärtssalto: hier reiht sich ein
Schwierigkeitsgrad an den nächsten. Diese Nummer ist dabei fast
die klassischste im Programm.
Trio Anamirasia, Sol de Cuba,
Dominic Lacasse und Karen Goudreault
Die andere Ausnahme sind die
beiden Auftritte der Truppe Sol de Cuba. Während der große Boom
kubanischer Artisten in den hiesigen Circussen so allmählich
abzuebben scheint, bringen die sechs Herren und zwei Damen nun
auch kubanisches Temperament ins Tempodrom. Sowohl beim
Seilspringen bis zum Drei-Mann-Hoch als auch auf Russischen
Schaukel mit dreifachem Salto in einen Stuhl und einem hohen
Sprung durch einen Reifen bieten sie schwungvoll die üblichen
Tricks. Das Publikum ist von beiden Nummern begeistert, und das
Programm ist insgesamt so stimmig, dass auch die etwas aus dem
sonstigen stilvollen Rahmen fallenden Kostüme nicht weiter ins
Gewicht fallen. Roncalli im Tempodrom braucht solche Truppen -
und Roncalli im Tempodrom mit seiner sehr hohen Rundkuppel
braucht Luftnummern. Die Luftringe des Trio Anamirasia -
Miroslava, Anastasia und Nastiya sind drei Artistinnen des
Kiewer Circustheater Bingo - wirken allerdings in diesem Raum
insbesondere von den oberen Zuschauerrängen sehr niedrig. Ihre
Darbietung, die sich aus abwechselnden Solotricks und parallel
gezeigten Tricks zusammensetzt, hat es als erste artistische
Darbietung nach der Pause nicht leicht. Perfekt platziert
hingegen ist die Mast-Darbietung von Dominic Lacasse und Karen
Goudreault am Ende des Programms: Hier findet diese fantastische
Darbietung die Aufmerksamkeit, die ihr gebührt, und hier findet
dieses Programm einen würdigen artistischen Schlusspunkt.
Dominic Lacasse zelebriert langsam und elegant seine Figuren als
menschliche Flagge, nun abwechselnd als Solotricks und in
gemeinsamen Figuren mit seiner Partnerin. Dies ergibt wunderbare
Bilder und wird vom Publikum nahezu frenetisch aufgenommen. |