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Kasseler Circusfestival 2015/16
www.flicflac.de ; 100 Showfotos

Kassel, 02. Januar 2016: Auch in diesem Jahr schauen wir zunächst unter die Kuppel des gewaltigen Flic Flac-Chapiteaus. Und da sieht es nun erstaunlich leer aus. Wo 2014/15 ein Hochseil, ein Flugtrapez und ein Apparat für einen Deckenlauf hingen, ist jetzt der Blick frei auf die imposante Beleuchtungsanlage. Das Hochseil sowie Trapez und Strickleiter verlieren sich fast darunter. Bei ihrem 7. Festival der besten Artisten setzen Benno Kastein und Team verstärkt auf die kleineren, charmanten Darbietungen. Auftritte von Truppen gibt es natürlich trotzdem. Gleich zu Beginn springt eine Vielzahl von Artisten aus China durch Reifen. Und vor dem Finale donnern Motorradfahrer durch eine große Kugel.

Dazwischen erleben wir aber Nummern von Solisten, Duos, Trios und einem Quartett. Damit ist die Show nicht weniger sehenswert als der Vorgänger. Nur der Schwerpunkt ist eben ein anderer. Wenngleich es schon in den vergangenen Ausgaben diese kleineren Nummern gab, ist der Gesamteindruck nun ein anderes. Schon allein der reduzierte Einsatz aufwendiger Requisiten macht das Erleben irgendwie entspannter.


Baldrian, Artisteneingang, Gerrit von Bamberg

Entspannung ist auch das Stichwort für Thomas Leuenberger alias Baldrian. Der Schweizer sorgt für Entschleunigung. Dazu hat er seine Partnerin Gisela dabei. Die Dame besteht aus zig ellipsenförmigen, silber glänzenden Elementen und kann exzellent fliegen. Der Anblick ist ein imposanter, und Baldrians Erklärungen dazu sind einfach urkomisch. Zudem hat er einen Lenkdrachen bestens im Griff. Herrlich ist seine Flugstunde mit fünf Gästen aus dem Publikum, die sogar dem Flughafen Kassel-Calden Flugbewegungen in nennenswerter Höhe beschert. Gags mit nordhessischem Einschlag sind aber in erster Linie die Spezialität von Gerrit von Bamberg. Der in Kassel geborene Comedian führt durchs Programm und sorgt zwischen den einzelnen Darbietungen für Spaß. Seine Witze um Ahle Wurscht und andere regionale Besonderheiten treffen meinen Humor nur sehr bedingt. Aber ich hatte es ohnehin noch nie so mit dem nordhessischen Humor. Und das trotz (oder wegen?) zahlreicher Verwandtschaft in Kassel. Um die Gastgeberstadt dreht sich ferner das Opening. Ihr Name leuchtet auf dem großen Billboard über dem Artisteneingang, und der dazu gespielte Song ist ein klares Bekenntnis zu Kassel.


Holy Warriors, Robles, Viktoria Csordas

Schon die erste Nummer ist ein wahrer Paukenschlag. Zwölf Artisten vom Chinesischen Nationalcircus in Peking springen in den verrücktesten Kombinationen durch Reifen. Zunächst bewegen sich die Ringe ferngesteuert auf verschiedenen Gestellen über die Rundbühne. Später werden sie ganz klassisch übereinander gestapelt. Die Sprungvarianten sind wirklich sensationell und die jungen Akteure mit sichtlich Freude bei der Sache. Der von Mitgliedern des Publikums aus jeder Vorstellung vergebene 1. Preis des Festivals ist den Holy Warriors damit sicher. Nach einer Dosis Baldrian geht es auf das Hochseil. Die Robles aus Kolumbien wissen, wie man auf diesem Requisit Nervenkitzel erzeugt. Bei ihrer Pyramide im Trio fahren die beiden Untermänner gar auf Fahrrädern. Das Seilspringen von großen Truppen sieht man nicht selten in einer Circusmanege. Flic Flac aber hat eine Solistin in der Show. Schon allein die Kondition von Viktoria Csordas ist bewundernswert. Ständig ist die junge Ungarin in Bewegung. In ihrer sportlichen Kür zeigt sie, welche Sprungvarianten ein einfaches Seil zulässt. Und die sind faszinierend anzusehen.


Lissa Rinne, Sven & Janine, Atlantis

Immer wieder ein Genuss ist die Luftnummer von Lisa Rinne. Voller Energie erleben wir sie zunächst an der Strickleiter und dann am Schwungtrapez. Die sympathische junge Dame mit den blonden Haaren wagt gefährliche Sprünge, bei denen sie zum Glück longiert ist. Die von Streichern gespielte Begleitmusik passt wunderbar. Aus Las Vegas nach Kassel geholt hat Flic Flac das Duo Sven & Janine. Die beiden aus Deutschland stammenden Artisten geben Vollgas, wenn sie mit ihren Rollschuhen über eine runde Plattform jagen. Ihre erotisch aufgemachte Darbietung enthält viele riskante Tricks. Eine spannende Neuentdeckung, zumindest für mich. Bestens bekannt sind natürlich Atlantis. Viele Jahre waren sie mit dem Circus Krone auf Tournee. In ihrer typischen Aufmachung und zur gewohnten Musik präsentieren sie ihre Partner-Equilibristik, die sie mit Handvoltigen kombinieren.


Robles, Denis Ignatov, Andreas Bartel

Mit einem Flic Flac-Klassiker geht es nach der Pause weiter. Julio Robles und Partner drehen atemberaubende Runden auf dem Todesrad. Zu zweit fegen sie über die Außenseiten ihrer beiden Trommeln. Das auch gerne mal mit verbundenen Augen. Die hohen Sprünge sorgen für weiteren Nervenkitzel. Weit ungefährlicher sind da die Kubusjonglagen von Denis Ignatov. Faszinierende Bilder entstehen, wenn er seine glänzenden Requisiten rotieren lässt. Dass das, was so leicht aussieht, harte Arbeit ist, lässt sein gestählter Körper erahnen. "Durchtrainiert wie ein Spitzenathlet", so beschreibt das Programmheft Andreas Bartel und seine Arbeit am Chinese Pole. Und natürlich kostet die Arbeit an der fünf Meter langen Fiberglasstange sehr viel Kraft. Die Kunst ist es aber, die Tricks ganz leicht aussehen zu lassen. Das gelingt dem sympathischen Bartel ganz hervorragend.


Michael Ferreri, Oli Nova, Pinillo Moto Riders

Michael Ferreri haben wir an dieser Stelle schon des Öfteren ein Loblied gesungen. Das ist in Kassel nicht anders, denn hier begeistert der junge Jongleur ebenfalls mit seinen scheinbar mühelosen Jonglagen von kleinen weißen Bällen. Nahezu spielerisch jongliert er mit ihnen sowohl vor dem Körper als auch über Kopf. Bis zu neun Bälle hält er gleichzeitig in der Luft und hat sichtlich Spaß dabei. Ein letztes Mal geht es dank Oli Nova in die Luft. An Tuchschlaufen zelebriert die junge Russin eine wunderschön anzusehende Kür, die sie umgeben von weißen Blättern Papier am Boden beginnt. In der Luft reiht sie harmonisch Trick an Trick. So wie der zweite Teil begann endet er - mit einem Flic Flac-Klassiker. Nicht ganz so lange wie das Todesrad, aber doch schon seit vielen Jahren ist die Motorradkugel zu einem Markenzeichen geworden. Insgesamt neun Fahrer der Pinillo Moto Riders jagen hier gemeinsam durch den Globe of Death. Als Besonderheit gehören Frauen zum Team. Beim anschließenden Finale kommen die Artisten von den Aufgängen auf die Bühne, um sich dort mit Zugaben zu verabschieden.

In seiner 7. Ausgabe präsentiert sich das Festival der besten Artisten - zumindest gefühlt - in einer charmanteren, insgesamt weniger auf die großen Sensationen setzenden Form. Diese Variation ist letztendlich die Kunst, ein jährlich am gleichen Ort stattfindendes Festival spannend zu halten. Der Besucher soll immer wieder kommen und trotzdem Neuartiges erleben. Das ist Flic Flac im aktuellen Winter wieder wunderbar gelungen. In der Publikumsgunst ganz oben finden sich dann aber doch wieder die bewährten Acts. Nach den bereits erwähnten Holy Warriors als Siegern gehen die Preise zwei und drei an Motorradkugel und Todesrad.


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Text und Fotos: Stefan Gierisch