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Weltweihnachtscircus 2014/15
www.weltweihnachtscircus.de ; 134 Showfotos

Stuttgart, 21. Dezember 2014: Er beherrschte keinen vierfachen Salto und konnte nicht mit zehn Bällen jonglieren. Und doch war Peter Goesmann geradezu untrennbar mit dem Stuttgarter Weltweihnachtscircus verbunden. „In seinen Adern floss reines Zirkusblut“, schreibt Produzent Henk van der Meijden im Programmheft über das Gesicht dieses circensischen Großereignisses. Wenn sich die Gardine zum ersten Mal öffnete, kam der hoch gewachsene Mann im Frack mit festem Schritt in die Manege, um das Publikum im großen Chapiteau zu begrüßen.

Peter Goesmann ist Mitte Juli 2014 verstorben. „Für uns ist es im Moment noch zu schmerzhaft, ihn jetzt schon zu ersetzen“, schreibt van der Meijden weiter. Und so wurde eine zweiteilige Lösung gefunden. Zum einen kündigen oftmals Artisten die auf ihre Nummer folgenden Kollegen an. Zum anderen ertönt die Stimme eines Radiomoderators, welcher Darbietungen ankündigt und auf besondere Tricks hinweist. Sicher nicht optimal, da so der Charakter einer Leistungsschau verstärkt wird. Unter den gegebenen Umständen aber eine sinnvolle Variante. Dafür, dass der aktuelle Weltweihnachtscircus nicht zu einer seelenlosen Veranstaltung der circensischen Rekorde wird, sorgt wiederum die wohldosierte Mischung aus Höchstleistungen, charmanten kleineren Darbietungen, witziger Clownerie und herrlichen Tierdressuren.


Spiegel-Trapez aus Pjöngjang, Concerto Black & White Fantasy, Fumagalli

Vier der aktuell in Stuttgart gezeigten Nummern werden im Januar 2015 in Monte Carlo zum Wettstreit um die begehrten Clowns antreten. Der Nationalzirkus von Pjöngjang schickt wiederum eine große Luftnummer ins Rennen. Spiegel-Trapez nennt sich diese. Was damit gemeint ist, wird beim Betrachten des großen Apparats klar. In der Mitte gibt es einen nach beiden Seiten besetzten Fangstuhl. Rechts und links befindet sich jeweils ein schwingender Fangstuhl. Darüber jeweils eine Absprungplattform. Diese Konstruktion ermöglicht den acht Artistinnen und Artisten neuartige Sprünge. Höhepunkt ist der vierfache Salto über eine Distanz von 14 Metern. Gar als die „größte Ikarische Spiele-Nummer der Welt“ werden die Artisten vom Großen Chinesischen Staatszirkus Tianjin angekündigt. Im Stile chinesischer Krieger präsentieren sie eine eindrucksvolle Choreographie. Im Mittelpunkt stehen dabei natürlich Jonglagen mit den Füßen. Bis zu drei Artisten fliegen gleichzeitig durch die Luft. Es entstehen faszinierende Bilder. Der Weg von China nach Monte Carlo führt auch für die Artisten der Elite Zirkusgruppe aus Peking über Stuttgart. Ihr „Concerto Black & White Fantasy“ ist sozusagen eine Symphonie der Handstandartistik. Besonders deutlich wird dies, wenn einer der Artisten im Einarmer auf verschiedenen Handstäben „Bruder Jakob“ spielt. Aber auch die weiteren, groß inszenierten Tricks sind faszinierend und der würdige Schlusspunkt der Stuttgarter Produktion. Seinen Silbernen Clown vergolden kann Fumagalli im nächsten Monat. Starnummer der verschiedenen Auftritte ist natürlich das „Bienchen“ mit Bruder Daris und Sohn Niko. Zusammen mit Maycol und Guido Errani präsentieren sie sich als rein italienische Fumaboys. Da Fumagalli und Partner an diesem Abend glänzend aufgelegt sind, ist das Zuschauen eine wahre Freude.


Anastasia Makeeva, Russischer Barren vom Nikulin Circus, Elena Drogaleva

Natürlich sind auch wieder zahlreiche Darbietungen dabei, die am Festival in Monte Carlo bereits erfolgreich teilgenommen haben. Anastasia Makeeva gewann bei der letzten Ausgabe einen Bronzenen Clown mit ihrer sinnlichen Luftakrobatik an geflochtenen Tüchern. Ihr Tango in großer Höhe ist so intensiv, dass er den hohen Schwierigkeits- sowie Risikograd in den Hintergrund treten lässt. Beeindruckend, wie die junge Russin als einzige Solistin der Show brilliert. Vom Nikulin Circus kommt der doppelte Russische Barren, welcher 2013 Silber gewann. Der Auftritt lebt von den eleganten Sprüngen der Fliegerin und des Fliegers. Natürlich sind sie auch beide gemeinsam in der Luft. Die Catwall Acrobats um Hugo Noel sorgen für den überaus schwungvollen Auftakt. Zur treibenden Musik zeigen sie eine quirlige Choreographie auf zwei Trampolinen und einem Plexiglas-“Haus“. Man sieht den jungen Kanadiern an, dass sie jede Menge Spaß haben und zudem hervorragende Akrobaten sind. Immer wieder ein Genuss sind die Jonglagen von Elena Drogaleva und ihren drei Gentlemen. In ständig neuen Varianten lässt das Quartett um die blonde Marlene Dietrich seine Keulen fliegen. Durch den Einbau zweier Podeste geht es zudem auf verschiedene Ebenen. Die treibende Musik gibt das Tempo vor, die Akteure bewegen sich äußerst elegant. Noblesse obliege.


Maycol Errani

Mit einem Clown in Monte Carlo ausgezeichnet wurden alle Vorführer von Tiernummern des diesjährigen Weltweihnachtscircus. Einer davon sogar als Akrobat. Maycol Errani präsentiert seine einzigartige Freiheit mit sechs Friesenhengsten. Das Zusammenspiel von Errani mit seinen Pferden ist phänomenal. Schön, diese Darbietung nach der diesjährigen Tournee mit dem Circus Knie noch einmal erleben zu dürfen. Für mich der ganz persönliche Höhepunkt der Show. Seine Gattin Geraldine Katharina Knie zeigt eine ausgefeilte Freiheit mit Zebras, Friesen und weißen Arabern. Maycol Errani bringt zudem beider Tochter Chanel mit einem Groß und Klein in die Manege. Wo immer sie auftritt, sorgt sie für große Freude. Rosi Hochegger gewinnt mit ihren Hunden auch die Herzen der Stuttgarter im Handumdrehen. Die Stimmung ist ausgelassen, wenn die Vierbeiner aus einer Häuserzeile erscheinen, um mal mehr, mal weniger temperamentvoll ihre Tricks vorzuführen. Eine Rarität stellt Bettpferd Scout da. Der Tigerschecke macht zunächst deutlich, dass sein Talent als Springpferd überschaubar ist. Dafür hat er eine herrliche Mimik und eine Vorliebe für ein Nickerchen vor den Augen von mehreren Tausend Zuschauern. Vier quicklebendige Seelöwen sowie ein Hund schließlich hören auf das Kommando von Petra und Roland Duss. Die gezeigten Tricks sind ungewöhnlich stark. Bewundernswert dabei ist immer wieder das Zusammenspiel der Tiere untereinander und mit ihren Trainern. Insgesamt also ein hervorragendes Tierprogramm.


Daring Jones, Scott, Duo A & A

Vier Duos komplettieren die Spielfolge. Zumindest drei von ihnen haben einen großen Anteil daran, dass dieser 21. Weltweihnachtscircus nicht zu einer reinen Leistungsschau wird. Die Daring Jones sind nicht nur in, vielmehr über der Manege ein Paar. Auch im „normalen Leben“ sind David Jones und Blaze Birge verheiratet. Bei ihrer durchaus riskanten Darbietung am Duo-Trapez harmonieren die US-Amerikaner ganz hervorragend. Und das kommt beim Publikum an. Ein Paar zwischen Zuneigung und Missverständnissen versucht sich gemeinsam in der Sparte der Magie: Scott und Muriel. Nichts will so recht gelingen. Am Ende zeigt sich dann aber, dass der Kanadier und die Niederländerin wahre Meister ihres Genres sind. Ihre Art – er der etwas schüchterne Zauberkünstler, sie die schrille Assistentin – ist einfach umwerfend komisch. Mit Bola-Spielen und Trommeln entführen die Italiener Los Saly nach Argentinien. Joe und Carlo legen dabei jede Menge südamerikanisches Temperament an den Tag und wissen so die Zuschauer mitzureißen. Rein auf die Leistung konzentrieren sich Anton Makukhin und Adam Rafael Vazquez. Als Duo A & A zeigen sie kraftvolle, beeindruckende Hand-auf-Hand-Artistik. Natürlich hat auch diese Nummer ihre festen, durchdachten Ablauf. Der ganz besondere Charme bleibt aber etwas auf der Strecke. Ein großes Lob gilt wiederum Markus Jaichner und seinem großen Orchester. Wann immer sie dürfen, sorgen sie für einen imposanten Sound im riesigen Chapiteau. Dessen an die jeweiligen Auftritte angepasste Ausleuchtung gelingt wunderbar. Patrick Rosseel hat einmal mehr Regie geführt und sorgt mit seinem Team dafür, dass jede Vorstellung reibungslos abläuft.

Wie gewohnt, ist der Weltweihnachtscircus wieder ein „Best of“ der internationalen Szene. Eine Show der Preisträger internationaler Festivals und solcher Nummern, die gute Chancen haben, in Kürze mit einem Clown in Monte Carlo prämiert zu werden. Hinzu kommen kleinere Darbietungen, die die Produktion der Superlative auflockern, ihr einen persönlichen Charme verleihen. Nur das Gesicht, die Personifizierung dieser Schau, fehlt in diesem Winter in Stuttgart.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch