Einmalig
ist
natürlich schon der Circusplatz mitten in Zürich. Eine Insel in der
Limmat beherbergt das Chapiteau, welches perfekt auf das Bauschänzli
zugeschnitten ist. Wenn abends die unzähligen Lichter brennen und sich
im Wasser des Flusses spiegeln, ergibt dies ein traumhaftes Bild. Über
eine Brücke gelangt der Besucher auf die Circusinsel. Kasse, Garderobe,
Restauration, es ist alles da. Aber eben auf kleinstem Raum.
Kreativität ist gefragt. Genannt sei hier nur der inzwischen schon
legendäre Pianist, welcher mit seinem weißen Flügel auf einem gläsernen
Podest über dem Eingangsbereich thront. Dort befindet sich zudem der
Artisteneingang, denn während der Vorstellung wird das Entree zum Backstagebereich. Im Spielzelt herrscht eine
herrlich kompakte
Atmosphäre, die Stühle stehen dicht an dicht. Trotz des begrenzten
Platzes gönnt die Direktionsfamilie Gasser sich, vor allem aber dem
Publikum, ein 15-köpfiges Orchester. Die Alex Maliszewski Big Band mit
ihrem wunderbaren Sound ist genauso eine Konstante wie das traumhafte
Lichtdesign.
Conelli-Dancers
und Evan Andrews
Ebenfalls eine
feste Größe sind die Conelli-Dancers. Sechs hübsche junge Damen, die in
prächtigen Kostümen (entworfen von Betty Mc Hardy) für glanzvolle
Stimmung sorgen, als Schottinnen den Auftritt von Steve Eleky
ankündigen oder eine Rock'n Roll-Einlage beisteuern. Dafür, dass die
Einlagen immer schwungvoll und professionell sind, sorgt Cindy
Gasser-Lee. Ein ums andere Mal treten die Tänzerinnen gemeinsam mit dem singenden
Ringmaster auf. Statt dem „Entertainer alter Schule“ Pino Gasparini hat
diese Rolle nun der junge US-Amerikaner Evan Andrews inne. Den
charmanten Showmaster haben die Gassers in Las Vegas entdeckt. Er gibt
eine blendende Figur ab und ist zudem ein fabelhafter Sänger. Bevor uns
Ballett und Andrews begrüßen, haben wir bereits drei Auftritte und die
Ouvertüre der Big Band erlebt. Tom Shanon spielt mit Laserstrahlen und
repräsentiert so ein Genre, das offensichtlich gerade en vogue ist.
Richtig lebhaft wird es bei den vier Jungs von Capliore. „Double Dutch“
nennt sich die Disziplin des quirligen Quartetts aus Japan. Das ist,
wie das seitenstarke, hochwertig aufgemachte Programmheft informiert,
eine Mischung aus Seilspringen und Breakdance. Mit einer herrlichen
Leichtigkeit wirbeln die Artisten im pfiffigen Outfit zwischen den sich
drehenden Seilen hindurch. Perfekte Stimmung gleich in den ersten
Minuten der Show. Mit Auftrittsapplaus werden zwei bekannte Gesichter
begrüßt: Gaston und Roli spielen ihre erste komische Szene.
Mehrere weitere werden folgen.
Nathalie Enterline, Gaston und Roli, Steve Eleky
Nathalie Enterline ist
eine großartige Tänzerin und Artistin, die sich mit ihrer
Twirling-Darbietung quasi ein Alleinstellungsmerkmal in den
Circusmanegen und auf den Varietebühnen geschaffen hat. Ein weiteres
Markenzeichen ist ihr rotes Kostüm mit Hut. Eine elegante und in jeder
Hinsicht „klassische“ Performance mit viel Stil. Weniger stilsicher
sind hingegen Gaston und Roli. Das ist natürlich so gewollt. Denn die
beiden sind geniale Komiker mit umwerfender Mimik und Sprache. Roli
gibt den vermeintlich intelligenten Part. In ihm hat der immer ein
wenig vertrottelte Gaston seit vielen Jahren den perfekte Nachfolger
für Weißclown Pipo Sosman gefunden. Zu einer Trilogie gerät die
Geschichte mit dem weißen Flügel, welcher gerne in sich zusammenfällt
und erst bei der Verabschiedung schließlich tatsächlich zum Musizieren
verwendet wird. Aus dem Saisonprogramm des Circus Nock kennen wir das
Spiel mit der Concertina, welches durch das Servieren einer Tasse Kaffee
unterbrochen wird. Bekannt ist zudem die Szene mit der Liebesblume. Zu
einem herrlichen Wortgefecht wird der Dialog, der damit beginnt, dass
Gaston „indische Butter“ kaufen will. Er endet natürlich ganz woanders.
Auf jeden Fall nicht an der Kühltheke eines Supermarkts. Dritter
Komiker im Programm ist Steve Eleky. Der Mann im Schottenrock ist immer
wieder zum Brüllen komisch - ganz egal ob als Jongleur oder Zauberer.
Wenngleich ich seine Monologe inzwischen mitsprechen kann, schüttelt es
mich vor Lachen. In Zürich waren zudem ein paar neue Gags dabei.
Natalia Rukol, Vlacheslav
Pereviazko, Zhang Fan
Eine
komische Note hat auch die Partner-Artistik von Natalia Rukol und Iurii
Volkov. Als „Eccentric“ werden sie hier angekündigt, was im
Programmheft mit „Schrulligkeit“ übersetzt wird. Zu der komisch
vorgetragenen Geschichte um ein schwarz-weiß gestreiftes Sakko kommt
das große artistische Können dieses russisch-ukrainischen Duos. Zum
Glück ist der Konflikt in der Manege nur gespielt. So bleibt viel Raum
für schier unglaubliche Körperbeherrschung, die dank dieser Art der
Präsentation eine Rarität darstellt. Vor ihrem Auftritt zelebrieren die
Conelli-Dancers ein rockiges „Crazy little thing called love“.
Natürlich ist Evan Andrews dabei, der in der Manege von Jeremy Gasser
an der E-Gitarre begleitet wird. Der Junior des Hauses ist zudem als
Chefrequisiteur für die Umbauten verantwortlich. Und die klappen
bereits in den ersten Vorstellungen so reibungslos, dass man davon so
gut wie gar nichts mitbekommt. Seine ruhige Seite beweist das Ballett
mit „I don't wanna miss a thing“ in weißen Gewändern. In einem weißen
Outfit ist auch Vlacheslav Pereviazko unterwegs. Und zwar auf einer
Leiter. Seine Balancen bekommen durch die Einbeziehung einer roten Rose
ihre Unverwechselbarkeit. Gleich zu Beginn balanciert er sie auf der
Nase und erklimmt dabei die freistehende Leiter. Wenn der junge
Ukrainer einen Handstand auf der Spitze seines Requisites zeigt, hält
er die Blume mit den Fußzehen. Nach dieser Neuentdeckung erleben wir
einen wohlbekannten Namen. Zhang Fan ist mit seiner phänomenalen
Artistik auf dem Schlappseil einmal mehr in der Schweiz zu Gast. Mit
einem beneidenswerten Gleichgewichtssinn hält er sich auf dem dünnen
Draht in der Balance. Handstand, Kopfstand oder Einradfahrt – der
charmante Chinese meistert alles mit eine Lächeln. Ohne Frage ist er
als Pausennummer genau richtig gesetzt.
Tatiana Ozhiganova, Sergey Timofeev,
Crazy Flight
Brachte
Vlacheslav Pereviazko eine Rose auf die Leiter, nimmt Tatiana
Ozhiganova eine Harmonika mit unter die Kuppel des Chapiteaus. Genauso
rot wir ihr Kleid sind die Strapaten, an denen sie arbeitet. Wie viele
weitere Nummern der Show, hat ihre Luftakrobatik eine durchgängige
Choreographie. Es wird also ein Tanz in der Luft. Die von ihr und
Pereviazko begonnene Kombination unterschiedlicher Requisiten wird von
der Zigong Acrobatic Troupe auf die Spitze getrieben. Auf der
Schulterperche balanciert der Untermann nicht nur bis zu drei
Partnerinnen, sondern zudem ein Fahrrad, auf dem die Chinesinnen ihre
Artistik zeigen. Über die Sinnhaftigkeit eines Drahtesels auf einer
Perchestange kann man sicher ewig philosophieren. Man kann es aber auch
bleiben lassen und diese außergewöhnliche Darbietung einfach genießen.
Sogar ein Salto auf dem Fahrrad
ist zu sehen. Mit einer Goldmedaille beim „Cirque de Demain“
ausgezeichnet wurde Sergey Timofeev. Er verbindet Handstandakrobatik
mit der für Männer ungewöhnlichen Disziplin der Kontorsion. Der eher
introvertiert agierende Ukrainer ist wirklich ein ganz besonderes
Talent. Und somit ein weiteres spannendes Highlight, für das sich
die Reise nach Zürich mehr als gelohnt hat. Sattgesehen habe ich mich
hingegen allmählich an Truppen, die Handvoltigen und Handstandakrobatik zur
scheinbar immer gleichen Choreographie kombinieren. Bei Conelli erleben
wir das Quartett Crazy Flight, welches natürlich hervorragende Artistik
zeigt. Viel ausgelassener geht es bei den Diabolo-Jonglagen des Flag
Circus zu. Fünf junge Chinesen tanzen ausgelassen zu „Singing in the
rain“ durch die Manege. Die knalligen Hemden in verschiedenen Farben
unterstreichen die Lebensfreude, welche sie versprühen. Ihre
raffinierten Spielereien vollführen sie fast en passant. Die Tricks
sind vom Feinsten und rufen allergrößte Begeisterung hervor. Ein
fulminanter Schlusspunkt vor dem Finale.
Finale
Dieses
wird genauso vielfältig zelebriert wie der Auftakt. Zunächst erscheinen
alle Mitwirkenden mit Wunderkerzen in der Manege. Dann werden die
Artisten nochmals einzeln vorgestellt. Die Familie Gasser schließt sich
an. Das Rund ist bestens gefüllt, wenn das Ensemble den frenetischen
Applaus des Publikums entgegennimmt. Obwohl der erste Advent noch ein
Wochenende entfernt ist, stellt sich festliche Weihnachtsstimmung ein.
Dazu tragen natürlich die passende Musik der Big Band und die
traumhafte Beleuchtung bei. Es gibt Zugaben und eine zauberhafte Szene,
bei der der weiße Flügel am Ende doch seinem eigentlichen Zweck
entsprechend genutzt wird. Evan Andrews spielt auf den Tasten und singt
dazu. Gaston und Roli lauschen gespannt. Wenn sich das Trio gemeinsam
Richtung Gardine verabschiedet, rieseln Schneeflocken aus der Kuppel.
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