CHPITEAU.DE

La Grande Fête Lilloise du Cirque 2013
www.lagrandefetelilloiseducirque.com ; 85 Showfotos

Lille, 26. Oktober 2013: Es geht einfach nicht anders: Thierry Fééry muss seine Abschiedsworte in den Applaus sprechen. Die Zuschauer im vollbesetzten Chapiteau haben sich von ihren Sitzen erhoben und spenden frenetisch Beifall. Draußen warten bereits die Besucher für die nächste Vorstellung. Die Grand Fête Lilloise du Cirque ist auch 2013 wieder ein voller Erfolg. Für den Produzenten genauso wie für das Publikum. Die Manege ist zum Finale bestens gefüllt mit Artisten und Tierlehrern von Weltformat. Viele Circusse haben ihre Tournee beendet, bis zur Weihnachtscircus-Saison ist es noch Wochen hin.

Eine gute Zeit also, um einige der besten Darbietungen unserer Tage zu engagieren. Von dieser Gelegenheit hat Thierry Fééry einmal mehr exzellent Gebrauch gemacht und eine Show zusammengestellt, die rundum begeistert. Auch das Drumherum passt. Das Chapiteau hat im Inneren keine sichtbehindernden Masten, das ausladende Gradin bietet ausschließlich Schalensitze. Am Licht wird nicht gespart, ebenso wie an der musikalischen Begleitung. Hier sorgt eine große Besetzung unter Kristof Majewski für erstklassigen Sound. Die Show wird somit optimal präsentiert.


David Larible

Star ist in diesem Jahr der „Clown der Clowns“ David Larible. Es ist interessant zu sehen, wie er auch ohne zentrale Rolle sein Publikum gewinnt. So gibt es in Lille eben kein Larible-Opening, bei dem er sich vom Requisiteur in einen Clown verwandelt. Da in der Manege bereits das Requisit für die erste Nummer aufgebaut ist, ziehen die Mitwirkenden zwischen Logen und Rang ein. Das wirkt schon deswegen imposant, weil sie den Ring – abgesehen vom Artisteneingang – komplett schließen. Die Wasserspiele mit einem Jungen aus dem Publikum bilden Laribles ersten Auftritt. Das ist quasi nur das Warmlaufen für seine Klassiker, das Publikums-Orchester und die Opera-Szene. Für beide wird er regelrecht gefeiert. Mimik, Timing und Gespür für die involvierten Zuschauer suchen einfach ihresgleichen.


Yvette Bellucci, Rosi Hochegger, Jiri Berousek

Der große Auftritt der Show überhaupt gehört aber – zumindest für mich – Yvette Bellucci, die vollkommen verdient direkt vor der Pause arbeitet. Wie sie ihren perfekt dressierten Zehnerzug präsentiert, ist einfach ein circensischer Hochgenuss. Da weiß man, dass Circus die schönste Neben- (oder vielleicht doch Haupt-? )Sache der Welt ist. Die Trickfolge lässt keine Wünsche offen. Die Laufarbeit ist schon ein Traum, die da capi machen ihn perfekt. Beim Gruppensteiger machen wirklich alle weißen Araber mit. Die weiteren Steiger sind so variantenreich, wie nur möglich. Noch nie gesehen habe ich die Kapriole ohne Zügel oder Longe. Bellucci führt sie vor. Dabei ist sie immer in flotter Bewegung, aber nie ohne Eleganz. Auf ihrem weißen Zylinder trägt sie die gleichen Federn wie ihre Tiere. Als besonderer Clou stecken zwei Belohnungs-Karotten in ihrem Dekolletee. Mario Bellucci zeigt nach der Pause ein Exotentableau mit Kamelen, Zebras, Lamas und Ponys. Zusätzlich bringt er nacheinander eine Giraffe und ein Nashorn in die Manege. Mit dem Dickhäuter führt er sogar eine Art Scheinangriff auf. Eine fröhliche Nummer, die nicht nur Kinder begeistert, ist die Hundeshow von Rosi Hochegger. Sie „spielt“ ausgelassen mit ihren Vierbeinern und zeigt so ausgefallene Kunststücke wie das Durchkrabbeln ihrer Beine im Rückwärtsgang. Mit wirklich außergewöhnlichen Tricks wartet schließlich die Bärennummer von Jiri und Renata Berousek auf. Jeweils einer der drei Braunbären balanciert auf dem Schlappseil, jongliert eine brennende Walze mit den Füßen und fängt auf einem Leitergestell stehend Reifen. Hinzu kommt etwa die Fahrt auf einem Motorrad und das Balancieren auf einer Kugel.


Truppe aus Peking

Drei Truppen dominieren den artistischen Bereich. Gleich zu Beginn wirbeln sechs junge Menschen über zwei Trampoline, zwischen welchen ein zweigeschossiges „Haus“ aus Plexiglas als Absprungbasis dient. „Art on Trampolin“ nennt sich dieser furiose Start in die Show. So wird gleich zu Beginn ordentlich die Atmosphäre im Chapiteau angeheizt. Deutlich zurückhaltender agieren die Mädchen der Akrobatiktruppe aus Peking bei ihren Diabolokünsten. Im Januar gewannen sie damit einen Goldenen Clown in Monte Carlo. Es entstehen große harmonische Bilder, die eine wahre Augenweide darstellen. Hinzu kommen die vollendeten Jonglierkünste. Über Weihnachten können wir sie in Heilbronn bewundern. Die Tradition großer Schleuderbrett-Nummern aus Osteuropa setzt dankenswerterweise die Truppe Fantasy fort. Die wagemutigen Sprünge werden variantenreich gefangen: Auf einer Stange, im Spagat zwischen vier Partnern im Zwei-Mann-Hoch oder in der fünften Etage eines mit einer Perchestange verstärkten Menschenturms. Sie bilden die Schlussnummer, welche nahtlos in das Finale übergeht.


Henok und Themesgen, Shirley Larible, Picasso junior

Eine interessante Variante der ikarischen Spiele zeigen Henok und Themesgen. Die beiden Schwarzafrikaner tragen dabei Outfits im Zebralook. Ihre Umdrehungen präsentieren sie mit viel Lebensfreude. So wird etwa der Obermann von seinem Partner auf nur einem Fuß balanciert. Nach mehreren Doppelsalti beenden sie ihren Auftritt mit einem Stakkato von Salti. Shirley Larible wird bei einer traumhaften Kür an den Strapaten vom Livegesang ihres Vaters begleitet. Letztendlich werden ihre Flüge damit genauso zu einem sinnlichen Erlebnis wie ihre Umschwünge oder der Spagat zwischen den beiden Bändern. Tischtennisbälle und Teller sind die Requisiten von Picasso junior. Der Spanier im Torerokostüm fasziniert immer wieder mit seinem filigranen Spiel mit den kleinen Zelluloidkugeln und den rasanten Touren mit Tellern quer durch das Publikum. Unzählige Kostümwechsel vollzieht das Duo Urunov während seines Auftritts. Selten sieht man bei einer Quick Change-Nummer so viele variantenreiche Wechsel farbenprächtiger Outfits. Auch das „Umziehen“ im Glitterregen fehlt nicht. Die Jidinis haben nicht nur eine neue Aufmachung mit nach Lille gebracht, sondern ebenfalls neue Tricks. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir jener, bei dem jeweils ein weißer und schwarzer Pudel in separate Kisten gesteckt werden. Die beiden Kisten fahren auf einem Gestell aufeinander zu, sodass aus den zwei Kisten eine wird, in welcher nun ein Dalmatiner sitzt. Pure Illusion, aber sehr wirkungsvoll.

Es ist somit wieder eine vollendete Show, mit der Thierry Fééry im 27. Jahr der Grand Fête Lilloise du Cirque das treue Publikum begeistert. Zudem variiert die Show geschickt gegenüber der letztjährigen, in der es unter anderem Raubtiere im Käfig und Elefanten gab. Fééry hat sich über die Jahre ein treues Stammpublikum erarbeitet, auf das er zählen kann. Nur so ist es ohne größeres Risiko möglich, solch hochwertige Programme auch wirtschaftlich auskömmlich anbieten zu können. Aber an schnöde Finanzen mag man bei diesem circensischen Hochgenuss gar nicht denken.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch