Seit über
20 Jahren gehört der Circus Conelli in der Advents- und
Weihnachtszeit fest zum Zürcher Stadtbild und ist dort gar nicht
mehr wegzudenken. Auf vier Seiten von Wasser umgeben, steht der
Circus auf dem „Bauschänzli“, einer kleinen Insel und ehemaligen
Wehranlage mitten in der Limmat. Der Weg zum Circusglück führt
hier über eine Brücke. Direktor Roby Gasser und Clown Roli
Noirjean begrüßen jeden Gast am Einlass persönlich, die Damen
des Balletts kleben goldene Herzchen auf die Wangen der
Zuschauer, und über den Köpfen der Besucher schwebt ein
Pianospieler auf einer gläsernen Plattform. Der Platz ist eben
begrenzt, und so herrscht im dicht bestuhlten Chapiteau mit
seinen 900 Sitzplätzen eine äußerst kompakte, intime Atmosphäre.
Tänzerin, Außenansicht, Lichtdesign
Gleich zu
Beginn der neuen Show zieht Conelli im großen Eröffnungsbild mit
Ballett und Gesang alle Register. Die sechsköpfige Compagnie
besteht aus professionellen Tänzerinnen mit viel Präsenz und
Ausstrahlung und tanzt in prachtvollen Kostümen die
Choreographien von Direktionsgattin Cindy Gasser-Lee, ehemals
selbst Tänzerin in Las Vegas. Inmitten der Ballettdamen stehen
der singende Ringmaster Pino Gasparini, Stimme der
Pepe-Lienhard-Band und reifer Showman von Format, sowie – nach
zwei Jahren Pause – wieder einmal vier großartige
Gospelsängerinnen aus den USA. Und auf dem prachtvollen,
samtroten Artisteneingang thront die 15-köpfige Big Band von
Kapellmeister Alex Maliszewski. Bei Conelli wird jeder Ton live
gespielt, und wenn die Artisten keine Noten mitbringen, dann
schreibt Maliszewski ihnen ein Arrangement. Von ebensolcher,
kompromissloser Qualität ist das Lichtdesign, für das unter
anderem ein Kranz von Moving Heads unter der Zeltkuppel und
vielfarbige Projektionen zur Verfügung stehen. Nicht zuletzt
sorgt die umsichtige Regie von Direktor Roby Gasser und seiner
Frau dafür, dass die ganze Vorstellung ein einziger Fluss ist,
in dem es keinerlei Unterbrechungen für Umbaupausen gibt.
Letztlich liefert Conelli perfekte Rahmenbedingungen bei Licht,
Ton, Musik, Ambiente und Regie, so dass sämtliche Darbietungen
optimal präsentiert werden.
Ballett mit Jeremy
Gasser und Pino Gasparini, Aleksandr Koblikov, Hugo Noel
Nach dem
Opening gehört die Manege zunächst Hugo Noel, der seine Runden
im Cyrrad dreht. Einmal hält er sich nur mit Kopf und Füßen am
Requisit, ein anderes Mal nur mit den Händen und kreiselt um
sich selbst. Als betrunkener Matrose präsentiert sich
anschließend Jongleur Aleksandr Koblykov, der mit Gold beim
Cirque de Demain und Silber in Monte Carlo ausgezeichnet wurde.
Der Ukrainer jongliert ausschließlich mit Bällen, von denen er
einige in einer Kontaktjonglage immer wieder über die
Matrosenmütze kreisen lässt oder dort deponiert. Später bewegt
er vier Bälle mit Händen und Füßen zu gleich, zum Abschluss
arbeitet er sicher mit zehn Bällen. „Movie Star“ ist das Motto
der Tanznummer, bei der Direktionsspross Jeremy Gasser inmitten
des Balletts die E-Gitarre spielt – sowohl Gitarre als auch
Kostüme sind effektvoll mit LED-Beleuchtung versehen.
Roy Gardner und
James, David Kaplan, Gaston und Roli
So wird
der perfekte Übergang zur ersten komischen Zaubernummer des
Abends geliefert. Dumm nur, dass Magier Roy Gardener zwar „las-vegas-mäßig“
auftritt, die wahren Kunststücke beim Herbeizaubern von weißen
Tauben aber nur seinem distinguierten Butler James gelingen.
Nach der Pause folgt tatsächlich noch eine komische Illusionsnummer,
was aber nicht im Geringsten stört. Schließlich hat David Kaplan
alias „The Great Kaplan“ eine vollkommen andere Nummer im
Gepäck. Mit einem Strohhalm bläst er ein winziges Kügelchen in
die Luft und will es mit einer Papiertüte fangen. Doch die
Papiertüte wird plötzlich von einer herabstürzenden Bowlingkugel
durchschlagen, die später scheinbar wieder wie ein Luftballon
zur Decke schwebt. Wenn Kaplan dann seine Ukulele, ein
wertvolles Erbstück natürlich, auf einem Stuhl ablegt, kommt es,
wie es kommen muss: Die Bowlingkugel stürzt wieder aus dem
Zeltdach und schlägt das Instrument und den Stuhl in Stücke ….
Ein witziger und äußerst kreativer Schockeffekt. Witzig und
kreativ, das sind wie immer die Erzkomödianten Gaston und Roli,
die auch in dieser Conelli-Show nicht fehlen dürfen. Wieder
einmal verzweifelt der schlaue Roli an seinem einfältigen
Partner in einigen Reprisen und einem großen Entree. Dieses
dreht sich darum, dass der feine Herr Gasparini zum Rinderbraten
eingeladen wurde, obwohl doch nur Bohnensuppe im Haus ist.
Selbstverständlich endet das Drama im Fiasko.
Pavel Stankevich, Patrick
Lemoine, Zhejiang Acrobatic Troupe
Jean
Lemoine komplettiert den humoresken Teil der Show. „Jean findet,
dass man das Rad nicht neu erfinden muss, um Menschen fröhlich
zu machen“, heißt es im Programmheft. Da besteht freilich keine
Gefahr von allzu viel Innovation, denn seine Variante der oft
gespielten Stummfilmszene mit vier Mitspielern aus den
Zuschauerreihen ist geradezu klassisch und ohne eigene Ideen.
Der Heiterkeit im Publikum tut das keinen Abbruch. Pavel
Stankevich ist Goldmedaillengewinner beim Cirque de Demain in
Paris. Bei seiner Handstandequilibristik begleitet ihn
fortwährender Jubel von den Rängen. Es ist nur nicht ganz klar:
Gilt dieser nun den Posen von höchstem Schwierigkeitsgrad, die
er hier ausdauernd und meist nur auf einem Arm zeigt, den Körper
dabei maximal gestreckt bis in die Zehenspitzen? Oder quittiert
der Jubel vor allem den äußerst muskulösen Körper des
attraktiven Ukrainers? Vermutlich eine Mischung aus beidem… Die
fernöstliche Note würzt auch dieses Conelli-Programm. Eine Artistin der Zhejiang Acrobatic Troupe jongliert
hier Schirme mit den Füßen, während sie mit ihrem Partner unter
anderem Figuren der Hand-auf-Hand-Akrobatik zeigt.
Schlussendlich lässt die junge Frau auf Händen, Füßen und einem
Mundstab sechs Schirme kreisen – und liegt dabei auf den Füßen
ihres Partners, der einen Handstand drückt.
Duo Paradise,
Truppe Kovgar, Duo Grigorov
Für die
letzten Nummern steigert sich dieses großartige Programm nun endgültig in einen magischen Rausch. Pino Gasparini und eine der Gospelsängerinnen singen „You and me“
und leiten damit eine Abfolge von zwei Liebesgeschichten ein. Die erste
erzählt das Duo Paradise, Anastasia Krutikova und Artem Panasyuk.
In dieser romantischen und harmonischen Darbietung ist es
zumeist die Partnerin, die als Unterfrau in schwierigen
equilibristischen Posen fungiert. Im fliegenden Wechsel folgt
das Duo Grigorov am Luftring. Die Darbietung erinnert
hinsichtlich der Tricks und Schwierigkeitsgrade durchaus an die
Strapatennummer „Flight of Passion“, und das ist sicher kein
Zufall: Die männlichen Partner in beiden Nummern sind Brüder.
Hier sind es nun Marina und Olkeksii Grigorov, die
hochgefährliche Tricks wie einen Zahnhang präsentieren und die
Gefahr zur Kunst werden lassen. Die Schleuderbretttruppe Kovgar
gehört seit Jahren zu den ganz großen Circusattraktionen, und
nun ist sie erstmals in der Schweiz zu sehen. Ein Kunststück für
sich ist es, wie all die Sprünge und Salti in der kleinen
Conelli-Manege und unter dem nicht allzu hohen Chapiteau
ausgeführt werden. Für den sensationellen Schlusstrick müssen
gar die Gäste in der Frontloge kurzfristig umziehen, damit der
Absprungturm Platz findet. Doch auch im Conelli-Chapiteau wird
so der einmalige Trick möglich: Auf einer Art „russischem
Barren“, von zwei Männern getragen, steht ein dritter Artist auf
Stelzen und trägt einen Perchesessel. Und an die Spitze dieses
gewagten Konstrukts führt der letzte Sprung. Ausgiebig wird nun
das Finale zelebriert, mit Zugaben, Gesang und Flitterregen aus
der Kuppel. |