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Flic Flac - Dortmund 2012/13
www.flicflac.de

Dortmund, 4. Januar 2013: Während Flic Flac in Kassel in dieser Saison auf eher ruhige Töne setzt, bedient man beim „Weihnachtscircus im Revier“ so ziemlich alle Vorstellungen, die man von diesem Unternehmen hat und die es groß gemacht haben. Spektakuläre Artistik, auch zu harter Rammstein-Musik, dazu skurrile Comedy und erstklassiges Licht in einer trotz aufwendiger Umbauten flüssigen Show, präsentiert im hochwertigen schwarz-gelben Ambiente – mit „Highlig Abend“ wird in der zweiten Ausgabe der Dortmunder Weihnachtsshow Flic Flac (fast) wie aus dem Lehrbuch gezeigt.

Nur fast, weil es da dieses Opening gibt. Aus dem Artisteneingang, in Nebel getaucht, erscheint nämlich ein Engel mit überdimensionalen Flügeln. Von hinten erstrahlen helle Scheinwerfer, erzeugen so eine „religiöse Erscheinung“, und der Engel singt „Halleluja“. Die Artisten, allesamt in der typischen Kleidung von Zechenarbeitern, kommen derweil aus den ebenfalls in nebliges Licht gehüllten Besuchereingängen und erhellen mit Taschenlampenlicht das Zelt. Ordentlich Lokalkolorit und eine wunderbare Reverenz an das Ruhrgebiet. Auf der hydraulischen Mittelbühne steigt der Engel dann, zumindest ein Stückchen, gen Himmel, während die Artistenschar gebannt zuschaut.


Anastasia Makeeva, Alain Alegria, Jouravels

Aus dem Opening heraus besteigt Alain Alegria sein Washington-Trapez. Seine waghalsigen Tricks, so das Aufnehmen eines Tuches im Schwung oder die Balance mit dem Stuhl, haben dafür eine neue Musikbegleitung bekommen. Der Engel interpretiert Rammsteins „Engel“. Vielleicht noch riskanter ist die Arbeit von Vicky und Pablo Garcia an ihrer rotierenden Rakete. Vickys Zehenhang am von Pablo mit den Zähnen gehaltenen Trapez und der abschließende Genickhangwirbel, bedrohlich nahe an den Masten, sind ohne Frage außergewöhnlich. Alain Alegria und die Garcias sind aber nur zwei von gleich sieben Darbietungen, die in diesem Winter unter der Flic Flac-Kuppel zu sehen sind und dem Programm ihren Namen geben. Dazu gehört auch Anastasia Makeevas wild-elegante Kür an Tüchern und die vierköpfige Truppe Jouravel, die sich nach der Pause mit großartigen Flügen und synchronen Passagen am Reck produziert.


Suanbekovs

Typisch Flic Flac, das gilt auch für das Todesrad. Darin und darauf drehen heuer Makhudbek und Nursultan Suanbekov ihre Runden. Die beiden Brüder beherrschen dabei diverse weite Sprünge auf dem Außenrad. Zusammen mit Partnerin Sayrakan Suanbekova brillieren sie als Trio auch auf dem Hochseil. Der Spagat der Artistin zwischen den Köpfen der männlichen Akteure, Sprünge mit Seil und Reifen und das Zwei-Personen-Hoch, zunächst während die Oberfrau auf Spitzen auf dem Kopf des Partners steht, dann bei schwingendem Seil, bilden das Repertoire. Anschließend wird das Hochseil zum steilen Schrägseil umfunktioniert und ebenfalls im Zwei-Personen-Hoch begangen. Das effektvolle Rückwärts-Zurück-Rutschen beschließt diesen Auftritt, der beim Festival in Moskau zu Recht gewonnen hat. Schlussnummer sind aber auch in diesem Jahr die sensationellen Motorrad-Flüge durch das Rundzelt. Aufgrund der gewaltigen Nachfrage nehmen die vier Jump Styler auch in diesem Jahr im Dortmunder Vorzelt Anlauf, springen mittels einer Rampe im zentralen Besuchereingang durch das Zelt, zeigen dort abenteuerliche Stunts und landen sicher im Artistenbereich. Anstatt der Motorradkugel überspringen sie heuer das abgebaute Todesrad. Selbst beim zweiten Sehen schlichtweg phänomenal!


Giorgio, Steve Rawlings, SerBat Troupe

Aber auch auf dem Bühnenboden hat Flic Flac wieder starke Leistungen zu bieten. Da wäre zum Beispiel Diabolo-Wirbelwind Georgio Hromadko, der nicht nur seine vier Diabolos, sondern mit seinem mitreißenden Verkauf auch das Publikum fest im Griff hat. Gewollt introvertierter, ganz cool eben, leider aber manchmal auch außerhalb des Lichtkegels, zeigen sich die Iroshnikovs mit ihrer leistungsstarken Hand auf Hand-Darbietung. Sprünge und Würfe werden mit den Hand- und Kopfständen auf interessante Weise verbunden oder gehen direkt ineinander über. Nicht mithalten können da, vor allem auch aufgrund des fehlenden Verkaufs, Kunstschütze Ben Blaque und die fünfköpfige SerBat Troupe. Letztere übersteigt im bis zu Drei-Personen-Hoch eine Leiter. Besser zu überzeugen weiß Elena Shapoval mit ihrem trotz kräftezehrender Posen lasziven Tanz an der Pole-Stange ebenso wie Daniel Golla, der mit seinen Modellflugzeugen samt eher karnevalesker anstatt Flic Flac-artiger Musik für gute Laune sorgt.


Elena Shapoval

Für die gute Laune ist zudem Steve Rawlings engagiert, und ihm gelingt diese Aufgabe außerordentlich gut. Seine vier Auftritte, meist eine Mischung aus verbaler und physischer Komik, sind über die ganze Show verteilt. Zunächst versucht er sich als Jongleur mit Möbeln, Porzellan und Feuerkeulen, bis er schließlich selbst in Flammen steht. Später jongliert er gekonnt drei Ping-Pong-Bälle mit dem Mund, balanciert dann mehrere Golfschläger übereinander und animiert das Publikum zu stehenden Ovationen, nachdem der Tischtuchtrick eines Gastes gelingt. Gewürzt mit sprachlichen Gags sind Rawlings Intermezzi wirkliche Volltreffer. Daneben gibt es bei Flic Flac in diesem Jahr in Dortmund auch wieder Live-Musik, zumindest bei ausgewählten Darbietungen. Heuer setzt die dreiköpfige Formation „Glamour Gems“ musikalische Duftmarken. Und was für welche! Vor allem mit Sängerin Jean Pearl wurde eine grandiose Stimme gefunden, die als oben angesprochener Engel ebenso überzeugt wie mit Popmusik, die etwa zur SerBat Troupe oder bei Elena Shapoval erklingt. Aber auch Sänger Mark Deviz, der zusammen mit DJane Elle das Trio komplettiert, beherrscht ein breites Spektrum von Rammstein über The Police bis zum „Steigerlied“. Jenes Volkslied dient zur Untermalung des Aufbaus beim Todesrad, und die Artisten erscheinen wieder als Zechenarbeiter. Hier wird nochmals eine Idee des Openings aufgegriffen, während die andere – das Erscheinen des Engels – im Finale ihre Fortsetzung findet. Der Engel singt ein letztes Mal, die Artisten betreten durch die Besuchereingänge das Zelt und nehmen in gewohnter Weise am Bühnenrand Aufstellung – das Publikum hält es danach auch nicht mehr auf Sitzen. Standing Ovations, ganz so wie man es von diesem Unternehmen kennt. Flic Flac wie aus dem Lehrbuch eben.

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Text: Benedikt Ricken