Hebei-Truppe, Khubaev
Während hierzulande in den
Wochen zwischen Tournee-Ende und Weihnachtscircus-Saison nur ein
eingeschränktes circensisches Angebot offeriert wird, nutzt man
in Frankreich die Gelegenheit, gute Nummern in dieser
vermeintlichen „Saure Gurken“-Zeit zu bekommen. Und Thierry
Fééry hat diese Chance ganz exzellent ergriffen. Aus den
Circushochburgen Russland, China, Nordkorea und Osteuropa hat er
jeweils eine große Truppe engagiert. Einem aktuellen Bronzenen
Clown aus Monte Carlo haben die Khubaev im Gepäck. Mit ihrer als
Modenschau inszenierten Akrobatik auf Trampolinbahnen bilden sie
sogleich einen mitreißenden Start in die Show, nachdem zunächst
alle Mitwirkenden in der Manege aufmarschiert sind. Das Defilee
der „Khubaev Fashion Show“ folgt einer strengen
Geschlechtertrennung: Während die Damen feine Stoffe
präsentieren, zeigen die Herren rasante – oftmals synchron
ausgeführte – Sprünge. Weiblich besetzt hingegen ist der
artistische Part bei der Hebei-Truppe und ihrer Fahrradartistik,
die wir vor einigen Jahren beim Heilbronner Weihnachtscircus
sehen konnten. Es sind (longengesicherte) Sprünge von Rad zu Rad
sowie die Fahrt von zig Artistinnen auf eine Zweirad, die hier
für Begeisterung sorgen. Die große Luftnummer vor dem Finale
steuert die Truppe aus Pyongyang bei. Von einer Russischen
Schaukel aus fliegen die Nordkoreaner(innen) zu drei statischen
Fängern, die auf zwei verschiedenen Ebenen positioniert sind.
Die raumgreifenden Sprünge werden durch ein Fangnetz gesichert.
Richter-Truppe. Sifolinis, Sorellas
Mit weniger Präzision als ihre
koreanischen Kollegen, dafür aber mit deutlich mehr Verve,
zelebrieren die sieben Jungs der Florian Richter-Truppe ihre
Jockey-Reiterei. Die Kapelle heizt mit ungarischer Folklore
richtig ein und treibt die Reiterin ihren Husarenkostümen
nochmals an. Auch wenn die Sprünge nicht immer beim ersten
Versuch gelandet werden, ist diese Darbietung ungeheuer
mitreißend. Sicher hätten die Ungarn eine wirkungsvollere
Schlussnummer als die auf Perfektion ausgerichteten Nordkoreaner
abgegeben.
Zwei männliche Duos komplettieren den artistischen Bereich.
Risiko und Eleganz vereinen auf grandiose Weise die ebenfalls
mit Bronze in Monte Carlo ausgezeichneten Sorellas. Das
deutsch-schweizer Duo zeigt am ruhenden Trapez ohne Sicherung
Tricks, die nicht nur die Akteure zum Schwitzen bringen. Nach
ihrer Saison beim dänischen Cirkus Dannebrog drehen die
Sifolinis nun in Lille ihre gewagten Runden auf dem Todesrad.
Neben Sprüngen mit und ohne Seil läuft einer der beiden Bulgaren
im Handstand auf dem Außenrad.
Totti
und
Thierry Fééry,
Jose Mitchell
Ebenfalls bei
Dannebrog auf Saison engagiert war Clown Totti (Alexis). Er ist
nicht zum ersten Mal beim Festival in Lille. Frühere Engagements
hatte er sowohl mit der gesamten Familie als auch im Solo. 2011
agiert er zumeist im Dialog mit Thierry Fééry, der
höchstpersönlich als Monsieur Loyal durchs Programm führt.
Oftmals sind es witzige Dialoge, kleine Sketche, die die beiden
zusammen spielen. Zudem gibt es „Totti-Klassiker“ wie das Spiel
des Mechanikers mit einem Lichtpunkt. Wunderbare Vertreter des
klassischen Clownsentree sind die Jose Mitchell-Clowns. Diese
Spaßmacher können nicht nur einmalig gut musizieren, sondern
begeistern wie immer mit ihrer Version des Wasser-Entrees. Ganz
gleich ob man ihr Spiel um ein Gratis-Essen zum ersten oder
zwanzigsten Mal sieht – es sorgt jedes Mal für befreiendes
Lachen.
Die engagierten Tierdressuren
umfassen, neben den Pferden der Richter-Truppe, einen Affen, zig
Hunde, eine große Raubtiergruppe und vier Elefanten. Mit dem
Affen führt Aydin Israfilov schier unglaubliche Jonglagen vor,
die vor einigen Jahren beim Cirque Arlette Gruss zu sehen waren.
Israfilov ist während der Nummer zumeist auf dem Einrad
unterwegs. Sein Affe jongliert mit ihm zusammen sowohl vom Boden
aus als auch als Mitfahrer auf dem Rad. Zum Schluss heizt der
Affe dann selbst auf einem Kinderfahrrad durch die Manege.
Rene
Casselly
Ausgelassen geht es ebenfalls bei
der Vorführung der Hundemeute von Wolfgang Lauenburger zu. Die
Vierbeiner beherrschen viele Tricks, die hier nahezu spielerisch
vorgeführt werden. Auf den Sprung von einem hohen Gestell wird
inzwischen verzichtet. Dafür dürfen einige der Hunde jetzt auf
einem Pony reiten. Imposant wirkt die Raubtiergruppe von Redi
Montico mit Mähnenlöwen und Tigern allein schon durch die große
Anzahl an Mitwirkenden. Tolle Tricks mit vielen Tieren
gleichzeitig bestätigen den Eindruck einer imposanten gemischten
Raubtiergruppe, wenngleich wir an diesem Nachmittag wohl nicht
das ganze Repertoire zu sehen bekommen, wie Fotos aus anderen
Vorstellungen in Lille vermuten lassen. Der Gesamteindruck wird
zudem dadurch etwas getrübt, dass einige der Löwen schon einen
sehr betagten Eindruck machen. Topfit sind die vier
afrikanischen Elefanten der Familie von Rene Casselly. Im
Mittelpunkt der aktuellen Nummer steht Sohn Rene junior, der
gemeinsam mit den Dickhäutern schier unglaubliche Tricks zeigt.
Die meisten davon kennt man aus der Jockey-Reiterei. Etwa das
vertikale „Umrunden“ eines laufenden Tieres oder Sprünge von
Tier zu Tier. Dazu kommt der Spagat zwischen zwei
Elefantenköpfen, der Handstand auf zwei verknoteten Rüsseln und
der Sprung mittels Schleuderbrett auf den Elefantenrücken. Bei
den Cassellys paart sich die ungeheuere Kreativität für immer
neue Darbietungen mit den gleichen Tieren mit der Fähigkeit,
diese auch umzusetzen. Für einen „Clown“ beim kommenden
Circusfestival von Monte Carlo sollte es auf jeden Fall reichen.
Wir drücken die Daumen!
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