Sie wird von drei
Logenreihen und einem Gradin mit verschiedenenfarbigen
Schalensitzen umschlossen.
Ganz ehrlich:
Ein wenig hatte ich ein überinszeniertes Spektakel ohne viel
artistischen Inhalt erwartet. Doch die Erwartungen wurden in
positiver Weise übertroffen. Die „Wunschwelt“ bietet viel mehr
eine dichte Abfolge artistischer und komischer Nummern, ist in
seiner Machart eben doch ein Circusprogramm, freilich eines ohne
Tierdressuren. Letztere überlassen Rolf und Gregory Knie
vernünftigerweise dem Nationalcircus, dem Rolf Knie auch als
Mitglied des Verwaltungsrates verbunden ist. Während der
traditionsreiche Zürcher Weihnachtscircus Conelli mit Bigband
und Showballett im Stil der großen Revue auf Glamour
zeitlos-klassischer Prägung setzt, hat „Salto Natale“ einen eher
moderneren, trendigeren „Look“, zum Beispiel was die äußerst
farbenfrohe Kostümierung des siebenköpfigen Balletts (fünf
Damen, zwei Herren) betrifft. Die hervorragende, rockig
aufspielende, zehnköpfige Liveband mit Sängerin agiert hier
direkt auf der Bühne, im Hintergrund des Geschehens. Ballett,
Band und Sängerin kommen gleich im Opening zum Einsatz. Zu
Baustellenlärm irren hektische Gestalten in grauen Anzügen über
die Bühne, bis sie aus diesen befreit werden und ihre bunten,
fantasievollen Kostüme zeigen. Hinein in die unbeschwerte
Wunschwelt!
Alex
Traisci, Dustin Nicolodi, Baldrian
Thomas
Leuenberger, eine Hälfte des Schweizer Comedyduos „Flügzüg“
(Circus Knie 2000), ist unter dem neuen Künstlernamen „Baldrian“
der rote Faden im Programm. Als Ziel gibt er aus, das Publikum
in hektischer, schnelllebiger Zeit einer „Entschleunigungstherapie“
unterziehen zu wollen: „Wer langsamer lebt, ist später tot“,
sagt er im ersten seiner mit aller Seelenruhe zelebrierten
Auftritte im grünen Hemd und mit ebenso gefärbten Augenbrauen.
Schließlich ist grün die Farbe der Entspannung. Baldrian lässt
im Circuszelt Drachen steigen, später dirigiert er mittels
Fernsteuerung das wundersame Wesen „Gisela“ aus miteinander
verknüpften, gasgefüllten, silbernen Ballons mit
Propellerantrieb, das sachte durch die Zeltkuppel fliegt. Mit
angesteckten Flügeln müssen nach der Pause vier Mitspieler aus
dem Publikum einen Flugunterricht der besonderen Art
absolvieren, und schließlich jongliert er stangenförmige Ballons
in Zeitlupe. In der Tat stellt sich bei Leuenbergers Auftritten,
außer viel Gelächter, auch eine wohlige Entspannung ein – die
Entschleunigung funktioniert. Hugo Noel aus der Truppe Catwall
Acrobats, die später die Schlussnummer bestreitet, bietet am
Cyr-Rad zum Programmbeginn eine der stärksten Nummern des in
Mode gekommenen Genres. Es handelt sich um jenen Verwandten des
Rhönrads, der nur aus einem einzigen Reifen besteht. Immer
wieder beeindruckend ist die hohe Präzision, mit der das Duo
Polinde – Goldmedaillengewinner beim European Youth Circus 2008
in Wiesbaden – am Fangstuhl arbeitet. Die gesamte Nummer,
inklusive der Salti in den Flugpassagen, wird von Pauline
Hachette und Linde Hartmann ohne Longengesicherung, dafür mit
Matte, gearbeitet. Teil ihrer Darbietung ist auch weiterhin das
mit feinem Humor zelebrierte Rieseln des Talkumpuders. Alex
Traisci war bekannt als männliche Hälfte des Diabolo-Duos
„Double Face“, bis er vor einiger Zeit erstmals eine
Solodarbietung als Reifenjongleur präsentiert (z.B.
Krone-Februarprogramm 2010). Auch mit den Reifen präsentiert er
bei Salto Natale ein „Double Face“, denn sein Kostüm zeigt hier
die rechte Körperhälfte als bunten Harlekin und die rechte im
schwarzen Anzug, vom Ballett in ebensolchen Kostümen umtanzt.
Traisci jongliert mit den Reifen in der Luft oder lässt sie auf
dem Bühnenboden rollen. Von dort kommen sie wie Bumerangs zu ihm
zurück, kreisen fünf Reifen gegenläufig und parken schließlich
alle Reifen, nachdem sie ein Holzgestell umrundet haben, in dem
vorne offenen Gestell ein. Ebenso das Genre gewechselt hat
Dustin Nicolodi, Sohn von Bauchredner Willer Nicolodi, den man
zum Beispiel im Knie-Programm 2007 mit einer
Handstand-Equilibristik als Matrose erleben konnte. Nun tritt er
als Comedy-Jongleur im Stile eines Jahrmarktkünstlers „anno
dazumal“ auf, der zum Beispiel mit Samurai-Messern und Äpfeln
jongliert – diese gleichzeitig verspeisend. Gewisse
Ähnlichkeiten mit den Nummern Steve Elekys sind wohl nicht zu
leugnen, vielleicht haben beide Künstler auch nur die gleichen
britischen Humoristen als Vorbilder.
Catwall Acrobats,
Blue Sky Girls, The Beautiful Jewels
Schlicht
einer der besten Diabolokünstler unserer Zeit ist Tony Frébourg,
der im asiatisch inspirierten Outfit ausdauernd bis zu vier
Diabolos in der Luft hält. Vor der Pause haben dann die „Blue
Sky Girls“ ihren Auftritt, jene neun mongolischen
Kontorsionistinnen, die erst 2010 in Monte Carlo Bronze-prämiert
wurden. Eingeleitet von einer kurzen Liebesszene eines Paars in
einem Bett, untermalt der erotische Chanson „Emmanuelle“ den
Auftritt der neun Artistinnen. Zunächst arbeiten sie parallel
verschiedene Tricks, dann formieren sie sich zu einem Kranz der
Körper im neunfachen Mundstand um eine runde Plattform. Damit
endet der erste Programmteil, der in der Gesamtschau wohl der
stärkere und dichtere ist. Programmteil zwei beginnt ebenso mit
einem musikalischen Opening mit Gesang, Ballett und anschließend
Baldrians Flugstunde. Geheimnisvoll wie ihr Künstlername ist der
gesamte Auftritt der 32-jährigen Schwertschluckerin „The
Beautiful Jewels“. Der transparente, leichte, weit geöffnete
Mantel, den sie über ihren Dessous trägt, lässt keinen Zweifel
daran, dass die 55 Zentimeter lange, dreieinhalb Zentimeter
breite Stahlklinge ihres Schwerts nirgends anders verschwindet
als in ihrer Speiseröhre – bis ein Herr aus dem Publikum es
wieder aus ihrem Rachen zieht. Man mag kaum zusehen bei dieser
faszinierend-verstörenden Schau. Eher kurz fällt der Auftritt
der Ukrainer Zlata Moroz und Oleg Boiko alias „Duo Wind“ mit
ihrer Partnerakrobatik aus. Umso spektakulärer dagegen die
Schlussnummer: Die sechsköpfige Truppe Catwall Acrobats, fünf
Herren und eine Dame, kombiniert zwei Trampoline mit einem knapp
fünf Meter hohen, eineinhalb Meter breiten Plexiglasturm mit
verschiedenen „Fensteröffnungen“ in der „ersten Etage“. Vom
Trampolin gehen die Sprünge der Akrobaten durch diese „Fenster“
auf das gegenüber liegende Trampolin oder auf das Turmdach, sie
laufen die Wände hoch, springen einzeln und synchron. Die
temporeiche, originelle und leistungsstarke Arbeit ist ein
wirklicher idealer Abschluss des Programms. |